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Porträt Johanna Meyer
Johanna Meyer um 1900
© Gisela Möllenhoff, Rita Schlautmann-Overmeyer: Jüdische Familien in Münster 1918 bis 1945

Johanna Meyer (geborene Heimbach) * 1875

Grindelberg 3 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1942 Theresienstadt
1944 Auschwitz ???

Johanna Meyer, geb. Heimbach, geb. am 11.11.1875 in Münster, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert 15.5.1944 nach Auschwitz, ermordet

Grindelberg 3

Johanna Meyers Eltern waren der Metzger und spätere Viehhändler Isidor Heimbach (1851–1927) und Julie "Julchen" Heimbach, geborene Löwenstein (1848–1914). Isidor Heimbach war 1875 von Laer/Steinfurt nach Münster gezogen, hatte dort 1877 ein Wohnhaus und 1879 das Bürgerrecht erworben. Er gehörte in Münster der Abendgesellschaft des Zoologischen Gartens sowie dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus an und war Repräsentant für die Belange der Synagogengemeinde. Julchen Heimbach war Mitglied im Israelitischen Frauenverein. Außer Johanna kamen in Münster auch ihre Geschwister Mathilde (23. November 1876), Louis (18. Dezember 1877), David (26. April 1879), Sophie (14. November 1880), Julius (27. Februar 1882), Henriette "Jettchen" (21. März 1883), Bernhard (7. Dezember 1884), Paula (1886–1913), Max (2. Dezember 1887), Alfred (7. Mai 1889), Else (1891–1892) und Wilhelm (1893–1914) zur Welt.

Johanna Heimbach heiratete im Mai 1898 in Münster den Bildhauer Friedrich Carl Nöll (geboren 17. Juni 1874 in Krefeld), der der evangelischen Kirche angehörte. Johanna zog zu ihrem Ehemann nach Düsseldorf, wo im August 1898 der gemeinsame Sohn Ludwig geboren wurde. Die Eheleute lebten seitdem in der Goebenstraße 15, für Oktober 1899 wurde die Abmeldung nach Köln-Nippes notiert, wenige Jahre später wurde die Ehe geschieden. Im April 1902 heiratete Johanna in zweiter Ehe den Metzger und Viehhändler Salomon Meyer (geboren 20. April 1869 in Richrath/Solingen) und zog in dessen Geburtsstadt. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Max (1902–1918) und Henny (geboren 30. April 1904 in Diepholz). 1910 starb Salomon Meyer und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Münster beigesetzt, neben ihm wurde 1918 auch der 15-jährige Sohn Max beerdigt.

Johanna Meyer zog 1919 mit ihren beiden Kindern Ludwig und Henny nach Hamburg. Spätestens seit 1925 lebte sie zur Untermiete am Grindelberg 3a in der 4-Zimmer-Wohnung des Kaufmanns Bruno Ullrich. Dort bewohnte sie mit ihrer Tochter zwei Zimmer und konnte auch die Küche nutzen, die Monatsmiete betrug 25 Reichsmark (RM). Johanna Meyer war aufgrund verschiedener gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage, einen Beruf auszuüben. Ihre Tochter Henny arbeitete erst als Kontrolleurin bei der Spirituosengroßhandlung Dr. W. Pötsch, dann bei der Firma L. Wagner Großhandlung für Kurz-, Weiß- und Wollwaren, Parfüm, Papier und Spielwaren (Elbstraße 70–84) für 90 RM monatlich und später bei der Einheitspreis AG (Epa) für monatlich 78 RM netto, wovon sie der Mutter 65 RM als Kostgeld abgab. Ersparnisse waren nicht vorhanden, ihre wirtschaftliche Lage war prekär. Seit 1925 war Johanna Meyer auf staatliche Wohlfahrtspflege und teilweise auch auf Unterstützung der Jüdischen Gemeinde angewiesen. Neben der staatlichen Beihilfe von wöchentlich 8 bis 12 RM erbat sie immer wieder Mietzuschüsse, die Übernahme von Krankenhauskosten und neuen Brillengläsern, die Überlassung von Wolldecke, Wollstrümpfen, Hemdenstoff, Hausschuhen und Nachthemd, auch Schuhreparatur und Gaskocher wurden über staatliche Hilfen finanziert. 1928 bescheinigte der praktische Arzt Johann Necheles (1896–1979) Johanna Meyer den Bedarf von ein Paar Winterstiefeln; der Mietrückstand war in jenem Jahr auf 150 RM angewachsen. Der für sie zuständige ehrenamtliche Pfleger, Schlachtermeister Caesar Grupe (Inhaber einer Fabrik für Fleisch- u. Wurstwaren, Grindelberg 10b), schrieb im Februar 1930 an das Wohlfahrtsamt Hamburg: "Frau M. lebt nach wie vor, wie auch bekannt, in ärmlichen Verhältnissen, ist auf unsere Beihilfe angewiesen, wüßte sich ohne diese nicht zu helfen." Aufgrund vieler Krankheiten wie "inneres Leiden", Darmbluten, Rheuma und Diabetes war sie nicht in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen; 1925 unterzog sie sich einer Behandlung im Israelitischen Krankenhaus, 1929 besuchte sie eine Kur im Sol- und Moorbad Bad Bramstedt. Das Wohlfahrtsamt sah für ihre Bedürftigkeit aber auch andere Ursachen und hielt 1926 fest: "Etwas Phlegmatik und Unwirtschaftlichkeit scheint hier am Platze zu sein."

