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Bereits verlegte Stolpersteine



Hermann Sommer * 1892

Goethestraße 37 ggü. ehemals Nr. 20 (Altona, Altona-Altstadt)


HIER WOHNTE
HERMANN SOMMER
JG. 1892
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Goethestraße 37 ggü. ehemals Nr. 20:
Jeanette Sommer, Carla Sommer, Rita Sommer

Carla Sommer, geb. am 26.3.1923, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, ermordet
Hermann Sommer, geb. am 12.1.1892, Haft in Sachsenhausen vom 10.11. bis 17.12.1938, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, ermordet
Jeanette Sommer, geb. Pinkusson, geb. am 16.5.1894, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, ermordet
Rita Sommer, geb. am 17.2.1922, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, ermordet

Goethestraße 37 (gegenüber ehemals Nr. 20)

Hermann Sommer lebte seit seiner Geburt in Altona, wo er am 12. Januar 1892 zur Welt gekommen war; seine Eltern waren Salomon und Auguste Sommer, geb. Koppel. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat; ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I kehrte er 1918 vom Fronteinsatz zurück.

Zwei Jahre später heiratete er in Altona Jeanette Josefa Pinkusson, die am 16. Mai 1894 in Emden bei Hannover geboren war. Die gelernte Dentistin gab ihren Beruf nach der Heirat auf. Das Ehepaar bekam zwei Töchter; am 17. Februar 1922 wurde Rita geboren, am 26. März 1923 Carla.

Herrmann Sommer hatte eine kaufmännische Ausbildung durchlaufen und war nach dem Krieg als Grossist für Manschettenknöpfe tätig. Später arbeitete er als Buchhalter bei Gotthold und Co, Neumetalle, in der Hovestraße 45 in Hamburg.

Familie Sommer wohnte bis 1935 im zweiten Stock der Reichenstraße 14 in der Altonaer Altstadt, eingebunden in die Altonaer Jüdische Gemeinde.

Miriam Gillis-Carlebach, die Tochter des Altonaer Oberrabbiners, war mit den Töchtern bekannt: "Die Familie Sommer kannte ich ganz gut, denn Rita Sommer war in meiner Klasse und manchmal besuchte ich sie als meine Schulfreundin. Sie war sehr groß und sehr, sehr dünn und musste, eines krummen Rückens wegen, einen ‚Geradehalter‘ tragen. In der Schule war es nicht einfach für sie. Clara war jünger, ich erinnere sie als hübsches Mädchen mit weichen Gesichtszügen. Ich erinnere mich an die einfache Wohnung der Sommers, besonders an das Esszimmer mit einem Plüsch-Sofa. Ich besuchte die beiden Freundinnen, als der ‚Altonaer Blutsonntag‘ ausbrach. Die Sommers erlaubten mir nicht durch die unruhigen Straßen nach Hause zu gehen. Heimlich guckte ich aus dem Fenster und sah eine ‚Steine-Werfen-Schlacht‘."

In dem Arbeiterviertel an der Grenze zu St. Pauli kam es am 17. Juli 1932 zu blutigen Unruhen, als die SA einen polizeilich geschützten Propagandamarsch durch das "Rote Altona" organisierte und auf den Widerstand kommunistischer Häuserschutzstaffeln stieß. Ein halbes Jahr später kamen die Nationalsozialisten an die Macht.

1936 bewohnte Familie Sommer eine Erdgeschosswohnung in der Goethestraße 20 in der Altonaer Altstadt. Im Herbst desselben Jahres zog sie erneut um, in eine Parterrewohnung der Sonninstraße 16 (heute Biernatzkistraße), in ein jüdisches Wohnstift mit Freiwohnungen für jüdische Familien, im Besitz der Salomon Joseph und Marianne Hertz-Stiftung.

Hermann Sommer hatte 1938 eine Halbtagsstelle als Buchhalter bei der Firma Schulz am Steindamm in Hamburg und half stundenweise bei anderen Firmen aus. Für Menschen jüdischer Herkunft wurde es immer schwieriger, Arbeit zu finden. Zeitweise oder zusätzlich bezog er Arbeitslosenunterstützung.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden jüdische Geschäfte und Gebetsstuben demoliert, jüdische Familien terrorisiert, die Altonaer Synagoge wurde verwüstet. Diese Ausschreitungen, bis dahin Höhepunkt anti-jüdischer Gewaltanwendung, waren zentral organisiert. In Hamburg wurden auf Anweisungen zwischen 800 und 1000 jüdische Männer verhaftet. Auch Hermann Sommer wurde in "Schutzhaft" genommen und ins KZ Sachsenhausen transportiert, wo er vom 10. November bis 17. Dezember 1938 einsaß, bei seiner Aufnahme verzeichnet in der Häftlingskategorie "Jude". Die Häftlinge wurden gedemütigt, misshandelt und mussten stundenlanges Appellstehen in der Winterkälte aushalten. Die Haft im Konzentrationslager sollte die jüdische Bevölkerung zur Emigration zwingen. Deswegen kamen die meisten nach einigen Wochen wieder frei, oft mit der Auflage, Deutschland zu verlassen. Viele litten nach der Entlassung physisch und psychisch an den Haftfolgen.

