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Bereits verlegte Stolpersteine



Carl Stuhr * 1912

Scheideweg 13 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
CARL STUHR
JG. 1912
MEHRMALS VERHAFTET
ZULETZT 1941
KZ FUHLSBÜTTEL
"FRONTBEWÄHRUNG"
TOT 2.2.1943
LAZARETT LEIPZIG

Carl Fritz Theodor Stuhr, geb. am 20.8.1912 in Hamburg, gestorben am 2.2.1943 im Reserve-Lazarett in Leipzig

Scheideweg 13

Die Denunziation eines 18-jährigen dänischen Arbeitsfreiwilligen der Kakao- und Schokoladenfabrik C. H. L. Gartmann in Bahrenfeld bezüglich seiner homosexuellen Arbeitskameraden Fiete Raudies und Carl Stuhr als "pervers" und "warm" führte Ende Mai 1941 zu deren Verhaftung und letztlich zu deren beider Tod: Den 1899 geborene Gelegenheitsarbeiter Fritz Raudies trieb es am 6. November 1941 im Strafgefängnis Wolfenbüttel in den Selbstmord (vgl. Stolpersteine in Hamburg-St. Georg, Stiftstraße 68) und Carl Stuhr musste sich unmittelbar nach der Strafhaft an der Front "bewähren" und starb am 2.6.1943 in einem Reservelazarett in Leipzig.

Carl Stuhr kam 1912 in Hamburg als Sohn des selbstständigen Tapezierers Fritz Stuhr und der Meta, geb. Vooth, zur Welt. Er hatte einen älteren Bruder, der sich später nach Herford verheiratete. Nach der Schulentlassung aus der 1. Klasse der Volksschule besuchte Carl Stuhr von 1929 bis 1931 für zwei Jahre das Konservatorium in Hamburg, um Musiker zu werden, brach diese Ausbildung aber als aussichtslos zum Broterwerb ab. Bis 1935 war er dann ohne Beschäftigung und arbeitete ab 1933 ehrenamtlich bei der HJ. In seiner Freizeit wandte er sich dem Segelflugsport zu und fuhr auf dem Isebekkanal mit einem Boot. Seit August 1935 bis zu seiner Festnahme am 31. Mai 1941 hatte er eine Beschäftigung beim Arbeitsamt in der Dienststelle Raboisen. Dort bescheinigte man ihm nach Bekanntwerden seiner homosexuellen "Vergehen" zwar weiterhin, dass er die ihm übertragenen Arbeiten "immer" zur Zufriedenheit seines Vorgesetzten ausgeführt hätte, beschrieb ihn aber auch sogleich stereotyp als nach "Auftreten und charakterlicher Veranlagung einen weichlichen und geschmeidigen Eindruck" machend.

1937 ist Carl Stuhr nach eigener Aussage erstmals wegen homosexueller Handlungen in das Blickfeld der Gestapo geraten. Wahrscheinlich ist er mit dem "Schutzhäftling Carl E. Stuhr" identisch, der vom 16. April bis 10. Mai 1937 im KZ Fuhlsbüttel in Haft war. Das Verfahren gegen ihn gelangte seinerzeit zur Einstellung, weil die zugegebenen Vorfälle verjährt gewesen seien. Auch die Mitgliedschaft in der HJ ruhte seinerzeit, durfte aber wieder fortgeführt werden.

Der neuerliche Vorwurf, ausgelöst durch die Bemerkungen des Dänen, war banal: Carl Stuhr, der diesem jungen Ausländer nach der Vermittlung auf dem Arbeitsamt aus Sympathie auch eine bessere Unterkunft besorgte, sich mit ihm anfreundete und ihm sowohl etwas Geld schenkte als auch lieh, habe ihn bei Besuchen in seiner Wohnung auf dem Sofa angefasst. Er hätte dann bemerkt, dass Carl Stuhr "warm und pervers" gewesen sei. Die Kriminalpolizei wertete dies als "versuchtes Verbrechen nach § 175a StGB", weil der Däne erst 18 Jahre alt war. Zudem sahen sie in ihm den "Typ eines Homosexuellen, obwohl er angibt, normal­geschlechtlich zu sein". Es folgten intensive Verhöre, zu denen protokolliert wurde: "Der Beschuldigte ... konnte sich jedoch auf wiederholten Vorhalt nicht entschließen, sich zur Wahrheit zu bekennen". Um an diese "Wahrheiten" mit mehr Nachdruck zu gelangen, wurde er vom 4. bis 13. Juni 1941 ein zweites Mal in seinem Leben in das KZ Fuhlsbüttel überstellt. Gleichwohl gab Carl Stuhr weitere Vorkommnisse nicht zu und hatte wahrscheinlich wirklich keine weiteren homosexuellen Erlebnisse gehabt. Er wurde dann am 13. Juni 1941 in das Untersuchungsgefängnis überstellt und es wurden über ihn Gutachten der Ermittlungshilfe der Strafrechtspflege als auch des Gerichtsärztlichen Dienstes angefertigt. Der Medizinalrat Rolf Schwarke wertete die kaum nennenswerten Vorkommnisse im Sinne der inzwischen angestrengten Anklage als "Versuche homosexueller Betätigung". Aufgrund dessen wurde er im Oktober 1941 vom Amtsgericht auch verurteilt, wenn auch nur nach dem "einfachen" § 175 zu knapp fünf Monaten Gefängnishaft, die mit der Untersuchungshaft abgegolten waren.

Der bereits mit dem Beginn seiner Inhaftierung vorgelegene Einberufungsbefehl der Wehrmacht zum 2. Juni 1941 lebte, trotz Unterrichtung seines Wehrbereichskommandos von den Hintergründen seines Fernbleibens, nach seiner Haftentlassung für den nunmehr vorbestraften "175er" wieder auf. Aus diesem Kriegseinsatz als Gefreiter der 13. Kompanie des Infanterie-Regiments 90 kehrte Carl Stuhr nicht zurück. Vor seinem Elternhaus am Scheideweg 13 erinnert ein Stolperstein an sein Schicksal.

© Ulf Bollmann

Quellen: StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 b; 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 3715/42; 331-1 II Polizeibehörde II, Ablieferung 15 Band 1; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 1998/1; 332-5, 9939 (Eintragung Nr. 944).

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