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Stolpertonstein

Erzähler: Christine Jensen
Sprecher: Carlo von Tiedemann
Biografie: Klaus Möller
Walter Horwitz *1893
© Yad Vashem

Walter Horwitz * 1893

Dillstraße 16 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Dillstraße 16:
Julius Cohn, Paula Cohn, Else Horwitz, Gertrud Weidner

Walter Horwitz, geb. am 26.10.1893 in Harburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, Todesdatum unbekannt

Stadtteil Harburg-Altstadt, Lüneburger Straße 25 und Rotherbaum, Dillstraße 16

"Mein Vater war ein unglaublich guter Mensch", so erinnert sich Celia Lee, geb. Cilly Horwitz, an ihren Vater, den sie viel zu früh verlor.

Ihr Vater, Walter Horwitz, war das jüngste Kind des jüdischen Kaufmanns Bernhard Horwitz (15.4.1863–5.12.1928) und seiner Ehefrau Cilli, geb. Israel, (26.11.1859–18.8.1923). Zusammen mit seinen älteren Geschwistern Ella und Max wuchs er in Harburg auf, wo die Familie in einer großen Villa in der Heimfelder Straße 93 (heute Hotel Heimfeld) wohnte.

Bernhard Horwitz hatte 1886 ein kleines Geschäft in der Wilstorfer (heute: Lüneburger) Straße/Ecke Bremer Straße eröffnet, das sich bald zum größten Warenhaus der Stadt entwickelte. Dieses erstreckte sich über vier Stockwerke und und bot ein breites Sortiment an Waren. Eine besondere Attraktion war der Fahrstuhl, mit dem die Kundinnen und Kunden bis ins Dachgeschoss fahren konnten. Von hier aus war es möglich, in den Harburger Binnenhafen und bei gutem Wetter bis weit nach Wilhelmsburg zu blicken. Hinter der gläsernen Fens­ter­front befand sich auch das bei allen Harburgerinnen und Harburgern damals so beliebte Fotoatelier des Hauses, in dem so manches Harburger Familienfoto entstand.

Der jüdische Glaube spielte im Leben der Familie Horwitz keine dominierende Rolle. Die christlichen Festtage waren den Eltern und ihren Kindern durchaus gegenwärtig. Wie eng die Familie Horwitz sich der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft verbunden fühlte, zeigt die Tatsache, dass es für die beiden Brüder im Ersten Weltkrieg eine selbstverständliche Pflicht war, im kaiserlichen Heer gegen die Feinde des Deutschen Reiches zu kämpfen. Max Horwitz bezahlte seine Vaterlandsliebe mit dem Leben. Sein jüngerer Bruder Walter übernahm nach seiner Rückkehr von der Front immer mehr Verantwortung in der Geschäftsführung des Warenhauses.

Am 2. August 1922 feierte die Familie die Hochzeit des Juniorchefs mit Margarethe (Miriam) Charlotte Körner (13.7.1898–7.6.1996), die aus einem christlichen Elternhaus in Arendsee in der Altmark stammte und vor der Eheschließung zum Judentum übergetreten war. Das junge Paar bezog eine Wohnung in der Mühlenstraße 18 (heute: Schlossmühlendamm), wo auch die Kinder Max (24.11.1924–9.3.2005) und Cilly-Jutta (geb. 7.9.1926) ihre ersten Lebens­jahre verbrachten.

Nach dem Tod ihres Vaters im Dezember 1928 traten Walter Horwitz und seine Schwester Ella Hirschfeld, geb. Horwitz, seine Nachfolge an. Sie stand unter einem unglücklichen Stern. In der Weltwirtschaftskrise geriet das Warenhaus ins Schlingern, sodass die Geschwister den Verkauf beschlossen. Doch der Käufer erfüllte seine vertraglichen Verpflichtungen nicht. Die anschließende gerichtliche Auseinandersetzung zog sich über Jahre hin und fand in der NS-Zeit am Ende einen unbefriedigenden Abschluss. Während seine Schwester Ella mit ihrer Familie nach Argentinien auswanderte, konnte Walter Horwitz bei einer anderen Firma als Geschäftsführer mit einem entsprechend hohen Gehalt einsteigen, sodass die Familie ihren bisherigen Lebensstil weitgehend beibehalten konnte.

