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Stolperstein für Felix Hecht in der Hochallee 73
Stolperstein für Felix Hecht
© Heidi Kahlke

Dr. Felix Hecht * 1883

Hochallee 73 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1944 Theresienstadt
1944 Auschwitz

Felix Hecht, geb. 24.9.1883 in Hamburg, am 19.1.1944 nach Theresienstadt deportiert, weiterdeportiert am 28.10.1944 nach Auschwitz

Hochallee 73

Ingeborg Hecht, die Tochter, schrieb über das Leben ihres Vaters, das ihrer Familie und über ihr eigenes Leben zwei Erinnerungsbücher, die zu diesem Bericht die grundlegenden Daten und Tatsachen beigesteuert haben. Ihr verdanken wir erschütternde Einblicke in die politische und soziale Entrechtung einer "deutsche(n) Familie unter den Nürnberger Rassegesetzen" bis hin zur Verfolgung, Deportation und Ermordung – und in den schwierigen, leidvollen Umgang mit solchen Erfahrungen im Fortgang des Lebens für die Überlebenden.

Felix Hecht war der älteste Sohn des wohlhabenden Kunsthändlers Jacob Hecht und seiner Ehefrau Hanna, geb. Calmann.
Jacob Hecht, geboren 1853 in Friedberg, hatte als Jude 1892 das Hamburgische Bürgerrecht erworben. Bereits seit 1882 besaß er ein Zigarrengeschäft in der Hamburger Innenstadt, Colonnaden 35 (frühere Nummerierung: 25/27), aus dem dann im Verlauf von fünf Jahren ein bald renommiertes Kunst- und Antiquitätengeschäft entstand. Dies war das "Rembrandthaus", wo Stilmöbel, Gemälde und andere Antiquitäten verkauft wurden.
Jacob Hecht und seine Frau Hanna bewohnten mit ihrer allmählich größer werdenden Familie – fünf Kinder wurden im Laufe der Jahre geboren – zunächst verschiedene Wohnungen in der Hamburger Innenstadt, nahe beim "Rembrandthaus", später im Stadtteil Rotherbaum.
Felix wurde am 24.9.1883 geboren. Seine jüngeren Geschwister waren die Schwester Alice, geboren am 16.4.1885, der Bruder Herbert, der – 1888 geboren – bereits in der Kindheit starb, dann folgten die Brüder Hellmuth, geboren am 30.12.1891, und als Jüngster Edgar, der am 23.8.1895 geboren wurde.
1903 legte Felix sein Abitur am Wilhelmgymnasium ab, er hätte gern Alte Sprachen studiert, jedoch hatte ihn der Vater dazu bestimmt, später einmal der Vermögensverwalter der Familie zu werden, so begann Felix ein Jurastudium in Göttingen und Leipzig. 1906 wurde er in den Referendarsdienst übernommen. Seine beiden Brüder sollten einmal die väterliche Firma übernehmen und wurden als Kunsthändler ausgebildet. Hellmuth wanderte jedoch – vermutlich 1912 – nach Quito in Ecuador aus und wurde Mönch, dann verlor sich seine Spur. Auch die Schwester Alice war später im Kunsthandel tätig.
Im Jahr 1908 konnte Jacob Hecht im vornehmen Stadtteil Harvestehude, im Frauenthal 7, eine stattliche Gründerzeitvilla erwerben, zwischen Gärten gelegen und nahe der Außenalster. Für die Familie war dies ihre " Villa Hanna", genannt nach "meiner schönen Großmutter" (I. Hecht).
Felix Hecht, der junge Referendar, wohnte als Mieter mit im elterlichen Haus. Nach kurzer Assessorenzeit und der Promotion in Leipzig (1913) war er ab Oktober 1913 in Hamburg als Rechtsanwalt zugelassen.