Für Familie Sommer bedeutete die Haftzeit des Familienernährers auch einen finanziellen Einbruch. Jeanette Sommer musste bei der Wohlfahrtsstelle Altona im Namen ihres Mannes laufende Unterstützung beantragen. Der Israelitische Humanitäre Frauenverein Altona befürwortete in einem Schreiben vom 18. November 1938 an das Wohlfahrtsamt Altona Hilfeleistungen für die Familie:
"Frau Jeanette Sommer hat bisher von der Arbeitslosenunterstützung ihres Mannes gelebt. Der Mann ist wie viele andere am 10. ds. Mts. in Vorbeugungshaft genommen worden. Die Frau und ihre beiden Töchter, die ebenfalls durch ,Arisierung‘ der Geschäfte ihre Stellungen verloren haben, sind ohne jedes Einkommen. Es gibt z. Zt. auch für die beiden Mädchen keine Verdienstmöglichkeit, da in jüdischen Haushaltungen z. Zt. keine Mädchen unterzubringen sind. Wir bitten Frau Sommer und ihre Kinder solange unterstützen zu wollen, bis der Mann wieder im Hause ist. Die Verhältnisse sind besonders traurig, weil Frau Sommer selbst leidend ist, und ihre Tochter infolge eines Unfalls schon seit Wochen im Krankenhaus liegt."

Die sechzehnjährige Rita befand sich seit drei Wochen im Israelitischen Krankenhaus. Sie und ihre Schwester Carla waren Schülerinnen in einem Ausbildungskurs für Kinderpflegerinnen und Hausgehilfinnen im jüdischen Kindergarten Johnsallee, ohne Gehalt zu beziehen.

Im Aufnahmebogen des Fürsorgeamtes wurden die Einträge "fremdrassig: ja" und "Religionsbekenntnis: mosaisch" rot unterstrichen. Das Amt vermerkte, die Familie sei ohne Vermögen und Jeanette Sommer "angeblich kränklich". Ein ärztliches Gutachten bescheinigte Jeanette Sommer, dass Knie und Hüftgelenke beeinträchtigt seien und wegen Gehbehinderung eine Arbeit nur im Sitzen möglich sei. Für die Vermittlung des Arbeitsamts sei sie deswegen nicht geeignet.

Das Wohlfahrtsamt notierte: "Frau Sommer und ihre Tochter Carla bewohnen die Wohnung jetzt alleine, der Ehemann befindet sich in Schutzhaft, die Tochter Rita im Krankenhaus. Die Miete für die Stiftswohnung beträgt Rm. 20.- mtl. 3 Zimmer und Küche. […] Frau S. und ihre Tochter Carla sind jetzt mittellos ohne Einkommen."

Die Wohlfahrtsstelle bewilligte ab Dezember 1938 36 Reichsmark (RM) für die Familie. Jeanette Sommer musste der Aufforderung folgen, sich bei der Nähschule Rosenallee fünf Tage wöchentlich zur Pflichtarbeit einzufinden.

Am 17. Dezember 1938 kam Hermann Sommer aus der Haft frei. Im Februar 1939 stellte die Wohlfahrtsstelle Hamburg-Altona rückwirkend ab 25. Dezember die Unterstützung ein wegen "Beendigung der Hilfsbedürftigkeit" und forderte Hermann Sommer auf, die Kosten zu erstatten. Der Familienvater bat im März 1939 darum, ihm die Rückzahlung zu erlassen, weil er sich in "Schutzhaft" befunden habe und nun von einem Verdienst von monatlich 135 RM eine vierköpfige Familie unterhalten müsse.

Mit dem amtlichen Vermerk: "Erstattung der Kosten ist zur Zeit nicht zu erwarten" ließ man die Angelegenheit auf sich beruhen.

1939 fand Hermann Sommer halbtags Beschäftigung bei dem "Rechtskonsulenten" Hugo Möller; der jüdische Rechtanwalt durfte unter dieser Bezeichnung ausschließlich für jüdische Klienten tätig sein. Rita besuchte einen Schneiderkurs des Jüdischen Religionsverbandes, der die Kosten trug. Carla war in einem Haushalt angestellt.

Das Haus Sonninstraße 16 wurde Anfang der 1940er Jahre, als die jüdische Bevölkerung zunehmend gettoisiert wurde, als "Judenhaus" genutzt. Dort erhielt die Familie den "Evakuierungsbefehl". Hermann und Jeanette Sommer wurden am 8. November 1941 zusammen mit den Töchtern Rita und Carla ins Getto von Minsk deportiert, der von der deutschen Wehrmacht besetzten Hauptstadt Weißrusslands. Der Transport umfasste 968 Menschen, von denen 952 ums Leben kamen. Viele starben an Hunger, Kälte und Infektionskrankheiten. Bei Massakern am 8. Mai und 14. September 1943 während der Auflösung des Gettos wurden fast alle verbliebenen Gettobewohner und -bewohnerinnen ermordet. Von der Familie Sommer kehrte niemand zurück.

Hedwig Goldschmidt, geb. Pinkusson, Schwester von Jeanette Sommer, die mit ihrem Mann Hermann Goldschmidt und den drei Kindern 1939 nach Holland fliehen und 1940 von Rotterdam nach New York auswandern konnte, bezeugte 1985 auf Gedenkblättern bei der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel das Schicksal ihrer Verwandten.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 2 (R 1938/28164); 5; 8, StaH 5221 Jüdische Gemeinden, 992 e 2 Band 2 (Deportationsliste Minsk 8.11.1941); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 13132 (Goldschmidt, Hermann); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge – Sonderakten, 1842 (Sommer, Hermann); AB Altona; Auskunft von Miriam Gillis Carlebach, Oktober 2013; Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten/Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, D 1 A/1020, Bl. 520, Auskunft zu Hermann Sommer, 8.11.2013.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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