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Braina Horenstein (geborene Schechter) * 1870

Flemingstraße 3 (Hamburg-Nord, Winterhude)

1942 Theresienstadt
1943 Auschwitz ermordet

Weitere Stolpersteine in Flemingstraße 3:
Moses Horenstein

Breina Horenstein, geb. Schechter, geb. 10.11.1870 in Odessa, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert 18.12.1943 nach Auschwitz

Flemingstraße 3

Bedauerlicherweise existieren zu Breina Horenstein im Staatsarchiv Hamburg so gut wie keine aussagekräftigen Dokumente. Die wenigen über sie bekannten Fakten reichen für eine Biografie eigentlich nicht aus. Unter Zuhilfenahme zeitlich und regional ergänzender Informationen soll dennoch versucht werden, einen groben Überblick über ihre Lebenssituation zu geben.

Breina (in einigen Unterlagen auch Braina) Schechter wurde 1870 in der zaristischen Schwarzmeermetropole Odessa geboren und heiratete den Kaufmann Moses Horenstein (geb. 11.2.1860 in Odessa). Die Namen ihrer Eltern oder Geschwister sind auf den wenigen erhalten gebliebenen Unterlagen nicht dokumentiert. Allerdings konnte in der alten Hamburger Einwohnermeldekartei 1910 ein vierwöchiger Aufenthalt des russischen Rechtsanwalts Louis Schechter (geb. 1.1.1869 in Odessa) aus St. Petersburg beim Ehepaar Horenstein ermittelt werden. Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um Breinas Bruder handelte.

Daraus kann geschlossen werden, dass die Eltern finanziell in der Lage waren, ihren Sohn das Abitur machen und studieren zu lassen. Mittels Zollprivilegien (1819-1849) hatte Odessa mit seinem Hafen einen starken wirtschaftlichen Aufschwung genommen, insbesondere im Handelssektor. Einen großen Anteil hieran hatte die bedeutende jüdische Bevölkerungsgruppe Odessas. 1903 bis 1905 kam es in Russland zu hunderten von Judenpogromen, u.a. in Kischinau (Chişinău), Odessa, Kiew, Lodz, Zhitomir, Poltava, Podolia, Bialystok und Siedlce. Die Folge waren verschärfte Gesetze gegen Juden und eine Emigration von Hunderttausenden Juden aus Russland. Vermutlich war dies auch für Breina Horenstein und ihren Ehemann Moses der Anlass ihre Heimat zu verlassen. In welcher russischen Stadt sie zuletzt lebten, ist uns ebenso wenig bekannt, wie das Jahr ihrer Eheschließung und ob sie Kinder hatten.

Im April 1907 zog Moses Horenstein nach Hamburg und mietete sich in einem in Börsennähe gelegenen Hotel ein. Ob Breina Horenstein zu diesem Zeitpunkt bereits mit ihrem Ehemann in die Hansestadt reiste, wissen wir nicht. Denkbar ist auch, dass Moses Horenstein vorausfuhr, um sein Gewerbe anzumelden und eine passende Wohnung zu suchen. 1908 wurde Moses Horenstein erstmalig im Hamburger Adressbuch als Hauptmieter verzeichnet. Da dort nur der Haushaltsvorstand abgedruckt wurde, taucht Breina Horenstein in den Hamburger Adressbüchern auch in den folgenden Jahren nicht auf.

Moses Horenstein hatte in Hamburg eine Im- und Exportfirma von und nach Russland gegründet, war 1910 in die Deutsch-Israelitische Gemeinde eingetreten und behielt auch in den nächsten Jahren seine russische Staatsbürgerschaft bei. Die Eheleute wohnten in gutbürgerlichen Stadtteilen mit rund 15% jüdischer Wohnbevölkerung und jüdischer Infrastruktur. Die Adressen lauteten Parkallee 18/ Harvestehude (1908-1909), Brahmsallee 11 I. Stock/ Harvestehude (1910-1915) und Isestraße 5/ Harvestehude (1916-1918). In Hamburg-Harvestehude lebten rund 25% der Hamburger Juden.