Eine Unterbrechung des beruflichen und privaten Lebensweges brachte auch für Felix Hecht der 1. Weltkrieg, an dem er von 1915 –1918 als Frontkämpfer teilnahm. Ihm wurde das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse verliehen.
Beruflich war Felix Hecht "während der Kriegsdauer" (Hamburger Adressbuch) bei dem Rechtsanwalt Fritz Alexander, Neuer Wall 54, gemeldet, 1919 zogen beide um nach Neuer Wall 10. Jedoch arbeitete Felix Hecht in den folgenden Jahren hauptsächlich im und für das Antiquariat im "Rembrandthaus".
Im privaten Leben hatte Felix Hecht das "Fräulein" Edith von Sillich aus Harburg kennengelernt. Wie Ingeborg Hecht in ihrem Erinnerungsbuch berichtet, waren die von Sillichs begeisterte Sammler von Zinngeschirr, das sie gern im Antiquitätengeschäft von Jacob Hecht in den Colonnaden kauften. In bescheidenem Umfang allerdings, wie sie hinzufügt: die von Sillichs lebten vom spärlichen Gehalt des Hauptmanns d. R., der der Harburger Polizei vorstand. Jedenfalls lernten sich die beiden jungen Leute wohl über den Kunsthandel kennen. Felix Hecht war 16 Jahre älter als Edith von Sillich, die im Jahr 1900 geboren war, er half ihr manchmal bei den Schularbeiten.
Beider Väter starben im selben Jahr, 1918.
Edith von Sillich ging nach dem Tod ihres Vaters auf eine Schwesternschule nach Berlin. 1919 hielt der 37jährige Felix Hecht um ihre Hand an, sie heirateten 1920. Es war eine jüdisch-protestantische Trauung, in Anwesenheit eines Kantors und eines Pastors, gefeiert wurde in der "Villa Hanna" und abends im "Winterhuder Fährhaus". Davon zeugt ein beeindruckendes Familienfoto.
Im Jargon des Nationalsozialismus wurde eine solche Ehe 18 Jahre später "Mischehe" genannt, die durch die Geburt von nicht jüdisch erzogenen Nachkommen zu einer "privilegierten Mischehe" werden konnte.

Auch mit seiner jungen Frau blieb Felix Hecht die nächsten Jahre im Elternhaus wohnen.
Am 1.4.1921 wurde ihre Tochter Ingeborg geboren, sie kam in der renommierten Privaten Frauenklinik Johnsallee 68 zur Welt, die ihrem Großonkel Adolf Calmann, dem Bruder von Hanna Hecht, gehörte. Zweieinhalb Jahre später – am 11.11.1923 – wurde der Sohn Wolfgang geboren. Auch für die Nachkommen aus einer nunmehr "privilegierten Mischehe" erfanden die nationalsozialistischen Rassefanatiker später ihren Stempel: Ingeborg und Wolfgang wurden "Mischlinge 1. Grades".

Inhaberin des "Rembrandthauses" in den Colonnaden war nach dem Tod Jacob Hechts seine Witwe Hanna geworden, die Prokura wurde dem Sohn Edgar übertragen, der als junger Kunsthändler das väterliche Erbe ausweitete und 1919 in Berlin-Charlottenburg, in der Tauentzienstraße 18, eine Zweigniederlassung des "Kunst- und Antiquitätengeschäft(s) Jac. Hecht" gründete, auch dort wurde ihm die Prokura erteilt. Daneben gab es seit 1924 das "Kunstauktionshaus Jac. Hecht" in der Berliner Kantstraße 162.

Felix Hecht nahm am bürgerlichen wie auch am künstlerischen Leben in seiner Vaterstadt Hamburg teil. Seit 1914 war er – wie schon sein Vater Jacob seit 1887 – Mitglied in der Freimaurerloge "Ferdinande Caroline" zu Hamburg, die ihren Sitz in der Welckerstraße 8 hatte. Im Jahr 1926 schrieb Felix Hecht die Festschrift zum 150jährigen Jubiläum seiner Loge, er widmete sie "Dem Andenken meines lieben Vaters und Bürgen, des Br. Jacob Hecht." In dieser Festschrift erwähnte er einen von ihm am 26. Oktober 1920 in der "Ferdinande Caroline" gehaltenen Vortrag mit dem Titel "Zwischen den Zeiten". Der Inhalt dieses Vortrags ist nicht mehr bekannt. Da jedoch die Festschrift auch etliche Informationen über die Freimaurerei zur Zeit des 1. Weltkriegs enthält, könnte der Titel auf die Zeit
zwischen 1914 und 1918 hingewiesen haben. Im Jahr 1928 wurde der jüdische Logenbruder Felix Hecht "Meister vom Stuhl", d. h. Vorsitzender der "Ferdinande Caroline".

