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Bereits verlegte Stolpersteine



Heinrich Mayer im Garten des Bauer- und Ferienhauses "Die Masch"
© Marlis Roß

Heinrich Mayer * 1866

Maria-Louisen-Straße 112 (Hamburg-Nord, Winterhude)

1942 Theresienstadt
HIER WOHNTE
HEINRICH MAYER
JG. 1866
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 2.12.1942

Weitere Stolpersteine in Maria-Louisen-Straße 112:
Marie Mayer

Marie Auguste Mayer, geb. Dehn, geb. 24.3.1880 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 15.5.1944 nach Auschwitz
Heinrich Mayer, geb. 6.2.1866 in Worms, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 2.12.1942

"Tut eure Pflicht, folgt eurem Gewissen", diesen Wahlspruch ihres Vaters behielt Franziska Mayer ihr Leben lang im Gedächtnis.

Die Eltern von Heinrich Mayer, Jeanette, geb. Hüttenbaels, und Wilhelm Mayer, lebten in Rennertehausen bei Worms. Sie zogen in die nahegelegene Stadt, um einen Laden zu eröffnen. Ihr Sohn Heinrich wurde am 6.2.1866 in Worms geboren. Als junger Mann wollte er "mehr Anregung" und ging nach Hamburg. Dort übernahm der jüdische Kaufmann die Firma Tomkins, Hildesheim & Co, ein Kaffee-Import-Geschäft am Sandthorquai 20. Er lebte zunächst in Altona. 1903 lautete seine Adresse Colonnaden 68.

Heinrich Mayer heiratete Marie Dehn, die am 24.3.1880 in Hamburg als eine von sieben Kindern geborene Tochter von Bertha, geb. Raf, und Maximillian Dehn, der als Arzt am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg arbeitete. An den Unterrichtsanstalten des Klosters St. Johannis (Klosterschule am Holzdamm) absolvierte Marie Dehn eine Ausbildung als Lehrerin und war drei Jahre als Vertretungslehrerin an zwei Privatschulen tätig.

Am 1. Oktober 1905 trat sie ihr Lehramt in der Paulsenstiftsschule an. Diese Schule war gegründet worden, um Kindern aus armen Familien Elementarkenntnisse und eine gute Erziehung zu vermitteln. Von 1866 bis 1911 hatte Anna Wohlwill die Schule geleitet und dafür gesorgt, dass das Paulsenstift eine staatlich anerkannte "halböffentliche" höhere Mädchenschule wurde, wobei der Zusatz "halböffentlich" irreführend war: Eine staatliche Schule für Mädchen wurde erst 1910 eröffnet. Die Schülerinnen kamen aus allen sozialen Schichten, da durch die Vergabe von Freistellen auch ärmeren begabten Kindern eine Schulausbildung ermöglicht wurde. Nach ihrer Heirat gab Marie Mayer die Stellung zum 1. April 1909 auf.
Marie und Heinrich Mayer lebten 1908 und 1909 in der Isestraße 74.

Das Ehepaar Mayer bekam am 17.4.1910 sein erstes Kind, Gertrude, die bereits am 19. Juli 1910 starb. Der Sohn Rudolf Reinhard Wilhelm Heinrich wurde am 7.5.1911, sein Bruder Wilhelm Karl Albert Reinhard am 18.9.1912 und die Schwester Franziska Marie Reinhard am 4.7.1914 in Hamburg geboren. Die Familie zog an den Eppendorfer Baum 8 und 1912 in eine große, gut eingerichtete Parterre-Wohnung in der Maria-Louisen-Straße 112/Ecke Opitzstraße.

Heinrich Mayer, so sein Enkel Enrique Mayer, fühlte sich dem Judentum nicht besonders verbunden. Aus der Jüdischen Gemeinde trat er 1926 aus. Unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung näherten sich die Eheleute später wieder der jüdischen Religionsgemeinschaft an: 1934/35 kehrte Marie Mayer zu ihr zurück, 1937 folgte ihr Ehemann mit dem Vermerk "glaubenslos".

Heinrich Mayer wurde 1911 Mitglied der Hamburger Patriotischen Gesellschaft, aus der er nach 24 Jahren Mitgliedschaft 1935, nach der Einführung eines "Arierparagraphen" in der Vereinssatzung, ausgeschlossen wurde. Als der Erste Weltkrieg begann, war er bereits zu alt für den aktiven Kriegsdienst und wurde daher als Zensor eingesetzt.

