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Helmut Bartsch * 1895

Bremer Straße 32 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
DR. HELMUT BARTSCH
JG. 1895
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
30.6.1935

Dr. Helmut Bartsch, geb. am 20.1.1895 in Harburg, Flucht in den Tod am 30.6.1935

Stadtteil Harburg-Altstadt, Bremer Straße 32

Nach seinem Abitur am Harburger Realgymnasium in der Eißendorfer Straße 26 (heute: Stadtteilschule Harburg) begannen für Helmut Bartsch die ersten Semester eines Medizin­studiums, das er bald unterbrechen musste, als der Erste Weltkrieg begann und er dem Ruf Kaiser Wilhelms II. zu den deutschen Fahnen folgte. Er zeichnete sich als Fliegeroffizier in zahlreichen Fronteinsätzen durch besondere Tapferkeit aus. Als Träger des Hanseaten-Kreu­zes und des Eisernen Kreuzes 1. und 2. Klasse kehrte er am Ende des Kriegs in seine Heimat zurück.

Nach Abschluss seines Studiums ließ er sich als Arzt in seiner Geburtsstadt in der Bremer Straße 32 nieder. Als solcher erwarb er sich schnell einen ausgezeichneten Ruf. Viele seiner Patientinnen und Patienten waren Arbeiter. Ehrenamtlich war er darüber hinaus als leitender Arzt über viele Jahre für den Harburger Arbeiter-Samariter-Bund tätig, der von Emil Hirschfeld (27.2.1864–28.4.1927), einem bekannten Harburger Arzt jüdischer Abstammung, gegründet worden war.

Diesem fühlte er sich nicht nur beruflich, sondern auch politisch und vor allem menschlich sehr verbunden. Beide waren Mitglieder der SPD, um die Emil Hirschfeld sich nach 1919 als Harburger Senator große Verdienste erworben hatte. (Der heutige Hirschfeldplatz in Harburg erinnert an sein Lebenswerk.)

Emil Hirschfeld begleitete den Lebensweg des jungen Arztes und politischen Weggefährten als väterlicher Freund. Mit seinen beiden Söhnen, dem Journalisten Hans Emil Hirschfeld und dem Arzt Kurt Hirschfeld, der die Praxis seines Vaters nach dessen Tod übernahm, verstand Helmut Bartsch sich ebenfalls sehr gut. Gemeinsam mit ihnen versuchte er, das Erbe seines großen Vorbilds zu bewahren und in Sinne des Verstorbenen weiterzuwirken.

Am 10. Oktober 1925 heiratete Helmut Bartsch die Ärztin Rose Blumenfeld (geb. 10.3. 1896), die Tochter eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: der Sohn Harald, der am 8.10.1926 geboren wurde, und die Tochter Oda, die am 2.11.1927 zur Welt kam. Beide Kinder verbrachten ihre Kindheit und ihre ersten Schuljahre in Harburg.

Als Sozialdemokrat, als Freund der Familie Hirschfeld und als Ehemann einer "Nichtarierin" war Helmut Bartsch den Nationalsozialisten von Anfang an suspekt. Wo immer sie konnten, versuchten sie, ihn öffentlich zu diffamieren und seine Patienten zu vergraulen. Am 31. März 1933 erschien sein Name auf der Liste jüdischer Geschäftsleute, Rechtsanwälte und Ärzte, die auf Beschluss des Harburger Magistrats in Zukunft von städtischen Aufträgen ausgeschlossen werden sollten.

Dieser Beschluss wurde zwei Wochen später allerdings wieder revidiert. Heute lässt sich nicht mehr feststellen, wer diese Korrektur veranlasst hat. Es bleibt offen, ob Helmut Bartsch persönlich vorstellig wurde oder ob einige seiner Patientinnen und Patienten bzw. andere Harburgerinnen und Harburger sich für ihn verwendeten.

Drei Monate später wurde Helmut Bartsch als leitender Arzt der Arbeiter-Samariter-Kolonne Harburg-Wilhelmsburg seines Amtes enthoben, weil ärztliche Mitglieder, die sich nicht zur "nationalen Regierung" bekannten, unerwünscht waren.

Als beide Kinder immer häufiger über Anfeindungen von Lehrern und Mitschülern klagten, hielten Helmut und Rose Bartsch es im Sommer 1934 für ratsam, sie auf die Quäker-Schule "Erde" in Ommen in Holland zu schicken. Den Eltern fiel dies nicht leicht, da sie sich nicht mit dieser Trennung und auch nicht mit der bitteren Wahrheit abfinden konnten, dass es in Deutschland für ihre Kinder offenbar nicht mehr möglich war, eine Schule ohne Anfeindungen zu besuchen.

