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Christiane Mueller-Dannien * 1926

Blumenstraße 49 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
CHRISTIANE
MÜLLER-DANNIEN
JG. 1926
EINGEWIESEN 1931
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 14.11.1943
HEILANSTALT RICKLING
ERMORDET 7.1.1945

Christiane Mueller-Dannien, geb. 18.3.1926 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorf Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 19.3.1931, abtransportiert nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" am 16.8.1943, verlegt nach Rickling in die "Holsteinischen Heilstätten für Nerven- und Alkoholkranke" am 14.11.1943, dort gestorben am 9.1.45

Blumenstraße 49 (Winterhude)

Christiane Mueller-Dannien war eine der 228 Frauen und Mädchen mit geistigen bzw. psychischen Erkrankungen, die am 16. August 1943 aus den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" abtransportiert wurden. Stark beunruhigt durch das Gerücht, dass die Patientinnen weiter transportiert werden sollten, misstraute ihre Mutter einem gegenteiligen Schreiben aus Wien und erreichte schließlich, dass sie Christiane aus der Wiener Anstalt herausnehmen und den Ricklinger Anstalten anvertrauen konnte. Sehr wahrscheinlich verhinderte sie mit dem mutigen und energischen Einschreiten den gewollten Tod ihrer Tochter in Wien, denn von den nach Wien verlegten 228 Mädchen und Frauen starben 196 bis Ende 1945 infolge von Unterernährung, Verwahrlosung, mangelnder Behandlung im Krankheitsfall sowie gezielter Überdosierung von Medikamenten.

Christiane Susanne Luise Mueller-Dannien war am 18. März 1926 als zweite Tochter der Eheleute Ernst Ludwig Eduard Mueller-Dannien und Susanna Katharina Hanna Maria Mueller-Dannien, geborene Rollin, in Hamburg-Winterhude, Blumenstraße 49, geboren worden. Dort lebten auch schon seit vielen Jahren ihre Großeltern.

Christianes Eltern hatten am 6. Juli 1921 in Hamburg geheiratet. Als Beruf ihres Vaters wurde Regierungsbaumeister a.D. und Kaufmann angegeben. Er bezeichnete sich selbst als Fabrikant. Seine Geschäftsadresse lautete nach den Einträgen im Hamburger Adressbuch ab 1940 Alsterdamm 37 (heute Ballindamm).

Dr. med. Franz Rollin, Christiane Mueller-Danniens Großvater, berichtete 1930 anlässlich einer Untersuchung seiner Enkelin im Staatskrankenhaus Friedrichsberg, das Kind sei der Hebamme nach der Geburt entglitten und auf den Boden gefallen. Möglicherweise sei dies die Ursache für Christianes Entwicklungsstörungen, die bereits etwa ein halbes Jahr nach ihrer Geburt aufgefallen seien. Christiane konnte im Alter von vier Jahren nur mit Unterstützung gehen und auch nicht sprechen. In Friedrichsberg wurde "Imbezillität und Idiotie" diagnostiziert. Hierbei handelt es sich um veraltete und nicht mehr verwendete Begriffe für eine mittelgradige geistige Behinderung bzw. eine schwere Form der Intelligenzminderung.

Nach ihrer Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 19. März 1931 war Christiane Mueller-Dannien bis November wegen Angina, Grippe, Darmkatarrh und Bronchitis wiederholt Patientin des Anstaltskrankenhauses. In ihrer Patientenakte wurde notiert, Christiane habe heftig geschrien, wenn ihre Wünsche nicht erfüllt wurden. Ende Dezember habe sie erstmals mit einer Puppe gespielt und energisch "nein" gesagt. Anfang Februar 1932 wurden gute Fortschritte beim Laufen beobachtet. Im Oktober 1932 habe sie schließlich selbstständig aufstehen und kurze Strecken gehen können. In den folgenden Jahren wurde über Phasen von Lebhaftigkeit und Streben nach Selbstständigkeit z.B. beim Essen berichtet. Immer sonntags habe sie voller Erwartung auf den Besuch ihrer Mutter gewartet, sei ihr entgegengestürzt und habe ihr zu erzählen versucht. In der Spielschule, die sie seit September 1934 besuchte, habe sie auf nichts reagiert, weder auf Bilder, noch Kugeln oder einen Ball. Sie könne gut stehen und gehen. Allein essen könne sie nicht.

Mitte 1935 wurde festgehalten, sie habe vollständig "besorgt" werden müssen. In dieser Zeit wurde sie als meistens vergnügt wahrgenommen. Sie scheint sich körperlich durchaus weiterentwickelt zu haben, denn, wie 1936 vermerkt, soll sie sehr wild geworden und viel umhergelaufen sein. 1937 wurde notiert, sie sei in der Körperpflege völlig unselbstständig gewesen, dann 1940, sie habe sich noch nicht an- und auskleiden können und keinerlei Fortschritte gezeigt. Sie habe sich besonders über die Besuche ihrer Eltern gefreut.