Hieran anschließend einige Bemerkungen zur Freimaurerei und ihrem Verhältnis zum Judentum:
Die ersten Logen, die – nach englischem Vorbild – in Deutschland entstanden, wurden in Hamburg ab 1737 gegründet. Von Hamburg aus breitete sich das Freimaurerwesen im 18. Jahrhundert dann rasch aus. Die in der Hamburger Großloge "Vereinigten 5 Logen" – also auch die 1776 gegründete "Ferdinande Caroline" – hatten sich schon im frühen 19. Jahrhundert für Juden geöffnet, gemäß ihren freimaurerischen und humanitären Prinzipien der Toleranz, Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Verantwortung. Aus einem anfänglichen "Besuchsrecht" wurde ab 1841 eine völlige Gleichberechtigung jüdischer Logenbrüder. Diese religiöse Toleranz war in anderen Hamburger Logen – insbesondere in den christlich ausgerichteten – nicht selbstverständlich. Seit 1887 gab es in Hamburg auch eine ausschließlich jüdische Loge, die "B´nai B´rith". Im "Dritten Reich" wurden die Logen zur Selbstauflösung gezwungen, Vermögen und Logenhäuser weitgehend konfisziert.
Nach 1945 lebte jedoch die Freimaurerei in der Bundesrepublik bald wieder auf.

Zurück in die 1920er Jahre:
Im Antiquitätengeschäft in den Colonnaden, das nach wie vor unter dem Namen "Jacob Hecht" firmierte, veranstalteten Felix und Edith Hecht Ausstellungen und Lesungen der Künstlervereinigung "Hamburger Gruppe". Diese Gruppe von Autoren und bildenden Künstlern schloss sich 1925 zusammen mit dem erklärten Ziel, sich für die Belange Hamburger Künstler und Künstlerinnen einzusetzen und auf diese Weise dem Ruf Hamburgs als einer kunstfeindlichen Stadt entgegenzuwirken. Tatsächlich aber gab es in den Jahren vor 1933 neben dieser eher kleinen Gruppe eine florierende Kunstszene in Hamburg, etwa die viel bedeutendere "Hamburgische Sezession".
Felix Hecht war neben Hans Leip und Hans Much einer der drei Gründer der "Hamburger Gruppe" und fungierte als ihr juristischer Beistand und Förderer. Für den Dichter Hans Leip war Felix Hecht auch privat als Rechtsanwalt tätig. Heute noch bekannte Mitglieder der "Hamburger Gruppe" waren – neben Hans Leip und Hans Much – Fritz Höger, der Architekt des Chilehauses, und der Schriftsteller und Orgelbauer Hanns Henny Jahnn. Es war eine maßgeblich vom Expressionismus geprägte Avantgarde, die sich aber auch mit Vertretern einer "Heimatkunst" propagierenden "Heimatschutzbewegung" in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen hatte. Im Januar 1927 trat Felix Hecht aus der Gruppe aus, ebenso drei weitere Mitglieder, die empört waren über eine als "undiskutabel" empfundene neue Vereinssatzung. Ob dies auch Felix Hechts Motiv für sein Verlassen der Gruppe war, ist nicht bekannt. Die "Hamburger Gruppe" löste sich 1931 auf.

Ein weiteres Engagement Felix Hechts für seine Vaterstadt: seit 1923 bekleidete er eine Stellung als "Hilfspolizeibeamter im Heimatschutz Groß-Hamburg e. V., Bezirk Harvestehude", mit der Berechtigung, eine Waffe zu tragen. Dieser ordnungspolitische "Heimatschutz" setzte sich vor allem aus ehemaligen Freikorpskämpfern und Frontsoldaten zusammen und diente – wie vorher die rechtsgerichteten, oft rechtsradikalen Freikorps – der Bekämpfung von sozialen Unruhen in der verarmten Arbeiterschaft und der Niederschlagung linksradikaler Demonstrationen und Aufstände. Es ist aber nicht bekannt, ob Felix Hecht an solchen Aktionen beteiligt war.

