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Bereits verlegte Stolpersteine



Erich Kistner
© Ev. Stiftung Alsterdorf

Erich Kistner * 1935

Legienstraße 113 (Hamburg-Mitte, Horn)


HIER WOHNTE
ERICH KISTNER
JG. 1935
DEPORTIERT 7.8.1943
’HEILANSTALT’
KALMENHOF/IDSTEIN
ERMORDET 21.8.1943

Erich Kistner, geb. 7.5.1935 in Hamburg, ermordet am 21.8.1943 in der "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein/Taunus

Legienstraße 113

Erich Kistner wurde nur acht Jahre alt. Er kam am 7. Mai 1935 als letztes von drei Kindern seiner Eltern Walter Kistner und Gertrud, geb. Böttcher, im Marienkrankenhaus in Hohenfelde zur Welt und zeigte zunächst keine Auffälligkeiten, außer, dass er bereits mit drei Monaten Zähne bekam. Mit zwei Jahren erlitt er erstmals Krampfanfälle. Ein halbes Jahr später begann er zu laufen und einzelne Worte zu sprechen. Die Krampfanfälle häuften sich, von einmal alle vier bis acht Wochen auf täglich bis mehrfach täglich. Anfang Juni 1939, Erich war inzwischen vier Jahre alt, brachte Gertrud Kistner ihren Sohn in die Nervenklinik Friedrichsberg. Mit einem Gewicht von 15 kg bei einer Größe von 108 cm lag er gewichtsmäßig unter dem Durchschnitt. Nach nur wenigen Tagen der Beobachtung wurde Erich Kistner am 12. Juni mit der Diagnose "Jugendliche Epilepsie" in die damaligen Alsterdorfer Anstalten verlegt. Für die Kosten kam bis zu seiner Aussteuerung die Betriebskrankenkasse der Hapag auf, wo Walter Kistner als Schlosser arbeitete. Über Weihnachten durfte Erich Kistner nach Hause. Die Hamburger Sozialverwaltung erkannte am 29. De­­­zember 1939 die Anstaltsbedürftigkeit des Kindes bis zum 1. Ok­tober 1945 an. Zu einer Verlängerung der Kostenübernahme kam es nicht mehr.

Erich Kistner erhielt gegen die Anfälle gering dosiertes Luminal, was die Krämpfe aber nicht unterdrückte. Sie wurden durch Schreie und Zuckungen auf der rechten Körperseite eingeleitet und gingen in Schlaf oder einen neuen Anfall über. Nach zwei Monaten hörten die Anfälle auf. Erich machte Fortschritte beim Gehen, warf mit Spielzeug, statt damit zu spielen, und verletzte gelegent­lich Mitpatienten durch Kratzen und Bisse. Er lernte, selbstständig mit dem Löffel zu essen und trocken zu bleiben. Sein Wortschatz blieb klein. Da er unter zunehmendem Schwindel litt, musste er oft das Bett hüten. Eine Umstellung von Luminal auf Glyboral führte zu keiner dauerhaften Verbesserung seines Zustands. Erich wurde völlig pflegebedürftig und mit sieben Jahren im Männerbereich der Anstalt untergebracht. Anfang 1943 erlebte er nur noch kurze Anfälle, stand aber gar nicht mehr auf, aß nur Brot und Kartoffelbrei, zerriss mit den Zähnen Bett- und Leibwäsche und wehrte sich gegen die Körperpflege. Als im August 1943 wegen der Überfüllung und Beschädigung der Anstalt infolge der Luftangriffe Bewohner für den Abtrans­port in andere Heil- und Pflegeanstalten ausgewählt wurden, gehörte Erich Kistner zum ersten Transport, der am 7. des Monats in die "Heil- und Pflege­anstalt Kalmenhof" bei Idstein im Taunus ging. Dort wurde er nach nur zwei Wochen Auf­ent­halt am 21. August 1943 ermordet.

© Initiative Stolpersteine in Hamburg-Billstedt

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 61; Jenner, Meldebögen, in: Wunder/Genkel/Jenner (Hrsg.), Ebene; Wunder, Abtransporte, in: Wunder/Genkel/Jenner (Hrsg.), Ebene; ders., Exodus, ebd.; www.hessen.de.

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