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Bereits verlegte Stolpersteine



Rosalia Jacobsohn (geborene Michalsky) * 1897

Hallerstraße 55 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 55:
David Eldod, Eli Eldod, Judith Eldod, Naftali Eldod, Rosa Eldod, Walter Samuel Eldod, Bertha Jacobsohn, Dr. John Jacobsohn, Ernestine Jacobsohn, Eva Jacobsohn, Mathilde Jacobsohn, Sally Jacobsohn

Dr. John Jacobsohn (Jakobsohn), geb. am 17.3.1894 in Altona, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Rosalia Jacobsohn, geb. Michalsky, geb. am 14.12.1897 in Berlin, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Ernestine Jacobsohn, geb. am 18.6.1923 in Hamburg, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Bertha Jacobsohn, geb. am 9.3.1924 in Hamburg, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Eva Jacobsohn, geb. am 23.4.1927 in Hamburg, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Sally Jacobsohn, geb. am 22.7.1930 in Hamburg, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Mathilde Jacobsohn, geb. am 30.8.1934 in Hamburg, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk

Hallerstraße 55

Der Vater von John Jacobsohn, Jacob Jacobssohn, geb. am 19.10.1860 in Wittmund, heiratete 1890 in Altona die am 23.6.1855 in Aschendorf, Reg.-Bez. Osnabrück geborene Bertha Meyer. Er lebte als Lotterieeinnehmer in Altona. Seit 19. Dezember 1906 war Jacob Jacobssohn mit Ehefrau und den zwei in Altona geborenen Söhnen, John (1894) und Werner (1897), in Hamburg in der Bogenstraße 15 gemeldet, wo er einen Handel mit Bettfedern betrieb, der offenbar gut florierte, wie sein versteuertes Einkommen anzeigt. 1913 ließ er seinen Familiennamen in Jacobsohn ändern und wurde im selben Jahr mit Frau und Kindern förmlich in den hamburgischen Staatsverband aufgenommen.

Der am 17. März 1894 in Altona geborene Sohn John Jacobsohn studierte Jura.

Gegen Ende des Studiums, 1915, wurde er zum Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg einberufen. Deshalb konnte er die Erste juristische Prüfung am 7. März 1916 in Rostock nur als "Notprüfung" ablegen. Sie wurde ihm erst angerechnet, nachdem er am 10. März 1916 die hamburgische Staatsbürgerschaft erworben und die vorgeschriebene Semesterzahl durch Belegen von Veranstaltungen der Universität Heidelberg nachgereicht hatte. Dazu bekam er Urlaub vom Kriegsdienst. Als 1917 sein Vater starb, versuchte er vergebens, zum Dienst an einem Hamburger Gericht angefordert zu werden, um nebenbei seine kranke Mutter im Geschäft unterstützen zu können. Es wurde ihm mitgeteilt, das Gericht benötige zurzeit keine Referendare.

Der Bericht, den John Jacobsohn am 6. Juli 1919 über seine militärische Tätigkeit im Ersten Weltkrieg einreichte, diente ihm später als Nachweis für seine Einstufung als Frontkämpfer: Von Mai bis Oktober 1915 wurde er im Infanterie-Ersatzbataillon Landwehr Nr. 81 im Bezirk Hanau geführt, dann bis Juni 1917 im Armierungsbataillon 116. Im Stellungskrieg war er beschäftigt mit Materialschleppen im Straßen- und Barackenbau. Als Stationstelefonist lernte er die Technik des deutschen Eisenbahnbetriebs kennen. An der Schlacht von Verdun nahm er zeitweilig im schwersten Feuer teil. 1917 erkrankte er und wurde einem Ersatztruppenteil in Saarbrücken überstellt. Dort erhielt er als Zensor der Feldpost Einblick in die depressive Stimmung der elsässisch-lothringischen Bevölkerung. Der Einsatz in einer Luftsperrabteilung, die Fesselballons zum Schutz der einheimischen Industrie aufsteigen ließ, war sein letztes Kommando im Krieg. In Hamburg wurde er zunächst vier Wochen für den juristischen Vorbereitungsdienst beurlaubt und danach aus dem Heeresdienst entlassen.