Die Tochter Henny Meyer heiratete um 1930 und zog zu ihrem Ehemann. Im August 1930 versuchte der Hauptmieter Bruno Ullrich einen Mittagstisch in der Wohnung einzurichten, den er als (ungelernter) Koch betrieb und dabei von Johanna Meyer unterstützt wurde, die "beim Zurichten der Speisen" half. 1932 wandte sich Ullrich für Probeversuche mit seiner Erfindung feuerfester Zwischenwände an die Feuerwehr; daraus scheinen sich für ihn und seine Untermieterin Meyer aber keine nennenswerten Einnahmen ergeben zu haben. Obwohl beide beharrlich bestritten, liiert zu sein, vermutete die Wohlfahrtspflegestelle, dass sie zusammen lebten. Im März 1935 beantragte Johanna Meyer verbilligte Lebensmittelkarten. Im Dezember 1935 erhielt der ehrenamtliche Pfleger Grupe vom "Winterhilfswerk des deutschen Volkes 1935/36" einen abschlägigen Bescheid: "Frau Meyer ist Jüdin und wird durch das WHW nicht unterstützt. Der Junge ist evangelisch. Unsere Schulhelferin wird prüfen, ob die Ausgabe von Kleidungsstücken hier notwendig ist." 1936 erklärte der Hauptmieter Ullrich, die Wohnung aufgeben und als Untermieter ein Zimmer mieten zu wollen. Spätestens seit 1938 wohnte er in Hamburg-Altona in der Nachtigallenstraße 18. Laut ihrer Kultussteuerkartei soll auch Johanna Meyer zeitweilig in der Nachtigallenstraße 19 zur Untermiete gewohnt haben.

