Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Die Schwestern Gertrud, Melanie, Clara und Gretchen Susmann (r.u.)
© Renate Nottrott

Gretchen Susmann * 1885

Neumühlen 40 (Altona, Ottensen)

1941 Riga

Gretchen Susmann, geb. am 2.7.1885, deportiert nach Riga am 6.12.1941, ermordet März 1942

Neumühlen 40

Gretchen Susmann, neben einem Bruder namens Ludwig die dritte Tochter des Hamburger Ehepaares Leopold Achilles und Fanny Susmann, geborene Polack, stammte aus einer jüdischen Familie. Sie wuchs in der Bundesstraße in Hamburg-Eimsbüttel auf. Von Oktober 1893 bis März 1900 besuchte sie die Höhere Mädchenschule. Danach trat sie eine Kindergärtnerinnenausbildung auf dem Fröbelseminar an, der staatlich anerkannten Schule des Fröbelvereins in der Bundesstraße. Nicht überliefert ist, ob sie die Ausbildung abschloss und ob sie in diesem Beruf gearbeitet hat.

Als unverheiratete Tochter lebte sie bis zum Tode ihres Vaters 1919 und der Auflösung von dessen Haushalt in der Bundesstraße. Im Jahr 1921 zog sie mit ihrer jüngeren, seit 1915 verwitweten Schwester Gertrud Courmont, geborene Susmann, und deren 1913 geborenem Sohn nach Neumühlen 39 in Altona. 1930 heiratete ihre Schwester den Elblotsen Peter Sander, der nebenan wohnte. Gretchen Susmann lebte fortan mit ihrer Schwester und ihrem Schwager in einem gemeinsamen Haushalt im Nachbarhaus Neumühlen 40. In den alten Häusern der direkt an der Elbe gelegenen Straße Neumühlen hatten sich traditionell Lotsen und Kapitäne mit ihren Familien niedergelassen – eine schöne Lage, doch unter nationalsozialistischer Herrschaft konnten die Schwestern Spaziergänge vor ihrer Haustür nicht mehr uneingeschränkt genießen: Juden war es am Wochenende verboten, den Elbstrand zu betreten.

