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Bereits verlegte Stolpersteine



Walther Henry Specht * 1884

Maria-Louisen-Straße 2 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
WALTHER HENRY
SPECHT
JG. 1884
FLUCHT HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
SOBIBOR
ERMORDET 3.7.1943

Weitere Stolpersteine in Maria-Louisen-Straße 2:
Clara Nordheim, Moritz Nordheim, Herbert Gustav Specht

Walther Specht, geb. 26.6.1884 in Hamburg, deportiert 1943 aus dem Lager Drancy in die Vernichtungslager Maidanek und Sobibor, ermordet 7.3.1943

Maria-Louisen-Straße 2 (Winterhude)

Walther Henry Specht wurde am 26. Juni 1884 in Hamburg-Eimsbüttel zusammen mit seiner Zwillingsschwester Irma in der Wohnung Fruchtallee 1 geboren. Vierzehn Monate vor ihnen war der Bruder Reinhold Specht (geb. 7.4.1883 in Hamburg) geboren worden. Die Eltern August (genannt Gustav) Specht (1851-1918) und Henriette Gitel Specht, geb. Hirsch (1857-1884), hatten im Juli 1882 in Hamburg geheiratet. Im Dezember 1882 erwarb August Specht das Hamburger Bürgerrecht und auch die deutsche Staatsangehörigkeit (statt der bisherigen ungarischen). Dafür musste er Leumundszeugnisse einreichen, die er von Rechtsanwalt Julius Segalla und Kaufmann Martin Lassally (Lassally & Sohn, Kaffee- u. Warenkommissionäre) erhielt.
Die aus Hamburg gebürtige Ehefrau Henriette, Tochter des Kaufmanns und Hamburger Bürgers Samuel Hirsch (1829-1905) und Adele, geb. Danziger (1834-1910), starb zwei Monate nach der Geburt der Zwillinge und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.

Der aus dem damals ungarischen Weinanbaugebiet Werschetz/ Versec im Banat (Komitat Temes) stammende Vater August Specht, war der Sohn des Weinhändlers Josef Specht (1822-1888) und dessen Ehefrau Rosa, geb. Deutsch (1825-1905), die seit 1878 in Wien lebten und dort auch auf dem Zentralfriedhof "Israelitische Abteilung" beerdigt wurden. August (Gustav) Specht hatte sechs Geschwister, drei Brüder (Ladislaus Specht 1847-1932, Hugo Specht, Emil Specht 1866-1942?) und drei Schwestern (Hyazinte Hirsch, geb. Specht, Gisela Hirsch, geb. Specht geb. 1854, Sidonie "Siddy" Schenk, geb. Specht).

August Specht war 1880 nach Hamburg gezogen und hatte noch im selben Jahr einen Gewerbeschein beantragt. 1881 war er als Mitinhaber in das kurz zuvor gegründete Unternehmen "Colonialwaaren en gros" Hirsch & Co. (Catharinenstraße 16 I. Stock) eingetreten. Firmengründer war sein in Cservenka in Ungarn gebürtiger Schwager und ab 1888 Hamburger Bürger Josef Hirsch (1845-1892, verheiratet seit 1873 mit Gisel(l)a Specht, geb. 9.6.1854 in Werschetz). August Specht bürgte auch für Josef Hirsch, als dieser zwei Bürgen für seine Einbürgerung vorweisen musste. Das Unternehmen weitete ab 1883 seinen Großhandel auch auf Tee aus und verlegte 1888 seine Geschäftsräume in das gerade erst fertig gestellte Freihafengebiet (Pickhuben 1).

August Specht reiste auch für die Firma: 1886 beantragte er einen Reisepass für Skandinavien, der ein Jahr gültig war. Auch 1887 erhielt er einen Pass für Fahrten ins Ausland, die vermutlich ebenfalls geschäftlich waren, im Passprotokoll wurde aber diesmal kein Ländername vermerkt. 1889 wechselte August Specht die Branche und wurde mit 38 Jahren Mitinhaber des Bankgeschäfts Hermann Hamberg.

