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Bereits verlegte Stolpersteine



Anna Maria Kugelmann (geborene Wolff) * 1905

Harvestehuder Weg 55 (Eimsbüttel, Harvestehude)

Freitod 19.7.1942 Hamburg

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Harvestehuder Weg 55:
Robert Kugelmann, Erwin Kugelmann, Maria von Platen-Hallermund

Robert Kugelmann, geb. 30.04.1895, Freitod am 19.07.1942
Anna Marie Kugelmann, geb.Wolff, geb. 14.01.1905, Freitod am 19.07.1942
Erwin Kugelmann, geb. 09.09.1885, verstorben am 22.06.1939 and den Folgen der Haft im KZ-Fuhlsbüttel
Maria von Platen-Hallermund, geb. Kugelmann, geb. 24.11.1886, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk

Harvestehuder Weg 55 (frühere Adresse: Alsterkamp 21)

Am 19. Juli 1942, abends um halb neun wurden Robert und Anna Marie Kugelmann in einem Badezimmer der großen Villa am Harvestehuder Weg 55 tot aufgefunden. Sie lagen auf zwei Matratzen gebettet, über ihren Köpfen war der Gashahn geöffnet. Im Hause herrschte große Unordnung, alles war für einen Umzug vorbereitet. Auf dem Schreibtisch lagen die wichtigsten Papiere: ein Testament, der Grabbrief für den Friedhof Ohlsdorf, Wünsche für die Beerdigung, ein Brief an Pastor Dittmann von der Johannis-Kirchengemeinde in Harvestehude mit dem Vermerk auf dem Umschlag: "Das Letzte, was wir geschrieben haben. Es hat nicht sollen sein. Ihr Robert Kugelmann" - und der "Evakuierungsbefehl" der Gestapo Nr.3303/3416 vom 15. Juli 1942. Am 18. Juli 1942, 11 Uhr, hätten sich die beiden, wahrscheinlich mit dem kleinen Sohn Anna Marie Kugelmanns, in der Schule Schanzenstraße zur Deportation einfinden müssen. Dem Schicksal "Theresienstadt" hatten sie sich durch den selbst gewählten Tod entzogen.

Robert Donald Kugelmann war das jüngste von sechs Kindern des Ferdinand Kugelmann und seiner Frau Elena Hercilia, geborene Hahn de Echenagucia. Über den Aufstieg Ferdinand Kugelmanns und das Ende seiner Familie hat Renate Hauschild-Thiessen einen sehr lesenwerten Aufsatz geschrieben.

Das großzügige Anwesen in Harvestehude zeugte von dem Reichtum, zu dem es Ferdinand Kugelmann aus eigener Kraft seit 1871gebracht hatte. Er hinterließ seiner Frau und fünf Kindern, ein Sohn war 1907 im Alter von 19 Jahren gestorben, ein Millionenerbe, als er 1915 starb. Das Vermögen wurde von der Witwe unter der Bezeichnung "Ferdinand Kugelmann Gesamtgut" verwaltet. Keiner der Söhne hatte offenbar die kaufmännische Begabung des Vaters geerbt, um in dessen Fußstapfen zu treten. Sie arbeiteten in anderen Firmen, wohnten aber weiterhin im Elternhaus am Alsterkamp und mussten keine Abstriche im Lebenswandel hinnehmen. Ihre Zwillingsschwestern waren verheiratet, aber beide Ehen scheiterten, und so lebten die Schwestern über einen längeren Zeitraum auch mit in der Villa, versorgt von mehreren Dienstboten.

Elena Kugelmanns Mutter war eine katholische Kreolin, die den Hamburger Juden Carl Hahn geheiratet hatte, der es in Venezuela zu nennenswertem Reichtum gebracht hatte. 1881 heiratete sie in Paris Ferdinand Kugelmann, mit dem sie nach Hamburg zog, in die Heimat ihrer Vorfahren väterlicherseits. Ihre sechs Kinder, geboren zwischen 1883 und 1895 wurden evangelisch getauft. Nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen waren sie jedoch Dreivierteljuden und wurden als Volljuden eingestuft, was ihr Schicksal bestimmte.
Nur eine Tochter überlebte das Dritte Reich.

Die beiden ältesten Söhne, Ferdinand und Erwin kamen 1939 ums Leben. Ferdinand, der sich Fernand nannte, starb Dezember 1939 in der "Psychiatrischen und Nervenklinik der Hansischen Universität Eilbektal". Als Todesursache wurde Herz- und Kreislaufschwäche angegeben.