Der soziale Abstieg war aber nicht mehr aufzuhalten, als Walter Horwitz bereits im Frühjahr 1933 von seiner neuen Firma als Geschäftsführer entlassen wurde, weil er Jude war. In der Folgezeit fand er trotz verzweifelter Bemühungen keine neue Erwerbstätigkeit. Bald danach zog die Familie in eine andere Wohnung in der Buxtehuder Straße 37, ohne dass die beiden Kinder die Schule zu wechseln brauchten. Den Geschwistern blieb nicht verborgen, dass zahlreiche Mitschülerinnen und Mitschüler immer offener zu ihnen auf Distanz gingen.

Es ist zu vermuten, dass diese Veränderungen im Sommer 1936 eine Rolle bei der Entscheidung ihrer Eltern spielten, ins Grindelviertel nach Hamburg zu ziehen. Doch die politische Wirklichkeit holte sie auch dort schnell ein. Walter Horwitz litt zunehmend unter dem wachsenden Verfolgungsdruck. Er fand keine Arbeit, seiner Frau ging es nicht besser. Die Familie lebte mehr oder weniger von ihren geringen Ersparnissen, vom gelegentlichen Verkauf verbliebenen Hausstands und von den Fürsorgeleistungen der Jüdischen Ge­mein­de. In seiner tiefen Verzweiflung unternahm Walter Horwitz drei vergebliche Selbstmordversuche. Er fühlte sich schuldig an dem Schicksal seiner Frau und seiner Kinder und hoffte, ihnen mit der Auszahlung der Lebensversicherung, die er einst abgeschlossen hatte, ein besseres Dasein zu ermöglichen.

Die beiden Kinder wurden gleich nach dem ersten Selbstmordversuch in fremde Obhut gegeben. Max kam in das Waisenheim für jüdische Knaben am Pa­pen­damm und Cilly in das Waisenheim für jüdische Mädchen am Laufgraben. Sie vermissten die Eltern, die sie nur noch sonntags besuchen durften. Noch weniger konnten sie verstehen, dass ihre Mutter und ihr Vater fast zur gleichen Zeit ihre gemeinsame Wohnung aufgaben und nach 15-jähriger Ehe die Scheidung einreichten. Am 21. April 1938 wurde die Ehe vom Hamburger Landgericht im gegenseitigen Einvernehmen geschieden.

Im Wiedergutmachungsverfahren machte Charlotte Margarethe Körner, gesch. Horwitz, nach 1945 geltend, sie und ihr damaliger Mann seien von der Gestapo zur Scheidung gedrängt worden, was sie glaubhaft vertreten konnte. Unmittelbar nach dem Spruch des Landgerichts war sie rekonvertiert und hatte sie wieder ihren Mädchennamen angenommen. Nach nationalsozialistischem Verständnis war sie damit "in den deutschen Blutsverband" zurückgekehrt. So konnte sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Es dauerte nicht lange, bis sie im Modegeschäft "Top & Frank" am Neuen Wall eine Anstellung als Verkäuferin fand. Mit ihrem Verdienst konnte sie ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten und hin und wieder etwas für ihren geschiedenen Mann abzweigen.

Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 gelang es den geschiedenen Eltern mit Hilfe der Jüdischen Gemeinde, beiden Kindern einen Platz im ersten Hamburger Kindertransport nach England zu sichern. Am 1. Dezember 1938 nahmen sie im Altonaer Bahnhof voneinander Abschied. Die großen Hoffnungen auf ein schnelles Wiedersehen verflogen bald.