August Specht hatte 1891 in zweiter Ehe die aus Altona gebürtige Regina Liepmann (1861-1921) geheiratet; ihr gemeinsamer Sohn Arthur Joseph Abraham wurde 1892 geboren. Die Familie wohnte in der Klosterallee 20 (1883-1884), Fruchtallee 1/ Eimsbüttel (1884-1885), Bogenstraße 15/ Eimsbüttel (1886-1887), Oberstraße 2/ Harvestehude (1887-1890), Wrangelstraße 51/ Hoheluft-West (1891), Hochallee 37/ Harvestehude (1892-1899), Schlüterstraße 16/ Rotherbaum (1900-1914) und Eppendorfer Landstraße 44/ Eppendorf (1914-1921).

Walther Specht besuchte in Hamburg ein Realgymnasium, das er 1902 mit der mittleren Reife abschloss. Seine kaufmännische Lehre absolvierte er in der Bankfirma Hermann Hamberg, in die sein Vater im März 1899 als Gesellschafter eingetreten war, im Januar 1910 erhielt Walther Specht dort Prokura. Seit 1913 war Walther Specht eigenständiges Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg.

Seinen einjährigen Militärdienst hatte er nicht wie geplant beim Hanseatischen Infanterie-Regiment 76 abgeleistet, da die Musterungskommission ihn als untauglich einstufte und lediglich für den "Landsturm I mit Waffe" (das letzte Aufgebot an Wehrpflichtigen) vorsah. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurde auch der Landsturm eingezogen. Sein Bruder Reinhold, der bei seiner Musterung ebenfalls dem "Landsturm I mit Waffe" zugeteilt worden war, meldete sich im August 1915 als Kriegsfreiwilliger zum Ersatzbataillon des Infanterie-Regiments 76. Sein zeitweilig als wehruntauglich eingestufter Bruder Arthur Specht war zwei Tage nach dem Kriegseintritt Deutschlands nachgemustert und einer Ausbildungseinheit zugeteilt worden.

Auch Walther Specht wird als Soldat, entweder freiwillig oder mit Einberufungsschein, in die kaiserliche Armee eingezogen worden sein. Aus der Kriegszeit verband ihn eine Freundschaft mit dem selbständigen Kohlenmakler Hubert Frensdorff (geb. 17.9.1880 in Hamburg) (wohnhaft u.a. Dez. 1938: Schlüterstraße 18 Parterre bei Max Lewin), den er im Dezember 1938 für dessen beabsichtigte Emigration nach Shanghai mit 500 RM unterstützte.

Walther Specht heiratete am 25. Februar 1922 in Hamburg Gertrud "Trude" Franck (geb. 10.7.1900 in Berlin), die Tochter des aus Gadebusch/ Mecklenburg gebürtigen Berliner Kaufmanns Hermann Franck (1856-1910) und dessen aus Breslau stammender Ehefrau Elsbeth "Else" Franck, geb. Pariser (1870-1930). Der Vater wurde 1910 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee bestattet, die Mutter 1930 in Hamburg auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf beerdigt.

Die Braut hatte 1919 am Realgymnasium das Abitur abgelegt und kurzzeitig im Springer-Verlag in Berlin gearbeitet. Walther und Gertrud Specht bekamen zwei Söhne: Herbert Gustav (geb. 3.9.1923 in Hamburg) und Edgar (geb. 2.10.1926 in Hamburg). Edgar besuchte ab April 1933 die Bertram’sche Vorschule für Knaben (Esplanade 42), die die Schüler nach vier Jahren verließen, um auf ein Gymnasium zu wechseln. Herbert Specht besuchte diese Schule bereits seit Frühjahr 1930.

Die Wohnadressen der Familie lauteten Eppendorfer Landstraße 44 Hochparterre/ Eppendorf (1922-1932) und Maria-Louisen-Straße 2 I. Stock/ Winterhude (1933-1935). Für die letztgenannte Wohnung sorgten zwei Hausangestellte. Die Wohnadressen deuten auf großzügige Wohnungen mit gehobener Ausstattung hin – wo die Einrichtungsgegenstände geblieben sind, lässt sich den nachträglich erstellten Entschädigungsakten nicht entnehmen. So erwarb Walther Specht nachweislich im September 1926 bei der "Commeter’schen Kunsthandlung (Wilhelm Suhr), Hamburg, Hermannstraße 37 (Commeterhaus)" zwei Ölgemälde für zusammen 2.500 RM: von dem französischen Maler Maurice Utrillo "Straße mit Kirche" sowie ein Landschaftsbild des französischen Impressionisten Frédéric Cordey.