Mit Kriegsende des Ersten Weltkrieges und den einbrechenden Firmenumsätzen entschieden sich Horensteins für einen Wohnortwechsel vom zentrumsnahen Stadtteil Harvestehude in das noch in Teilbereichen ländliche Winterhude; hier wohnten sie in der Flemingstraße 3 Hochparterre (1919-1934) und Flemingstraße 2 I. Stock (ab 1935). Die fünfgeschossigen Putzbauten der Flemingstraße, die in der Zeit von 1910 bis 1916 errichtet worden waren, wiesen trotz leicht abgewandelter Gestaltungselemente einen homogenen Baustil auf. Das Haus Flemingstraße 3 war 1912/1913 nach Entwürfen der Architekten Ulrich Pierstorff und Carl Plötz errichtet worden, zeitweilig gehörte das Haus dem Kaufhausbesitzer Rudolf Karstadt. Die zuletzt um 1939 von Horensteins gezahlte Monatsmiete von 85 RM deutet auf eine Wohnung von ungefähr drei Zimmern hin.

Breina Horenstein erhielt verschiedentlich Besuch aus Odessa, so von ihren beiden Nichten. In der alten Einwohnermeldekartei Hamburgs (1892-1925) sind solche Gäste notiert. Sie verzeichnete als zeitweilige Besucherin bei Ehepaar Horenstein in den Jahren 1908, 1909, 1915 und 1916 die Schülerin Sinaida Schechter (geb. 11.2.1898 in Odessa), die erstmalig 1906 nach Hamburg gereist war; sie starb im August 1916 in Horensteins Wohnung in der Isestraße 5. Auf ihrer Sterbeurkunde sind als Eltern Kaufmann Heinrich Schechter aus Odessa und die bereits verstorbene Elisabeth Schechter, geb. Mansor vermerkt. Beerdigt wurde Sinaida Schechter auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf.
Auch die Schülerin Therese Schechter (geb. 4.8.1896 in Odessa) hielt sich in Hamburg bei Horensteins auf. 1917 kam sie zuletzt und fuhr im April 1917 von Hamburg nach Berlin-Charlottenburg.

Die wirtschaftliche Lage von Breina und Moses Horenstein besserte sich nach den Umsatzeinbrüchen der Jahre 1918 und 1919 Anfang der 1920er Jahre kurzzeitig. Die Firmengewinne schwankten aber stark, so dass Moses Horenstein sein Geschäft auch noch über seine Pensionsgrenze hinweg betrieb. Wann die Eheleute die Hälfte der Immobilie Tresckowstraße 38-42 (Eimsbüttel) erwarben, ließ sich den wenigen Quellen nicht entnehmen. Dass aber der Grundbucheintrag auf Breina Horenstein lautete, dürfte eine Sicherheitsmaßnahme für den Fall gewesen sein, dass Moses Horenstein mit seiner Firma in Insolvenz geraten sollte.

Ab 1933 wurde im nationalsozialistischen Deutschen Reich auch die Firma von Moses Horenstein systematisch benachteiligt und behindert. Schrittweise eignete sich der NS-Staat das Vermögen der Juden an. Durch eine "Sicherungsanordnung" des Regierungsrates Fritz Klesper von der Devisenstelle des Hamburger Oberfinanzpräsidenten wurde ab Februar 1939 das gesamte Vermögen der Eheleute Horenstein gesperrt. Obwohl die monatlichen Ausgaben der Eheleute sich auf rund 560 Reichsmark beliefen, billigte die Devisenstelle ihnen lediglich 325 RM an monatlichen Auszahlungen vom Girokonto zu. Ab Dezember 1938 musste das Ehepaar Horenstein zudem eine Judenvermögensabgabe ("Sühneleistung") von 5.000 Reichsmark (= 25% ihres Vermögens) in fünf Raten zahlen – eine systematische Beraubung der Juden in Deutschland, die notdürftig als Abgabe getarnt wurde.

