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Olga Memleb
Olga Memleb
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Olga Memleb * 1908

Dorotheenstraße 50 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
OLGA MEMLEB
JG. 1908
EINGEWIESEN 1935
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
TOT AN DEN FOLGEN
12.5.1945

Olga Memleb, geb. 18.3.1908 in Tönning (Nordfriesland), aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 30.3.1927 und am 29.3.1935, transportiert nach Wien am 16.8.1943 in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof"), dort gestorben am 12.5.1945

Dorotheenstraße 50 (Winterhude)

Olga Memleb war am 18. März 1908 in der nordfriesischen Stadt Tönning geboren worden. Ihre Mutter, die zu diesem Zeitpunkt unverheiratete Margarethe Memleb, geboren am 11. Januar 1887 in dem damals noch zu Preußen gehörenden Ort Stellingen (heute ein Stadtteil von Hamburg), arbeitete als "Dienstmädchen". Von Olga Memlebs leiblichem Vater kennen wir nur den Namen: Johannes Schulz.

Margarethe Memleb heiratete am 27. Dezember 1912 in Hamburg den am 13. Mai 1884 in Detmitten/ Ostpreußen geborenen Arbeiter Benno August Adolph Sahm. Das Paar wohnte in der Dorotheenstraße 50 in Winterhude, wahrscheinlich lebte Olga Memleb ebenfalls dort.

Margarethe und August Sahm bekamen fünf Kinder, von denen nur ein Junge das Kleinkindalter überlebte.

Olga Memleb wurde am 30. März 1927 zum ersten Mal in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Die Begründung für die Aufnahme kennen wir nicht. Gegenüber dem Versorgungsamt Flensburg, das wegen Olgas Geburtsort zuständig war, wurde sie als unheilbar und dauernd anstaltsbedürftig bezeichnet.

Im März 1929 wurde die junge Frau entmündigt und am 11. Oktober 1929 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg verlegt, weil sie für Alsterdorf "nicht mehr geeignet" sei. Als Begründung wurde in einem für die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg bestimmten Auszug aus der Alsterdorfer Krankenakte notiert, Olga Memleb habe an Schwachsinn mit gemeingefährlichen Auswirkungen gelitten. (Der heute nicht mehr gebräuchliche Begriff Schwachsinn bezeichnet eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche.) Dies wurde begründet mit, wie es in dem Aktenauszug für Friedrichsberg heißt, "sexuellen Anschuldigungen der Ärzte, Beeinträchtigungsideen gegenüber ihrer Umgebung, Entweichungsversuchen mit Hilfe uneinsichtiger Angehöriger."

Während ihres Aufenthalts in Friedrichsberg schlug Olga Memleb den Berichten des Personals zufolge mehrere Male Fensterscheiben ein und war neben Phasen, in denen sie als "ruhig, unauffällig, schweigsam und wortkarg" wahrgenommen wurde, erregt und aggressiv. Einmal wurde sie mit einer "Packung behandelt", d.h. in Nesseltücher gewickelt und mit eiskaltem Wasser übergossen (Die besonders reißfesten Nesseltücher wurden ursprünglich aus Brennesselfasern hergestellt, später in Verbindung mit Baumwolle, sie nahmen besonders viel Wasser auf).

Am 29. März 1935 wurde Olga Memleb in die Alsterdorfer Anstalten zurückverlegt. Hier beschrieb das Personal sie zunächst als im Wesen freundlich und ruhig. Sie sei gern nach Alsterdorf zurück gekommen und habe leichte Hausarbeiten "treu verrichtet". Doch nachdem ihr Spaziergänge wegen der Äußerung von Fluchtgedanken wiederholt verwehrt worden waren, äußerte Olga Memleb Suizidabsichten. Sie wurde mehrmals in den Wachsaal verlegt und mit "Strafkost" verpflegt. Wachsäle, ursprünglich im Dienste des medizinischen Fortschritts eingerichtet, wurden im Laufe der 19-dreißiger Jahre zu Einrichtungen für Zwangsmaßnahmen umgewandelt, wo Patientinnen und Patienten mittels Medikamenten, Fixierungen und anderen Maßnahmen ruhig gestellt wurden.

Die Berichte über Olga Memleb wiederholten sich weitgehend, bis sie am 16. August 1943 mit 227 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Frauen und Mädchen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") abtransportiert wurde. Wie in allen diesen Fällen beendete der Anstaltsarzt Gerhard Kreyenberg Olga Memlebs Krankengeschichte mit dem Eintrag "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Bombenangriff verlegt nach Wien."

Während der Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen.

Die Anstalt in Wien war während der "Aktion-T4" (Tarnbezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, so genannt nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) eine Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gewesen. Nach dem offiziellen Ende der Morde in den Tötungsanstalten wurde in bisherigen Zwischenanstalten, also auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug. Bis Ende 1945 kamen von den 300 Frauen und Mädchen aus Hamburg 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

Zu ihnen gehörte auch Olga Memleb. Sie hatte in den Alsterdorfer Anstalten über Jahre ein Gewicht zwischen 53 kg und 57 kg gehabt, vor ihrem Abtransport nach Wien betrug es 42,5 kg. Aus dem Wiener Teil ihrer Krankenakte ergibt sich, dass sie im Januar 1944 44 kg, und im Dezember 35 kg wog. Anfang 1945 wurde notiert, sie mache sich nie bemerkbar, äußere nie Wünsche, sondern teile nur mit, dass sie nach Alsterdorf zurückwolle.
Anfang Mai soll sie "körperlich verfallen" und stark pflegebedürftig gewesen sein.

Am 12. Mai 1945 starb Olga Memleb, angeblich an Gastroenteritis (Entzündung von Magen, Dünn- und Dickdarm) und Dekubitus (Druckgeschwür).

Stand: Dezember 2021
© Ingo Wille

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 9166 Geburtsregister Nr. 7/1887 Margaretha Memleb, 9547 Heiratsregister Nr. 581 Margaretha Memleb/ Benno August Adolph Sahm; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Patientenakte Nr. 154 (Olga Memleb); Peter von Rönn, Der Transport nach Wien, in: Peter von Rönn u.a., Wege in den Tod, Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 425 ff.; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 283 ff., 331 ff.; https://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsbad Zugriff am 17.11.2021.

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