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Bereits verlegte Stolpersteine



Max Nathan * 1878

Karlstraße 2 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)

KZ Fuhlsbüttel
ermordet 30.10.1936

Weitere Stolpersteine in Karlstraße 2:
Wilhelm Sander

Max Carl Nathan, geb. 19.3.1878, inhaftiert am 10.7.1936 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, Todesdatum 30.10.1936
Wilhelm Sander (früher Nathan), geb. 21.2.1905, inhaftiert am 10.7.1936 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, deportiert nach Auschwitz, Todesdatum 14.5.1943

Karlstraße 2

Max Nathan war in erster Ehe mit Emma Schürmann, die evangelisch war, verheiratet und gründete mit ihr eine Familie. Das Ehepaar hatte drei Kinder, ihr Sohn Alfred kam am 9. April 1902 zur Welt, dann folgte Wilhelm am 21. Februar 1905 und zuletzt wurde ihre Tochter Nanni am 9. Oktober 1907 geboren. Die Familie lebte in der Rothenbaumchaussee 158.

Doch das Familienverhältnis war schon früh gestört, da sich beide Elternteile oft stritten und rasch trennten. Nanni zog zu ihrer Mutter und ihre Brüder Alfred und Wilhelm blieben beim Vater und ihrem Kindermädchen Elna Leopold. Max Nathan zog mit seinen beiden Söhnen aus der Wohnung in der Rothenbaumchaussee aus und betrieb einen kleinen landwirtschaftlichen Hof in Wandsbek-Eichthal.

Schon während seiner Schulzeit musste sich Sohn Wilhelm abfällige Bemerkungen über seine Familiensituation gefallen lassen, was zu einigen Zusammenstößen mit Schulkameraden führte. Als strebsamer Schüler war Wilhelm Klassenbester, was ihn von einem Studium träumen ließ. Doch diesen Traum setzte er nicht in die Tat um, weil sein Vater ihm wohl nie die lange Studienzeit finanziert hätte. Denn obwohl die Familie wohlhabend war, achtete Max Nathan sehr auf sein Geld. Dadurch war das Verhältnis zwischen den Geschwistern und ihrem Vater oft angespannt.

Mit sechzehn Jahren begann Wilhelm Nathan eine Lehre bei der Firma Kuhlmann. Diesen Ausbildungsplatz besorgte ihm sein Vater. Der Inhaber stellte sich jedoch als Betrüger heraus und nach nur drei Monaten brach Wilhelm seine Lehre ab. Die nächste Ausbildung begann er, erneut auf Anraten des Vaters, bei der Commerz und Industrie GmbH in der Humboldtstraße. Doch auch dieses Unternehmen stellte sich als unseriös heraus. Nun besorgte sich Wilhelm Nathan eigenständig einen Ausbildungsplatz bei der Bankfirma Samson & Co.

Zuerst durfte Wilhelm Nathan keinen Börsendienst tätigen, da seine Garderobe zu schäbig war und sein Vater sich weigerte, ihm Geld für einen neuen Anzug zu geben. Nachdem Wilhelm jedoch das erste eigene Gehalt erhielt, konnte er sich neu einkleiden, stieg zum Arbitrageur (Händler, der Kursunterschiede aufspürt und ausnutzt) auf und leitete bis zum Ende seiner Lehre eine Filiale.

Mit 19 Jahren hatte Wilhelm Sander ausgelernt und trat ins väterliche Geschäft ein. Max Nathan führte einen Möbel-Groß- und Einzelhandel in der Werderstraße 38, in dem auch schon sein ältester Sohn Alfred mitarbeitete, meist als Chauffeur für seinen Vater. Wilhelm Nathan zeigte einiges Talent für den Beruf, woraufhin ein Konkurrenzkampf zwischen Vater und Sohn entbrannte.

1925 heiratete Max Nathan erneut. Seine neue Ehefrau war die inzwischen 36-jährige Elna Leopold, das ehemalige Kindermädchen. Auch sie war evangelisch. Zu den Söhnen hatte Elna ein gutes Verhältnis, da sie die beiden aufgezogen hatte.

Emma Schürmann bat ihren Sohn Wilhelm häufig um Geld, welches er ihr auch gerne gab. Allerdings fand er, dass sich seine Eltern zu sehr für materielle Dinge interessierten.

Mit 21 Jahren entschloss sich Wilhelm Nathan, in die USA auszuwandern. Dort angekommen, fand er zwar rasch Arbeit, vertrug jedoch das Klima nicht und musste im Herbst 1926 nach Hamburg zurückkehren.

Nach seiner Rückkehr trennte sich Wilhelm Nathan endgültig von seiner Mutter. Beide sahen sich danach nie wieder. Seit diesem Zeitpunkt beschloss er für immer zu seinem Vater zu halten, der ihn zuvor schon vor seiner Mutter gewarnt hatte.

