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Paul Löwenthal im Kontor, um 1920
© Privatbesitz

Paul Löwenthal * 1872

Blumenstraße 52 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
PAUL LÖWENTHAL
JG. 1872
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
TOT 5.8.1943

Paul Ludwig Hermann Löwenthal, geb. 3.1.1872 in Hamburg, gestorben am 5.4.1943 in Hamburg

Paul Löwenthal wurde als Sohn des Kaufmanns Eduard Löwenthal (1840–1916) und Elisabeth, geb. Sachs (1851–1915), geboren. Die Mutter stammte aus Berlin (Eltern: Hirsch Sachs und Clara, geb. Moses), der Vater aus Sternberg in Mecklenburg (Eltern: Levy Israel u. Minna Löwenthal). 1866 hatte Eduard Löwenthal den Hamburger Bürgerbrief erhalten.

Zwei Jahre nach Paul wurde seine Schwester Emma geboren, die Familie wohnte zu dieser Zeit in der Admiralitätsstraße 23 (Neustadt). Weitere drei Jahre später, am 24.10.1877, kam der Bruder Franz zur Welt.

Im Dezember 1900 zog Paul aus dem elterlichen Haus Grindelberg 44 (Rotherbaum) in eine eigene Wohnung. Seit ca. 1903 besaß er in Hamburg die Exportfirma Paul Löwenthal & Co. Im April 1909 erwarb er das hamburgische Bürgerrecht. 1914 lautete seine Privatanschrift Husumerstraße 16 (Eppendorf).

Die Firma Paul Löwenthal, an der auch Robert Moses aus Buenos Aires beteiligt war, ging 1921/22 in Liquidation. Paul Löwenthal trat nun in die 1845 gegründete großväterliche Firma L. (= Levy) J. (= Israel) Löwenthal, Butter- u. Fettwarengroßhandlung (Neue Gröningerstraße 15) ein. Zusammen mit seinem Bruder Franz, der 1913 den "Verband deutscher Butterfirmen e. V." mitbegründete (1913–1927 Vorstandsmitglied), war Paul Löwenthal als Firmeninhaber eingetragen.

Circa 1919 heiratete Paul Löwenthal Clara Kaufmann, am 21. Juli 1920 wurde deren einziges Kind, Eva Lise, geboren.

Die Brüder Löwenthal erwarben 1920 das Haus Blumenstraße 52 in Hamburg-Winterhude, in dem sie beide mit ihren Ehefrauen lebten. 1925 verstarb Clara Löwenthal.

Da Paul sich über längere Zeit in Südamerika aufhielt, leitete Franz die Firma L. J. Löwenthal. 1920 trat der langjährige Prokuriust August Kemme (geb. 1875) als Gesellschafter in die als OHG geführte Firma ein. Nach der Erinnerung der Enkelin von August Kemme besaß das Unternehmen ein Firmenautomobil mit Chauffeur, das von den Inhabern gemeinsam genutzt wurde. August Kemme erinnerte sich 1946: "Die Firma L. J. Löwenthal musste 1935 zwangsweise gelöscht werden, seit 1935 Nachfolgefirma H. C. Bruhn als arisierter Betrieb." Im Mai 1937 erfolgte die offizielle Auflösung des in der dritten Generation geführten Familienunternehmens. Die ebenfalls von den Brüdern Löwenthal sowie August Kemme als Gesellschafter geführte Firma D. Haar wurde zum 1. August 1937 geschlossen.

Das Geschäftsgrundstück Gröningerstraße 15/17 (Altstadt) blieb gemeinsames Privateigentum der Gesellschafter. Die Einfuhrkontingente (Butter, Fettwaren, Honig, getrocknete Früchte) der Firma L. J. Löwenthal OHG wurden auf die Butter- und Lebensmittelgroßhandlung H. C. Bruhn übertragen, die im Oktober 1933 als Hamburger Zweigniederlassung der gleichnamigen Eckernförder Firma im Handelsregister eingetragen worden war. Deren Alleininhaber war der bisherige Löwenthal-Gesellschafter August Kemme, der nach eigener Aussage "fortgesetzte persönliche und geschäftliche Maßregelung" zu erdulden hatte, da er mit einer Jüdin verheiratet war. Im Juli 1937 nahm er, nicht ganz freiwillig, Hans Hinrich Lütgens aus Husum als Mitinhaber in die Firma auf.