Im Jahr 1927 zog Felix Hecht mit seiner Familie aus der elterlichen Villa im Frauenthal aus, er hatte sich sein Erbe auszahlen lassen und erwarb ein Haus in der Hochallee 73 von bescheideneren Ausmaßen, aber doch in dem "besseren Viertel" zwischen Jungfrauenthal und Hallerstraße gelegen. Die Kinder gingen in den nahen Innocentiapark zum Spielen, Ingeborg besuchte eine private Realschule für Mädchen am Mittelweg und Wolfgang eine Volksschule in der Schlüterstraße. Es gab im Elternhaus keinerlei explizit jüdische Erziehung, "wir wussten nichts mehr von jüdischen Gebräuchen, auch nicht, dass es mit der Menora in Vaters Arbeitszimmer mehr auf sich hatte als mit einem gewöhnlichen siebenarmigen Leuchter" (I. Hecht). Die Kinder sollten später selber ihre Glaubensgemeinschaft wählen. Felix Hecht blieb jedoch Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg und entrichtete – je nach Einkommen – bis 1941 seine Kultussteuer.

Ende 1927 ging die Geschäftsführung des "Rembrandthauses" als "Gesamtprokura" über an Alice Davidsohn, geborene Hecht, und ihren Ehemann Arthur Davidsohn. Alice hatte also inzwischen geheiratet. (Arthur Davidsohn wird später aber im Zusammenhang mit Alice Hecht nicht mehr erwähnt, in amtlichen Unterlagen wird sie weiterhin als "Alice Hecht" geführt, offenbar währte die Ehe nur kurz). Kaum zwei Jahre später, im August 1929, erfolgte die Verlegung der Kunst- und Antiquitätenhandlung Jacob Hecht von Hamburg nach Berlin, es war eine Zusammenlegung mit der dort bereits seit 1919 existierenden Niederlassung. Alice Hecht ging jetzt mit nach Berlin und "kümmerte sich um die väterliche Filiale in der Tauentzienstraße" (I. Hecht). Das "Rembrandthaus" wurde 1930 abgerissen.

Erst 1928 etablierte Felix Hecht eine eigene Rechtsanwaltspraxis am Neuen Wall 10 und arbeitete mit den Rechtsanwälten Kurt Leo Eisner und Oscar Lilienfeld, ob in Bürogemeinschaft oder Sozietät, ist nicht zu klären. Laut Hamburger Adressbuch zog er bereits 1931 um an den Jungfernstieg 30, "Zim. 420", die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Rechtsanwälten war aufgelöst worden. Hier unterscheiden sich die Recherche-Ergebnisse von den Erinnerungen Ingeborg Hechts an die Arbeitsverhältnisse ihres Vaters in diesen Jahren.

1933 griff eine persönliche Entscheidung tief in das Leben der Familie Hecht ein, die Eheleute ließen sich scheiden, in beiderseitigem Einvernehmen und "ohne einen uns Kindern je offenkundig gewordenen Streit" (I. Hecht). Eine Entscheidung, deren Folgen die Ehefrau in späteren Jahren sehr belasteten. Der gemeinsame Haushalt mit dem "in Angelegenheiten des Alltags ein wenig hilflose(n) Vater" (I. Hecht) wurde aufrechterhalten.