Walther Spechts Schwester Irma Specht (1884-1953) heiratete 1914 den Kaufmann Julius Philip (geb. 18.5.1877 in Hamburg). Der Bruder Reinhold Specht (1883-1953) heiratete (1936 ?) Frieda de Beer (geb. 18.7.1900 in Emden), die im Mai 1936 von Oldenburg (Oldenburg) nach Hamburg in die Brahmsallee 25 II. Stock gezogen war.

Seit August 1923 war Walther Specht alleiniger Inhaber des Bankgeschäfts Hermann Hamberg (Gutruf-Haus, Neuer Wall 10, III. Stock). Er verließ 1935 das Bankgeschäft mit seiner Einlage von rund 400.000 Reichsmark und emigrierte am 29. Dezember 1935 mit Frau und Söhnen in die Niederlande. Die staatlichen Stellen NS-Deutschlands beraubten ihn mit dem äußerlichen rechtmäßigen Anschein um über die Hälfte des Vermögens (Reichsfluchtsteuer 100.000 RM, Transferverluste in die Niederlande 102.000 RM, Judenvermögensabgabe 14.500 RM).

Das Bankgeschäft Hamberg wurde im Januar 1936 in eine oHG (offene Handelsgesellschaft) umgewandelt, in die als Gesellschafter nun zusätzlich der Schwager Julius Philip aufgenommen wurde, laut Handelsregisterauszug aber auch weiterhin Walter Henry Specht eingetragen war. Ein Prüfbericht der Devisenstelle vom September 1938 kam bezüglich der Eigentums- und Beteiligungsverhältnisse zu folgender Einschätzung: "Die Gewinnverteilung erfolgt auf der Basis 20% Walter Specht und 80 % für den Gesellschafter Philip, welcher wiederum die früheren Bankiers Otto Hertmann und Erich Friedberger mit je 33 1/3 % unterbeteiligt hat, nachdem diese beiden letztgenannten Personen ihre Wertpapierkundschaft der Berichtsfirma zur Verfügung gestellt haben."

Am 20. Oktober 1938 erließ Zollsekretär Janßen gegen das Bankgeschäft Hamberg sowie deren verbliebenen Inhaber Julius Philip und dessen Ehefrau Irma Philip, geb. Specht eine "Sicherungsanordnung", wodurch deren Konten gesperrt wurden. Im Januar 1939 wurde das Bankgeschäft Hermann Hamberg im Handelsregister gelöscht. Zuletzt war auch die verunsicherte Kundschaft fortgeblieben und am 19.7.1938 hatte der NS-Staat der Bank die Eigenschaft als Devisenbank entzogen. Die Unternehmensabwicklung übernahmen der Prokurist Otto Hertmann (1890-1943) und der externe Bücherrevisor Friedrich Marquardt.

Die Inhaber des Bankgeschäfts emigrierten: Walter Specht im Dezember 1935 in die Niederlande, Erich Friedberger im März 1938 ebenfalls in die Niederlande und Julius Philip im November 1938 in die USA. Gemeinsam mit Erich Friedberger (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) reiste dessen Ehefrau Henriette "Netti" Friedberger, geb. Franck (geb. 18.6.1897 in Berlin) aus, eine Schwägerin von Walther Specht. Im November 1940 erkundigte sich die Geheime Staatspolizei/ Staatspolizeileitstelle Hamburg (Stadthausbrücke 8) bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten (Großer Burstah 31) ob Walther und Gertrud Specht noch über Vermögenswerte im Deutschen Reich verfügten, was die Devisenstelle verneinte. Ansonsten wären weitere Vermögensaneignungen aus dem Besitz von Familie Specht erfolgt.

Für die neutralen Niederlande galt 1935 noch eine visumsfreie Einreise; die Amsterdamer Fremdenpolizei verschärfte jedoch die Asylpraxis und gab ab 1935 nur noch vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen aus. Familie Specht schickte ihren Hausrat in einem großen Transportcontainer in die Niederlande. Sie bezogen ein Haus in Heemstede (Franz Schubertlaan 50) westlich von Amsterdam. Der Sohn Edgar besuchte in Heemstede die "Dreefschool (Lagere School)" und wechselte 1939 nach bestandener Aufnahmeprüfung auf das Kennemer- Lyzeum im benachbarten Overveen (Bloemendaal), das auch der ältere Sohn Herbert bis September 1940 besuchte.

