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Porträt Anna Loewy
Anna Loewy
© StaH

Anna Loewy * 1859

Hasselbrookstraße 6 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
ANNA LOEWY
JG. 1859
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 31.5.1944

Anna Loewy, geb. am 30.11.1859 in Hamburg, deportiert am 23.6.1943 nach Theresienstadt, dort gestorben am 31.5.1944

Hasselbrookstraße 6

Hanna Glinzer, die letzte Direktorin der Schule Paulsenstift, ergänzte Anna Loewys Personalakte mit einer Fortschreibung ihrer Biographie, bevor sie das Archiv ihrer Schule 1953 dem Hamburger Staatsarchiv übergab: "Aus ihrer Wohnung, dann aus der Pension, in die sie gezogen, dann aus dem jüdischen Waisenhaus am Laufgraben vertrieben und aller Sachen beraubt. Anfang Juli 1943 von der Gestapo nach Theresienstadt verschleppt, wo sie im Herbst 83-jährig eines natürlichen Todes starb. Sie schrieb im August [1943] eine Karte. Eine der Besten!"

Anna Loewy war unter 26 Lehrkräften die einzige fest angestellte jüdische Lehrerin der Schule. Sie selbst schrieb in ihrem Lebenslauf: "Ich bin im Nov. 1859 [30. November 1859] in Hamburg geboren. Vom 7. bis zum 12. Lebensjahre besuchte ich die Schule von Fr. Schrader in der Kl. Bäckerstraße. Als diese Dame und ihre Schwestern ihre Lehrtätigkeit aufgaben, kam ich in die Schule von Frl. Mantels am Strohhause in St. Georg. Hier blieb ich nur ein Jahr, denn als im Frühjahr 1872 die Unterrichtsanstalten des Klosters St. Johannis gegründet wurden, trat ich dort in die 3. Schulklasse. Ich beendete hier meine Schulzeit und bereitete mich dann [seit dem 1. April 1876] im Seminar derselben Anstalten auf den Lehrerinnenberuf vor. Nach bestandenem Examen [2. April 1879] unterrichtete ich ein Jahr lang an der Schule des Herrn Möhrcker [G.H.C Möhrcker, Schultzweg 33], Schulzweg, St. Georg, und dann eine kurze Zeit an der Schule des Frl. Becks [höhere Töchterschule, Bertha Becks, Hofweg 7] am Hofweg, Uhlenhorst. Aus Gesundheitsrücksichten musste ich dann eine Ruhepause von einem Jahr eintreten lassen, nach welcher Zeit ich eine Stellung in der Schule des Paulsenstifts erhielt, an der ich seit dem Herbste des Jahres 1881 tätig bin." 1881 befand sich das Paulsenstift noch in der Straße Pumpen 38 in der Ham­bur­ger Altstadt, wo es am 3. November 1866 von Anna Wohlwill gegründet worden war. Anna Loewy machte den Umzug in die Bülaustraße 20 in St. Georg im Jahre 1893 mit und erlebte 1910 den Direktorinnenwechsel von Anna Wohlwill zu Hanna Glinzer als aktives Kollegiumsmitglied. Als die Paulsenstiftschule am 1. April 1937 verstaatlicht wurde, befand sich Anna Loewy bereits seit 12 Jahren im Ruhestand.

Anna Loewy hatte sich in den Fächern Pädagogik, Lehrfertigkeit, Deutsch, Französisch, Englisch, Arithmetik, Naturbeschreibung, Naturlehre, Geschichte, Geographie, Schreiben, Zeichnen, Gesang und Handarbeiten prüfen lassen und je zur Hälfte gute und genügende Noten erhalten, wobei es nur vier Zensurenstufen gab. Als Klassenlehrerin in den Stufen 5 und 6 eingesetzt, unterrichtete sie hauptsächlich Deutsch und Handarbeit. Ihre Schülerinnen und Kolleginnen besangen bei Anna Loewys 25. und 40. Jubiläum varianten- und geistreich deren Erziehung zu "Haushalten, Ordnung, Pünktlichkeit", wobei sie die Ordnung sowohl auf das Nähen wie auf das Denken bezogen, lobten ihre persönliche Bescheidenheit, Sparsamkeit, Hilfsbereitschaft und Großherzigkeit, ihre Unbestechlichkeit, Heiterkeit, Gerechtigkeit, Geduld und Gründlichkeit.