Mit dem Beginn des nationalsozialistischen Regimes 1933 setzte sofort die systematische Zurückdrängung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung ein. Der Boykott jüdischer Geschäfte, das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" und der "Arierparagraph " mit der "Entfernung" "nichtarischer" Mitglieder aus allen bürgerlichen Vereinen und anderen Bereichen des öffentlichen und beruflichen Lebens – all das traf auch die Familie Hecht.
Das "Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft" vom 7. April 1933 bestimmte, dass "Nichtarier" aus der Anwaltschaft auszuschließen seien. Davon war eine große Mehrheit der 204 jüdischen Rechtsanwälte in Hamburg betroffen. Eine Minderheit war zunächst geschützt entweder durch frühere Teilnahme am Weltkrieg (als "Frontkämpfer"), oder als Sohn oder Vater von im Krieg "Gefallenen", oder auch durch eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft schon vor 1914 ("Altanwaltschaft"). In den folgenden Jahren setzte sich die Ausschaltung jüdischer Rechtsanwälte in Hamburg eher schleichend fort, es schien einen gewissen Ermessensspielraum zu geben.
Felix Hecht war zunächst noch durch seinen Status als ehemaliger Frontkämpfer vor dem Verlust seiner Zulassung geschützt. Trotzdem begann nun die Vernichtung der beruflichen Existenz des Rechtsanwalts. Mit Sicherheit gab es immer weniger "arische" Klienten zu beraten und zu vertreten. Seine bescheidene Ein-Zimmer-Praxis im "Hamburger Hof" am Jungfernstieg 30, die er seit 1931 innehatte, gab er 1934 auf, wechselte in den folgenden Jahren häufig den Arbeitsplatz, zeitweise arbeitete er bei anderen jüdische Rechtsanwälten. Die wirtschaftlichen Folgen der Diskriminierung durch die antijüdische Gesetzgebung werden sichtbar auch in den immer geringer werdenden Kultussteuerbeiträgen, die Felix Hecht an seine Gemeinde zahlte.
Die Mitgliedschaft im "Heimatschutz" musste er 1934 aufgeben.

Unter dem Druck der finanziellen Verhältnisse eröffnete Edith Hecht eine kleine Pension in der Hochallee 73, sie nahm ihren Mädchennamen "von Sillich" wieder an, damit auch "arische" Interessenten sich "unbesorgt" dort einmieten könnten. "Die Mutter war bemüht und tapfer, aber nicht tüchtig" (I. Hecht). Des Öfteren hieß es "… die Loge hat geholfen …" Die "Brüder" von der "Ferdinande Caroline" hatten getreu ihrem sozialen Engagement den in finanzielle Not geratenen "Bruder" nicht vergessen, denn von den spärlichen Einkünften allein konnte die Familie nicht mehr leben. Ende 1934 wurde das Haus zwangsversteigert. Die Familie zog mit dem Vater von der Hochallee in die Hagedornstraße 27, in eine Sechszimmerwohnung, zwei der Zimmer mussten vermietet werden. Diese beiden Mieter bestätigten im späteren Wiedergutmachungsverfahren, dass Hechts damals immer noch über eine "intakte, gutbürgerliche Wohnungseinrichtung" verfügten. Aber auch diese Wohnung ließ sich nicht lange halten. 1937 zog Edith von Sillich mit ihren Kindern in eine nun wirklich bescheidene Wohnung in der Hansastraße 72, von der sie dreieinhalb Zimmer selbst nutzten, die restlichen eineinhalb Zimmer waren vermietet. Felix Hecht zog nicht mehr mit in die Hansastraße, sondern kam in einem Zimmer in der Wohnung seines jüngsten Bruders Edgar unter, der mit seiner Frau Hanna und dem Sohn Hans im Nachbarhaus in der Hagedornstraße wohnte.

Bereits zwei Jahre zuvor – 1935 – waren das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes" und das "Reichsbürgergesetz" (die sog. "Nürnberger Gesetze") in Kraft getreten, damit hatten sich die Einschränkungen für Juden und für "Mischlinge ersten Grades" verschärft, also auch für Felix Hecht und seine Kinder. Selbst die gegenseitigen Besuche der Familienmitglieder wurden jetzt gefährlich. 1938 wurde ein eigentlich verbotener Kinobesuch des Vaters mit seiner Tochter – so erzählt sie – zu einem Abenteuer mit Herzklopfen.
Im Zuge der Novemberpogrome gegen jüdische Menschen und Einrichtungen auch in Hamburg wurde Felix Hecht am 10. November 1938 aus der Straßenbahn heraus verhaftet und in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Nach Wochen unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen traf er kurz vor Weihnachten, am 17. Dezember, wieder bei seiner Familie ein – frierend, "kahlgeschoren, gebückt, schmal. Ein müder Mann mit müden Augen …" (I. Hecht). Was er erzählte, war für die Familie ungeheuerlich, nicht zu fassen. Wieder half ein verständnisvoller Mensch den Hechts mit Lebensmitteln für den Vater – diesmal die Chefin der Tochter, der Ingeborg Hecht sich anvertrauen konnte. "Der Führer weiß das nicht" – das war, wie Ingeborg Hecht es empfand, die "vollste Überzeugung" der Frau.
In welch bedrückender Armut die Familie inzwischen lebte, bezeugt auch die Schilderung Hans Wolffheims, eines Freundes von Ingeborg Hecht, im Rahmen der langwierigen Wiedergutmachungsverfahren aus den 1950er Jahren.