Seit 1928 lebte auch Johanna Meyers Enkelsohn Ludwig Hermann Nöll (geboren 10. August 1924 in Hamburg) – der Sohn ihres Sohnes Ludwig Nöll – in der Wohnung. Für ihn hatte sie im November 1928 die Einrichtung einer Unterhaltspflegschaft beantragt. Seine Eltern lebten seit März 1928 getrennt und wurden im Mai 1937 geschieden. Seine Mutter Elisabeth "Lisa", geborene Lehmann (geboren 24. Oktober 1904 in Hamburg) arbeitete ab 1928 für monatlich 40 RM als Zofe auf einem Gut in Mecklenburg und von 1932 bis 1938 in Leipzig bei einem Rechtsanwalt als Hausangestellte für monatlich 45 RM plus freie Kost und Logis. Sie zahlte monatlich 10, später 15 RM, an Unterhalt an Johanna. Aufgrund eigener Bedürftigkeit zahlte Ludwig Nöll nichts. Ludwig Nöll jr. besuchte die nahegelegene Jahnschule in der Bogenstraße 34–36/Ecke Schlankreye (Harvestehude), auch von dort erhielt er Unterstützung, so etwa im Oktober 1931 Unterwäsche und kostenlose Schuhreparatur. Zur gleichen Zeit schrieb die zuständige Schwester im Wohlfahrtsamt: "Ludwig ist ein zartes Kind und erhält durch Fürsprache des Vertrauensarztes Milch. Augenblicklich liegt er mit Ohrenentzündung im Bett." Im November 1932 erhielt er eine sechswöchige Kur, während der er an Scharlach erkrankte. Ludwig Nöll jr. wurde Ende März 1939 in der St. Andreaskirche (Bogenstraße) konfirmiert, wofür seine Großmutter einen Anzug und ein Paar Stiefel beantragte, da er außer der Schulkleidung keine Oberbekleidung besaß. Er begann Ende März 1939 eine Schlosserlehre (drei RM Wochenlohn). Die dafür notwendige Arbeitskleidung (1 blauer Kittel, 1 blaue Schürze, 2 blaue Leinenhosen) beantragte seine Großmutter bei der Sozialverwaltung, die diese nach einer "Hausprüfung" bewilligte.

Vermutlich 1938 zog Johanna Meyer in eine kleinere Erdgeschosswohnung am Grindelberg 3a zurück (2½ Zimmer für 41 RM), von der sie ein möbliertes Zimmer für 22 RM untervermietete. Im Hamburger Adressbuch wurde sie von 1939 bis 1941 unter der Adresse Grindelberg 3a als "Wwe J. Meyer" und Hauptmieterin vermerkt, allerdings ohne den bereits vorgeschriebenen zusätzlichen Zwangsvornamen "Sara". Das Wohlfahrtsamt beschrieb die Zimmer der Wohnung als nicht sehr groß und teilweise recht dunkel. Der letzte Vermerk in der Akte des Amtes stammte vom 1. April 1941 und bezog sich auf die wöchentliche Unterstützung von Ludwig Nöll senior über 15,20 RM. Er war zu diesem Zeitpunkt zur Pflichtarbeit am Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld eingesetzt. Auch nach der Deportation seiner Mutter durfte er in seiner Wohnung bleiben, da sein Sohn die Volljährigkeit noch nicht erreicht hatte. Die Wohnung wurde 1943 bei Luftangriffen vollständig zerstört.

Johannas Sohn Ludwig Nöll (1898–1960) wurde seit 1932/33 als eigenständiges Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg geführt, zahlte jedoch von 1934 bis 1941 keine Beiträge. Er beantragte im Dezember 1928 staatliche Unterstützung, die ihm als "Krisenunterstützung" (wöchentlich 14,63 RM) gewährt wurde. Kurzzeitig wohnte er bei seiner Mutter, danach in wechselnden Untermietverhältnissen. Im Januar 1929 wurde er als "erwerbsunfähig krank" eingestuft. 1934 war er als Vertreter für Gaskocher bei Firma Heinrich Bunge beschäftigt und bekam dafür wöchentlich 16 bis 18 RM, war aber immer wieder krank. Nach Auszug des Hauptmieters Ullrich wohnte er zeitweilig wieder bei seiner Mutter. Ludwig Nöll senior wurde im Juni 1938 ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt und dort in "Schutzhaft" genommen, aus der er am 21. September 1939 entlassen wurde. Die mit der Entlassung verbundene Auflage, Deutschland zu verlassen, konnte er nicht erfüllen, da die zivile Schifffahrt kriegsbedingt fast vollständig zum Erliegen gekommen war und viele Länder ihre Grenzen für mittellose Emigranten schlossen. Sein Cousin Otto Heimbach, der schon vor 1939 nach Brüssel geflüchtet war, hatte ihm Papiere geschickt, die eine Emigration erfolgreich erscheinen ließen und dadurch die Entlassung aus dem KZ überhaupt ermöglicht. Ludwig Nöll senior, nach den NS-Rassekriterien als "Mischling I. Grades" eingestuft, wurde in Hamburg zur Zwangsarbeit verpflichtet, die er unter anderem bei der Hanfspinnerei Steen & Co. in Lokstedt zusammen mit belgischen Zwangsarbeitern (1941–1943) und bei der Firma Franz Plath in St. Georg, Koppel 4, leisten musste (1944–1945).