Anna Loewy und ihre Schwester Bertha, geboren am 16.3.1863, wurden in einen Akademikerhaushalt hinein geboren. Der Vater, Meyer Hirsch Loewy, geboren 1825, war als Redakteur tätig und starb um 1872, als die Töchter noch die Schule besuchten. Wie die Mutter Rosa, geborene Friedmann, geboren 1827 in Breslau, die Töchter und sich selbst durchbrachte, ist nicht bekannt. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie aus der Hamburger Neustadt nach St. Georg. Beide Töchter wurden Lehrerinnen mit Festanstellung an halböffentlichen Mädchenschulen, Anna am Paulsenstift und Bertha an der Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in der Carolinenstraße. Die Schwestern ließen sich 1916 gleichzeitig in der Jüdischen Gemeinde registrieren.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1888 zogen Anna und Bertha Loewy zunächst wieder in die Neustadt und wechselten danach noch mehrfach die Adresse, bis sie 1911 in der Hasselbrookstraße 6 gemeinsam eine Wohnung mieteten. Sie trennten sich Zeit ihres Lebens nur, wenn äußere Umstände sie dazu zwangen. Anna litt jedes Mal unter großem Heimweh, wenn sie nicht bei ihrer Schwester sein konnte. Ihre Gesundheit erforderte auch nach der Ruhepause von 1880 noch mehrere Kur- und Badeaufenthalte. 1898 erhielt sie eine 14-tägige Beurlaubung vor den Sommerferien aus Gesundheitsrücksichten zugesprochen. 1914 verbrachte sie einen Genesungsurlaub in Hohe Mark bei Frankfurt/M und 1924 einen weiteren auf der Wilhelmshöhe in Blankenese. Sie bedauerte die Belastungen, die der Schule durch ihre Abwesenheit entstanden. In einem Gruß aus Blankenese an ihre Schulleiterin gestand sie ihr, wie schwer ihr der Abschied von den Schülerinnen und Kolleginnen Ostern 1925 fiel. Mit 65 Jahren wurde sie pensioniert, wie es die Versicherungskasse verlangte. Wie sie und ihre Schwester in den folgenden Jahren lebten, lässt sich nicht rekonstruieren. Bertha starb am 3. Dezember 1938 an einem Schlaganfall im katholischen Marienkrankenhaus in Hohenfelde. Anna Loewy ließ ihre Schwester in einem Doppelgrab auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf beerdigen in der Annahme, dass sie neben ihr beigesetzt werden würde.

Anna blieb allein in ihrer Wohnung, unterstützt von einer Hausgehilfin, die Tag und Nacht bei ihr war und dafür 30 RM bei voller Unterkunft und Verpflegung erhielt. Anna machte diese finanzielle Belastung am 15. Juli 1940 gegenüber der Gemeinde geltend, um eine Steuerermäßigung zu erwirken. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Möglicherweise verkaufte sie Hausrat, um ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können.

Im April 1941 zog Anna Loewy in die Pension Lange in der Ostmark-, heute: Hallerstraße 42. Ihre Wirtin Ella Lange, geborene Goldschmidt, wurde bereits am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Die jüdische Gemeinde veranlasste Anna Loewys Unterbringung in ihrem Pflegeheim im ehemaligen Waisenhaus Laufgraben 37. Ihre restlichen Möbel wurden zusammen mit denen ihrer Wirtin und anderer Bewohner zur Versteigerung gegeben. Zur Deckung der Pflegekosten reichte Anna Loewys Pension. Als die jüdische Gemeinde 1942 das Pflegeheim am Laufgraben aufgeben musste, quartierte sie Anna Loewy in dem dann als Pflegeheim eingerichteten Haus Beneckestraße 6 ein. Ihre restlichen Ersparnisse wurden für den "Heimeinkaufsvertrag" in das "Altenheim in Theresienstadt" eingesetzt. Trotz eines ärztlichen Gutachtens vom 2. Mai 1943, das ihr hochgradige Altersschwäche attestierte, zwei nicht ausgeheilte Schlaganfälle, Herz- und Kreislaufprobleme und Inkontinenz, wurde sie am 23. Juni 1943 in das "Altersgetto" Theresienstadt deportiert. Dort lebte sie noch fast ein Jahr, bevor sie am 31. Mai 1944 im Alter von 83 Jahren starb.

"Mög’ der Himmel dir dein Werk vergelten,
Möge er dich segnen immerdar!
Und dass du viel Freude noch erlebest,
Wünscht dir herzlich deine Kinderschar."

Als Anna Loewys Schülerinnen ihr diese Wünsche bei ihrem 40-jährigen Dienstjubiläum mit auf den Weg gaben, konnte sich niemand vorstellen, wie dieser Weg einmal aussehen und enden würde.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: 1, 4, 5, 7, 9; AB; StaH 332-5 Standesämter 7207-1319/1938, 362-6/11; 552-1 Jüdische Gemeinden 992 d Bd. 21 Steuerakten, 992 n Fürsorgeakten der Jüdischen Gemeinden Bd. 21; Verzeichnis der Hamburger Volksschullehrer und -lehrerinnen 1896–1915; Hamburgisches Lehrerverzeichnis 1920–1939.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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