Doch das Jahr 1926 brachte für Wilhelm Nathan auch Erfreuliches. In einem Café lernte er Lina Wilhelm, die Tochter des Schlachtermeisters Heinrich Schröder aus Bremen, kennen. Sie war evangelisch, hatte 1921 den Kaufmann Wilhelm geheiratet und ein gemeinsames Kind mit ihm, die Scheidung erfolgte im Jahr 1927. Wilhelm Nathan und Lina Wilhelm blieben bis zu seiner Inhaftierung ein Paar, sie waren zwischen 1928 und 1933 verlobt.

Nach seiner Rückkehr aus den USA zog Wilhelm Nathan wieder bei seinem Vater Max Nathan ein und gründete sein erstes Geschäft in der Motorradbranche. Da er recht erfolgreich war, überredete ihn Max Nathan dazu, ihn zur Hälfte am Geschäft zu beteiligen. Als Gegenleistung sollte Wilhelm Nathan zu einem Viertel am Möbelhandel seines Vaters beteiligt werden. Außerdem kaufte Max Nathan zu dieser Zeit die Firma Sewerin auf und ließ seinen Sohn Alfred offiziell als Inhaber eintragen, obwohl dieser weiterhin lediglich der Chauffeur seines Vaters blieb. Von nun an liefen die meisten Finanztransaktionen von Max Nathan über die Firma Sewerin.

Immer wieder geriet Max Nathan bei seinen Geschäften an die falschen Geschäftspartner und dementsprechend oft in Schwierigkeiten mit der Justiz. Einige kleinere Verfahren wälzte er auf seine Söhne ab. Dadurch geriet der Name Nathan in Verruf, was sogar dazu führte, dass Tochter Nanni keine Anstellung als Kassiererin bekam, als ihr Vorgesetzter erfuhr, dass sie eine gebürtige Nathan war. Letztlich musste Wilhelm Nathan feststellen, dass sein Vater sein Leben lang dem Geld nachgejagt war und dabei seine Familie vernachlässigt hatte. Deswegen entschlossen sich die Brüder Alfred und Wilhelm 1930, ihren Nachnamen in Sander ändern zu lassen. So bestand für sie die Chance, wieder einen unbelasteten Namen zu führen und ohne Probleme ihren Geschäften nachzugehen.

1929 erkrankte Wilhelm Sander. Aufgrund eines Herzleidens musste er zweimal zur Kur nach Nauheim. Die Krankheit begleitete ihn bis an sein Lebensende.

Nanni heiratete 1930 und Alfred zog ebenfalls von zu Hause aus. Seit einiger Zeit arbeitete er an verschiedensten Patenten, hatte jedoch wenig Erfolg damit. Als Wilhelm Sander ihn darauf ansprach, entbrannte ein Streit zwischen den Brüdern, der zu einem Zerwürfnis der Geschwister führte, das erst 1935 beigelegt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Alfred Sander bereits verheiratet und hatte eigene Kinder.

Zu Beginn der dreißiger Jahre nahm der wirtschaftliche Konkurrenzkampf angesichts der Weltwirtschaftskrise erheblich zu. Max Nathan beteiligte sich zunehmend an nicht ganz legalen Geschäften, vergab hohe Kredite, rechnete aber nicht ordentlich ab. Wilhelm Sander gründete seine eigene Firma, Sander & Weiß (Dammthor-Lombard) und etablierte einen eigenen Handel mit neuen Möbeln.

1931 reiste er geschäftlich für kurze Zeit nach Holland. Ein Jahr später trat erstmals das Finanzamt an ihn heran, da es den Verdacht hegte, die Bücher könnten nicht stimmen und es gäbe Steuerrückstände. Max Nathan reagierte darauf mit einer für ihn typischen Redensart, die seine Einstellung zu Steuern deutlich machte: "Der alte Bücherrevisor Gabriel Meyer habe ihm gesagt, bezahlen müsse man erst, wenn der Gerichtsvollzieher zum Abholen vor der Tür stände."

Bis 1936 zahlte Wilhelm Sander allein seinen Anteil der Steuern an den Familienunternehmen, erst ab Sommer 1936 beteiligte sich auch Max Nathan. Dementsprechend sorgfältig kontrollierte das Finanzamt seit 1932 Wilhelm Sanders Bücher und Steuerzahlungen.

Die Söhne bemühten sich, Max Nathan aus den Geschäften möglichst herauszuhalten. Wil­helm Sander übernahm den Möbelhandel und investierte sein Vermögen teilweise in Grundstücke. Eines dieser Grundstücke lag an der Ecke Karlstraße/Schöne Aussicht. Dorthin verlegte Wilhelm Sander auch seinen Wohnsitz und Max und Elna Nathan zogen zu ihm.

Obwohl Wilhelm und Alfred sich bemühten, den Namen Sander zu schützen, begann Max Nathan Mitte der dreißiger Jahre regelmäßig mit Sander zu unterschreiben. Dadurch ruinierte er in kürzester Zeit auch den Ruf dieses Namens und es kam zu Streitigkeiten in der Familie. Auf einer Familienreise zu Pfingsten 1936 nach Kopenhagen eskalierte der Streit. Da Wilhelm und Elna befürchteten, hinter Max Nathans Handlungen könne vielleicht eine Krankheit stecken, schickten sie ihn im Sommer 1936 zur Erholung nach Marienbad.