Außerdem litt Helmut Bartsch immer stärker unter den anonymen Verunglimpfungen seiner Person und den heimlichen und offenen Beleidigungen seiner "halbjüdischen" Frau durch mehrere Nachbarn. Freunden der Familie blieb nicht verborgen, dass er zusehends nachdenklicher und verschlossener wurde. Sie hatten ihn einst als einen fröhlichen und lebenslustigen Menschen kennengelernt, der jetzt verständlicherweise viel von seinem unbeschwerten Auftreten verloren hatte. Der alte Freundes- und Bekanntenkreis wurde von Monat zu Monat kleiner. Die beiden Söhne Emil Hischfelds waren schon bald nach der "Machtergreifung" ins Ausland geflohen; andere, die im Lande geblieben waren, gingen Helmut Bartsch aus dem Wege.

Die Situation verschärfte sich in den ersten Monaten des Jahres 1935: Helmut Bartsch war sonntags während seines Bereitschaftsdienstes zu einem Patienten gerufen worden, der ihn dann jedoch wieder fortschickte. Als dieser Patient verstarb, wurde Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung gegen Helmut Bartsch erstattet. Bald danach kam es zu einem Ermittlungsverfahren gegen ihn vor dem Stader Landgericht, in dessen Verlauf Bartschs Verhalten von Fachleuten als richtig beurteilt wurde. Das Gerichtsverfahren wurde daraufhin eingestellt.

Doch für Helmut Bartsch kam diese Nachricht von der Verfahrenseinstellung zu spät. Ohne die Entscheidung des Gerichts abzuwarten, verließ er am Abend des 26. Juni 1935 die Wohnung in der Bremer Straße, um angeblich noch einen Termin wahrzunehmen. Am nächsten Morgen fand seine Frau ihn bewusstlos in der Garage neben zwei Veronal- und Morphiumspritzen. Alle Rettungsversuche waren vergeblich. Er starb vier Tage nach seiner Einlieferung in das Harburger Mariahilf-Krankenhaus in der Albersstraße (heute: Knoopstraße).

Zur Trauerfeier auf dem Ohlsdorfer Friedhof erschienen nur die engsten Freundinnen und Freunde, da viele befürchteten, dass die NSDAP nicht davor zurückschrecken würde, Spitzel unter die Trauernden zu schleusen.

Der spätere Senatsdirektor und Pressesprecher des Berliner Senats Hans Emil Hirschfeld schrieb nach seiner Rückkehr aus dem Exil rückblickend auf den frühen Tod seines verehrten Freundes Helmut Bartsch: "Trotz [seiner] soldatischen Tapferkeit war er kein robuster Mensch, sondern eher zartfühlend und empfindlich. Aus diesen Gründen hat er wohl, infolge der Verfolgungen und Anfeindungen, seine Lage als Arzt in Harburg als hoffnungslos angesehen. Das kam in den wenigen schriftlichen Mitteilungen, die ich von ihm auf Umwegen erhielt, zum Ausdruck. Für mich besteht kein Zweifel, dass er dadurch zu seinem letzten Verzweiflungsschritt getrieben worden ist."

Die beiden Kinder kehrten nach der Besetzung Hollands durch deutsche Truppen unbehelligt in ihre Heimat zurück. Als "Mischling zweiten Grades" wurde Harald Bartsch bald darauf als Soldat an die Ostfront abkommandiert und gilt seitdem als vermisst. Seine Mutter überlebte den Zweiten Weltkrieg in Hamburg und wanderte später mit ihrer Tochter in die USA aus.

In Übereinstimmung mit einem Beschluss der Harburger Bezirksversammlung veranlasste das Senatsamt für Bezirksangelegenheiten im Februar 1988, dass eine der Straßen im Harburger Neubaugebiet Langenbeker Feld nach Dr. Helmut Bartsch benannt wurde.

© Klaus Möller

Quellen: StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 100396; StaH, 430-5, 1810-08 Dienststelle Harburg, Angelegenheiten der städtischen Polizei, Ausschaltung jüdischer Geschäfte und Konsumvereine; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; HAN 2.7.1935, Amtlicher Anzeiger des Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblattes vom 16.2.1988.

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