Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Anna und Walter Bunge, 1930er Jahre
© Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg

Walter Bunge * 1898

Pusbackstraße 38 (Wandsbek, Rahlstedt)


HIER WOHNTE
WALTER BUNGE
JG. 1898
VERHAFTET 1942
’WEHRKRAFTZERSETZUNG’
HINGERICHTET 27.11.1944
ZUCHTHAUS
BRANDENBURG / GÖRDEN

Walter Bunge, geb. 28.2.1898 in Halle an der Saale, am 27.11.1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet

Pusbackstraße 38

Walter Bunge wuchs mit drei Geschwistern bei seiner Mutter Emilie Bunge in Halle auf. Nach der Volksschule begann er eine Schlachterlehre bei seinem Onkel. Als dieser im Ersten Weltkrieg fiel, zog Walter Bunge nach Hamburg und meldete sich freiwillig zum Heer. Als Kriegsgegner kehrte der Zwanzigjährige aus Belgien zurück. Ein Kopfschuss hatte sein rechtes Auge zerstört, von der Verletzung herrührende Kopfschmerzen begleiteten ihn sein Leben lang.

1919 lernte Walter Bunge die 1898 in Altona geborene Anna Zucker kennen. Beide verband eine lebenslange tiefe Liebe. Sie bekannten sich zu den gleichen pazifistischen Idealen und tra­ten der SPD bei. 1923 wechselten sie zur KPD. Walter Bunge wurde Gemeindevertreter der KPD in Rahlstedt.

Anna und Walter Bunge beschlossen "zu siedeln" und erwarben in der Pusbackstraße 38, im damals noch zum Kreis Stormarn gehörenden Meiendorf-Rahlstedt, ein Grundstück, wo sie Hühner züchteten. Daneben beriet Walter Bunge Leidensgenossen, Kriegsversehrte, die sich mit der Behördenbürokratie um ihre Kriegsrente stritten und betätigte sich weiter politisch: Er wurde Vorstandsmitglied im "Internationalen Bund der Opfer des Krieges". 1931 nahm er an einer Studienreise in die Sowjetunion teil, von der er tief beeindruckt zurückkehrte. So erwog er, am heutigen Meiendorfer Weg eine Hühnerfarm nach dem Vorbild einer sowjetischen Kolchose mit 150.000 Legehennen aufzuziehen.

Kurz vor der Reichstagswahl am 5. März 1933 begann die lange Reihe von Walter Bunges Gefängnisaufenthalten, er war als aktiver Kommunist bekannt und wurde "präventiv" von der Kripo festgenommen. Er las kommunistische Zeitungen und organisierte deren Verteilung in Rahlstedt und Umgebung. Eineinhalb Jahre Haft brachte ihm 1935 die illegale Auf­nahme und Versorgung eines Widerständlers ein, dessen Namen er nicht preisgeben wollte.

Auch Anna Bunge wurde in dieser Zeit wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt.

Als Walter Bunges Kriegsversehrtenrente halbiert wurde, richtete er eine Süßmosterei ein, um seine materielle Existenz zu sichern. Besonders in Berne, Volksdorf und Rahlstedt wurde sein Betrieb bald bekannt. Der Kundenkreis vergrößerte sich und Bunge konnte sich bald modernere Geräte anschaffen.

Da Anna Bunge in einem Hamburger Büro arbeitete, freute Walter Bunge sich, wenn Schülerinnen aus Meiendorf in der Mosterei mithalfen. Der Umgebung blieb seine Gegnerschaft zum NS-Regime nicht verborgen, denn während der Arbeit, gegenüber Nachbarn und Familienmitgliedern, sprach er über seine politische Einstellung. Freimütig äußerte er sich auch gegenüber seinem Neffen Otto Hirsch, der die Bunges 1941 in der Pusbackstraße besuchte. Da der junge Mann als Soldat an die Ostfront sollte, riet der Onkel ihm, doch lieber gleich zu den Russen überzulaufen. Dies kam Walters älterem Bruder Ernst zu Ohren, der in Berlin als Amtsleiter der NSDAP, Schulungsleiter und Kreisredner fungierte. Ernst denunzierte seinen Bruder bei der Gestapo. Mit der erneuten Festnahme im Juli 1942 war Walter Bunges Schicksal besiegelt.

Die Anklage des Volksgerichtshofes in Berlin lautete nun: "Vorbereitung zum Hochverrat" und "Wehrkraftzersetzung". Walter Bunge wurde im Februar 1943 zum Tode verurteilt.
Während ihr Mann im Zuchthaus Brandenburg/Görden Tag und Nacht gefesselt in der Zelle lag, führte Anna Bunge den Süßmost-Betrieb weiter. Außerdem setzte sie alle Hebel in Gang, um über den Rechtsanwalt, der Walter Bunges Sache beim Volksgerichtshof vertrat, ein Wiederaufnahmeverfahren zu erwirken. Dies kam schließlich zustande, da dem Neffen nachgewiesen werden konnte, dass er im Detail eine Falschaussage gemacht hatte, die seine Glaubwürdigkeit im Ganzen in Frage stellte.

Anna Bunge reichte beim Gericht 65 Leumundszeugnisse für ihren Mann ein, selbst einige überzeugte Nationalsozialisten aus Rahlstedt sprachen sich für ihn aus.

Wegen der zahlreichen Bombenangriffe auf Berlin fand die zweite Hauptverhandlung erst am 20. Oktober 1944 statt. Der Neffe war inzwischen als Soldat gefallen. Dafür trat Walters Bruder Ernst als Kronzeuge auf.

Anna Bunge berichtete 1965, alle Gegenargumente, die Zeugen sowie die positiven Leumundszeugnisse seien einfach übergangen und Walter Bunge so zum zweiten Mal zum Tode verurteilt worden. Das Verfahren unter der Leitung des Präsidenten des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, gegen Walter Bunge hätte einem Lehrbuch für NS-Justiz entstammen können. In der Begründung des Oberstaatsanwalts Wittmann hieß es: Bunges Verschulden sei zwar nicht erwiesen, aber auf Grund seiner politischen Vergangenheit sei es ihm zuzutrauen.

Walter Bunge wurde am 27. November 1944 mit 46 Jahren in Brandenburg-Görden enthauptet.

Anna Bunge wohnte bis zum Lebensende am 11. August 1967 in der Pusbackstraße.
Als in den 1980er Jahren ein neuer Eigentümer des Grundstücks das letzte Gebäude aus der Bungezeit, den Hühnerstall, abriss, förderte er umfangreiche politische und persönliche Dokumente zu Tage, die Walter Bunge dort irgendwann im doppelten Boden versteckt haben musste. Sie enthielten unter anderem sein Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei, Pressematerial, Architekturentwürfe für die Hühner-Kolchose und die Briefe an Anna von seiner Reise in die UdSSR.

© Eva Lindemann und Ursula Pietsch

Quellen: FZH Akte 11 B 29 Bunge, Anna/Walter; Materialfund Pusbackstraße 38 (inzwischen im HIZ archiviert); Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer, Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945, Frankfurt/Main 1980; Ursel Hochmuth, Niemand und nichts wird vergessen. Biogramme und Briefe Hamburger Widerstandskämpfer 1933–1945, Hamburg 2005.

druckansicht  / Seitenanfang