Walther Specht eröffnete auch in den Niederlanden ein eigenes Bankgeschäft. Deren Einkünfte beliefen sich in den Geschäftsjahren 1936/37 auf ca. 18.000 RM (10.333 Holländische Gulden = hfl), 1937/38 auf ca. 36.000 RM (20.858 hfl), 1939/40 auf ca. 12.000 RM (6.886 hfl) und 1940/41 auf ca. 2.600 RM (1.457 hfl). Die Geschäftsadresse Heerengracht 384 in Amsterdam (u.a. Oktober 1937 bis Juli 1938) ließ er auf den Briefkopf seines Firmenpapiers drucken.

Ende 1938 wurden alle Einwanderer in den Niederlanden aufgefordert sich neue Aufenthaltsdokumente zu besorgen; die dadurch ermittelten "illegalen Einwanderer" wurden im Lager Westerbork interniert. Da Familie Specht legal in die Niederlande eingereist war und zudem noch eine größere Kapitalsumme eingeführt hatte, betraf diese Gesetzesverschärfung sie nicht. Beunruhigt durch die aggressive Expansionspolitik NS-Deutschlands bemühte sich Walther Specht jedoch, mit seiner Familie in die USA zu emigrieren; die Versuche blieben jedoch erfolglos.

Auch aus den Niederlanden unterstützten Walther und Gertrud Specht Familienangehörige und Freunde finanziell so gut es ging. Dafür mussten sie jedes Mal bei der Devisenstelle des Hamburger Oberfinanzpräsidenten eine Genehmigung einholen, damit der Betrag von ihrem in Hamburg gesperrten "Auswandererguthaben" überwiesen werden durfte. Zu den Begünstigten zählten im Zeitraum 1938 bis 1939 u.a. der Bruder Reinhold Specht, die Schwester Irma Philip mit ihrem Mann Julius Philip, Hans Philip, Schwager Erich Friedberger mit Ehefrau Henriette Friedberger und deren Kindern Gerhard Friedberger und Vera Friedberger, die Tante (?) Margarethe Tetta Pariser in Berlin-Wilmersdorf, Kriegskamerad Hubert Frensdorff in Hamburg und die Tochter eines langjährigen Freundes, Annie Rosenthal, in Berlin-Halensee. Walther Specht schickte im November 1939 aus den Niederlanden an seinen Bruder Reinhold in Hamburg ein Telegramm: "Passage bezahlt Amexco (American Express Company Anm. B.E.) drahtet Montag – Walther". Hinter den wenigen Worten des Telegramms verbarg sich die Finanzierung der Schiffspassage durch Walter Specht. Dadurch gelang Reinhold und Frieda Specht im Januar 1940 die Ausreise nach Bolivien.

Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in den Niederlanden im Mai 1940 begann nun auch hier die Judenverfolgung. Familie Specht musste ihr Haus in Heemstede Mitte September 1940 verlassen, da sie gemäß Anordnung der deutschen Besatzer als deutsche Juden nicht im küstennahen Bereich leben durften. Sie zogen nach Hilversum rund 40 km östlich ihres bisherigen Wohnorts. Aber auch von hier vertrieben sie die Besatzer – Mitte März 1942 mussten sie nach Amsterdam umziehen. Dort wohnten sie in der Noorder Amstellaan 129 II. Stock (im Mai 1946 umbenannt in Churchill-Laan 129). Auf Befehl der Besatzer durfte der Sohn Edgar ab Februar 1942 in Amsterdam nur noch die Jüdische Schule besuchen. Der ältere Sohn Herbert besuchte in Driebergen bis Anfang 1942 das "Institut für Autohändler" (gegründet 1930, heute IVA Driebergen).

Nachdem das Deutsche Reich ihnen zum 11. November 1941 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt hatte, waren sie staatenlos, eine legale Weiterwanderung war damit unmöglich geworden. Bereits beantragte Visa auf die deutschen Reisepässe waren nun plötzlich wieder ungewiss geworden. Lediglich von den wenigen nicht besetzten europäischen Häfen mit Überseeverkehr wie Marseille, Barcelona oder Lissabon aus war eine Schiffspassage mit den nun ungültigen Reisepässen denkbar. Die deutsche Besatzungsmacht führte zum 2. Mai 1942 auch in den Niederlanden das Tragen des Judensterns ein. Durch Razzien und Denunziation wurden Juden verhaftet und im Sammellager Westerbork interniert, das Anfang Juli 1942 die SS übernahm.