Erwin Kugelmann war seine homosexuelle Veranlagung zum Verhängnis geworden. Zwischen 1936 und 1938 wurde er dreimal für kurze Zeit im KZ Fuhlsbüttel gefangen gehalten. Ende 1938 kam er in das Untersuchungsgefängnis am Holstenwall, das er als gebrochener Mann verließ. Er starb im Juni 1939.

So musste Elena Kugelmann, 82 Jahre alt, den Tod ihrer beiden Söhne erleben. Im November 1940, also im zweiten Kriegsjahr, kam sie selbst ums Leben: Während einer Verdunklung als Vorsichtsmaßnahme gegen Bombenangriffe stürzte sie im eigenen Haus die Treppe hinab und war sofort tot.

Zu dieser Zeit lebte die Familie nicht mehr in unbegrenztem Reichtum. Im April 1938 hatten die Kugelmanns wie alle Juden ihr Vermögen anmelden müssen und konnten seit dem nicht mehr frei darüber verfügen. Der monatliche Betrag, der ihnen zugestanden wurde, verringerte sich ständig. Zuerst durfte Elena Kugelmann noch 2.400 RM monatlich abheben. Davon musste sie außer dem großen Haushalt den Krankenhausaufenthalt für den einen Sohn und die Anwaltskosten für den anderen bestreiten. Nach dem Tod der beiden wurde der Betrag auf 1.000 RM monatlich gekürzt. Diese Summe stand den drei überlebenden Geschwistern auch noch nach dem Tod der Mutter zur Verfügung. Bis 1939 hatte die eine der beiden Zwillingsschwestern, Bella, verwitwete und geschiedene Kück, als Oberin des Ostseekurhofs in Travemünde auf eigenen Füßen gestanden. Dann musste sie als Jüdin diese Stelle aufgeben und zog in das Elternhaus zurück. Ihre Zwillingsschwester Maria, geschiedene Gräfin Platen- Hallermund, war kränklich und pflegebedürftig.

Bella Kück wanderte im Oktober 1941 mit einem der letzten Sammeltransporte über Berlin und Spanien nach Venezuela aus. Maria, die sich entschied, in Hamburg zurückzubleiben, wurde am 18. November 1941 nach Minsk deportiert. Eine der beiden letzten "arischen" Hausangestellten brachte sie zur Moorweide. Man hat nie wieder etwas von ihr gehört.

Da der Haushalt sich wieder verkleinert hatte, wurde die Summe, die Robert Kugelmann als alleiniger Erbe nun monatlich zur Verfügung stand, nochmals gekürzt. Im Behördendeutsch hieß es: "Seine Schwestern sind ausgewandert (Venezuela) bzw. abgewandert (Minsk)."

Im nächsten halben Jahr musste er die beiden letzten nichtjüdischen Hausangestellten nach 18 ½ bzw. 9 Jahren Dienst in der Familie entlassen. Der ebenfalls nichtjüdische Steuerberater, der der Familie eng verbunden war, musste sein Mandat niederlegen.

Aus den Anträgen zur Bewilligung besonderer Ausgaben wissen wir einiges über das letzte Lebensjahr Robert Kugelmanns.

Schon im Juni 1941 hatten er und seine Schwestern 271 RM für Renovierungsarbeiten bewilligt bekommen: sie mussten im oberen Teil der Villa auf Anordnung des Wohnungsamtes zwei Wohnungen zur Aufnahme fremder Mieter schaffen.

Weihnachten 1941 wurden ihm 200 RM für Geschenke an die Hausangestellten und 50 RM für "Postboten, Ascheimerträger, Schneiderin und Zeitungsträger" genehmigt. Im März 1942 durfte er jeder Hausangestellten 2.000 RM zum Abschied als Belohnung für treue Dienste
schenken.

Am 2. Juni 1942 beantragte Robert Kugelmann 500 RM für seine bevorstehende Hochzeit, und fast gleichzeitig, den Freibetrag nicht weiter zu kürzen, da sich der Haushalt mit Frau und Kind wieder vergrößerte.
Am 10. Juni 1942 heiratete er Anna Marie Wolff, die ihren sechsjährigen Sohn Helmut mit in die Ehe brachte.

Wie Robert Kugelmann und Anna Marie Wolff sich kennen lernten, wissen wir nicht. Den Behörden gegenüber gab Robert Kugelmann seine zukünftige Frau als Hausangestellte an. Ihr Sohn lebte zunächst noch bei den Großeltern in der Isestraße, als seine Mutter schon nach Harvestehude gezogen war. 1941 wurde er in die Schule Kielortallee eingeschult, die er aber nach einem halben Jahr wieder verlassen musste. Nach der Heirat nahmen seine Mutter und der Stiefvater ihn zu sich.