Im Januar 1938 begann der NS-Staat mit den ersten Maßnahmen zur Aneignung des Vermögens der Gebrüder Löwenthal. Die Reichsfluchtsteuerstelle des Finanzamts Hamburg-Altstadt berichtete am 11. Januar 1938: " (…) Es ist ein Sicherungsbescheid in Höhe von 200000 RM erlassen für fällig werdende Reichsfluchtsteuer und noch für die zu zahlenden Steuern, welche sich aus der Veranlagung 1935–1937 ergeben werden, die jetzt durchgeführt wird. Gleichzeitig wird dem 2. Mitinhaber Herrn Paul Löwenthal ein Sicherungsbescheid in Höhe von 100000 RM zugehen aus den gleichen Gründen. Es wäre zweckmäßig wenn durch die Devisenstelle sofort eine Buchprüfung stattfinden könnte. Um Abschrift eines Berichts wird gebeten. Die Passentziehung ist angeordnet."

Der kurz darauf anrückende selbständige Wirtschaftsprüfer Willy Markert beschränkte sich in seinem Schreiben vom 14. Februar 1938 nicht allein auf die wirtschaftlichen Aspekte, sondern lieferte gleich auch noch ein paar wichtige Details aus der Privatsphäre der Brüder: "Paul Löwenthal ist 66 Jahre alt und seit 5 Jahren gemütskrank, dementsprechend ist er als geschäftsunfähig erklärt worden. Seit 2 Jahren befindet sich der Pflichtige als Geisteskranker in der Privat-Heil- und Pflege-Anstalt Dr. Ferdinand Wahrendorf in Ilten bei Hannover. Der Kranke bedarf der ständigen Begleitung, zumal er seiner völligen Erblindung entgegensieht."

Markert legte dar, dass der Sicherungsbescheid unter falschen Voraussetzungen erteilt wurde. Zwar erreichte er dessen Aufhebung, die systematische Ausplünderung der Brüder Löwenthal wurde damit freilich nicht abgewendet. Paul Löwenthal wurde nach einem bereits am 1. Februar 1938 verabschiedeten Gesetz als Jude automatisch in die höchste Einkommensteuergruppe eingestuft. Am 16. August 1938 wurde sein Vermögen per "Sicherungsanordnung" der Oberfinanzdirektion Hamburg/Devisenstelle quasi konfisziert und nur nach Antrag konnten hiervon Beträge für den Lebensunterhalt abgehoben werden. Die stereotype Begründung, die der Einschätzung des Wirtschaftsprüfers komplett widersprach, lautete: "Herr Paul Löwenthal ist Jude. Es ist damit zu rechnen, dass er in nächster Zeit auswandern wird. Nach den in letzter Zeit mit auswandernden Juden gemachten Erfahrungen ist es daher notwendig, Verfügungen über sein Vermögen nur mit Genehmigung zuzulassen." Von Dezember 1938 bis November 1939 musste er in fünf Raten eine "Judenvermögensabgabe" von rund 42000 RM bezahlen. Für seine im Ausland lebende Tochter waren nachträglich "Reichsfluchtsteuer" (März 1939) und "Judenvermögenssteuer" (November 1939) zu zahlen. Zusätzlich waren 1940 noch 15% seiner Einkommensteuer als "Sozialausgleichsabgabe" fällig. Das Haus Blumenstraße 52 wurde an Dr. jur. Wilhelm Crull verkauft, der auch im Fernsprechbuch 1940 unter dieser Anschrift vermerkt wurde.

Franz Löwenthal kümmerte sich um die Pflege seines Bruders, für die jährlich 9000 RM zu zahlen waren. Franz Löwenthal wurde seit 1938 im Fernsprechbuch mit der Adresse Schenckendorffstraße 58 (Groß Flottbek) angegeben, 1940 allerdings mit dem Zwangsnamen "Israel" und dem Zusatz "Privatmann". Das Haus gehörte, wie auch weitere Immobilien in der Barmbeker Straße, Semperstraße, Grindelallee und Thüringer Straße, zu seinem Vermögen. Im März 1940 zog er zusammen mit seinem Bruder Paul in eine Wohnung in der Oderfelderstraße 42, II. Stock (Harvestehude); Paul wechselte später in die im selben Haus gelegene Pension von Frau Dr. Meier-Ahrens. Der Gesundheitszustand von Paul verschlechterte sich weiter, 1941 war er bereits erblindet. Währenddessen betrieben Franz Löwenthal und seine Frau mit Hochdruck die Auswanderung. Am 6. Mai 1941 erhielt Franz den beantragten Reisepass. Am 25. Juni 1941 wurden Reisegepäck- und Frachtgutlisten über die Firma Scharlach & Co. an die Devisenstelle der Oberfinanzdirektion geleitet. Ein Gerichtsvollzieher prüfte daraufhin das "Umzugsgut" in der Wohnung. Die Verpackung und Verladung erfolgte durch die Spedition Züst u. Bachmeier A. G. (Mönckebergstraße).