Spechts entschieden sich, mit Hilfe von Schleusern in die noch unbesetzte französische Südzone zu fliehen. Um die Kosten der Flucht zu bestreiten, verkaufte Walther Specht das Bild "Straße mit Kirche" von Maurice Utrillo über Oscar Juedel an einen unbekannten Käufer in den Niederlanden für 8.000 Gulden (ungefähr 5.850 RM).

Die vierköpfige Familie Specht floh mit falschen Papieren und bezahlten "Passeuren" (Schleppern) im Juli 1942 illegal durch das besetzte Belgien in das besetzte Frankreich. "Wir konnten nur gelegentlich und nur für kurze Strecken die Eisenbahn benutzen, niemals bei Überschreitung der Landesgrenzen, da unsere gefälschten Papiere einer Grenzkontrolle nicht standgehalten hätten. Wir legten grosse Strecken zu Fuss zurück und überschritten die Grenze nachts, was häufig erst nach tagelangem Warten und vielen vergeblichen Versuchen möglich war", berichtete Gertrud Specht in den 1950er Jahren im Zuge des Entschädigungsverfahrens.

Von Paris wollten sie in das noch nicht okkupierte Vichy-Frankreich flüchten. "Kurz nach Überschreiten der Demarkationslinie wurden wir von einer Patrouille angehalten", erinnerte sich Gertrud Specht. Sie wurden verhaftet und am 3. September 1942 für wenige Wochen ins Lager Gurs an die Pyrenäen gebracht. Von dort schrieb Walther Specht an seinen emigrierten Neffen William H. Philip (geb. 1915) in San Francisco, dass ihnen zwar ein Visum für Guatemala vorläge, aber "es ist eine sehr fatale Geschichte, wo wir doch nun schon seit mehr als 3 Jahren (beinahe schon 4 Jahre sind es jetzt) die Absicht haben, unser Domizil nach dort zu verlagern und immer wieder an der Ausführung gehindert worden sind." Auch die Ehefrau und die Kinder schrieben einige Sätze auf den Brief von denen ein Satz von der Lagerzensur geschwärzt wurde.

Nach einer zwischenzeitlichen Verlegung ins Lager Rivesaltes (an den Pyrenäen, Nähe Mittelmeer), rund 45 km von der spanischen Grenze entfernt, das seit der deutschen Besetzung im November 1942 einem deutschen Befehlshaber unterstand, wurden sie im November 1942 abermals im Lager Gurs interniert. Dabei gelang es, die Söhne illegal in dem Ort Chambon zu verstecken.

Ende Februar 1943 wurde Walther Specht von seiner Familie getrennt und Richtung Paris abtransportiert. Gertrud Specht (1900-1981) gelangte im Juni 1943 mit einer rund 30köpfigen Gruppe aus dem Lager Gurs in die neu geschaffenen Gemeinschaftsunterkünfte des Abbé Alexander Glasberg (1902-1981) in Pont de Manne/ Drôme. Der selbst vom Judentum zum Katholizismus konvertierte Abbé konnte durch hartnäckige Verhandlungen einige hundert Juden aus den Lagern befreien und verstecken. Gertrud Specht blieb bis März 1944 in seiner Obhut und wurde dann mit Hilfe einer Organisation weiter in die Schweiz zu ihrem jüngeren Sohn Edgar gebracht, der im Juni 1943 von Freunden dorthin in Sicherheit gebracht worden war.

Auch der ältere Sohn Herbert Specht floh aus dem französischen Lager. Er war von Rivesaltes mit anderen jungen Leuten nach Cambon gebracht worden. Im Dezember 1942 kehrte er gemeinsam mit einem weiteren jungen Mann mit gefälschten Papieren in die Niederlande zurück, wo er sich bis 1943 versteckt halten konnte. Am 26. August 1943 wurde er vom Sicherheitsdienst (SD) der SS aufgespürt und ins Lager Westerbork gebracht. Hier traf er seinen Cousin Gerhard Friedberger (geb. 1921 in Hamburg), der sich später erinnerte, dass Herbert Specht auch nach vier Monaten Lagerhaft und acht Monaten im Versteck noch "im vollen Besitz seiner körperlichen und nervlichen Kräfte" gewesen sei.
Von Westerbork wurde Herbert Specht am 31. August 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er am 3. September 1943 eintraf; Angaben zu seinem Tod sind nicht erhalten.

