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Hermann Martinius * 1888

Möllner Landstraße 107 (Hamburg-Mitte, Billstedt)


HIER WOHNTE
HERMANN MARTINIUS
JG. 1888
VERHAFTET
’ILLEGALES RADIOHÖREN’
ZUCHTHAUS HAMELN
FLUCHT IN DEN TOD
26.1.1945

Hermann Martinius, geb. 20.7.1888 in Horneburg, Tod am 26.1.1945 im Zuchthaus Hameln

Möllner Landstraße 107

"Der Gef. 302/44 Herm. Martinius erkrankte 22/1/45 an Durchfällen, bekam sofort Bettruhe, Krankenkost, Opium und Kohle. Am 26.1. hatte er einen Collaps und wurde ins Lazarett aufgenommen. Unter der Erscheinung der ak. Herzschwäche trat schon nachm. 17 Uhr der Tod ein. Wie festgestellt wurde und wie mir M. am 26.1. morgens auch selbst zugab, hatte M. vor dem 22.1.45 gebrauchtes Maschinenöl getrunken. Einen Grund dafür gab er mir nicht an. Der Genuss dieses Maschinenöls ist offenbar als die Ursache der heftigen Durchfälle anzusehen."

Mit diesem Schreiben vom 1. Februar 1945 beantwortete der Anstaltsarzt des Zuchthauses Hameln an der Weser Amalie Martinius’ Anfrage nach den Gründen für das plötzliche Ableben ihres Mannes, der ihr kurz zuvor noch mitgeteilt hatte, dass er gesund sei und es ihm gut gehe. Amalie Martinius bezweifelte die Schilderung der Todesursache ihres Mannes. Ihre Zweifel wurden auch nicht zerstreut, als sie im Zuchthaus von Hameln den Nachlass ihres Mannes abholen wollte. Die Gegenstände wurden "als Entschädigung für RM 1,29 (eine Reichsmark u. 29 Pfg.) (!) Beerdigungskosten einbehalten"; der Fehler wurde nachträglich auf 129 RM korrigiert.

Amalie Martinius wurde als Amalie Wunderlich am 5. Juni 1893 in Hamburg geboren. Sie war Hermann Martinius’ zweite Ehefrau. Er kam am 20. Juli 1888 als Sohn des Kolonialwarenhändlers Friedrich Martinius in Horneburg, Kreis Stade, zur Welt, besuchte dort die Volksschule und anschließend das Gymnasium in Stade mit dem Wunsch, die Laufbahn eines Schriftstellers einzuschlagen. Durch den frühen Tod seines Vaters gezwungen, verließ er das Gymnasium mit der Obertertia und bereitete sich auf die Übernahme des elterlichen Geschäfts vor. Er absolvierte eine Lehre zum Verkäufer in der Manufakturwarenbranche in Osnabrück.

Hermann Martinius ging eine erste Ehe ein, aus der der Sohn Heinz-Joachim, geb. am 10. Juli 1912 in Bremen, hervorging. Bis zu seiner Einberufung im Ersten Weltkrieg im Juli 1915 zum Jägerbataillon 8 arbeitete Hermann Martinius als kaufmännischer Angestellter. Sein Fronteinsatz in Frankreich endete mit einer Sehnenoperation, die ihn frontuntauglich machte. Er wurde zur Artillerie-Fliegerschule bei Mitau in Lettland abkommandiert und 1918 als Gefreiter entlassen. Auf die Auszeichnung mit dem Frontkämpfer-Ehrenkreuz verzichtete er.

Hermann Martinius fand 1919 eine Anstellung als Lagerverwalter beim Konsum- und Sparverein Unterweser in Wesermünde, wo er bis 1923 tätig blieb. Dort wurde auch sein Sohn Heinz-Joachim 1919 eingeschult. Er besuchte später die Realschule und schlug den Berufsweg eines Außenhandelskaufmanns ein.

Nach seiner Übersiedlung nach Hamburg machte sich Hermann Martinius selbstständig als Vertreter für Wäsche, Hüte und Mützen, woraus sich eine Tätigkeit als Grossist entwickelte. Seine Haupteinnahmequelle war die Vertretung der "Hamburger Wäschefabrik" in der Spaldingstraße. Im Januar 1931 erlitt er eine schwere "Kopfgrippe", in deren Folge er seinen Beruf als Handelsvertreter nicht mehr ausüben konnte.

Am 19. Oktober 1933 brachte Amalie Martinius die Tochter Helga zur Welt. Erst im Juli 1936 fand Hermann Martinius eine neue Anstellung, zunächst als Arbeiter, später als Bote beim Heereszeugamt in Glinde. Sein Sohn Heinz-Joachim trat 1937 in die NSDAP und die SS, 1939 in die Waffen-SS ein. Er kämpfte in Griechenland, wurde verwundet, erkrankte an Malaria und wurde 1944 bei der Bombardierung des Zuges, in dem er nach Belgrad ins Lazarett trans­portiert wurde, verschüttet. Schwer hirnverletzt lag er im Lazarett in Belgrad, als sein Vater vor dem Hamburger Sondergericht stand.

Am 20. Juni 1944 wurde Hermann Martinius vom Hamburger Sondergericht wegen Vergehens gegen § 1 der Rundfunkverordnung vom 1. September 1935 zu drei Jahren Zuchthaus und drei Jahren Ehrverlust unter Anrechnung der dreimonatigen Polizei- und Untersuchungshaft verurteilt. Er besaß einen "Emerson-Luxor"-Rundfunkapparat mit fünf Röhren, ohne Einstellskala, mit dem er regelmäßig Sendungen der BBC hörte. Der Vorwurf lautete, zunächst habe der Beschuldigte den Sender zufällig gefunden, ihn dann aber gezielt gesucht. Über das Gehörte habe er mit seinen Kollegen beim Heereszeugamt in Glinde gesprochen, was ihm aber nicht nachgewiesen werden konnte. Es ist anzunehmen, dass Hermann Martinius aufgrund einer Denunziation am 21. März 1944 verhaftet und von der Gestapo ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel verbracht wurde. Bei der nachfolgenden Hausdurchsuchung wurde das Rundfunkgerät eingezogen. Die Gestapo-Beamten beschlagnahmten außerdem eine Zeitungsausschnittsammlung aus den Jahren 1940 bis 1943, aus deren Unterstreichungen und Kommentaren Martinius‘ negative Einstellung zum NS-Regime hervorging.

Im Mai wurde Hermann Martinius in das Untersuchungsgefängnis Holstenglacis verlegt, wo er bis zur Gerichtsverhandlung blieb. Das Gericht attestierte ihm als "Wirrkopf" und "Eigenbrötler" Ungefährlichkeit, was ihn jedoch nicht vor der Haftverbüßung im Zuchthaus Hameln bewahrte. Seine Frau und Tochter erhielten während seiner Haftzeit keinerlei finanzielle Unterstützung. Amalie Martinius versuchte, als Wäscherin ihr Auskommen zu finden.

Die tatsächliche Todesursache ihres Mannes ließ sich nicht klären.

© Initiative Stolpersteine in Hamburg-Billstedt

Quelle: VAN-Totenliste 1968; Für Freiheit und Demokratie; StaH, 351-11 AfW, 100712.

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