Familie Mayer hielt sich besonders am Wochenende gerne in dem 1738 errichteten Bauernhaus der Familie Solmitz in Groß-Borstel auf, genannt "Die Masch". Als Besitzer war unter der Hausnummer 17/19 E. Solmitz eingetragen. Robert Solmitz, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde, war der Ehemann von Maries Nichte Hertha, der Tochter ihrer Schwester Elisabeth Goldschmidt.

1935 nahm Heinrich Mayer, nach fast 40 Jahren als Alleininhaber, seinen langjährigen "arischen" Prokuristen Hermann Niels Edler als Teilhaber auf, um die Firma Tomkins, Hildesheim & Co weiterführen zu können. Ob der Grund dazu schon in zunehmenden Repressalien oder der Auswanderung des als Firmennachfolger vorgesehenen Sohnes Wilhelm im November 1935 lag, lässt sich heute nicht mehr klären. Für Heinrich Mayer selbst kam eine Auswanderung zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage.

Am 9. Oktober 1935 wandelte er per Vertrag seine Firma in eine Offene Handelsgesellschaft um. Der offizielle Eintritt von Hermann Edler erfolgte zum 15. Oktober 1935. Heinrich Mayer behielt eine Beteiligung von 70%, mit dem Recht, innerhalb eines Geschäftsjahres Summen in angemessener Höhe zu entnehmen. Hermann Edler hielt eine Beteiligung von 30%. Noch konnte Heinrich Mayer entscheiden, in welchem Umfang er tätig blieb.

Dann schied er durch einen neuen Vertrag am 25. August 1937 ganz aus der Gesellschaft aus "wegen vorgerückten Alters (72), gewisser körperlicher Leiden und sonstigen Gründen", wie es im Vertrag stand. Das Unternehmen wurde nun von Hermann Edler ab dem 1. September 1937 alleine geführt. Heinrich Mayer beließ den größten Teil seines Vermögens im Geschäft, davon 70000 RM als Darlehen mit einer Verzinsung von 5% jährlich, wobei die Zinsen vierteljährlich zu zahlen waren. Das Darlehen sollte am 1. September 1947 zurückgezahlt werden. Seine Gewinnbeteiligung sollte 10 Jahre lang 38% betragen, wobei er monatlich 1200 RM erhielt.

Bereits am 31. Januar 1938 wurde dieser Vertrag jedoch geändert. Heinrich Mayer erhielt nun keine Gewinnbeteiligung mehr und monatlich nur 700 RM für die Dauer von 10 Jahren. Ob er dieses Geld tatsächlich je erhielt oder ob Hermann Edler inoffiziell nach dem alten Vertrag handelte, konnte nicht ermittelt werden.

Die Vertragsänderung könnte auch durch äußeren Zwang ausgelöst worden sein, da es ab 1938 einen neuen Leiter bei der Verwaltung Handel, Schifffahrt und Gewerbe gab, der die letzten jüdischen Geschäftsinhaber im Kaffee-Import-Geschäft entfernte.

Aufgrund seiner beengter werdenden finanziellen Situation musste das Ehepaar Mayer im Frühjahr 1938 in eine kleinere Wohnung in die Sierichstraße 126 umziehen.

Ab Dezember 1938 verlor Heinrich Mayer nach und nach einen großen Teil seiner Rücklagen. Er musste 1938/39 die "Judenvermögensabgabe" für sich und seinen Sohn Reinhard an das Finanzamt Hamburg-Nord leisten. Am 28. Juni 1939 lieferte er zwangsweise Schmuck- und Silbersachen bei der Öffentlichen Leih- und Ankaufstelle Hamburg in der Gothenstraße ab. Der Erlös wurde auf sein Konto überwiesen. Ein ihm gehörendes Grundstück in der Eckhoffstraße 16/20 musste verkauft werden, ein Bankguthaben wurde eingezogen.

Heinrich Mayer hatte aus seiner Erfahrung als Briefzensor während des Ersten Weltkrieges gelernt, in der Korrespondenz mit seinen inzwischen emigrierten Kindern nichts Politisches zu schreiben, sondern nur Positives zu berichten. Marie Mayer schrieb über Spaziergänge, Blumen, Besuche von Verwandten, wer Deutschland verlassen konnte und dass sie englische Romane las. Ein Versuch, ein Visum für Peru zu erhalten, war inzwischen gescheitert.

