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Margot Massé * 1895

Hauersweg 7 (Hamburg-Nord, Winterhude)

1941 Riga
ermordet

Weitere Stolpersteine in Hauersweg 7:
Adele Massé, Gretchen Massé

Margot Massé, geb. 15.7.1895 in Hamburg, am 6.12.1941 nach Riga deportiert und dort ermordet

Hauersweg 7 (Winterhude)

Geboren wurde Margot Massé 1895 in der Schlüterstraße 12 (Rotherbaum) als Tochter des Fondsmaklers Marcus Massé (1837-1917) und dessen Ehefrau Franzi, geb. Frankel Kohn (1857-1910). Margots Mutter stammte aus Ungarn, deren Vater, der Kaufmann Simon Frankel Kohn, war in Wien verstorben. Margot hatte drei Geschwister: Grete Massé (geb. 20.5.1883 in Hamburg), Adele Massé (geb. 11.1.1889 in Hamburg) und James Massé (geb. 27.10.1896 in Hamburg). Margots Vater kam aus Wandsbek, wo seine Eltern Jacob Isaac Massé (gest. 7.2.1867 in Neumünster) und Merle, geb. Moses (1816-1890) auf dem Jüdischen Friedhof Jenfelder Straße beerdigt worden waren.

Ihr Vater Marcus Massé hatte 1872 eine Firma im Finanzbereich gegründet. Bis 1895 wurde sie im Adressbuch als "Lotterie-, Bank- und Wechselgeschäft" bezeichnet, in den folgenden beiden Jahren als "Bankgeschäft" und danach bis 1918 als "Fondsgeschäft" tituliert. 1874 verurteilte das Kreisgericht Frankfurt/ Main ihn "wegen Anpreisens der Hamburger Lotterie-Loose" in Frankfurt durch "Offertbriefe" zu einer Geldstrafe – diese Form der Kundenwerbung war in Hamburg nicht strafbar. Im November 1880 war er für eine Silber-Verlosung zugunsten des Zoologischen Gartens Hamburg verantwortlich und wurde auf der entsprechenden Zeitungsanzeige auch namentlich genannt.

Sein Sohn James Massé führte die väterliche Firma nicht fort. Er gründete im September 1919 zusammen mit Paul Scharpp die Im- und Exportfirma Massé & ScharppoHG, die bis 1930 bestand und dann im Handelsregister gelöscht wurde. Als Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde wurde James Massé laut Kultussteuerkartei nur von 1921 bis 1925 geführt.

Familie Massé wohnte in Hamburg in der Feldstraße 32/ St. Pauli (u.a. 1875-1882), Große Bleichen 70/ Neustadt (u.a. 1885), Große Theaterstraße 4 (1889-1891), Colonnaden 9/ Neustadt (1892-1894), Schlüterstraße 12/ Rotherbaum (1895-1897), Bieberstraße 8/ Rotherbaum (1898-1908), Brahmsallee 25/ Harvestehude (1909-1910), Schäferkampsallee 28/ Eimsbüttel (1910-1912) und Hartungstraße 1/ Rotherbaum (1913-1918).

Margot Massé absolvierte nach Abschluss der Höheren Mädchenschule eine Ausbildung zur Hauswirtschafts-Lehrerin, am 1. Oktober 1914 bestand sie ihr Examen. Laut Hamburger Adressbuch wurde die Ausbildung in der Wallstraße 32 (Borgfelde) beim Verein für Haushaltungsschulen von 1899 e.V. abgehalten. Den Ausbildungsinhalt beschrieb das Adressbuch wie folgt:" Koch- und Haushaltungskurse für junge Mädchen gebildeter Stände. Ausbildung zur Hausbeamtin; Hauswirtschaftliche Fortbildungskurse für Töchter aller Stände. Lehrzeit ½ bis 1 Jahr. Pensionat zur Aufnahme vor Schülerinnen des Seminars und anderer Ausbildungskurse." Die Leiterin Christine Vollbehr war auch Vorsitzende des Vereins Hamburger Haushaltungslehrerinnen e.V.