Die 67-jährige Johanna Meyer wurde am 19. Juli 1942 von Hamburg aus ins Getto Theresienstadt deportiert, das im Herbst 1941 vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin in der ehemaligen Garnisonsstadt Terezin eingerichtet worden war. Die Fahrt in Güterwaggons der Deutschen Reichsbahn dauerte rund 48 Stunden. Fast zwei Jahre überstand Johanna Meyer die nahezu unerträglichen sanitären und medizinischen Bedingungen im überfüllten Getto sowie die Unterernährung.

Am 15. Mai 1944 wurde sie zusammen mit 2502 weiteren Opfern in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im besetzten Polen deportiert. Wann und unter welchen Umständen Johanna Meyer dort starb, ist nicht bekannt. Vermutlich wurde sie kurz nach der Ankunft des Deportationszuges bei der "Selektion" an der Rampe der Gruppe der sofort zu tötenden Gefangenen zugeteilt und mit Gas ermordet. Die Lagerbürokratie legte in diesen Fällen sofortiger Tötung keine Karteikarten an.

Die SS beschlagnahmte das Gepäck und die eben noch getragene Kleidung und verstaute sie in den Lagermagazinen. Von dort wurde ein großer Teil der Bekleidung ins Großdeutsche Reich zurückgeschickt und über die NS-Volkswohlfahrt (NSV) an Umsiedler und Bombengeschädigte verteilt. Wertsachen wurden über das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt an eine besondere Abteilung der Reichsbank abgeliefert.

Das Amtsgericht Hamburg erklärte Johanna Meyer 1949 für tot, als Todeszeitpunkt wurde der 8. Mai 1945 festgelegt.

Johanna Meyers Asche wurde vermutlich verstreut, ob in den Flüssen Eger, Weichsel oder Sola oder in einem der umliegenden Seen des Vernichtungslagers ist nicht bekannt. Zusammen mit der physischen Vernichtung sollten auch der Name und das Andenken ausgelöscht werden. Ab November 1944 wurden die Beweise im Lager vernichtet: Belastende Akten wurden verbrannt, die Krematorien demontiert und gesprengt, am 23. Januar 1945 steckte die SS-Wachmannschaft die 30 Magazinbaracken in Brand.

Seit Februar 2003 erinnert in Hamburg ein Stolperstein an Johanna Meyer. Der darauf vermerkte Geburtsname "Hirsch" stammt von der Deportationsliste (1942) und aus dem Gedenkbuch von Hamburg (1995), ist jedoch nicht korrekt. In Münster wurde um 2002 ein Stolperstein in der Hollenbeckerstraße 10 mit ihrem richtigen Geburtsnamen "Johanna Heimbach" verlegt, der sich an einem aktuelleren Eintrag im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz orientierte.

Stand: Juli 2017
© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 332-5 Standesämter, 3496 u. 257/1924 (Heiratsregister 1924, Ludwig Nöll u. Elisabeth Lehmann); StaH 332-8 Meldewesen K 2429 u. K 2443 (Hausmeldekartei, Grindelberg 3a); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 20769 (Ludwig Nöll senior); StaH 351-14 Arbeits- und Sozial-Fürsorge 1564 (Johanna Meyer); StaH 351-14 Arbeits- u. Sozial-Fürsorge 1636 (Ludwig Nöll jr.); Stadtarchiv Münster, Geburtsregister 892/1875; Stadtarchiv Düsseldorf, mikroverfilmte Einwohnermeldekartei MF 7-4-1-140 (Friedrich Carl Nöll); Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, D1A/1024, Blatt 310; Hamburger Adressbuch (Straßenverzeichnis, Grindelberg 3a) 1936, 1939, 1940, 1941; Gilbert: Endlösung, S.196 (Deportation von Theresienstadt nach Auschwitz 15.5.1944); Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer: Jüdische Familien, S. 175–183 (Heimbach); von Villiez: Mit aller Kraft, S. 368 (Johann Necheles).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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