Anna Marie Wolff stammte aus Mecklenburg. Ihr Vater war Rechtsanwalt und Notar in Parchim.1938 kam sie mit ihren Eltern und ihrem Sohn nach Hamburg, nachdem in der Progromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Kanzlei des Vaters zerstört worden war. Der Vater ihres Sohnes, ein nichtjüdischer Anwalt und Korvettenkapitän, den sie Anfang der 1930er kennen gelernt hatte, weigerte sich, zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft eine Jüdin zu heiraten.

Anna Marie Wolff wollte Schauspielerin werden, spielte an mehreren kleineren Theatern in Mecklenburg, zum Teil auch für wohltätige Zwecke. Mit einer Freundin, die sie begleitete, trat sie als Rezitatorin auf. Die Gründung der Reichskulturkammer, der Juden nicht angehören durften, deren Mitgliedschaft aber Vorrausetzung für jede künstlerische Betätigung war, setzte ihren beruflichen Hoffnungen ein jähes Ende. Sie war auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen.

Am 3. Juli 1942, gut drei Wochen nach ihrer Hochzeit, stellte Robert Kugelmann den Antrag auf "Hilfe bei der Auflösung des Hauses Alsterkamp und für die Neueinrichtung in der Grindelalle 21". Das bedeutete den Umzug in ein "Judenhaus". Tatsächlich wurden ihm 400 RM dafür genehmigt.

Dieser letzte Antrag ist im Gegensatz zu allen früheren in einer kaum leserlichen Handschrift verfasst. Obwohl seine Schwester schon deportiert worden war, hatte Robert Kugelmann offenbar nicht damit gerechnet, dass er dieses Schicksal teilen müsste. Wahrscheinlich ging er als dekorierter Veteran des Ersten Weltkriegs immer noch davon aus, dass er unter besonderem Schutz stand. Der Umzugsbefehl in das "Judenhaus" dürfte den Eheleuten aber gezeigt haben, dass das nicht mehr der Fall war. Sie bereiteten sich zwar auf den Umzug vor, aber gleichzeitig traf Anna Marie Kugelmann Vorkehrungen, ihren Sohn zu retten.

Ihre Freundin Ilse Alexander, verheiratet mit dem Schauspieler Georg Alexander, der in Berlin unter besonderer Protektion der Nationalsozialisten stand, hielt sich in Hamburg auf. Sie unternahm den vergeblichen Versuch, ihre jüdische Mutter, Bertha Brach, vor der Deportation zu retten. Anna Marie konnte ihr den Sohn anvertrauen. Ilse Alexander nahm ihn mit nach Berlin, für den Jungen wie eine Ferienreise, da niemand ihn spüren ließ, wie schrecklich die Lage der Familie war, und er nicht wusste, warum er mit der Freundin nach Berlin fuhr.

In Berlin konnte er nicht lange bleiben, ohne das Leben seiner Retter in Gefahr zu bringen. So begann für ihn eine Reise durch mehrere Pflegefamilien, die ihn mutig vor der Verfolgung bewahrten. Es mag ein zweifelhafter Trost gewesen sein, dass er gemeinsam mit Bella Kück das Anwesen in Harvestehude erbte. Es war durch rücksichtslose Nutzung zunächst der Nationalsozialisten, später der britischen Militärbehörden so heruntergekommen, dass sich eine Instandsetzung nicht lohnte.

Anna Marie und Robert Kugelmann zogen, wie wir gesehen haben, nicht mehr in die Grindelallee. Sie wurden auf dem Friedhof Ohlsdorf im Familiengrab der Kugelmanns ganz in der Nähe des Wasserturms beigesetzt.

© Christa Fladhammer

Quellen : StAH 331-5 1942/1405; 2 R 1939/2038, 1941/23, 1941/41; WdE/FZH 632 Original: Interviewer Jens Michelsen; Stammbäume der Familien Wolff und Kugelmann, Privatbesitz; persönliches Gespräch mit Helmut Wolff am 08.02.2008; www.filmportal.de/df/11 (Georg Alexander).
Literatur: Renate Hauschild-Thiessen, Ferdinand Kugelmann (1840-1915) Mitbegründer der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, und das Ende seiner Familie, Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Band 14, Heft 10, Oktober 2002; Benjamin Herzberg, "Lichter im Dunkeln" Hilfe für Juden in Hamburg 1933-1945, Hbg. 1997; Als Kind vor den Nazis versteckt, einestages, SPIEGELONLINE, Zugriff 28.02.2008.

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