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Bereits verlegte Stolpersteine



Ernst Jacobson
Ernst Jacobson
© Privatbesitz

Ernst Jacobson * 1891

Hagedornstraße 47 (Hamburg-Nord, Harvestehude)


HIER WOHNTE
ERNST JACOBSON
JG. 1891
"SCHUTZHAFT" 1938
SACHSENHAUSEN
FLUCHT 1938 HOLLAND
TOT AN HAFTFOLGEN
4.1.1939 AMSTERDAM

Weitere Stolpersteine in Hagedornstraße 47:
Ellen Henriette Jacobson, Bertha Jacobson

Ernst Jacobson, geb. 1.12.1891 in Hamburg, an den Folgen von Misshandlungen in der Haft am 4.1.1939 in Amsterdam gestorben
Ellen Henriette Jacobson, geb. 6.10.1927, vom Durchgangslager Westerbork über das Getto Theresienstadt nach Auschwitz deportiert, am 28.2.1945 im Konzentrationslager Stutthof ermordet
Bertha Jacobson, geb. Lehmann, geb. 4.8.1897 in Köln, vom Durchgangslager Westerbork über das Getto Theresienstadt nach Auschwitz deportiert, am 7.12.1944 im Konzentrationslager Stutthof ermordet

Hagedornstraße 47

Ernst John Martin Jacobson kam am 1. Dezember 1891 in Hamburg zur Welt. Sein Vater war der jüdische Kaufmann John Jacobson, seine Mutter die ebenfalls jüdische Henriette, geborene Wulff. Er hatte noch zwei Geschwister: Olga Marianne, geboren 1893, und Ludwig Leopold, geboren 1895. Sein Vater war Mitinhaber der Rohtabakfirma Meyer & Jacobson mit Sitz in der Hamburger Speicherstadt. Die fünfköpfige Familie Jacobson wohnte seit 1909 am Leinpfad 20 in Hamburg-Winterhude. Das Haus hatte der renommierte Architekt Ernst Friedheim bauen lassen, der wenige Jahre zuvor die Hamburger Bornplatz-Synagoge entworfen hatte.

Auch Ernst erwarb kaufmännisches Wissen und stieg in die väterliche Firma ein, die er später ganz übernahm. Ab 1917 gehörte er der Jüdischen Gemeinde an. Durch die Bekanntschaft der Väter lernten sich vermutlich deren Kinder Ernst Jacobson und die acht Jahre jüngere Paula Friedheim kennen. Im Sommer 1923 heirateten sie und Paula zog zu ihrem Mann in den Leinpfad. Im Jahr darauf, am 23. Juli 1924, wurde Ursula, genannt Ulla, geboren.

Mit ihrer Geburt siedelte das Paar zu Paula Jacobsons inzwischen verwitweter Mutter Hedwig Friedheim in die Heimhuderstraße 26 über, in Hamburg-Rotherbaum. Dort kam drei Jahre später, am 6. Oktober 1927, Ellen Henriette zur Welt. Die Familie pflegte einen großbürgerlichen Lebensstil, zur Einrichtung gehörte auch ein Bechstein-Flügel. 1929 zogen sie erneut um, nun nach Hamburg-Harvestehude. In der "Belle Etage", dem 1. Stock, in der Hagedornstraße 47 hatten sie eine geräumige Wohnung gefunden.

Im Spätsommer 1934 – die Nationalsozialisten waren inzwischen seit mehr als anderthalb Jahren an der Macht – fuhr Paula Jacobson zur Kur in eine psychiatrische Klinik in Königstein im Taunus. Ihr Mann hatte sie dorthin geschickt, da sie seiner Meinung nach unter Depressionen litt. Der tatsächliche Grund für ihre Verzweiflung war aber ein tiefgreifender Konflikt zwischen den Eheleuten. Ernst Jacobson fühlte sich durch und durch als Deutscher. Als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg war er schwer verletzt worden und hatte eine Niere verloren. Erst 1920 war er nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft in Russland nach Hamburg zurückgekehrt – ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz. Wie so viele assimilierte jüdische Deutsche dachte er nicht an Flucht vor dem Terror des NS-Staates. "Ich bin ein guter Deutscher, sie werden uns nichts tun", davon war er zutiefst überzeugt. Doch Paula Jacobson teilte seinen Optimismus nicht und litt sehr unter dem zunehmenden Antisemitismus. Sie wollte in die USA auswandern, aber ihr Mann war nicht dazu zu bewegen.

