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Genja Woronez * 1944

Essener Straße 54 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


GENJA WORONEZ
GEB. 17.5.1944
ERMORDET 8.8.1944

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Genja Woronez, geb. am 17.5.1944 in Hamburg, gestorben am 8.9.1944

Essener Straße 54
früher Lager Tannenkoppel, Weg 4, auch "Tarpenbek" genannt
Zwangsarbeitslager der Rüstungsindustrie in Hamburg Langenhorn


Genja Woronez kam am 17. Mai 1944 in Hamburg zur Welt. Seine Eltern, Pauline Woronez, geb. am 15.3.1914 in Woronzi/Krs. Wilna, und Nikolai Woronez, waren vermutlich russisch-orthodoxen Glaubens, registriert als "orthodox". Aus ihrer Heimat Litauen/Altima verschleppt, mussten sie in Hamburg Zwangsarbeit leisten. Pauline Woronez kam im 6. Monat ihrer Schwangerschaft aus dem Durchgangslager Neumünster nach Hamburg-Altona und wurde am 16. Februar 1944 zur Zwangsarbeit für die H. v. Sintern  &  Co., Blechemballagenfabrik, in der Schlageterstraße 147 (heute Stresemannstraße) zur Zwangsarbeit eingesetzt. Hochschwanger wurde sie am 5. April 1944 nach Hamburg-Langenhorn in das Lager Tannenkoppel, Weg 4, verlegt, zur Zwangsarbeit für die Hanseatische Kettenwerk GmbH (HAK). Auch Nikolai Woronez war dort als Zwangsarbeiter eingesetzt.

Zwei Tage vor der Geburt ihres Kindes wurde Pauline Woronez mit einer "plötzlich auftretenden Erkrankung" im Krankenhaus Alsterdorf aufgenommen. Ihr Sohn kam mit einem Kaiserschnitt auf die Welt. Nach vier Wochen, am 13. Juni 1944, wurde sie mit ihrem Sohn Genja zurück in das Lager Tannenkoppel entlassen. Dort musste Genja die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn völlig unzureichend.

Am 7. Juli 1944 kam er mit einer "Dyspepsie" (Verdauungsstörung) in das Universitätskrankenhaus Eppendorf. Der Krankenhausliste nach wäre er am Tag darauf wieder in das Lager Tannenkoppel entlassen worden. Dem war aber nicht so. Er wurde einen Tag später, am 8. Juli 1944, mit derselben Diagnose in das Hamburger Ausweichkrankenhaus Wintermoor eingeliefert.

Am 8. Juli 1944 wurde er in das Hamburger Ausweichkrankenhaus Wintermoor mit der Diagnose "Dyspepsie" (Verdauungsstörung) eingeliefert. Dort verstarb er nach einem Monat, am 8. August 1944 um 8:30 Uhr. In der Todesbescheinigung des Krankenhauses ist als Todesursache "Dyspepsie" und als unterzeichnender Arzt v. d. Borg angegeben. In der Todesanzeige findet sich der Aufdruck: "Krankenhaus-Sonderanlagen Aktion Brandt Anlage Wintermoor". Dies deutet darauf hin, dass Genja durch gezielte Vernachlässigung, durch Verhungernlassen oder eine Überdosis von Medikamenten getötet wurde.
(Ein weiterer Säugling aus dem "Lager Tannenkoppel", Serge Duvert, verstarb dort am selben Tag eine halbe Stunde später, ebenfalls mit der Angabe "Aktion Brandt" im Sterberegister.)

Genja wurde 2 Monate, 3 Wochen und 1 Tag alt.

Acht Tage nach seinem Tod fand am 16. August 1944 seine Beisetzung neben Serge Duvert auf dem Friedhof Ohlsdorf statt, Grablage: Q 39, Reihe 5, Nr. 35. Sein Grab ist nicht mehr erhalten. Ende des Jahres 1959 wurde es zusammen mit mindestens 146 Gräbern der Kinder von Zwangsarbeiterinnen auf Areal Q 39 eingeebnet.

Erläuterungen:
Bei der von Karl Brandt, Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, geleiteten und nach ihm benannten "Aktion Brandt" wurden ab 1943 Patientinnen und Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten in andere Pflegestätten und Ausweichkrankenhäuser verlegt, offiziell um Bettenplätze für die zunehmende Anzahl von Kriegsverletzten freizumachen.

Vielfach wurden sie dort durch gezielte Vernachlässigung, Verhungernlassen oder eine Überdosierung von Medikamenten getötet. Die "Aktion Brandt" wird deshalb als "regionalisierte Euthanasie" oder als "dezentrale Euthanasie" bezeichnet. Sie stand in der Nachfolge der "T 4-Aktion", der gezielten "Euthanasie"-Ermordung von psychiatrischen Patientinnen und Patienten, die auf Grund des Widerstandes von Kirchenvertretern beider Konfessionen, von Teilen der Bevölkerung und einiger Anstalten im August 1941 offiziell eingestellt worden war.

Karl Brandt wurde im Jahre 1947 bei dem Nürnberger "Ärzteprozess" als einer der Hauptverantwortlichen der NS-"Euthanasie"-Verbrechen zum Tode verurteilt und im Jahr darauf hingerichtet.
Die "Krankenhaus-Anlage-Wintermoor” wurde 1942/43 als Hamburger Ausweichkrankenhaus mit Zwangsarbeitern, sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten aufgebaut, unter der Leitung der "Organisation Todt" (OT), einer paramilitärisch gegliederten Sonderorganisation des NS-Staates, die kriegswichtige Bauprojekte durchführte. Nach dem Unfalltod ihres Gründers und Organisators Fritz Todt im Februar 1942 wurde die Leitung Albert Speer, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, übertragen. Elf sowjetische Kriegsgefangene von etwa 100 Kriegsgefangenen des Außenlagers StaLag (Stammlager) Sandbostel, die in einer Holzbaracke in Ehrhorn untergebracht waren und beim Aufbau des Krankenhauses Wintermoor ums Leben kamen, sind namentlich bekannt. Polnische Zwangsarbeiterinnen arbeiteten im Krankenhausbetrieb in der Küche und als Reinigungskräfte.

Stand: Oktober 2021
© Margot Löhr

Quellen: Standesamt Hamburg 1 b, Geburtsregister 486/1944 Genja Woronez; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. 85, S. 274; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939–1945; Standesamt Ehrhorn/Krs. Soltau, Sterberegister 80/1944 Genja Woronez; StaH 332-8 Meldewesen, Hausmeldekartei, 741-4 Fotoarchiv, K 2425 Schlageterstraße 147; ITS Archives, Bad Arolsen, Copy of Krankenhausliste Krankenhaus Alsterdorf 2.2.2.3 / 77069594, Krankenhausliste Krankenhaus Wintermoor 2.1.2.1 / 70646191, Geburtsurkunde 2.2.2.3 / 77069594 Genja Woronez, Sterbeurkunde, Todesbescheinigung 2.2.2.4 / 77108188 Genja Woronez, DE ITS 2.1.2.1 HA 001 11 RUS ZM/70648585, DE ITS 2.1.2.1 HA 001 9 RUS ZM/70646463; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016; https://ar chiv-wintermoor.de/allgemein/zwangsarbeit, einges. 12.1.2017; www.gedenkorte-europa.eu/de_de/article-organisation-todt-ot.html, einges. 12.1.2017; Archiv Friedhofsverwaltung Ohlsdorf, Beerdigungsregister 1944.

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