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Stolpertonstein

Erzählerin: Christine Jensen
Sprecher: Michael Bideller & Michael Latz
Biografie: Hildegard Thevs

Harry Krebs * 1895

Klaus-Groth-Straße 29 (Hamburg-Mitte, Borgfelde)


HIER WOHNTE
HARRY KREBS
JG. 1895
VERHAFTET 1943
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 6.12.1944

Harry Krebs, geb. 17.7.1895 in Hindenburg/Oberschlesien, 27.2.1943 KZ Fuhlsbüttel, 29.4.1943 KZ Auschwitz, Tod am 6.12.1944 im Außenlager Lieberose des KZ Sachsen­hausen

Klaus-Groth-Straße 29

"Liebe Elfe! "Auschwitz, den 3. Sept. 43"
Deinen Brief v. 31. Juli erhalten, bin glücklich und froh, dass Ihr alle so wunderbar gerettet seid. … Schicke mir bitte postwendend, damit ich mich wieder erholen kann, regelmäßig jede Wo­che 1–2 Pakete, in der Hauptsache Brot, Zwieback, Knoblauch, Citronen, Zucker, Obst, Tabak … nur an umseitige Adresse, nicht mehr durch die Beneckestraße … Schreib mir bitte, was Kaufmann Dir geantwortet hat. … Zum 13. werde ich wohl nicht schreiben können, verlebe diesen Tag in Freude u denke mit einem Kuchenpaket an mich, ich feiere dann kräftig mit."
Die "umseitige Adresse" war die des "Schutzhäftlings" Harry Krebs, geboren am 17. Juli 1895, Gef.-Nr. 120356, im "K. L. Arbeitslager Eintrachthütte – Schwientochlowitz O/S, Postamt 2".

Am 29. April 1943 war Harry Krebs aus dem KZ Fuhlsbüttel in das KZ Auschwitz überstellt und im Außenlager Eintrachthütte eingesetzt worden. Er erkrankte. Der Zensor radierte in dem mit Bleistift geschriebenen Brief die Bezeichnung der Krankheit aus, ließ ihn aber ohne sonstige Beanstandungen Frau Elfriede Krebs in Reinbek-Wentorf bei Hamburg zukommen.

Elfriede Krebs hatte nach der Ausbombung in Hamburg-Borgfelde in der Klaus-Groth-Straße 29 am 27./28. Juli 1943 mit ihren Kindern bei ihren Eltern in Reinbek-Wentorf Unterschlupf gefunden. Ihre materielle Situation war verzweifelt, weswegen sie sich an den Gauleiter und Reichsstatthalter von Hamburg, Karl Kaufmann, wandte. Außerdem erhoffte sie sich von ihm Auskunft über den Grund der Verhaftung ihres Mannes, dem mehrfach versichert worden war, er werde bald entlassen werden. Den doppelten Feiertag am 13. September musste sie ohne ihren Mann begehen. Es war ihr Geburtstag – am 13. September 1897 kam sie als Elfri­de Wiese zur Welt –, und am 13. September 1932 hatten sie und Harry Krebs in Stettin geheiratet.

Sogar in dieser Situation des Hungers bei ihrer Familie in Reinbek-Wentorf gelang es Elfriede irgendwie, ab und zu ein Briefpäckchen an ihren Mann zu schicken. In seinem letzten Brief vom 24. September 1944 aus Auschwitz bedankte er sich für eines, bat um wöchentlich zwei Päckchen und u. a. dringend um Asthma-Zigaretten. Er starb nicht schon 1943, wie andere Leidtragende der "Schallert-Aktion" vom 27. Februar 1943, sondern wurde im November 1944 noch in das KZ Sachsenhausen überstellt, wo sein Leben am 6. Dezember 1944 endete.

Harry Krebs kam am 17. Juli 1895 in Hindenburg/Oberschlesien in einer jüdischen Familie zur Welt und wurde Manufakturwarenvertreter. Wann und warum er nach Stettin zog, ist un­bekannt. Dort lernte er 1929 Elfriede Wiese kennen, Lehrerstochter aus Warnkenhagen in Mecklenburg, die als Geschäftsfrau eine Leihbücherei und einen Lesezirkel betrieb. In Hamburg hatte sie zuvor sieben Jahre lang in einem Lesezirkel gearbeitet. Aufgrund dieser Erfahrung und ausgestattet mit Ersparnissen machte sie sich 1927 in Stettin selbstständig. Harry Krebs trat als Werber in ihren Betrieb ein und wurde Geschäftsführer des Lesezirkels. Wie erwähnt, heirateten Elfriede und Harry Krebs am 13. September 1932. Da war ihr erster Sohn ein Jahr alt. Er kam am 31. Juli 1931 in Pasewalk zur Welt. Am 26. März 1933 wurde in Stettin ihr zweiter Sohn geboren.