Die Ärzte in Königstein konnten ihr in ihrer Verzweiflung nicht helfen. Am Nachmittag des 19. Septembers 1934 wurde sie in der Königsteiner Burgruine tot aufgefunden. Sie hatte sich vom Burgturm gestürzt, erst 35 Jahre alt. Ihre Töchter Ulla und Ellen waren zu jener Zeit 10 und 7 Jahre alt.

Im folgenden Jahr, am 26. November 1935, heiratete Ernst Jacobson in Hamburg ein zweites Mal: die damals 38-jährige, aus Köln stammende Bertha Lehmann. Ihre Eltern Isidor und Amalie Lehmann waren mit ihr und ihren Geschwistern Selma, Aurelie und Alfred um 1913 nach Hamburg gezogen. Ihr Vater hatte hier eine Agentur für Herrenstoffe gegründet. Nach der Hochzeit zog Bertha zu ihrem Ehemann und seinen beiden Töchtern in die Hagedornstraße.

Im März 1938 wurde Ernst Jacobsons Firma "arisiert" und er damit enteignet. Von nun an besaßen die Jacobsons deutlich weniger Geld zum Leben. Zwar konnten sie auf Erspartes zurückgreifen, die Wohnung in der Hagedornstraße mussten sie jedoch aufgeben und lebten fortan zur Untermiete – ab Juli 1938 in Hamburg-Blankenese, in der Manteuffelstraße. Jetzt erkannte auch Ernst Jacobson, dass es für ihn und seine Familie in Deutschland keine Zukunft mehr gab. Mit Nachdruck betrieb er die Flucht in die Niederlande, wo bereits seit 1933 sein Schwager Alfred Lehmann und dessen Familie in Amsterdam lebten.

Ernst Jacobson stellte den für die Auswanderung nötigen Antrag bei der Devisenstelle des Hamburger Finanzamtes, fertigte wie verlangt umfangreiche Listen mit genehmigungspflichtigem Umzugsgut an und organisierte dessen Transport ins Ausland. Nach Eingang des Auswanderungsantrags erließ die Devisenstelle umgehend eine "Sicherungsanordnung" gegen Ernst Jacobson. Damit waren nun auch Bankkonten, Wertpapiere und Lebensversicherungen gesperrt. Diese Maßnahmen bildeten neben den Enteignungen einen weiteren Teil der systematischen Ausraubung der jüdischen Bevölkerung durch das NS-Regime. Endlich aber erhielt Ernst Jacobson für sich und seine Familie eine Einwanderungsgenehmigung für die Niederlande. Doch dann erkrankte Bertha Jacobson schwer und die Ausreise verzögerte sich.

Zu allem Überfluss verhaftete die Hamburger Zollfahndungsstelle Ernst Jacobson am 12. November 1938 wegen Devisenvergehens. Vermittelt durch seinen Schwager Alfred Lehmann hatte er einem nichtjüdischen deutschen Kaufmann ein relativ hohes zinsloses Darlehen gegeben. Dafür sollte der Schuldner einen bestimmten Betrag als Sicherheit auf ein Konto in den Niederlanden einzahlen. Deshalb verdächtigte die Zollfahndungsstelle Ernst Jacobson, auf diesem Weg Geld ins Ausland transferieren zu wollen, was Jüdinnen und Juden bereits seit 1934 grundsätzlich nur noch über die Deutsche Golddiskont-Bank erlaubt war – mit extrem hohen Verlusten. Der NS-Staat brauchte das Geld für die Kriegsvorbereitungen.

Bertha Jacobson nahm daraufhin allen Mut zusammen und flehte den Hamburger Oberfinanzpräsidenten an, ihren Mann freizulassen – denn die Einreisegenehmigung in die Niederlande galt nur bis zum 1. Dezember 1938. Am 23. November 1938 kam Ernst Jacobson schließlich frei, gegen Zahlung einer Geldstrafe von 25.000 Reichsmark. Fast sofort flohen Bertha, Ulla, Ellen und er aus Deutschland. Doch in der Haft war er schwer misshandelt worden. Die Folge war eine Infektion, die zu einer Nierenvergiftung führte, sodass er direkt nach der Ankunft in Amsterdam ins Krankenhaus gebracht werden musste. Dort konnte man nichts mehr für ihn tun. Am 4. Januar 1939 starb Ernst Jacobson, mit nur 47 Jahren.