Während Max Nathan noch dort war, wurde Wilhelm Sander am Morgen des 10. Juli von der Gestapo verhaftet und ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Zuerst hieß es, er müsse nur solange in Haft bleiben, bis Max Nathan wieder da sei. Man wolle eine Kollisionsgefahr ausschließen. Doch schon drei Tage später wurde Wilhelm Sander in "Schutzhaft" genommen und musste 14 Tage auf seine erste Vernehmung warten. Dabei gab er zwar zu, dass die Bücher nicht ganz stimmten, hielt jedoch seinen Vater vollständig heraus. Inzwischen waren auch sein Vater und sein Bruder verhaftet worden.

Auf dem Gefängnishof wurden die drei Männer zu einem einstündigen Dauerlauf gezwungen. Vorn lief Alfred, hinter ihm Max und zum Schluss folgte Wilhelm. Dieser litt wegen seines Herzleidens unter starken Schmerzen. Später brach er in seiner Zelle bewusstlos zusammen und wurde daraufhin in Eisen gelegt. Er berichtete darüber: "Die furchtbarste Zeit mei­nes Lebens. Stunde um Stunde lief ich in der Zelle herum, die Nerven zerrüttet, von trüben Gedanken zerquält, was war denn auch schon mein Leben bisher gewesen. Familienstreitigkeiten von Anfang an. Da beschloss ich, alles, mag es sein was es war, zu ertragen, um meinen Vater zu unterstützen."

Zwar weigerte sich Wilhelm Sander, bei den Vernehmungen gegen seinen Vater auszusagen, doch alle Bemühungen waren vergeblich. Am 31. Juli 1936 fand die Gestapo in der Wohnung von Max Nathan Bargeld, Schmuck, Wilhelm Sanders Pass und den Schlüssel zu einem Schließfach in Kopenhagen, in dem dänische Devisen deponiert waren. Damit hatte die Gestapo genügend Beweise beisammen, um die Familie anzuklagen.

Auf dem Rückweg von einer Vernehmung sah Wilhelm Sander seinen Vater ein letztes Mal: "Ich sah meinen Vater vor seiner Tür essen, also auch in Eisen! Ein armer, armer zerbrochener alter Mann! Irgendetwas in mir zerbrach. Ich war fertig, restlos, unfähig auch nur einen Gedanken zu fassen. Es war das letzte Mal, dass ich meinen Vater gesehen hatte. Dieses Bild meines Vaters in Zuchthauskleidung, zerbrochen, vor der Tür essend, ist wie mit Feuer in meine Seele eingebrannt! Es verfolgt mich heute noch Tag und Nacht."

Noch am selben Tag versuchte Wilhelm Sander, sich in seiner Zelle zu erhängen. Doch der Hosenträger zerriss, und er stürzte zu Boden. Inzwischen war er aufgrund seines Herzleidens und wegen der schlechten Behandlung im Gefängnis physisch und psychisch am Ende seiner Kräfte. Trotzdem leugnete er bei Vernehmungen weiterhin alles, was mit Max Nathans Finanzen zu tun hatte.

Anfang November 1936 wurde Wilhelm Sander mitgeteilt, man habe nun alle nötigen Beweise beisammen und er könne deswegen aus der Einzelhaft entlassen und auf den Saal zu den anderen Häftlingen verlegt werden. Erst von anderen Häftlingen erfuhr Wilhelm Sander, dass sein Vater bereits am 30. Oktober an den Folgen seiner Haft verstorben war.

Im November begann der Prozess gegen Wilhelm und Alfred Sander, Elna Nathan und Lina Wilhelm. Die Anklageschrift besagte, dass die Familie Nathan zwischen 1926 und 1936 dem deutschen Staat durch nicht gezahlte Umsatz-, Einkommens-, Gewerbeertrags- und Vermögenssteuer rund 400.000 RM vorenthalten hatte. Wilhelm Sander wurde zudem noch wegen des Verstoßes gegen das "Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre", also wegen "Rassenschande", angeklagt.

Das Hanseatische Sondergericht verurteilte Wilhelm Sander zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft, sowie zu einer Geldstrafe von 150.000 RM. Lina Wilhelm wurde zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt und Elna Nathan erhielt eine Strafe von drei Monaten Zuchthaus und 600 RM Strafe.

Nach seiner Verurteilung wurde Wilhelm Sander ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen verlegt. Im Oktober 1942 bestimmte ein Erlass, dass reichsdeutsche Gefängnisse und Zuchthäuser "judenfrei" werden sollten. Wilhelm Sander wurde nach Auschwitz deportiert, wo er am 14. Mai 1943 den Tod in einer Gaskammer fand.

Seine Geschwister Alfred und Nanni, sowie seine Mutter Emma, seine Stiefmutter Elna und seine Verlobte Lina überlebten den Holocaust.

Stand: Juli 2017
© Carmen Smiatacz

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 221-5, Verwaltungsgericht, 219; StaHH 314-15, OFP, R 1936/83; StaHH 314-15, OFP, R 1939/2486; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 21.2.05 Sander, Wilhelm; Meyer: "Jüdische Mischlinge", S. 248f.

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