Am 7. Juli kam aus Lissabon die Bestätigung für eine Schiffspassage für zwei Personen auf der "Serpa Pinto" für den August 1941 von Lissabon nach New York. Am 6. August wurden das Transitvisum für Spanien und Portugal in den Pass eingestempelt. Am nächsten Tag erteilten Franz Löwenthal und seine Ehefrau Helene, geb. Rothschild (geb. 1889 in Central Mills/Alabama, USA), dem Kaufmann Fritz Scharlach (Firma Scharlach & Co., Königstraße 15 II.Stock) eine notariell beglaubigte Generalvollmacht, die auch für die Immobilien galt. (Fritz Scharlach, geb. 1898, wurde noch im selben Jahr ins KZ Fuhlsbüttel eingeliefert und am 22. April 1943 ins KZ Auschwitz deportiert, wo er am 5. September 1943 starb).

Reichsmark-Beträge, die ins Ausland transferiert werden sollten, wurden mit einem Abschlag von 96% belegt, so dass nur 4% des Überweisungsbetrages der Eheleute Löwenthal in den USA ankam. Für ausgeführte Wertgegenstände war eine "Dego-Abgabe" gezahlt worden (allein für die umfangreiche Briefmarkensammlung waren es 46000 RM). Noch am 15. August 1941 wurde die "Auswandererabgabe" in Höhe von 68000 RM überwiesen. Kurz darauf traten die Eheleute die Bahnfahrt durch Frankreich und Spanien nach Portugal an. Am 27. August 1941 emigrierten sie von dort weiter in die USA. (Franz Löwenthal verstarb am 16. April 1967 in Berkeley/Californien). Zwei Monate bevor die Massendeportationen begannen, war ihnen die Flucht geglückt. Paul Löwenthal hatten sie nicht mehr mitnehmen können.

Im April 1942 zog der bereits erblindete Paul Löwenthal in eine Wohnung im Grindelhof 101 um (s. a. Siegfried Salomon, möglicherweise war die Pension Meier-Ahrens inzwischen in den Grindelhof verlegt worden). Am 17. Juli 1942 erfolgte der zwangsweise Umzug in das jüdische Alten- und Pflegeheim in der Beneckestraße 6 II. Stock (Rotherbaum), ein "Judenhaus". Gekoppelt war der Zwangsumzug mit einem "Heimeinkaufsvertrag", den Paul, obwohl bereits 70 Jahre alt, auf 15 Jahre abschließen und im voraus bezahlen musste. Zugrunde gelegt wurde ein monatlicher Kostensatz von 180 RM, was auf 15 Jahre gerechnet eine Summe von 34490 RM ergab. Der eingezahlte Betrag kam ihm in keiner Weise zugute. Infolge unzureichender Ernährung und Pflege starb er am 5. April 1943.

Die Tochter Eva Lise Löwenthal besuchte von 1930 bis 1936 die Hansa-Oberrealschule (heute Helene-Lange-Schule) und beendete die Schulausbildung 1936 bis 1938 in der Schweiz. Ende 1938 emigrierte sie über Schweden nach England, wo sie später den Arzt Scott heiratete und dort vermutlich 1999 verstarb.

© Björn Eggert

Quellen: 1; 2; 4; AfW 030172; AfW 241077; StaHH 741-4, Alte Einwohnermeldekartei; StaHH 221-11, Signatur C 16828; StaHH 221-11, Signatur F 13968; Landesarchiv Berlin: Handelsregister (Firma Eduard Löwenthal), E-mail vom 5.6.2007; AB 1875, 1898, 1900, 1904, 1913, 1919, 1922, 1936, 1937; Amtliche Fernsprechbücher Hamburg 1895, 1907, 1914–1925, 1927, 1936-1941; Hamburger Börsenfirmen 34. Aufl., Hamburg Februar 1933, S. 297 u. S. 528; Harald Vieth, Hier lebten sie miteinander in Harvestehude-Rotherbaum, Hamburg 1994, S. 33–38; Berliner Adressbuch 1872, 1879, 1882, 1884, 1885, 1890, 1894, 1896; Handelskammer Hamburg, Firmenarchiv (H.C.Bruhn), HR A 38383, 1933–1954; Informationen von Lore Wieprecht Frühj. 2007.

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