Durch das totale Berufsverbot vom 30. November 1938 (auf Grundlage der "Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 27.9.1938) wurde auch den letzten 69 jüdischen Rechtsanwälten in Hamburg die Zulassung entzogen. Von ihnen durften lediglich sieben weiter als "Konsulenten" für Juden beratend tätig sein, Felix Hecht gehörte nicht dazu. Einnahmen blieben für ihn jetzt völlig aus. Deshalb stellte Felix Hecht noch im Januar 1939 als ehemaliger Frontkämpfer ein Gesuch auf Gewährung eines "widerruflichen Unterhaltszuschusses". Der wurde ihm in Höhe von 170 RM zugewiesen, unter Vorbehalt weiterer Kürzungen.

Edgar Hecht hatte zu den 28 jüdischen Kunsthändlern in Hamburg gehört, die 1935 nicht in die "Reichskulturkammer" aufgenommen worden waren. Per Anschreiben wurde ihnen als "Nichtariern" die "Eignung" abgesprochen, "an der Förderung deutscher Kultur … mitzuwirken" und der zwangsweise Verkauf oder die Liquidierung ihres Betriebes angedroht. Jetzt, Anfang 1939, wurde das Kunst- und Auktionshaus in der Esplanade auf diese Weise "arisiert", es musste weit unter seinem Wert an einen "arischen" Interessenten verkauft werden.
Auch die von Alice Hecht geführten Filialen in Berlin waren offenbar von "Arisierungsmaßnahmen" getroffen worden. Als ihre Nichte Ingeborg sie im November 1938 in Berlin besuchte – ausgerechnet während der "Reichskristallnacht" – arbeitete ihre Tante Alice bereits in einem jüdischen Altersheim als Pflegerin, wo es schon "über die Maßen erbärmlich" (I. Hecht) zuging.