Aus den glücklichen Stunden, die Eltern und Kinder in früheren Tagen miteinander verbracht hatten, wurden jetzt sorgenvolle Briefe. Dieser Briefwechsel war für die Eltern von ebenso großer Bedeutung wie für die Kinder. Einige Schreiben der Eltern sind erhalten. Sie dokumentieren ihre Sorgen um das Wohl der beiden Kinder und die Verzweiflung des Vaters angesichts der wachsenden Bedrohung. In seiner Not klammerte er sich an jeden Strohhalm, denn er hoffte, Deutschland doch noch im allerletzten Augenblick verlassen zu können.

Als diese Aussichten immer unrealistischer wurden, heiratete Walter Horwitz im dritten Kriegsjahr noch einmal. Seine zweite Frau Else Horwitz, geb. Ledermann, (geb. 24.2.1892) stammte aus einer jüdischen Familie in Glogau (heute: Głogów) in Schlesien. Sie hatte früher einmal als Korrespondentin gearbeitet und war inzwischen ebenfalls seit Längerem erwerbslos. Die gemeinsame Adresse des Paares lautete Dillstraße 16.

Walter und Else Horwitz wurden am 8. November 1941 nach Minsk im besetzten Weißrussland deportiert. Am Abend vor der Deportation verabschiedete Walter Horwitz sich von seiner ersten Ehefrau mit einem Brief, in dem er ihr seinen tiefen Dank aussprach und selbst in dieser trostlosen Stunde noch seine Hoffnung auf ein gutes Ende durchblicken ließ. Diese Zeilen vom 7. November 1941 waren sein letztes Lebenszeichen.

"Liebe Gretel!
Nochmals herzlichen Dank für alles Gute in der Zeit. Wir vergessen Dich nicht und beten für Dich, dass der liebe Gott Dich, die Kinder und uns gesund erhalten lässt. Halte Dich tapfer, Du warst uns stets ein lieber Kamerad und [eine] treue Freundin. Es war nicht schlecht gemeint. Sei tapfer und halte Dich gesund, es kommt auch nochmal anders. Wir wollen uns nochmals wiedersehen. Ich erledige noch alles. In drei Stunden bringen [sie] das Gepäck fort. Ich kann nicht schlafen. Der letzte Tag hier. Aber wir wollen stark und tapfer sein, schon der Kinder wegen und auf ein allgemeines Wiedersehen hoffend …"


Max und Cilly Horwitz erfuhren erst nach dem Zweiten Weltkrieg, dass ihr Vater im November 1941 einen Deportationsbefehl erhalten hatte. Alle Bemühungen, etwas über sein weiteres Schicksal zu erfahren, endeten erfolglos. Am 23. Oktober 1949 wurde Walter Horwitz vom Amtsgericht Harburg auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt. Eine zusätzliche Inschrift auf dem Grabstein seiner Eltern auf dem Harburger Jüdischen Friedhof erinnert an seine Deportation nach Minsk am 8. November 1941.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 4; 5; 8; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 261093 Horwitz, Walter, 141124 Hutton, Max, 130798 Körner, Charlotte; Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Werkstatt der Erinnerung, Interview mit Celia Lee, geb. Horwitz, vom 30.5.1991; Meyer, "Jüdische Mischlinge", 2. Auflage, S. 320ff.; Lehberger/Randt, Briefe, S. 38ff.; Bernhardt u. a., "Familie"; Schwarberg, Günther: Der lange Weg zurück in die Heimat, Hamburger Abendblatt vom 8.4.1998; Gespräche Celia Lees und Inge Huttons mit Schülerinnen und Schülern des Heisenberg-Gymnasiums in HH-Harburg vom 31.8.2007, 21.4.2008; Kändler/Hüttenmeister, Friedhof, S. 209, 250; Adressbücher 1900, 1912, 1926.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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