Die Zeugnisse der akademischen Lehrer über den Kandidaten John Jacobsohn fielen unterschiedlich aus. Gerühmt wurden sein Fleiß und sein redliches Bemühen. Seine Auffassung sei eher langsam und seine Redeweise etwas un­beholfen. Bestimmte Beurteilungen, etwa über seine "unsaubere" Erscheinung, lassen antisemitische Gefühle bei den Lehrern vermuten. Auch erwähnten einige Ausbilder, dass Jacobsohn "streng mo­saischen Glaubens" sei und deshalb am Sonnabend keinen Dienst tue. Die juristische Promotion von John Jacobsohn über "Aleatorische, insbesondere Glücksverträge nach jüdischem Recht" fand am 7. Januar 1920 in Frankfurt a. M. statt. Die Zweite juristische Prüfung bestand er am 4. Januar 1921 mit dem Prädikat "gut". Der Senat ließ ihm mitteilen, er könne nur Assessor werden, wenn er bereit sei, auch sonnabends zu arbeiten. Offenbar akzeptierte der Kandidat diese Bedingung, jedenfalls wurde er mit Leistung des Diensteids auf die Reichsverfassung und die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg zum Assessor ernannt. Nach wenigen Monaten jedoch brachte ihn die Verleumdungsklage eines Mitbewohners in Verlegenheit. Obwohl er die niederen Beweggründe des Klägers unter Zeugen glaubhaft darlegen konnte, warf der Vorfall einen Schatten auf den Justizbeamten, sodass ihm der Amtsgerichtspräsident nahelegte, seine Entlassung aus dem Staatsdienst einzureichen. Der Rechtsstreit wurde durch einstweilige Verfügung vom 3. November 1921 beigelegt. Mit abgeschlossenem Jurastudium konnte er nun versuchen, als Rechtsanwalt zu arbeiten. Auf Anfrage hin erklärte die Hanseatische Anwaltskammer, gegen eine Aufnahme des Dr. John Jacobsohn bestünden keine Bedenken. Am 20. Januar 1922 wurde seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim hanseatischen Oberlandesgericht, dem Landgericht und dem Amtsgericht in Hamburg bekannt gegeben.

In den nächsten zehn Jahren zeigte Jacobsohn im Adressbuch eine Rechtsanwaltspraxis in der Großen Bäckerstraße 2–4 an, wo er von Montag bis Freitag 15–17 Uhr Sprechstunden abhielt. Zusammen mit seiner 1897 in Berlin geborenen Ehefrau Rosalia, geborene Michalsky, wohnte er weiterhin in der Bogenstraße 15. Von 1924 bis 1934 bekam das Ehepaar vier Töchter und einen Sohn. Die Töchter besuchten die Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße.

Ließ Jacobsohns Lebenslauf schon vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten Probleme wegen seines Judentums erkennen, so spitzte sich das ab 1933 noch zu. Den Auftakt bildete der Aufruf zum Boykott "jüdischer Geschäfte, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte", verstärkt durch die Forderung des preußischen Justizministers Kerrl, das Auftreten jüdischer Rechtsanwälte drastisch einzuschränken. Der Hamburger Justizsenator Curt Rothenberger sorgte dafür, dass möglichst vielen jüdischen Rechtsanwälten ihre Zulassung entzogen wurde. Dazu diente ihm das am 10. April 1933 verkündete "Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft", das sich an das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" anlehnte. Demnach sollte allen Rechtsanwälten jüdischer Herkunft die Zulassung aberkannt werden, außer denen, die bereits am 1. August 1914 zugelassen gewesen waren oder im Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatten. Berücksichtigt wurden bei der Ausnahmeregelung auch Anwälte, deren Väter oder Söhne im Krieg gefallen waren. Bis zum 31. Mai 1933 wurde 71 Hamburger Anwälten die Zulassung wegen "nicht arischer Abstammung" entzogen, darunter auch John Jacobsohn. Von der Möglichkeit, als Frontkämpfer weiter zugelassen zu bleiben, erfuhr er erst zu spät. Sein daraufhin gestellter Antrag wurde vom Justizsenator dahingehend beschieden, die Eigenschaft als Frontkämpfer müsse durch das Zentralnachweiseamt für Kriegsverluste und Kriegsgräber oder durch Eintragung in die Kriegsstammrolle bestätigt werden. Aber auch als Jacobsohn den geforderten Nachweis erbringen konnte, zeigte sich Rothenberger nicht bereit, Jacobsohns Tätigkeit im Stellungskrieg und seine Anwesenheit während der Schlacht bei Verdun als Frontdienst anzuerkennen. Erneut wurde Jacobsohns Gesuch abgelehnt. Dann aber erlaubte die Durchführungsverordnung vom 20. Juli 1933 zum Zulassungsgesetz vom 10. April, dass ein Rechtsanwalt, dem die Frontkämpferschaft bestritten wurde, sich direkt an den Reichsjustizminister wenden konnte. Auf diesem Wege erreichte Jacobsohn, dass die Landesjustizverwaltung die Rücknahmeverfügung wieder auflösen musste. Jacobsohn konnte also seinen Beruf weiterhin ausüben. Allerdings zeigte er sein Rechtsanwaltsbüro in der Großen Bäckerstraße nicht mehr an; im Adressbuch erschien nur noch seine Privatadresse Bogenstraße 15.

