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Henriette Weiss (geborene Goldschmidt) * 1860

Eilbeker Weg Ecke Kantstraße (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
HENRIETTE WEISS
GEB. GOLDSCHMIDT
JG. 1860
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 19.10.1942

Henriette Weiss, geb. Goldschmidt, geb. am 28.8.1860 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 9.10.1942

Eilbeker Weg/Südost-Ecke Kantstraße (Eilbeker Weg 158)

Henriette Goldschmidt heiratete am 10. April 1883 in Hamburg den Metallarbeiter, Goldarbeiter und Klempnermeister Ignatz Weiss, geboren am 23. Juli 1857 als unehelicher Sohn von Eleonara Weiss in Prag. Wann Ignatz Weiss nach Ottensen kam, ist nicht bekannt. Er besaß die österreichische Staatsangehörigkeit und erhielt nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie infolge des Ersten Weltkriegs 1919 einen tschechoslowakischen Pass. Dass er sich je um die Einbürgerung nach Hamburg bemüht hätte, ist nicht bekannt. Henriette Weiss behielt die hamburgische und später die deutsche Staatsangehörigkeit bei. Beide gehörten der jüdischen Religion an.

Henriettes Vater Michel Beer Goldschmidt erlebte die Heirat seiner Tochter nicht mehr, er war 1875 gestorben. Henriette Goldschmidts Mutter Bertha, geborene Levin, überlebte ihren Mann um fast 30 Jahre und starb 1903.

Henriette, geboren am 28. August 1860 in Hamburg, wuchs mit ihrem ein Jahr älteren Bruder Gustav in der Hamburger Neustadt auf.

Beide wurden in der Straße Thielbeck 5 am Großneumarkt geboren, wo ihr Vater ein Geschäft in Galanterie- und Kurzwaren betrieb. Als die Geschäfts- und Wohnräume nicht mehr ausreichten, richtete Michel Goldschmidt das Lager am Alten Steinweg ein und vereinigte 1870 wieder Wohnung und Geschäft in der Wexstraße 42. Gustav Goldschmidt erhielt eine Ausbildung als Kaufmann, von Henriettes Werdegang ist nichts bekannt. Die Geschwister waren 16 und 15 Jahre alt, als ihr Vater starb. Bertha Goldschmidt, mit 43 Jahren verwitwet, machte sich nun am Valentinskamp 83 mit einem Lager für Betten, Federn und Daunen selbstständig, betrieb kurzzeitig ein zweites Geschäft auf der Reeperbahn 83 und führte es in der neustädtischen Neustraße 92 fort. Dort wohnte sie auch mit ihren Kindern, als ihre Tochter Henriette 1883 Ignatz Weiss heiratete.

Am 2. Februar 1884 brachte Henriette Weiss in der Großen Brunnenstraße 87 in Ottensen den Sohn Max zur Welt. Er blieb ihr einziges Kind. Die Familie zog von Ottensen nach Hamburg. In der Carolinenstraße 21 ließ sich Ignatz Weiss als Klempner nieder, allerdings nicht für lange Zeit. Um 1890 siedelten die Weiss’ nach Eilbek über. Ignatz Weiss verbrachte fast sein ganzes späteres Leben im Raum Barmbek-Eilbek. 1903 eröffnete er eine Blechspielwarenfabrik in der Heitmannstraße, 1905 ein Hausstandswarengeschäft in der Desenißstraße, das er im Eilbeker Weg 158 weiterführte.

Henriette und Ignatz Weiss gestatteten ihrem Sohn Max, seinen künstlerischen Neigungen nachzugehen. Er besuchte die Kunstgewerbeschule und wurde Maler und Graphiker, betätigte sich aber auch handwerklich. Als er 1912 heiratete, war er Malergeselle und wohnte nicht mehr im Elternhaus. Seine Frau Wilhelmine, geborene Schuchardt, die Tochter des Schuhmachers Christoph Schuchardt aus der Langen Reihe und seiner Ehefrau Wilhelmine, geborene Felscher, bezeichnete sich als glaubenslos. Am 2. Dezember 1912 kam Henriettes erstes Enkelkind, Leonore, Tochter von Max und Wilhelmine Weiss, zur Welt. Vier Jahre später wurde Elisabeth und als Nachkömmling am 19. Juli 1924 Max Otto geboren. Die Geburt seines Enkels Max Otto erlebte Ignatz Weiss nicht mehr.