Von Oktober 1938 bis Juni 1941 war das Sekretariat Warburg im Mittelweg 17 ein Zufluchtsort für das Ehepaar, eine "Oase für die Juden in Hamburg" (s. Ascher, Alice). Jüdische Bürger trafen sich hier zu Gesprächen und politischen Diskussionen. Die Sitzungen des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde fanden dort statt. Ebenso wurden Konzerte gegeben, auch von einer Schwester Marie Mayers, Bertha Dehn (geb. 1881). Sie war Geigerin an der Hamburgischen Staatsoper gewesen. Nach 18 Jahren im Orchester wurde sie 1933 entlassen, offiziell "wegen Krankheit". Sie konnte am 12. Oktober 1941 in letzter Minute der Deportation entkommen und floh zu ihrem Bruder Georg nach Ecuador.

Etwa 1941 musste das Ehepaar Mayer die Wohnung in der Sierichstraße räumen. Es bezog nun ein Zimmer in der Hindenburgstraße 111 bei dem Ehemann von Maries Schwester Hedwig, Dr. Heinrich Wohlwill, der bis 1933 technischer Direktor der Norddeutschen Affinerie gewesen war.

Wahrscheinlich 1942 hatte das Ehepaar Mayer für eine Summe von 55.441 RM einen "Heimeinkaufsvertrag" mit der "Reichsvereinigung der Deutschen Juden" geschlossen (die auf Weisung der Gestapo als Vertragspartner zeichnen musste), um in das "Altersgetto" Theresienstadt zu ziehen. Dies bedeutete die Übertragung des gesamten Bankvermögens an die Reichsvereinigung, wofür sie auf Lebenszeit Unterkunft und Verpflegung in einer Gemeinschaftsunterbringung erhalten sollten.

Das Ehepaar Mayer wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Ihr Hausstand wurde durch die Oberfinanzdirektion beschlagnahmt und am 17. September 1942 versteigert, das restliche Vermögen eingezogen.

Die Theresienstadt-Chronistin und Mitgefangene Käthe Starke berichtete, dass Marie Mayer in Theresienstadt ihre Schwester Hedwig Wohlwill traf. Deren Ehemann Heinrich Wohlwill war überraschend im gleichen Zug wie das Ehepaar Mayer deportiert worden. Er konnte keine Vorbereitungen treffen. Sein Name stand nicht einmal auf der Liste, und er geriet sogar in den Verdacht, dass er sich "einschleichen" wollte.

Heinrich Mayer starb am 2. Dezember 1942 im Getto Theresienstadt, laut Todesfallanzeige an einer Darmentzündung. Das Ehepaar war in verschiedenen Häusern einquartiert worden. Marie Mayer wurde von Theresienstadt am 15. Mai 1944 in das KZ Auschwitz weiterdeportiert und auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Die Kinder des Ehepaares Mayer konnten sich durch rechzeitige Auswanderung retten. Der älteste Sohn Reinhard Mayer besuchte bis zum Abitur 1929 das Johanneum. Danach studierte er in Freiburg und Hamburg Medizin, bis er sein Studium wegen seiner jüdischen Herkunft abbrechen musste. Er ging im Frühjahr 1934 nach Dänemark und arbeitete in der Landwirtschaft. Im Sommer 1937 kehrte er nach Deutschland zurück und war unter anderem als landwirtschaftlicher Arbeiter auf dem jüdischen Umschulungsgut Neuendorf bei Fürstenwalde tätig. Nach dem 9. November 1938 wurde die gesamte Belegschaft des Gutes verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht. Reinhard Mayer wurde Ende Dezember 1938 freigelassen. Er wanderte im April 1939 nach Leith/Schottland aus und wurde von Juli bis November 1940 interniert – wie alle deutschen Flüchtlinge in Großbritannien – er verbrachte seine Zeit als "Feindlicher Ausländer" (s. Philip, Ivan) in einem Lager auf der Isle of Man. Von dort trat er bis 1941 in den Heeresdienst der Britischen Armee ein. 1946/47 ging er zu seinem Bruder Wilhelm nach Peru und pachtete 1951 ein kleines landwirtschaftliches Gut.