Welchen Restriktionen jüdische Rechtsanwälte in den folgenden Jahren ausgesetzt waren, schildert Heiko Morisse: Ausschluss aus dem Anwaltsverein, jetzt umbenannt in "Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" und aus anderen Vereinen, Verhinderung von Mandaten und Vertretungen, Diskriminierung in der Bestellung zu Armenanwälten und Pflichtverteidigern.

Die wirtschaftliche Folge war eine empfindliche Minderung der Einkünfte, auch wenn die von Jacobsohn entrichtete Kultussteuer noch keinen dramatischen Rückgang aufwies. Es lässt sich nicht ergründen, warum das Ehepaar Jacobsohn offenbar keinen Ausreiseantrag stellte und auch keine Möglichkeit ergriff, die Töchter ins sichere Ausland zu schicken. Die Kinder besuchten die jüdische Schule in der Carolinenstraße, wo eine freundliche Atmosphäre herrschte und sie noch nicht allzu viel von den Restriktionen zu spüren bekamen.

Einen tiefen Einschnitt brachte das Jahr 1938 mit dem Pogrom vom 9./10. November. John Jacobsohn wurde wie viele jüdische Rechtsanwälte und hunderte Hamburger Männer verhaftet und vom Polizeigefängnis Fuhlsbüttel aus ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Parallel zu dieser Gewaltaktion traf die jüdischen Rechtsanwälte Hamburgs der entscheidende Schlag. ArtikelI § 1 der Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. September 1938 bestimmte: "Juden ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen. Soweit Juden noch Rechtsanwälte sind, scheiden sie aus der Rechtsanwaltschaft aus. (…) Zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden lässt die Justizverwaltung jüdische Konsulenten zu. Frontkämpfern unter den ausscheidenden Rechtsanwälten können bei Bedürftigkeit aus den Einnahmen der jüdischen Konsulenten widerrufliche Unterhaltszuschüsse gewährt werden." Am 28. Januar 1939 bekam John Jacobsohn, gleichzeitig mit Dr. Felix Hecht, die "Rücknahme der Zulassung" ausgehändigt. Auf seinen demütigenden Antrag hin wurde ihm ein Unterhaltszuschuss von monatlich 250 RM gewährt. Dazu hieß es: "Der Ausgleichstelle ist jede Änderung in wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen unverzüglich anzuzeigen. Die Bewilligung des Zuschusses kann jederzeit widerrufen werden. Ein Rechtsanspruch besteht nicht." Ab September 1941 mussten alle Mitglieder der Familie Jacobsohn den "Judenstern" tragen. Die Familie zog, vermutlich gezwungenermaßen, in die Ostmarkstraße 55. Dorthin erging an das Ehepaar und alle fünf Kinder am 18. November 1941 der Deportationsbefehl nach Minsk ins "Reichskommissariat Ostland".

In Minsk war erst wenige Monate zuvor, im Juli 1941, für die dortige zahlreiche Jüdische Gemeinde ein Getto von etwa 2 Quadratkilometer abgesperrt worden. Um Platz für die deportierten "Reichsjuden" zu schaffen, wurden 12.000 Bewohner des Gettos erschossen und ein Sondergetto eingerichtet. Die Ankommenden bekamen die Wohnungen der soeben Ermordeten zugewiesen. Etwa 1400 Arbeitsfähige wurden zur Zwangsarbeit bei Stellen der SS, der Wehrmacht oder der Organisation Todt eingeteilt. Aus den Transporten vom November 1941 in das "deutsche Getto" Minsk überlebten fünf Menschen. Wann und wie John und Rosalie Jacobsohn und ihre fünf Kinder zu Tode kamen, ist unbekannt. Auch der Antrag auf Wiedergutmachung gibt darüber keinen Anhaltspunkt. Eingereicht und 1970 abgebrochen wurde er von Asnath Stern, geb. Kahan, geb. 1921, Erbin nach ihren ermordeten Eltern und vier Geschwistern, außerdem nach ihrem Onkel John und ihrer Tante Rosalia Johnsohn sowie deren fünf Kindern.

Stand: September 2016
© Inge Grolle

Quellen: 1; 4; 6; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde 992 b; 992e Band 4; 2; StaH 241-2 Nr. 1815 Personalakte John Jacobsohn Justizverwaltung; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung_164413/113; StaH A 42 D weiße Steuerkarten; A 25 D Kultussteuerkarten; StaH 332-7 B III 121999 Staatsangehörigkeitsaufsicht; StaH 332-7 A I f 269; S. 242 Staatsangehörigkeitsaufsicht S. 242, mitgeteilt von Jürgen Sielemann; Morisse, Jüdische Rechtsanwälte; Hecht, Unsichtbare Mauern; Mosel, Wegweiser, Heft 1, S. 88.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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