Walther Specht wurde Ende Februar 1943 aus dem Lager Gurs in das Sammellager Drancy bei Paris überstellt. Von dort kam er Anfang März 1943 in das im besetzten Polen errichtete Vernichtungslager Majdanek oder Sobibor und wurde dort ermordet. (Auch das Bundesarchiv Koblenz nennt in seinem Gedenkbuch beide Orte).

Emil Specht (geb. 27.3.1866 in Werschetz), Bruder von August Specht und von Beruf Kaufmann, hatte seit 1888 einige Zeit im Teegroßhandel seines Bruders gearbeitet und sich dann mit einer Weingroßhandlung in Hamburg selbständig gemacht. Er war 1891 Trauzeuge bei der zweiten Heirat seines Bruders August Specht, nahm im Jahr 1900 die deutsche Staatsbürgerschaft (anstelle der ungarischen) an, war bereits vor 1913 Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg und seit 1920 Mitglied im Deutschen Alpenverein Sektion Hamburg. Er wurde am 9. August 1941 von der Polizei aufgrund des Straftatbestandes "Rassenschande" verhaftet und im Juni 1942 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Da ab Herbst 1942 alle Gefängnisse, Zuchthäuser und Konzentrationslager im Deutschen Reich "judenfrei" gemacht werden sollten, wurde er am 10. Dezember 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz verlegt und dort ermordet. Für ihn wurde ein Stolperstein vor dem Haus Uhlandstraße 4 (Hohenfelde) verlegt.

Der Bruder Arthur Specht (geb. 3.6.1892 in Hamburg) hatte sich nach kaufmännischer Lehre und kaufmännischer Tätigkeit ("Kommis") im Januar 1919 selbständig gemacht. Seine Firma Arthur Specht handelte mit Tabakfabrikaten; im Juni 1923, während der Inflation verkaufte er die Firma. Im Oktober 1924 ließ er sich in Hamburg einen Reisepass ausstellen und soll im November 1924 in die Niederlande verzogen sein. Aufgrund fehlender Quellen lassen sich die folgenden rund zwanzig Jahre seiner Biografie nicht rekonstruieren. Arthur Specht emigrierte später aus den Niederlanden nach Kolumbien und starb 1972.

Der Bruder Reinhold Specht (geb. 7.4.1883 in Hamburg) war von 1920 bis 1925 als Agent und Warenmakler im Bereich Kellereibedarfsartikel selbständig tätig und hatte seine Geschäftsräume in der Alten Gröningerstraße 2 (Altstadt) in Freihafennähe. Seine seit 1919 geführte Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde wies nach dem Inflationsjahr 1923 nur noch ganz geringe Zahlungen auf, was auf wirtschaftliche Schwierigkeiten hindeutet. Dazu passt auch die Tatsache, dass es der Hilfsverein der Juden in Deutschland war, der die ehemalige Jüdische Gemeinde Hamburgs, nun als "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Bezirksstelle Nordwestdeutschland" organisiert, über seine Ausreise informierte. Reinhold Specht gelangte am 19. Januar 1940 zusammen mit seiner Ehefrau Frieda an Bord des italienischen Ozeandampfers "M.S. Orazio", der sie von Genua/ Italien nach Arica/ Bolivien bringen sollte. Die Fahrkarten wurden in Hamburg bei der Zweigniederlassung der "Vereinigten Italienischen Schiffahrtsgesellschaften Generalvertretung für Deutschland GmbH" (Neuer Jungfernstieg 17) erworben. Der mit über 600 Reisenden belegte Dampfer brannte nach einer Motorexplosion aus und sank am 22. Januar vor Toulon, dabei starben 106 Menschen. Reinhold und Frieda Specht überlebten, verloren aber alle ihre auf dem Schiff befindlichen Koffer und Transportkisten.