Auch der 50%ige Anteil von Breina Horenstein an der Immobilie Tresckowstraße, zusammen mit dem Im- und Export-Kaufmann Moritz Weis (siehe www.stolpersteine-hamburg.de), unterlag nun einer Verkaufssperre, was die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten dem Grundbuchamt mitteilte. Der Gebäudekomplex Tresckowstraße 38-42 bestand laut Adressbuch aus zwei viergeschossigen Wohnhäusern (Nr. 38 und Nr. 42) sowie dazwischen (Nr. 40) einem Block von fünf Terrassenhäusern. Erstmalig 1924 tauchte Moritz Weis im Adressbuch als Eigentümer der Häuser auf, auch 1925, 1930 und 1939 wurde im Adressbuch nur sein Name und nicht auch der von Breina Horenstein vermerkt. Im April 1939 wurde das Haus unter dem Druck der ausbleibenden Firmenumsätze sowie Strafsteuern und Zwangsabgaben für Juden von den Eigentümern notgedrungen verkauft. Im Adressbuch von 1940 wurde nun Frau Anna Werth aus Blankenese (Mühlenberger Weg 59) als Eigentümerin der Immobilie angegeben. Die Wiedergutmachungs-Akte des Landgerichts Hamburg aus dem Jahr 1951 vermerkte bei der Immobilie Treskowstraße ebenfalls Breina Horenstein nicht – ob sie tatsächlich Miteigentümerin war bleibt daher fraglich.

Im Rahmen der Volkszählung vom Mai 1939 wurden neben Moses und Breina Horenstein weitere 27 Jüdinnen und Juden bzw. Personen jüdischer Herkunft in der Flemingstraße erfasst. In Nr. 1 Kaufmann Walter Soltsien und Helli Soltsien. In Nr. 3 die Malerin Gretchen Wohlwill (1878-1962) und ihre Schwester die Pianistin Sophie Wohlwill (1872-1944). In Nr. 5 Unternehmer Hermann Jablonsky (1869-1942) und Helene Jablonsky, geb. Lion (1882-1942). In Nr. 6 Hans Christiansen sowie Witwe Hedwig Ettler mit ihren Kindern Hasso und Gisela. In Nr. 7 der praktische Arzt und Schularzt Hans Plaß mit Ehefrau Käthe und den Kindern Christel, Claus und Jens, die dort seit 1927 wohnten. In Nr. 13 Kaufmann Gustav Jäger mit Lili und Hans. In Nr. 16 der selbständige Textil-Vertreter Alfred Durra mit Ehefrau Gertrud und Sohn Walter, die im Juli 1939 emigrierten sowie Anna Pulvermacher geb. Mayer (siehe www.stolpersteine-hamburg.de), Sulamit Silbermann und Kaufmann Anton Mengers mit Ellen, Hans und Nelly.

Die Rechtlosigkeit der Juden in Deutschland wurde ständig weiter verschärft. Erschwerend kam hinzu, dass Moses und Breina Horenstein mittlerweile staatenlos waren. Die Firma von Moses Horenstein wurde von Dezember 1940 bis März 1941 von einem staatlich beauftragten Zwangsverwalter abgewickelt.

Ihre Wohnung mussten sie nach Anweisungen der Gestapo und des Wohnungsamtes, die die Jüdische Gemeinde umsetzen musste, verlassen und in zugewiesene Quartiere ziehen, in denen sich nur noch jüdische Bewohner/innen aufhalten durften. Die Adressen lauteten Bundesstraße 35 Haus A (Rotherbaum), Papendamm 3 (Rotherbaum) und Rutschbahn 25a, Haus 1, II. Stock (Rotherbaum). Die Minkel Salomon David Kalker-Stiftung (gegründet 1878) hatte das Gebäude in der Rutschbahn 1904 erworben und darin Freiwohnungen für bedürftige Juden eingerichtet. Ab Frühjahr 1942 wurde das Haus von der Gestapo zum "Judenhaus" erklärt und in die Vorbereitung der Deportationen einbezogen.

Durch die erzwungenen Umzüge und damit einhergehend die Verkleinerung ihrer Wohnfläche mussten sich Breina und Moses Horenstein von Teilen ihrer Wohnungseinrichtung trennen. Der Verbleib der Wohnungsausstattung aus der Flemingstraße ist unbekannt, dokumentiert ist in Hamburg weder eine Einlagerung bei einer Spedition noch eine Versteigerung.

Breina und Moses Horenstein wurden am 19. Juli 1942 zusammen mit Ehepaar Moritz Weis (geb. 14.3.1871 Mainz) und Sarah Weis, geb. Blimowitsch (geb. 30.10.1888 in Minsk), in das von der deutschen Besatzungsmacht im eroberten Tschechien eingerichtete Getto Theresienstadt deportiert. In der völlig überfüllten ehemaligen Kaserne des Habsburgerreichs wurden meist mehrere Personen in einem Zimmer untergebracht. Moses Horenstein wurde in Gebäude Q 310 (= Badhausgasse 10) einquartiert, wo er nur vier Monate später am 23. November 1942 an "Altersschwäche" starb.