1922 hatte Ignatz Weiss sein Geschäft aufgegeben und bei der Jüdischen Gemeinde um Aufnahme in einem Altenstift gebeten. Ob er im Lazarus Gumpel-Stift in der Schlachterstraße 46 oder im Altenheim in der Schäferkampsallee 29 unterkam, geht aus den Unterlagen nicht eindeutig hervor. Am 2. April 1923 starb er im Israelitischen Krankenhaus und wurde auf dem jüdischen Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Er starb als tschechoslowakischer Staatsbürger. Ignatz Weiss’ Krankheit und Tod fielen in die Inflationszeit. Als Witwe war Henriette Weiss mit 63 Jahren, anders als seinerzeit ihre Mutter, nicht zu einem beruflichen Neuanfang in der Lage. Sie lebte von der Unterstützung durch die Wohlfahrt und durch ihren Bruder Gustav Goldschmidt, der es als Lotteriekollektor zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte. Er starb schon 1928.

Obwohl verwitwet und ohne eigenes Einkommen, konnte Henriette Weiss ihren Lebensstandard beibehalten. Sie war nicht gezwungen, die Wohnungseinrichtung, das Grammophon und ihre Schallplatten oder ihren Schmuck zu verkaufen. Der Beginn der NS-Herrschaft berührte sie, die inzwischen 72 Jahre alt war, und ihren Sohn Max zunächst wenig. Als ihre Enkelin Leonore 1937 nach Kopenhagen umzog, hatte das eher persönliche als politische Gründe.

Max Weiss verlor das Recht auf Ausübung seines Berufes, der ihm und seiner Familie ein gutes Auskommen gesichert hatte, mit dem Novemberpogrom 1938. Nach einem Jahr Erwerbslosigkeit fand er eine Anstellung als Dekorationsmaler bei der Firma Fritz Altenburg, die er bis zum 21. November 1941 behielt. Danach verpflichtete ihn die Gestapo über den Leiter des jüdischen Arbeitseinsatzes, Willibald Schallert, zur Zwangsarbeit bei der Firma Christian Klood.

Ein halbes Jahr später wurde Henriette Weiss deportiert. Die Aufforderung zum Transport am 19. Juli 1942, dem zweiten innerhalb von vier Tagen in das "Altersgetto" von Theresienstadt, erreichte sie in ihrer Unterkunft, dem Lazarus Gumpel-Stift in der Schlachterstraße 46.
Unter Hinterlassung ihrer gesamten Zimmereinrichtung, ihres Schmucks und ihres Sparkassenbuchs trat sie den Transport mit insgesamt 770 weiteren betagten Personen an. Im Getto starb sie laut Todesfallanzeige am 9. Oktober 1942 im Alter von 82 Jahren. Das Hamburger Gedenkbuch und das Bundesgedenkbuch enthalten als Todestag den 19. Oktober 1942, das Theresienstädter Gedenkbuch den 18. Oktober 1942. Nur zwei Angehörige des Transports erlebten die Befreiung.

Zweieinhalb Jahre später wurde Max Weiss aus seinem Arbeitseinsatz heraus ebenfalls nach Theresienstadt deportiert. Am 14. Februar 1945 verließ ein Transport Hamburg mit 194 Personen, die entweder "Geltungsjuden" waren oder in so genannten Mischehen lebten, zu einem vorgeblichen Arbeitseinsatz im Getto von Theresienstadt. Dank der Befreiung des Gettos durch die Rote Armee überlebten 190 von ihnen, darunter Max Weiss. Er kehrte am 30. Juni 1945 nach Hamburg zurück.

Henriette Weiss’ Nichte Paula, die Tochter ihres Bruders Gustav Goldschmidt, war mit dem Bankbeamten Otto Sussmann verheiratet. Er verlor bereits am 31. August 1938 seine Anstellung beim Bankhaus Warburg und wurde drei Monate später im Zuge des Pogroms im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Otto Sussmann starb am 10. Dezember 1938 im KZ Sachsenhausen. Seine Ehefrau Paula emigrierte mit den Kindern am 1. Dezember 1938 in die USA.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: 1, 4, 5, 7, 9; AB; StaH 332-5 Standesämter 2654-300/1883; 7962-40/1903; 870-178/1923; 6157-78/1884; 8093-209/1928; 8097-134/1929; 8227-357/1954; 8550-60/1891; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 6990, 17350; 552-1 Jüdische Gemeinden 696 e Geburtsregister Nr. 172, 992 e 2 Deportationslisten, Bd. 5.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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