Stand: Dezember 2021
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 10777 (Henry Walther Specht); StaH 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 25206 (Walther Specht); StaH 231-7 (Handelsregister) A 1 Band 60 (Hermann Hamberg, HR A 14476); StaH 231-7 (Handelsregister) A 1 Band 83 (Arthur Specht, HR A 20284); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 2139 (Walther Specht); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), FVg 3485 (Reinhold u. Frieda Specht); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 588 (Hubert Frensdorff); StaH 332-5 (Standesämter), 8505 u. 470/ 1882 (Heiratsregister 1882, August Specht u. Gitel Henriette Hirsch); StaH 332-5 (Standesämter), 8975 u. 1340/1883 (Geburtsregister 1883, Reinhold Specht); StaH 332-5 (Standesämter), 8988 u. 2510/1884 (Geburtsregister 1884, Walther Specht, mit Randvermerk 22.7.1940 zur Wohnadresse in Heemstede); StaH 332-5 (Standesämter), 8988 u. 2511/1884 (Geburtsregister 1884, Irma Specht); StaH 332-5 (Standesämter), 8525 u. 789/1886 (Heiratsregister 1886, Hermann Hamberg u. Emma Elkan); StaH 332-5 (Standesämter), 5919 u. 819/1891 (Heiratsregister 1891, August Specht u. Regina Liepmann); StaH 332-5 (Standesämter), 7982 u. 415/1905 (Sterberegister 1905, Samuel Hirsch); StaH 332-5 (Standesämter), 9554 u. 17/1914 (Heiratsregister 1914, Irma Specht und Julius Philip); StaH 332-5 (Standesämter), 9768 u. 3651/1918 (Sterberegister 1918, August Specht); StaH 332-5 (Standesämter), 9849 u. 1676/1930 (Sterberegister 1930, Elsbeth Franck geb. Pariser); StaH 332-5 (Standesämter), 8109 u. 269/1931 (Sterberegister 1931, Otto Hirsch); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I e 40 Band 10 (Bürger-Register 1876-1896, L-Z), August Specht (15.12.1882, Nr. 10587); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A III 21, Band 3 (Aufnahme-Register 1880-1889, A-H), Josef Hirsch (12.5.1888, Naturalisation Nr. 28759); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A III 21, Band 5 (Aufnahme-Register 1880-1889, R-Z), August Specht (12.12.1882, Nr. 18607); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A III 21, Band 12 (Aufnahme-Register 1897-1905, Sch-Z), Emil Specht (3.2.1900, Nr. 58797); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), B III Nr. 18607 (August Specht); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), B III Nr. 28759 (Josef Hirsch), mit ungarischer Staatsangehörigkeits-Entlassung, Auskunft Polizeibehörde Hamburg, Leumundszeugnissen und Bürgen; StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I e 40 Band 9 (Bürgerregister 1876-1896, A-K) Jos. Hirsch (geb. 6.12.1845 Czervenka, Kaufmann, Bürgerrecht Nr. 14653 am 18.5.1888); StaH 332-8 (Meldewesen), K 6260 (Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925), Adele Hirsch geb. Danziger; StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei (1892-1925), K 6261 (Josef Hirsch); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekarte (1892-1925), K 7000 (Regina Specht geb. Liepmann); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 55 (Reisepassprotokolle, Nr. 570/1886, August Specht); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 56 (Reisepassprotokolle, Nr. 638/1887, August Specht); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 317 (Reisepassprotokolle, Nr. 22913/1924, Arthur Specht);StaH 342-2 (Militärersatzbehörden), D II 111 Band 4 (Reinhold Specht), StaH 342-2 (Militärersatzbehörden), D II 115 Band 7 (Walther Specht); StaH 342-2 (Militärersatzbehörden), D II 147 Band 10 (Arthur Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 7468 (Gertrud Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 7469 (Edgar Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 23305 (Gertrud Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 45721 (Herbert Gustav Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 40518 (William H. Philip); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 44661 (Gerald Friedberger); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Walther Specht, Reinhold Specht, Arthur Specht; Stadsarchief Amsterdam, Archiefkaarten van Persoonskaarten, Walther Specht, Gertrud Specht; Institut Theresienstädter Initiative/ Nationalarchiv Prag, Todesfallanzeige Margarete Pariser, geb. 7.5.1871 (ohne Ortsangabe), wohnhaft Berlin Spichernstr. 