Von Oktober 1914 bis September 1920 arbeitete Margot Massé als Vertretungslehrerin bzw. Hilfslehrerin beim Verein für Haushaltungsschulen Hamburg. (Der Verein war laut Adressbuch 1899 gegründet worden).
Erst zum 1. Oktober 1920 wurde Margot Massé "Vertragslehrerin". In Hamburg existierten 1915 dreißig Haushaltungsschulen. Das Adressbuch beschrieb die Ausbildung so: "In den staatlichen Haushaltungsschulen zu Hamburg werden alle Konfirmandinnen der Selekta und der 1. bis 5. Klasse der Volksschulen, sowie diejenigen der Hilfsschulen unterrichtet. Der Unterricht ist obligatorisch, jede Schülerin kommt ein Jahr lang jede Woche 4 Stunden zur Haushaltungsschule. Den geistigen Fähigkeiten der Schülerinnen entsprechend, werden die Mädchen in den Schulküchen verteilt und nach den für die verschiedenen Klassen aufgestellten Lehrplänen unterrichtet. (…) Das Mittagessen wird paarweise bereitet, berechnet und die Ausgaben in ein Wirtschaftsbuch eingeschrieben." Weitere Unterrichtsfächer waren Wäschepflege sowie Kinder- und Krankenpflege.

Margot Massé war ab November 1920 im Hamburgischen Schuldienst als Berufsschullehrerin fest angestellt. Sie unterrichtete u.a. 1927 bis 1931 an der "Gewerbeschule für die weibliche Jugend" in der Seilerstraße (St. Pauli) und im Schuljahr 1932/33 an der "Berufsschule für weibliche Jugend" (Bezirksschule II) am Weidenstieg 29 (Eimsbüttel).

Auch ihre Schwester Grete (Gretchen Melita Olga) war als Lehrerin in Hamburg tätig. Sie gehörte der Jüdischen Gemeinde an, doch auf ihrer ab 1925 geführten Kultussteuerkarte sind ab 1927 keine Zahlungen mehr vermerkt. Sie lebte zusammen mit Margot Massé in einer Wohnung.

Ihre Schwester Adele Massé arbeitete als Stenotypistin, Sekretärin und Angestellte u.a. für das renommierte Bankhaus M. M. Warburg & Co. sowie ab circa 1934 bei dem pensionierten Landesgerichtsdirektor und nun aktiven Rechtsanwalt Dr. Walter C. Ertel (geb. 20.3.1859 in Breslau) in der Klosterallee 53 (Harvestehude).

1933 wurde die 38jährige Margot Massé nach dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" wegen ihrer jüdischen Herkunft aus dem Schuldienst entlassen und zum 1. November 1933 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Sie erhielt nach Kürzungen ein monatliches Ruhegehalt von 113,32 RM netto. Der NS-Staat verdrängte so Jüdinnen und Juden systematisch aus ihren Berufen.

Margot Massé fand eine neue Anstellung bei der Jüdischen Gemeinde. Diese stellte sie und Dr. phil. Carry Salomon (geb. 19.11.1893 in Hamburg) ein, um ab 15. Oktober 1933 hauswirtschaftliche Kurse für junge Jüdinnen in der Innocentiastraße 19 abzuhalten. Als Mieter war dort der Verein "Heim für jüdische Mädchen und Frauen e.V." verzeichnet.

Laut "Beratungsstelle für jüdische Wirtschaftshilfe" (Beneckestraße 2) an den zuständigen Regierungsdirektor Richard Flemming von der Oberschulbehörde (Dammtorstraße 25) vom 5. Februar 1934 war Margot Massé für die Unterrichtsfächer Hauswirtschaft, Kochen und Nähen vorgesehen. Es ist anzunehmen, dass Carry Salomon, die von 1924 bis Oktober 1933 an der Haushaltungsschule des Israelitischen humanistischen Frauenvereins Hamburg in Bad Segeberg tätig gewesen war, Ernährungs- u. Nahrungsmittellehre, hauswirtschaftliches Rechnen und Buchführung unterrichtete.

Vermutlich arbeitete Margot Massé später als Köchin, dieser Beruf wurde 1941 auf der Deportationsliste notiert.

Carry Salomon emigrierte im März 1941 über die Sowjetunion und Japan in die USA.