Damit waren die inzwischen 14 Jahre alte Ulla und die 11 Jahre alte Ellen Vollwaisen. Ihre Stiefmutter scheint sich jedoch liebevoll um sie gekümmert zu haben. Im Mai 1940 besetzte die Wehrmacht die Niederlande. Ab April 1942 wurden alle Jüdinnen und Juden stigmatisiert, indem sie den "gelben Stern" tragen mussten. Ulla, die in Amsterdam eine Ausbildung in einer Textilfirma absolviert hatte, arbeitete nun für den Joodse Raad (Jüdischen Rat). Dadurch war sie zunächst von den Deportationen ausgenommen, die im Sommer 1942 begannen. Dieses Glück hatten Bertha und Ellen Jacobson nicht. Für sie wurde das Exil zur Falle.

Beide versuchten noch mithilfe des Komitees für jüdische Flüchtlinge zu emigrieren, aber es gelang nicht, auch weil Bertha Jacobson erneut erkrankte. Am 23. März 1943 wurden sie und Ellen verhaftet und im niederländischen Durchgangslager Westerbork interniert. Von dort wurden sie am 26. Februar 1944 in das Getto Theresienstadt deportiert. Nicht einmal drei Monate später verschleppte die SS sie weiter in das KZ Auschwitz und dann in das Konzentrationslager Stutthof. Bertha Jacobson wurde dort laut Sterbeschein von Stutthof am 7. Dezember 1944 ermordet, (das Sterberegister im Stadsarchief Amsterdam nennt als Todesdatum den 7. Juli 1944).
Ellen Jacobson wurde am 28. Februar 1945 im Konzentrationslager Stutthof ermordet.
Auch an sie und Bertha Jacobson erinnern Stolpersteine in der Hagedornstraße 47.

Tochter Ulla überlebte – als einzige der vierköpfigen Familie Jacobson. Nachdem sie im Mai 1943 ebenfalls einen Deportationsbefehl erhalten hatte, war sie untergetaucht und überlebte die Shoah unter falschem Namen – auch weil mehrere Niederländer das Risiko eingingen und sie versteckten. Nach Kriegsende heiratete sie und hieß nun Penninkhof. Sie starb 1985 in den Niederlanden. Ihre beiden Söhne, ihre Tochter und ihr Enkel kamen im August 2022 zur Einweihung des Stolpersteins für Ernst Jacobson nach Hamburg.

An Ernst Jacobsons erste Frau Paula erinnert ein Stolperstein im Leinpfad 20a in Hamburg-Winterhude.

Ernst Jacobsons Bruder Ludwig Leo wurde im KZ Auschwitz ermordet. Für ihn liegt ein Stolperstein in der Gustav-Leo-Straße 14 in Hamburg-Eppendorf.

Ernst und Ludwig Leos seit 1928 verwitwete Schwester Olga Loeb konnte in die USA fliehen und überlebte dort.

Stand: September 2022
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 2; 4, 5, 7, 8, 9; Hamburger Adressbücher; StaH: 213-13_3933, 213-13_5901, 314-15_F614, 314-15_F1163, 314-15_FVg 3546, 314-15_R1938_2922, 314-15_Str 0490, 314-15_R1938_3480, 332-5_187 u. 1681/1891, 332-5_169 u. 83/1898, 332-5_411 u. 2401/1899, 332-5_330 u. 326/1919, 332-5_8779 u. 417/1923, 351-11_3415, 351-11_46786; Stadsarchief Amsterdam, Archiefkaarten A01232: 0499_0159, 0499_0164, 0381_1004, 0381_0929; E-Mail-Korrespondenz mit Jan Penninkhof, 2022, und persönliche Gespräche mit Jan, Ernst Jan und Channah Penninkhof, Juli 2022; Tamara Becker/An Huitzing, Op de foto in orrlogstijd. Studio Wolff, 1943, Eindhoven, 2017, S. 120 u. 122; Jürgen Sielemann, Die Architekten der Bornplatzsynagoge und ihre Familien. Ernst Friedheims Familie, in: Liskor – Erinnern. Magazin der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V., Nr. 18 (2020), S. 3–15; Taunus-Zeitung, 19.09.1934; Peter Burghardt, Hamburgs verschwundener Stolperstein, in: Süddeutsche Zeitung, 2.12.2021; Olaf Wunder, Gestohlener Stolperstein ist ersetzt, in: Morgenpost, 20.12.2021, S. 8; Bertha Jacobson-Lehmann, in: Joods Monument, joodsmonument.nl/en/page/191246/bertha-jacobson-lehmann (Zugriff 19.09.2022); Ellen Henriette Jacobson, in: Joods Monument, joodsmonument.nl/en/page/191245/ellen-henriette-jacobson (Zugriff 19.09.2022).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Website "Recherche und Quellen".

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