19, gest. 8.9.1942 in Theresienstadt (Qu 808 Zimmer 02); Yad Vashem, Page of Testimony (Walther Specht 1999, ohne Foto); Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Gustav August Specht (Grablage A 12-50), Henriette Specht geb. Hirsch (Grablage A 12-49), Adele Hirsch geb. Danziger (Grablage B 10-271), Else Franck geb. Pariser (Grablage M 2-83), Otto Hirsch (Grablage K 1-166); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Reinhold Specht, HR 21433; Arthur Specht, HR A 20284); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 241 (Hermann Hamberg, Fondsmakler u. Vertr. v. Londoner Stockbrokers, Börsenplatz: Pfeiler 63 Sitz a, eingetragen 1890, Inhaber: Hermann Hamberg u. August Specht, Prokurist: Walther Henry Specht, Neuer Wall 16-18), S. 293 (Otto Hirsch, gegr. 1887, Tee-Im- u. Export, Imp. jap. Seide u. japanischer Seiden-Taschentücher, Cigaretten, Pickhuben 4 II, Tel: w. Fa. Vereinsbank unter Sammy Hirsch Witwe); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 375 (Hermann Hamberg, Bankgeschäft, gegr. 1885, Inhaber: Walther Henry Specht, Prokurist: Julius Philip, Neuer Wall 16-18); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 306 (Hermann Hamberg, Bankgeschäft, gegr. 1885, Inhaber: Walther Henry Specht, Prokurist: Otto Hertmann, Neuer Wall 10 III. Stock); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hamburg 1998, S. 358 (Hermann Hamberg); Maike Bruhns, Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil 1933-1945, Bremen 2007, S. 167-168 (Niederlande); Michael Buddrus/ Sigrid Fritzlar, Juden in Mecklenburg 1845-1945, Band 2 Kurzbiografien, Schwerin 2019, S. 181 (Hermann Franck, mit Foto seines Grabsteins); Claus-Dieter Krohn/ Patrick von zur Mühlen/ Gerhard Paul/ Lutz Winckler (Hrsg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, 2008, S. 321-333 (Niederlande); Frank Kuitenbrouwer, Raubkunst aus dem Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden, in: Inka Bertz/ Michael Dorrmann, Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008, S. 259-265; Karin Thomsen, Zur Entwicklung der Sektion Hamburg und Niederelbe des Deutschen Alpenvereins e.V., insbesondere der Umgang mit ihren jüdischen Mitgliedern, Hamburg 2015, S. 53 (Emil Specht); Adressbuch Hamburg (G. A. Specht) 1883-1892, 1894, 1896; Adressbuch Hamburg (August Specht) 1897-1900, 1910, 1912, 1913, 1921; Adressbuch Hamburg (Walther Specht) 1924, 1926, 1927, 1932-1934; Adressbuch Hamburg (Arthur Specht) 1920-1924; Adressbuch Hamburg (Hirsch & Co) 1881-1883, 1885-1889; Adressbuch Hamburg (Josef Hirsch) 1885, 1887-1889; Adressbuch Berlin (Hermann Franck) 1897-1910; Adressbuch Berlin (Else Franck geb. Pariser) 1911-1922; www.stolpersteine-hamburg.de (Erich Friedberger, Otto Hertmann, Emil Specht); www.ancestry.de (Heiratsurkunde Nr. 714 von 1896 Berlin VI Hermann Franck u. Elsbeth Pariser; Geburtsurkunde Nr. 1670 von 1900 aus Berlin für Gertrud Franck; Sterbeurkunde Nr. 107 von 1910 Berlin XIIa Hermann Franck; Grab in Berlin-Weissensee 1910 Hermann Franck; Einbürgerung William H. Philip); https://www.joodsmonument.nl/en/page/219918/walter-henry-specht (mit Foto, eingesehen 25.09.2019); https://www.geni.com/people/August-Specht/6000000003304788034 (eingesehen 25.09.2019); https://www.geni.com/people/Henriette-Specht/6000000085851691924 (eingesehen 25.09.2019); https://www.geni.com/people/Josef-Specht/6000000017949364402 (eingesehen 30.10.2019); https://www.geni.com/people/Ladislaus-Specht-Jr/6000000017949590475 (eingesehen 18.11.2019); www.tracingthepast.org (Volkszählung Mai 1939), Margarethe Pariser (geb. 7.5.1871 in Breslau, Lehrerinnenseminar Breslau, wohnhaft Berlin-Wilmersdorf, Spichernstr. 19 bei Pinner).

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