1931 führte Harry Krebs eine bis dahin konkurrenzlose Mappe mit Zeitschriften vornehmlich aus dem Ullstein-Verlag ein, die vierzehntägig erschien und sich zunächst als Erfolg erwies. 1933 erlitt das Geschäft erhebliche Rückschläge, als Ullstein nicht mehr regelmäßig liefern konnte und es sich herumsprach, dass Harry Krebs Jude war. Obwohl Elfriede Krebs "arisch" und evangelisch war, denunzierten Konkurrenten ihr Geschäft als "jüdisch". Der Boykott ihres Geschäftes, wie jüdischer Bücher und Zeitschriften überhaupt, ließen die Kundenzahl so stark sinken, dass Elfriede Krebs zum Ende des Jahres 1933 ihre restlichen Mappenbestände für einige hundert Mark an einen Berliner Lesezirkel verkaufte.

1934 zogen Harry und Elfriede Krebs mit ihren beiden Söhnen nach Hamburg. Am 16. Dezember 1934 wurde dort ihre Tochter geboren. 1935 trat Harry Krebs in die Deutsch-Israelitische Gemeinde in Hamburg ein. Er arbeitete auf Provisionsbasis als Vertreter für verschiedene Firmen, die Einmachdosen und Verschlussapparate herstellten und vertrieben. Seine Tätigkeit bedingte oft tagelange Abwesenheit von Zuhause. Wegen der schlechten gesun­heitlichen Verfassung seiner Frau blieb er mehrfach für einige Wochen bei den Kindern. Die Familie bezog mit Unterbrechungen immer wieder Unterstützung zum Lebensunterhalt und einmalige Zuwendungen für Schuhreparaturen, Kleidung, Feuerung, Bettzeug und er­hielt Kranken- und Zahnscheine von der Fürsorgebehörde. Elfriede Krebs’ Vater steuerte von seiner Lehrerpension Geld und Lebensmittel zur Miete und zum Haushalt bei. Die Jüdische Gemeinde leistete ausnahmsweise Winterhilfe. Dennoch ließen sich Mängel an Wohnung und Hausstand nicht beheben, wie die Fürsorgeschwester berichtete.

Eine Räumungsklage für die Wohnung Pulverteich 20 in St. Georg führte zum Umzug von Familie Krebs in eine 2-Zimmerteilwohnung mit Küche in Borgfelde in der Klaus-Groth-Straße 29. Auch hier bedrohten Räumungsklagen die Familie, die jedoch von der Fürsorgebehörde abgewendet wurden. Die Fürsorger versuchten eine Mietminderung durchzusetzen, aber die zu ihrem Lebensunterhalt auf die Miete angewiesene Eigentümerin konnte die Miete allenfalls stunden. Harry Krebs’ Eltern und Geschwister sollten zum Unterhalt herangezogen werden, was fehlschlug, da sie in Kattowitz/Polen selbst in höchst bescheidenen Verhältnissen lebten.

Vor seiner Einschulung in der Volksschule Bürgerweide im April 1938 wurde der älteste Sohn am 11. Juli 1937 in der Erlöserkirche in Borgfelde getauft. 1939 folgte ihm sein jüngerer Bruder. Die Mutter tat ihr Bestes, dass die Jungen "sauber und ordentlich" aussahen, wie die Fürsorgerin festhielt.

Harry Krebs sollte Pflichtarbeit leisten, suchte aber stattdessen immer neue Auftraggeber, bis er sich 1937 doch zu Bauarbeiten auf der Horner Rennbahn einsetzen ließ. Ein Unfall setzte dieser Arbeit ein Ende. Danach gestaltete sich die Situation plötzlich unerwartet positiv. Harry Krebs hatte einen Glasdeckel mit Bügel zum Verschließen von Konservendosen erfunden, der am 27. April 1938 im Patentblatt als Gebrauchsmuster unter der Nr. 1.438.474 eingetragen wurde.

Er verkaufte sein Patent für den "Glaskontrolldeckel ‚Gustal’" für 1500 RM, erhielt aber nicht den vollen Betrag, da der Patentnehmer wegen der Mangelwirtschaft Produktions- und damit Zahlungsprobleme hatte.

Zuständig für die Vermittlung jüdischer Arbeitskräfte beim Arbeitsamt Hamburg, Sägerplatz, war seit Ende 1938 Willibald Schallert. Die Vermittlung bestand im Wesentlichen in der Zuweisung von Arbeitskräften entsprechend den Anforderungen von Arbeitgebern. Harry Krebs wurde 1939 für einen Stundenlohn von 73 Pfg. bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden in "freie Arbeit" bei der Straßen- und Tiefbaufirma Hans Frank, Wandsbek, vermittelt und am Kämmererufer eingesetzt. Die Arbeit war insofern frei, als Harry Krebs nicht kaserniert leben musste. Die Wohlfahrtsbehörde stattete ihn mit den notwendigen Arbeitsmitteln in Form von Arbeitshose, Stiefeln, Schaufel und Spaten im Wert von 17,65 RM aus, die er in wöchentlichen Raten von 1 RM abzuzahlen hatte. Bei schlechtem Wetter entfiel mit der Arbeit auch der Lohn.