Die folgenden Berichte entsprechen denen der Vorjahre. Die Patientenakte der Alsterdorfer Anstalten endet mit einem Eintrag vom 16. August 1943: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Wien. Gez. Dr. Kreyenberg."

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, sich nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Verlegung in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Am 16. August 1943 erfolgte der oben erwähnte Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" in Wien (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof"). Unter ihnen befand sich auch Christiane Mueller-Dannien.

Den Angehörigen wurde die Verlegung weder angekündigt, noch zeitnah mitgeteilt. Das folgt auch aus einem Schreiben vom 31. August 1943 von Christianes Mutter an die Anstalt in Wien, in dem sie ihre Tochter Tinchen nennt:
"Sehr geehrte Frau Oberin!
Heute erfuhr ich in den Alsterdorfer Anstalten von der Schwester, die meine Tochter bisher betreute, dass das Kind in Ihrer Obhut ist.
Ich möchte Ihnen meine Tochter Christiane besonders warm ans Herz legen. Wir hängen alle sehr an ihr, mein Mann, meine große Tochter und ich, und es ist uns sehr schmerzlich, unser Tinchen so weit fort zu wissen.
Schwester Alma sagte, es wäre möglich, dass Tinchen noch weiter fort käme. Könnten Sie das wohl bitte verhindern? Wenn das Kind nicht bei Ihnen bleiben kann, dann bitte ich darum, es wieder in unsere Nähe zu schicken. Ich will selbst versuchen, in Lüneburg oder in einem Heim bei Neumünster einen Platz für sie zu finden und teile Ihnen das Ergebnis sofort mit.
Auch will ich sehen, dass ich nach Wien reisen kann. Es können noch 4-6 Wochen darüber ins Land gehen, da ich hier gebunden bin.
Wenn sie wenigstens bis dahin unser Tinchen bei sich behalten könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Wenn es sich dort einrichten ließe? [...]
Mit herzlichen Grüßen für Sie, sehr geehrte Frau Oberin, und unser kleines Tinchen und vielen Dank für alle Mühe
Susanne Mueller-Dannien."

Mit Schreiben vom 22. September 1943 wurde aus Wien geantwortet:
"An Frau Susanne Mueller-Daniel Aumühle/Hamburg Oberförsterkoppel.
Auf Ihre Zuschrift vom 31. vorigen Monats wird Ihnen mitgeteilt, dass ihre Tochter Mueller Dannien Christine am 17. August dieses Jahres mit einem Sammeltransport in die h.o. Anstalt gebracht wurde und sich so halbwegs in die neuen Verhältnisse eingelebt hat. Leider ist sie oft recht eigensinnig und trotzig, so dass sie unter den anderen Patienten nicht gehalten werden kann. Eine Verlegung in eine andere Anstalt ist nicht vorgesehen. Der Direktor"

Nach einigem Schriftwechsel auch mit den Ricklinger Anstalten wurde Christiane Mueller-Dannien am 13. November 1943 in Wien den Eltern übergeben. In einem Revers (Entlassung gegen ärztlichen Rat), verpflichtete sich der Vater mit seiner Unterschrift, seine Tochter "mit aller Sorgfalt zu überwachen, damit Genannte weder sich selbst, noch jemand anderem Schaden zufügen kann und erklärt sich bereit, für allen durch Mangel der erforderlichen Aufsicht entstehenden Schaden zu haften."

Christiane Mueller-Dannien kam mit ihren Eltern am 14. November 1943 in Rickling an und wurde in das Haus Falkenhorst aufgenommen. Hier wurde sie als ein grazil gebautes, blass aussehendes Kind beschrieben, dessen Muskulatur wenig entwickelt sei. Sie müsse völlig betreut, die Nahrung müsse ihr gereicht werden.

Im Dezember 1944 erkrankte Christiane nach den Eintragungen in ihrem Krankenblatt schwer. Sie litt danach an Schüttelfrost bei hohem Fieber und Durchfall. Zudem wurde eine Nierenbeckenentzündung diagnostiziert. Christiane nahm nur noch flüssige Nahrung zu sich und verfiel bei anhaltend hohem Fieber rapide. Laut Todesbescheinigung trat bei Christiane Mueller-Dannien infolge der Nierenbeckenentzündung am 7. Januar 1945 der Tod ein. Christiane Susanne Luise Mueller-Dannien wurde 18 Jahre alt.

Stand: April 2022
© Ingo Wille

Quellen: Standesamt Boostedt-Rickling, Sterberegisterauszug Nr 10/1945 Christiane Susanne Luise Mueller-Dannien; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Patientenakte V 278.

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