Ab 1926 gehörte Margot Massé der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg als Mitglied an und zahlte Kultussteuer. Auf ihrer Karteikarte sind nacheinander die Berufsangaben "Angestellte" und "Lehrerin" und danach die Arbeitgeber "Beratungsstelle" und "IT(?)" sowie "JRV" (Jüdischer Religionsverband) vermerkt, ergänzende Jahresangaben sind nicht notiert.

Ihre Wohnadressen lauteten Schrammsweg 21/ Eppendorf (u.a. 1919), Grindelallee 165 III. Stock/ Rotherbaum (u.a. 1922-1933) sowie zusammen mit ihrer Schwester Grete die 3-Zimmer-Wohnung Hauersweg 7/ Winterhude (1934-1940). Bekannte beschrieben ihre Einrichtung nach dem Krieg im Wiedergutmachungsverfahren als "gut bürgerlich". Von der Wohnung Hauersweg 7 erinnerten sie zwei blau bezogene hochwertige Sessel und ein blauer Teppich. Die Zeugen konnten sich auch an Mahagoni-Möbel im Biedermeier-Stil erinnern (Vertiko, Schrank, Tisch und Stühle) sowie an einen altmodischen Buffet-Schrank aus Eiche.

Ab 1941 wohnten alle drei Schwestern Massé als Untermieterinnen bei Marie von Biema (1870-1942) in der Hochallee 53/ Harvestehude. Dort erhielten sie auch den Deportationsbefehl nach Riga, den sie am 6. Dezember 1941 befolgen musste. Ihre Schwestern Grete und Adele Massé wurden zusammen mit ihr deportiert. Der Hamburger Transport wurde in das Behelfslager Riga-Jungfernhof einwiesen. Dort kamen sie entweder an Hunger, Kälte oder Krankheiten zu Tode oder wurden in der "Aktion Dünamünde" erschossen. Ihre genauen Todesumstände sind nicht bekannt.

Der NS-Staat eignete sich das Vermögen von Jüdinnen und Juden systematisch an. Auch nach deren Deportation zog er die noch verbliebenen Werte und Gegenstände "durch Verfügung des Reichsstatthalters ein". Nach der Deportation und der Versiegelung der Wohnung übernahm die "Vermögensverwertungsstelle" des Oberfinanzpräsidenten zusammen mit Zollbeamten die Prüfung der zurückgelassenen Wohnungsgegenstände anhand der Vermögensverzeichnisse der deportierten Eigentümer. Speditionen brachten die Gegenstände zu den Versteigerern. Auch die Haushaltsgegenstände der drei Schwestern Massé sind - vermutlich im April/ Mai 1942 über eine Auktion von Alfred Albers (Drehbahn 30/Neustadt und Reichenstraße 37/Altona) - versteigert worden. Sie erbrachten 1.321.70 Reichsmark für den NS-Staat.

Mit Verordnungen und Gesetzen bemäntelte der NS-Staat seine systematische Beraubung der jüdischen Deutschen. Die "11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 25. November 1941 legte fest: "Ein Jude verliert die deutsche Staatsangehörigkeit a) wenn er beim Inkrafttreten dieser Verordnung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat." Für die Nationalsozialisten traf dies auch auf Deportationen zu. Gleichzeitig verloren diese Personen auch sämtliche Versorgungsansprüche. Das Landgericht Hamburg richtete diese NS-Auslegung 1951 noch gegen die Erben von Margot Massé und verwehrte ihnen den Ausgleich für die Rentenzahlungen zwischen dem Zeitpunkt ihrer Deportation und dem vom Amtsgericht festgelegten Todesdatum (Mai 1945).