Die Familie lebte von der Hand in den Mund. Da Harry Krebs dieser körperlich schweren Arbeit auf Dauer nicht gewachsen war, versetzte ihn die Arbeitsverwaltung im Frühjahr 1941 als Packer in die Schuhgroßhandelsfirma Rasch und Jung, Gr. Bleichen 31, wo er zusammen mit anderen Juden Zwangsarbeit leistete.

Ein halbes Jahr später, am 29. September 1941, kam als Jüngster der Familie H. zur Welt. Er wurde am 12. Juli 1942 zusammen mit seiner inzwischen fünfjährigen Schwester von Pastor Junge in der Erlöserkirche Borgfelde getauft.

Völlig unerwartet wurde Harry Krebs zusammen mit Fritz Heinsen am 27. Februar 1943 am Arbeitsplatz verhaftet. Fritz Heinsens frühere Adresse war ebenfalls in der Klaus-Groth-Stra­; eine weitere Gemeinsamkeit bestand in ihren Familienverhältnissen, "privilegierten Mischehen".

Sie gehörten zu einer Gruppe von 17 vorher aufgelisteten in "Mischehe" lebenden Männern, die am selben Tag ohne Angabe von Gründen von Gestapobeamten verhaftet und im Judenreferat der Gestapo in der Rothenbaumchaussee 38 eingeliefert wurden.

Harry Krebs und seine Frau fanden nie heraus, wie er auf diese Liste geriet. Fünf oder sechs der Verhafteten waren ehrenamtlich für die Jüdische Gemeinde tätig, deren Namen die Gemeindeangestellte Fanny David einige Tage zuvor für Willibald Schallert auf dessen Anforderung hin zusammengestellt hatte. Zu ihnen gehörte Max Moses, Mitglied der Jerusalemgemeinde, dem auffiel, dass Willibald Schallert einige Tage zuvor in der Gemeindekartei blätterte und sich Notizen machte. Einige, wie der Überlebende Rudolf Hamburger, wussten, dass sie wegen "Arbeitssabotage" denunziert wurden. Andere, wie Fritz Scharlach, fielen vermutlich ihrer Kenntnis von den Vorteilsnahmen und der Willkür Willibald Schallerts und der Gestapo zum Opfer.

Harry Krebs wurde wie die meisten anderen Leidtragenden dieser Aktion ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht, wo seine Frau ihn noch besuchte, bevor er Ende April 1943 nach Auschwitz überstellt und in dem Außenkommando Eintrachtshütte eingesetzt wurde. Während Harry Krebs in Fuhlsbüttel einsaß, unterstützte die Wohlfahrtsbehörde seine Familie regelmäßig. Wolfgang Heinsen, der damals vierzehnjährige Sohn Fritz Heinsens, überbrachte der Familie Krebs Geldspenden, die die bei der Firma Rasch & Jung verbliebenen "Nichtarier" aufbrachten. Da Elfriede Krebs und ihre Kinder Christen waren, verweigerte die Jüdische Gemeinde weitere Hilfe. Dass Elfriede Krebs bei ihrer Ortsgemeinde in Borgfelde Hilfe suchte, ist nicht belegt. Nach ihrer Ausbombung fand sie mit ihren Kindern Zuflucht bei ihren Eltern in Wentorf. Ihr Vater und sie selbst richteten verzweifelte Bittschreiben an Reichsstatt­halter Karl Kaufmann in Hamburg. Mit der Verweisung an die Gemeinde Wentorf galten diese Eingaben als erledigt. Einige Briefe und Päckchen verbanden Harry Krebs und seine Familie noch bis September 1944.

Mit seiner Überstellung in das KZ Sachsenhausen riss der Kontakt ab. Harry Krebs erhielt nun die Häftlingsnummer 111777 und wurde im Außenkommando Lieberose bei Lübben eingesetzt. Dort starb er am 6. Dezember 1944. Von seiner Überstellung in das KZ Sachsenhausen und seinem Tod erfuhr die Familie lange Zeit nichts. Sie leidet noch heute unter der Behandlung, die Harry und Elfriede Krebs widerfahren ist.

© Hildegard Thevs

Quellen: 4; 5; BA 1939; StaH, 351-11 AfW, 170797; Auskunft Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten/Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen vom 3.9.2009, J 1/99, Bl. 283 und J 1/100, Bl. 283; Patentamt München, E-Mail vom 4.11.2008; Meyer, "Jüdische Mischlinge".
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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