Wilhelm Mayer machte 1930 ebenfalls Abitur am Johanneum. Da er die Firma seines Vaters übernehmen sollte, absolvierte er eine kaufmännische Lehre in Hamburg und Breslau, wo er ein Jahr in einer Kolonialwarengroßhandlung auch als Assistent des Rösterei-Leiters tätig war. 1933/34 arbeitete er in London. Ende 1934 kehrte er nach Hamburg zurück und wurde Angestellter in der Firma seines Vaters. Doch sah er für sich keine Zukunft in Deutschland, im Gegensatz zu seinem Vater, welcher der Auswanderung seines Sohnes nur ungern zustimmte. Wilhelm Mayer fand einen Posten in Lima/Peru, wohin er im November 1935 über Antwerpen auswanderte. In Huancayo übernahm er ab 1938 eine Verkaufs-Stelle, die ab 1944 unter "Guillermo Mayer & Co, Eisenhandlung und Haushaltsartikel" firmierte. 1941 heiratete er Lisbeth Behrendt, die Tochter des Architekten und Stadtbaurates Fritz Behrendt aus Breslau, und nahm 1942 die Peruanische Staatsangehörigkeit an.

Die Tochter Franziska Mayer besuchte ab Ostern 1931 das Realgymnasium für Mädchen in der Curschmannstraße, welches sie am 28. Februar 1934 mit dem Abitur verließ. Da sie als Jüdin keine Möglichkeit hatte, in Deutschland eine Ausbildung zu erhalten, absolvierte sie in Schweden ein praktisches Landjahr. Durch die finanzielle Unterstützung des "American Joint Distribution Committee" konnte sie eine Webschule in Stockholm besuchen, die sie im Dezember 1936 mit dem Examen zur Weblehrerin abschloss. Da sie in Schweden und Dänemark keine Arbeitserlaubnis erhielt, kehrte sie im September 1937 kurz nach Deutschland zurück. Im April 1938 konnte sie über Großbritannien nach Neufundland/Kanada auswandern. Sie arbeitete bei der ärztlichen Missionsgesellschaft "The International Grenfell Association" als Zeichnerin und Weblehrerin, später unter anderem auch im Kleiderlager, zeitweilig nur gegen Unterkunft und Verpflegung. Ein Onkel, der Mathematiker Prof. Dr. Max Dehn, Bruder ihrer Mutter, verschaffte ihr im Oktober 1945 die Einreiseerlaubnis in die USA. Sie arbeitete in New York als Lohnweberin und im jüdischen Waisenhaus. Von Juni 1946 bis September 1947 war sie als vertretende Weblehrerin am Black-Mountain-College in North Carolina tätig, an dem Max Dehn lehrte. In Los Angeles traf sie Hertha und Robert Solmitz wieder. Ende 1947 reiste sie zu ihren Brüdern nach Huancayo/Peru, wo sie ab 1950 eine eigene Weberei aufbaute und später einheimische Frauen anlernte, damit diese ein eigenständiges Einkommen erwirtschaften konnten.

1985 kehrten Franziska und Reinhard Mayer nach Hamburg zurück, da sie in Peru keine Rücklagen für das Alter besaßen. Ein weiterer Grund für die Rückkehr lag in der zunehmend bedrohlicher werdenden Situation in Peru. Die maoistische Gruppierung "Leuchtender Pfad" ("Sendero Luminoso") hatte ab 1982 einen Guerilla-Krieg gegen den Staat begonnen. Die Geschwister fühlten sich nicht mehr sicher. In Hamburg lebten sie im Altersheim der Jüdischen Gemeinde.

© Maike Bruchmann

Quellen: 1; 3; 5; 7; 8; AfW 060266; Marlis Roß, Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder 1935. Die Patriotische Gesellschaft im Nationalsozialismus, Patriotische Gesellschaft von 1765, Hamburg 2007, S. 71–81; www.loebtree.com/dehn.html (eingesehen am 10.02.2008); Auskünfte von Marlis Roß; Rita Bake, Wer steckt dahinter? Nach Frauen benannte Strassen, Plätze und Brücken in Hamburg, Hamburg 2005, Wohlwillstraße; Amtliche Fernsprechbücher Hamburg 1911–1943; Hertha und Robert Solmitz Archiv, Arcata/Kalifornien, Veröffentlichung über Franziska Mayer; AB 1903, 1908–1910, 1932, 1935; www.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Perus u. /Sendero_Luminoso (eingesehen am 28.04.2008).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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