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Anna Karberg * 1913

Josephstraße 10 (Wandsbek, Wandsbek)


HIER WOHNTE
ANNA KARBERG
JG. 1913
EINGEWIESEN 1919
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 12.12.1944

Anna Karberg, geb. am 11.6.1913 in Wandsbek, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 6.12.1919, abtransportiert nach Wien am 16.8.1943 in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof"), dort gestorben am 12.12.1944

Josephstraße 10 (früher Josephstraße 3b), Wandsbek

Anna Karberg wurde als eines von fünf Geschwistern am 11. Juni 1913 in der damals noch selbstständigen Stadt Wandsbek geboren. Ihre Eltern stammten aus Mecklenburg. Der lutherisch getaufte Vater Fritz Johann Theodor Karberg war am 10. November 1871 in dem Dorf Losten (heute ein Ortsteil der Gemeinde Bad Kleinen) geboren worden, die Mutter Anna Christine Sophia, geborene Dünnfründ, war am 17. Oktober 1876 in dem Dorf Neu Lübsdorf (heute ein Ortsteil der Gemeinde Lübstorf) zur Welt gekommen. Die beiden hatten am 7. Mai 1897 in dem nahe gelegenen Dorf Alt Meteln geheiratet.

Die Eheleute ließen sich zunächst in Anna Karbergs bisherigem Wohnort, der Gemeinde Dambeck südlich von Schwerin, nieder. 1898 oder 1899 zogen sie nach Hamburg in den Heidenkampsweg 40. Zur Familie gehörten zu dieser Zeit die Töchter Ida Sophie Christine Karberg, geboren am 6. April 1897 in Dambeck, und Martha Elise Auguste Sophia Karberg, geboren am 8. August 1898 in Drispeth, einem Nachbardorf von Dambeck. Martha Elise Auguste Sophia Karberg lebte nur etwa 1 ¼ Jahre, sie starb am 29. Dezember 1899 in der Wohnung am Heidenkampsweg an Lungenentzündung.

In Hamburg kamen am 19. Oktober 1904 die Tochter Gretchen Anna Emma, etwa im Oktober 1911 der Sohn Willi Heinrich und schließlich am 11. Juni 1913 die Tochter Anna zur Welt. Willi Heinrich lebte nur fünf Monate, er starb am 1. Februar 1912 an "Körperschwäche". Gretchen Anna Emma scheint sich ohne Probleme entwickelt und die Schule besucht zu haben.

Wir wissen nicht, wann die Familie eine Wohnung in Wandsbek fand. Bei Willi Heinrichs Tod wurde in der Sterbeurkunde als Adresse Litzowstraße 18 im heutigen Kerngebiet von Wandsbek angegeben.

Hier in der Litzowstraße wurde Anna Karberg am 11. Juni 1913 geboren. Bereits im Alter von einem Jahr bemerkten die Eltern bei ihr lt. Patientenakte "epileptische Anfälle leichter Art". Sie wurde am 6. Dezember 1919 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Bis dahin hatte sie bei ihren Eltern gelebt, die ihren Wohnsitz inzwischen in die Josephstraße 3 b (heute Josephstraße 10) in Wandsbek verlegt hatten.

In der Patientenakte wurde notiert, ihre Aufnahme sei wegen Schwachsinns (frühere Bezeichnung für Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche) erforderlich. Das sechsjährige Mädchen konnte nicht sprechen und wurde als nicht schulfähig eingestuft. In den folgenden Jahren hielt das Personal fest, Anna spreche einige Wörter, aber nur, wenn sie sich unbeobachtet glaube. 1926 hieß es, sie habe gute Fortschritte gemacht und sich an Spielen beteiligt. Sie sei oftmals sehr erregt gewesen, habe sich in der Erregung bis zu Gewalttätigkeit gegen sich selbst hineingesteigert.