Stand: Februar 2023
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 131-1 I (Senatskanzlei – Gesamtregistratur I), 33 M 1532 (Marcus Massé, Lotteriekollekteur, 1877, Strafe); StaH 131-11 (Personalamt – Gesamtregistratur), 904 (Rückerstattung Ruhestandsgehalt zurückgewiesen 1950-53); StaH 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 6504 (Margot, Adele und Grete Massé); StaH 231-7 (Handelsregister), A 1 Bd. 4 (HR A 897, Marcus Massé); StaH 231-7 (Handelsregister), A 1 Bd. 91 (HR A 21820, Massé & Scharpp); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1940/0930 (Dr. Carry Karoline Salomon, Feststellung von Vermögenswerten, 1940-1941); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), FVg 8437 (Dr. Carry Salomon, Emigration 1941); StaH332-5 (Standesämter), 275 u. 1024/1890 (Sterberegister 1890, Merle Massé geb. Moses); StaH332-5 (Standesämter), 9110 u. 1324/1895 (Geburtsregister 1895, Margot Massé); StaH 332-5 (Standesämter), 8004 u. 343/1910 (Sterberegister 1910, Franzi Massé geb. Frankel Kohn); StaH 332-5 (Standesämter), 8046 u. 2/1918 (Sterberegister 1918, Marcus Massé); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A1e 40 Bd. 10 (Bürger-Register 1876-1896 L-Z), Kaufmann Marcus Massé, 1.5.1891 Nr. 18115; StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 1917 (Max Naphtali Lefeld, Innocentiastr. 19 u. Woldsenweg 16); StaH 361-2 VI (Oberschulbehörde IV), 4882 (Hauswirtschaftliche Kurse von Dr. Carry Salomon u. Margot Massé, 1934); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Adele Massé, Gretchen Massé (1925-1941), James Massé (1921-1925), Marcus Massé (1913-1917), Margot Massé (1926-1941); StaH 731-8 (Zeitungsausschnitt-Sammlung), A 755 (Ertel, Walter, 3 Artikel 1926 u. 1929); Bundesarchiv, R 1509 (Reichssippenamt), Volks-, Berufs-, u. Betriebszählung am 17. Mai 1939 (Margot Massé, Hauersweg 7 II.; Adele Massé, Hauersweg 7 II.; Grete Massé, Hauersweg 7 II.); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Marcus Massé, HR A 897; Massé & Scharpp, HR A 21820); Hamburger Adressbuch (Marcus Massé) 1875, 1877, 1880-1893; Hamburger Adressbuch (Frl. A. u. M.Massé, Haushaltungslehr., Schrammsweg 21), 1919; Hamburger Adressbuch (A. Massé, Privatsekr., Grindelallee 165), 1928; Hamburger Adressbuch (Geschwister A., M. u. G. Massé, Grindelallee 165), 1929, 1930, 1933; Hamburger Adressbuch (Selma M. Günther, Leiterin d. staatl. Haushaltungsschulen) 1915, 1916, 1920, 1926, 1930, 1931; Adressbuch Hamburg (V. Abschnitt, Staatl. Haushaltungsschulen) 1915; Hamburger Adressbuch (Dr. Richard Flemming) 1934; Gedenkbuch Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Hamburg 1995, S. 276 (Margot Massé); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 426 (Marcus Massé, Bankgeschäft, gegr. 1872, Brahmsallee 25), S. 385 (Lefeld & Co., Import u. Export, gegr. 1907, frühere Firma B. Weinstein jr. gegr. 1891, Ness 1, Alte Bankhalle); Hamburger Lehrerverzeichnis Schuljahr 1922/23, 1927/28, 1929/30, 1930/31 und 1932/33 (Margot Massé); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hamburg 1998, S. 363 (Lefeld & Co.); Naftali Bar-Giora Bamberger, Memor-Buch, Die jüdischen Friedhöfe in Wandsbek, Band 2, Hamburg 1997, S. 99 (Jacob Isaac Massé und Merle Mörle Massé); Ursel Hochmuth/ Hans-Peter de Lorent (Hrsg.), Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985, S. 19 (Zeitungsausschnitt 4.7.1933), S. 315 (Margot Massé); Ina Lorenz, Die Juden in Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik, 2 Bände, Hamburg 1987, S. 858 (Heim für jüdische Mädchen und Frauen); Ulrike Sparr, Stolpersteine in Hamburg-Winterhude, Biografische Spurensuche, Hamburg 2008, S. 270 (Adele, Margot u. Grete Massé); https://www.jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html (Massé, Franzi, geb. Frankel Kohn, 53 Jahre 4 Monate, Schäferkampsallee 28, gestorben 22.5.1910, Grablage B 10 Nr. 242); www.ancestry.de (Sterbeurkunde Altona 2159/1894, Israel Bär Massé); www.stolpersteine-hamburg.de (Martha Hildesheim/ Gewerbelehrerin, Gertrud Pardo/ Gewerbelehrerin).

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