In Hamburg wurden Felix Hecht und Edith von Sillich 1940 erneut von Verfolgungsmaßnahmen betroffen. Mitbewohnerinnen der Wohnung in der Hansastraße hatten die Besuche von Felix Hecht bei seiner Familie beobachtet und ihn sowie seine geschiedene Frau wegen angeblicher "Rassenschande" angezeigt. Sowohl Edith von Sillich als auch Felix Hecht wurden für drei Wochen in der Haftanstalt Fuhlsbüttel "in Schutzhaft genommen", für Edith von Sillich eine traumatische Erfahrung, die bleibende gesundheitliche Spuren hinterließ. Danach musste sie sich verpflichten, ihren geschiedenen Mann niemals wiederzusehen und zu verhindern, dass ihre Kinder sich "arische" Partner suchten.
Edgar Hecht gelang es 1940, mit Frau und Sohn nach Schanghai auszuwandern. Sie versuchten von dort aus, ihre Nichte Ingeborg Hecht nachkommen zu lassen. Die aber stellte fest, dass sie schwanger geworden war – von ihrem "arischen" Freund Hans. Eine Heirat der beiden war ausgeschlossen, denn "Mischlinge ersten Grades" durften zwar um eine Ehegenehmigung mit "Deutschblütigen" nachsuchen, doch führte dies in der Regel nicht zur Erlaubnis, sondern zur Vorladung bei der Gestapo, wie sich herumgesprochen hatte. Auch die Auswanderung kam für die werdende Mutter nicht in Frage.
Der zukünftige Großvater Hecht freute sich auf das Enkelkind, ihm gelang es auch später immer wieder, die 1941 geborene kleine Barbara zu sehen und für kurze, kostbare Momente in seiner Obhut zu haben. Ingeborg Hechts Freund Hans, der Vater des Kindes, sah seine kleine Tochter nur einmal, als er Heimaturlaub als Soldat bekam. Kurz darauf starb er an der Ostfront.
Nach der Auswanderung des Bruders hatte Felix Hecht in die Dillstraße ziehen müssen, in eines der dortigen "Judenhäuser". Er lebte in einem winzigen Zimmer, vollgepackt mit Zeitungen, aus denen er sich ein kleines Privatarchiv zusammenstellen wollte. Er lernte, auf einer Kochplatte zu kochen.
Während der Bombenangriffe auf Hamburg 1943 gelang es im allgemeinen Chaos, dass sich die Familie noch einmal heimlich sehen konnte. Das Haus Hansastraße 72 wurde von Bomben getroffen. Die mutige Briefträgerin der Hechts stellte ihnen ein kleines Nebengelass ihres eigenen Luftschutzkellers zur Verfügung, Felix Hecht wurde aus der nahen Dillstraße dazugeholt, ebenso der Sohn Wolfgang, im Schein einer Kerze saßen die Fünf für Stunden beisammen – es war die letzte Begegnung Felix Hechts mit Frau, Tochter und Enkelin.
Kurz darauf konnten Ingeborg Hecht, ihre Mutter und das Baby eine Bleibe in Süddeutschland, in Staufen im Breisgau, finden. Felix Hecht und Wolfgang blieben in Hamburg zurück. Aus Angst vor der "Sippenhaft" wagte Felix Hecht es nicht, dass allgemeine Durcheinander während der Luftangriffe zu nutzen, um – etwa mit gefälschten Papieren – ebenfalls Hamburg zu verlassen.
Am 18. Januar 1944 erhielt er die Aufforderung, sich für den Transport nach Theresienstadt in der Talmud-Tora-Schule, Grindelhof 30, einzufinden. Der Schutz, den die "privilegierte Mischehe" Juden bot, war mit der Scheidung erloschen, und ab 1943 ging die Gestapo ihre Karteien regelmäßig durch, um die Juden aus aufgelösten Mischehen zu deportieren. Ihnen wurde das "Vorzugslager" Theresienstadt zugesprochen. Wolfgang Hecht, der in Hamburg geblieben war – er hatte eine "arische" Freundin dort – begleitete seinen Vater auf diesem letzten Weg. Am 19. Januar verließ der Zug Hamburg, es war der Transport VI/9-14. Mit Felix Hecht wurden sechzig weitere Leidensgenossen deportiert. Am 22. Januar 1944 traf dieser Transport in Theresienstadt ein.

Aus Theresienstadt durften die Häftlinge monatlich eine im Wesentlichen vorgedruckte Postkarte schreiben und Päckchen ("armselig genug") aus der Heimat empfangen. Oft war der auf der Karte geäußerte Dank für bestimmte Dinge ein Zeichen für die Angehörigen, dass genau diese dringend erwünscht waren. Die Familie erfuhr auf diese Weise auch, dass Felix Hechts Schwester Alice ebenfalls in Theresienstadt war. Alice Hecht war schon am 28. Oktober 1942 zusammen mit den Insassen des Jüdischen Altersheimes aus Berlin dorthin deportiert worden. "… sie kocht uns alles sehr schön … arbeitet noch immer beim Gesundheitswesen, wie auch Pappi als Jurist …" schrieb er auf einer seiner Karten. Das waren natürlich, ebenso wie Berichte von Konzerten und Theateraufführungen, sehr geschönte Nachrichten, die der Theresienstädter Wirklichkeit in keiner Weise entsprachen. Dann blieben auch diese spärlichen Lebenszeichen aus.
Am 28. September 1944 wurde Felix Hecht mit dem Transport EV 1651 von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Davon erfuhren seine Angehörigen erst 1948 durch den Suchdienst der Vereinigung der Opfer des Naziregimes. Die Todeserklärung erfolgte am 17. Februar 1950 durch das Amtsgericht Hamburg.