Ab 1936 häuften sich die Eintragungen über Krampfanfälle, auch habe Anna in der Körperpflege versorgt werden müssen. 1937 konnte sie offensichtlich gut verständlich sprechen. Anfang 1943 wurde zusammenfassend festgehalten, Anna Karberg müsse in der Körperpflege weiterhin versorgt werden, könne aber allein essen und sei sauber. Im Wesen sei sie anhänglich, still und verträglich und mache keine Schwierigkeiten. Die Eintragungen enden am 16. August 1943 mit der Notiz "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Wien. Dr. Kreyenberg".

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Verlegung in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Am 16. August 1943 wurden mit einem dieser Transporte 228 Frauen und Mädchen aus den Alsterdorfer Anstalten sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") in Wien "verlegt". Unter ihnen befand sich die fast 30 Jahre alte Anna Karberg.

Bei ihrer Aufnahme in der Wiener Anstalt wog sie 44 kg. in den Folgemonaten dort wurde sie als unrein, pflegebedürftig und desorientiert bezeichnet.

Unter dem Datum 14. März 1944 erstellte die Wiener Anstalt einen Meldebogen über Anna Karberg für die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4. Darin hieß es, Anna Karberg erhalte keinen Besuch, sei bettlägerig und hinsichtlich einer Beschäftigung "unverwertbar". Solche Meldebögen waren von 1939 bis August 1941 die Grundlage der Entscheidung über Leben oder Tod von Psychiatriepatient*innen und Heimbewohner*innen durch die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4.

Arbeitsunfähigkeit war in der Regel ausschlaggebend für die Tötungsentscheidung. Wir wissen nicht, ob der Meldebogen über Anna Karberg noch nach Berlin geschickt wurde oder ob er vor Ort die Entscheidung über ihr weiteres Schicksal in Wien vorbereiten sollte.

Anna Karberg wurde am 11. September 1944 in den Pflegebereich der Anstalt verlegt, ein Grund ist in der Akte nicht angegeben. Ihr Gewicht betrug im September 1944 auf 38 kg, im Oktober 1944 war es auf 35 kg zurückgegangen. Am 12. November hieß es in ihrer Krankenakte "schwach" und "verfällt". Die Temperatur wurde mit 36,5 Grad angegeben. Wenig später, am 6. Dezember wurde Tbc-Verdacht notiert.

Anna Karberg starb am 12. Dezember 1944 angeblich an Lungenentzündung und Lungentuberkulose.

Die Anstalt in Wien war während der ersten Phase der NS-"Euthanasie" vom Oktober 1939 bis August 1941 Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gewesen. Nach dem offiziellen Ende der Morde in den Tötungsanstalten wurde in den bisherigen Zwischenanstalten, also auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug.

Bis Ende 1945 kamen in Wien von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf, darunter Anna Karberg.

Anna Karbergs Akte enthält keinen Hinweis darauf, ob ihr Vater von ihrem Ableben verständigt wurde. Ihre Mutter war am 23. März 1943 an Lungentuberkulose und einem Herzleiden gestorben.

Stand: Februar 2023
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg, StaH 332-5_447 Nr. 2418/1899 Sterberegisterauszug Martha Elise Auguste Sophia Karberg, 14226 Nr. 1916/1904 Geburtsregisterauszug Gretchen Anna Emma Karberg, Standesamt Wandsbek Nr. 31/1912 Sterberegisterauszug Willi Heinrich Karberg, 332-5_4598 Nr. 291/1943 Sterberegisterauszug Anna Christine Sophia Karberg; Standesamt Amt Lützow-Lübstorf, Heiratsregisterauszug Alt-Meteln Nr. 7/1897 Fritz Johann Theodor Karberg/ Anna Christine Sophia Dünnfründ; Landesarchiv Greifswald, Taufregister Alt-Meteln, Mecklenburg-Schwerin 1897/1898, Martha Elise Auguste Sophia Karberg, Taufregister Dambeck bei Schwerin 1897/1897 Ida Sophie Christine Karberg, kirchliches Heiratsregister Meteln 1896/1897 Fritz Johann Theodor Karberg/ Anna Christine Sophia Dünnfründ; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Nr. V 185 (Anna Karberg).

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