Ob auch Breina Horenstein dieses Quartier zugewiesen wurde ist uns nicht bekannt. Sie wurde am 18. Dezember 1943 aus dem Getto Theresienstadt ins Vernichtungslager Auschwitz weiterdeportiert und dort ermordet.

Stand: November 2021
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 17195 (Jewish Trust Corporation für Moses Horenstein, gemäß Globalabkommen 1957 Antrag zurückgenommen); StaH 214-1 (Gerichtsvollzieherwesen), 363 (Bücher von Moses Horenstein, Lgb. C65/1943); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1939/0466 (Sicherungsanordnung 1939, Moses u. Braina Horenstein); StaH 332-5 (Standesämter), 8668 u. 158/1910 (Heiratsregister 1910, Moritz Weis u. Sarah Blimowitsch); StaH 332-5 (Standesämter), 8033 u. 517/1916 (Sterberegister 1916, Sinaida Schechter); StaH 332-8 (Meldewesen), Altes Einwohnermelderegister (1892-1925), Mikrofilm K 4249 (Beer Blimowitz, Sara Blimowitz, Schimka Blimowitz) und Mikrofilm K 6866 (Louis Schechter, Sinaida Schechter, Therese Schechter); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 8779 (Alfred Durra); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Moses Horenstein; StaH 352-10 (Gesundheitsverwaltung Personalakten), 258 (Dr. Hans Plaß, 1919-1933); Jüdischer Friedhof Hamburg Ohlsdorf, Gräberverzeichnis im Internet (Sinaida Schechter, Grablage B9-103; Beer Blimowitz 1846-1908, Grablage B10-297); Meyers Lexikon, Band 8, Leipzig 1928, Spalte 1566/1567 (Odessa); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Moses Horenstein, HR A 23170); Hamburger Börsenfirmen 1910, S. 302 (Moses Horenstein, gegr. 1909, Import von u. Export nach Russland, Inhaber Moses Horenstein, Brahmsallee 11); Hamburger Börsenfirmen 1926, S. 477 (Moses Horenstein, gegr. 1908, am Pf. 13 B, Im- u. Export, Flemingstr. 3); Hamburger Börsenfirmen 1935, S. 391 (Moses Horenstein, gegr. 1908, am Pf. 13 B, Im- u. Export, Flemingstr. 2); Hamburgs Handel und Verkehr, Illustriertes Export-Handbuch der Börsen-Halle 1912-1914, S. 156 (Moritz Weis); Adressbuch Hamburg (Horenstein) 1908-1910, 1912-1920, 1932, 1934-1936; Hamburger Adressbuch (Branchenverzeichnis Import, Export) 1914, 1918, 1922, 1927, 1932; Telefonbuch Hamburg 1914 (M. Horenstein, Kaufmann, Brahmsallee 11); Telefonbuch Hamburg 1920, 1931 (M. Horenstein, Kaufmann, Flemingstr. 3); Adressbuch Hamburg (Treskowstraße 38/42) 1924, 1925, 1930; Maike Bruhns, Geflohen aus Deutschland, Hamburger Künstler im Exil 1933-1945, Bremen 2007, S. 212-213 (Gretchen Wohlwill, ab 1928 wohnhaft Flemingstr. 3); Ina Lorenz, Die jüdische Gemeinde Hamburg 1860-1943, Kaiserreich – Weimarer Republik – NS-Staat, in: Ina Lorenz (Hrsg.), Zerstörte Geschichte, Vierhundert Jahre Jüdisches Leben in Hamburg, Hamburg 2005, S. 135 (Jüdische Bevölkerung nach Stadtteilen 1925); Wilhelm Mosel, Wegweiser zu ehemaligen jüdischen Stätten in Hamburg, Heft 3, Hamburg 1989, S. 73-76 (Rutschbahn 25a); Denkmalliste Hamburg, Bezirk Hamburg-Nord, ID 21620 (Flemingstraße 3); www.holocaust.cz (Todesfallanzeige Ghetto Theresienstadt, Moses Horenstein); www.stolpersteine-hamburg.de (Moritz Weis); www.tracingthepast.org (Volkszählung Mai 1939: Moses Horenstein; Braina Horenstein; Flemingstraße).

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