Alice Hecht wurde am 12. Oktober 1944 ebenfalls nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet.
Edgar Hecht kam in Schanghai am 17. Juli 1945 während eines amerikanischen Luftangriffs durch einen Bombensplitter ums Leben.

Der Sohn Wolfgang wurde in Hamburg ab April 1944 zu schwerer körperlicher Zwangsarbeit dienstverpflichtet und erlebte dort das Kriegsende. Nach dem Krieg konnte er seine Freundin heiraten. Doch die Ehe scheiterte. Wolfgang Hecht wanderte 1953 nach Honduras aus, dann weiter nach Guatemala, wo er sich wieder verheiratete. Aus dieser Ehe stammt ein Sohn.

Ingeborg Hecht lebte weiter in Süddeutschland, zusammen mit ihrer Mutter und der Tochter, sie heiratete 1947 Hanns Studniczka. Auch sie und ihr Bruder mussten "die alptraumartige Wanderung durch die Dschungel der Wiedergutmachungsgesetze" (I. Hecht) auf sich nehmen, sie galten als nur "mittelbar geschädigt" und die schließlich nach zehn Jahren gewährte "Wiedergutmachung" war demütigend gering. Seit 1954 lebte Ingeborg Hecht als freie Schriftstellerin in Freiburg. Zwischen 1975 und 1979 starben ihr Ehemann, die Tochter Barbara und zuletzt auch die Mutter. Ingeborg Hecht litt über 30 Jahre an einer schweren Phobie, aus der sie erst der Erfolg ihrer Bücher, die intensive Zuwendung von Freunden und die Notwendigkeit, als Zeitzeugin für die Nachkriegsgeneration zu wirken, erlösen konnten.
Sie starb in Freiburg in der Nacht zum 7. Mai 2011, im Alter von neunzig Jahren.

© Heidi Kahlke

Quellen: Ingeborg Hecht "Als unsichtbare Mauern wuchsen. Eine deutsche Familie unter den Nürnberger Rassegesetzen", Hamburg 1984;dies., "Von der Heilsamkeit des Erinnerns", Hamburg 1991; Rita Bake "Verschiedene Welten II", Landeszentrale für politische Bildung, "72. Station. Colonnaden 25/27/Ecke Büschstraße"; Rüdiger Schütt "Bohemiens und Biedermänner. Die Hamburger Gruppe 1925 bis 1931", Hamburg, 1996; Maike Bruhns "Kunst in der Krise – Hamburger Kunst im Dritten Reich", Hamburg 2001; www.aktives-museum.de / Gesamtaufnahme-Kunsthandel-in-Berlin-1928-1943; "Justiz und Nationalsozialismus"- Katalog zur Ausstellung 1989; Heiko Morisse "Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg. Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat", Hamburg, 2003; ders., telefonische Auskünfte im Januar 2013; Udo Löhr "50. Jahrestag der Nürnberger Gesetze", Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins MHR 3/1985; ders., telefonische Auskünfte; E-Mail Auskunft vom 25.2.2013; Thomas Held "Juden und Freimaurer in Hamburg. Eine historisch-quantifizierende Untersuchung", Hamburg 1983; Frank Bajohr ""Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945", Hamburg 1997; E-Mail-Auskünfte des jetzigen Meisters vom Stuhl der "Ferdinande Caroline", Herrn Hans Schwarz, vom 8.11.2012 und weitere; Central Data Base Yad Vashem zu Alice und Edgar Hecht; StaHH 241-2, Justizverwaltung – Personalakten, 1782; StaHH 351-1, Amt für Wiedergutmachung, 46039; StaHH 522-1, Jüdische Gemeinden, 992 b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde; StaHH 622-1/328, Familie Hecht; StaHH 231-3 Handelsregister; StaHH 324-1 Baupolizeiliche Akte Büschstr.10/Ecke Colonnaden; div. Hamburger Adressbücher; Berliner Adressbücher.

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