An die Adresse Neumühlen 40 erhielt Gretchen Susmann Anfang Dezember 1941 den Deportationsbefehl. Ihre Schwester Gertrud schützte die Ehe mit dem "Arier" Peter Sander. Gertrud Sander schrieb in den 1950er Jahren einen Bericht über die Deportation ihrer Schwester, den später die Enkelin Renate Nottrott, geborene Courmont, erhielt:
"Am 5.12.1941 mußte sich Gretchen marschfertig vor dem Logenhaus Moorweidenstraße einfinden. Sie hatte eine große Liste erhalten, wo alle Sachen verzeichnet waren, die sie mitnehmen durfte, auch eine Matratze und eine Wolldecke war[en] in dem Verzeichnis. Frostsalbe, verschiedene pharmazeutische Artikel. Handwerkzeug, eine richtige Ausrüstung. Proviant für die ersten Tage. Alles mußte mit Namen versehen sein. Ein bestimmtes Gewicht war vorgeschrieben. Ein Buch durfte sie mitnehmen, sie nahm unser altes Schullesebuch mit. Sie ließ die Sachen noch bei Frl. Fiedler wiegen [der Inhaberin des Kolonialwarenladens in Neumühlen]. Es regnete am Tage ihres Fortganges. Ich begleitete sie auf ihrem letzten Wege hier und wir trugen abwechselnd den Rucksack. Auf dem Wege begegnete uns Ruth und ihr Mann [Nachbarn]. Ruth gab Gretchen die Hand. Dr. T. war es sichtlich unangenehm und trieb vorwärts. Den jungen Martin Steinkopf trafen wir. Der grüßte freundlich. G. trug damals schon seit Wochen den gelben Stern. Wir waren nicht niedergeschlagen, da wir uns nicht vorstellen konnten, daß dies ein Abschied für immer sein sollte. Anna Metz [eine Cousine von Gretchen Susmann] hatte sich ebenfalls eingefunden. Gretchen und ich sprachen vor dem Logenhaus solange zusammen, bis uns einer der dort postierten Sipos ziemlich unsanft auseinanderbrachte und mich drohend fragte, ob ich auch mitwollte. Wir schüttelten uns die Hände, sagten ‚Hol di fuchtig’. Sie hatte ihre kleine weiße Haarbürste hier vergessen. Ich ging zu dem Friseurladen nach der Grindelallee und ließ mir eine Bürste geben. Ich eilte zu dem Posten vor der Tür und bat ihn, die Bürste doch Gretchen Susmann zu geben. Ihre Nummer war 2144. Er sagte es zu, ob er es getan hat, habe ich niemals erfahren. Steinhäusers, Bine und Ella, waren auch mit. Am nächsten Tag erhielten wir noch eine Karte von ihr, geschrieben am Hauptbahnhof Hamburg. Sehr zuversichtlich und fröhlich schrieb sie, die Verpflegung wäre großartig, die jüdische Gemeinde hätte dies übernommen. Es sei sehr gemütlich. Sie sei mit einer Frau Ehrlich zusammen. Sie wollten Skat spielen, sie könne aber die Karten nicht finden. Das hätte uns eigentlich stutzig machen müssen. Denn ich hatte ihr die Karten, was ihr auch bekannt war, noch in einer der Außentaschen im Rucksack untergebracht. Das war das letzte Lebenszeichen von ihr. Seitdem habe ich nie wieder von ihr gehört. Aber es ist seitdem kein Tag vergangen, an dem ich nicht von irgendeiner Seite nach ihr gefragt worden bin. Das ist nicht übertrieben. Sie war so sehr beliebt und wahrscheinlich sickerte immer mehr durch, was sich bei den Transporten abgespielt hat. Ich hatte bis zur Kapitulation immer die feste Hoffnung, Gretchen wiederzusehen. Manchmal sagte ich zu Peter, er müsse vielleicht nach Riga, wohin dieser Transport gehen sollte, mit einem Dampfer fahren, als Kapitän und ich würde dann mitfahren. Klara [Clara Orphal, die ältere Schwester von Gretchen Susmann] sagte damals gleich: ‚Die kommt nie wieder.’ Ich war die ganze Zeit optimistisch und erst jetzt hinterher kann ich meine damalige Ruhe und Gleichgültigkeit nicht begreifen. Durch die Kriegsverbrecherprozesse hat man all die Leiden erfahren. Ich hatte mich so wie es angängig war, mit einer Frau Pergamon in Verbindung gesetzt, Rothenbaumchaussee, die damals auch nach Riga gekommen war. Sie sagte, sie habe produktiv für die SS gearbeitet und dann sei es ihr möglich gewesen zu entfliehen. Ich fragte sie nach Gretchen und zeigte ihr das Bild. Sie kannte sie nicht. Ich fragte nach der Reise, sie sagte die Reise sei erträglich gewesen. Erst bei der Ankunft in Riga, auf dem Hof ,Jungfrauenhof‘ [richtig: Jungfernhof, B. G.] sei es ihnen aufgegangen, was ihnen blühte als sie von der SS mit Gummiknüppel bei 20 Grad minus empfangen worden seien.

Sie war nicht geneigt, viel zu reden und meinte nur, Gretchen sei wahrscheinlich im März 1942 […] bei Dünamünde im Hochwald erschossen [worden] durch Maschinengewehr. Immer wieder habe ich versucht und versuche auch jetzt noch, irgend etwas über diesen Transport Näheres zu erfahren. Immer umsonst. Ist sie umgekommen, wo ist sie umgekommen, wie ist sie umgekommen, wer hat dieses herrliche, reine Menschenkind mit dem heiteren Herzen umgebracht?"

Offenbar hatte Gretchen Susmann versucht, Deutschland zu verlassen. In ihrem Nachlass fand sich 1969 ein schwedischer Reisepass, der für sie beschafft worden war, in Hamburg aber zu spät eintraf. So wurde sie mit dem Hamburger Transport nach Riga auf das Gut Jungfernhof gebracht und vermutlich ermordet: Am 26. März 1942 wurden 1700 bis 1800 ältere Menschen, Kranke und Kinder mit ihren Müttern aus Jungfernhof abtransportiert; angeblich sollten sie arbeiten. Doch in einem Wald bei Riga waren große Gruben ausgehoben worden. Dort wurden sie erschossen.

Gretchen Susmanns zwei Jahre jüngere Schwester Melanie, die mit Max Johannsen verheiratet war, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Auch für sie wurde ein Stolperstein in Othmarschen gesetzt.

Ihre Schwester Gertrud Sander erhielt noch 1945 eine Aufforderung zu einem "Arbeitseinsatz", eine Tarnbezeichnung für die Deportation nach Theresienstadt, die am 14. Februar 1945 durchgeführt wurde. Doch ihr nichtjüdischer Ehemann konnte ihre Zwangsverschleppung verhindern – das rettete ihr Leben.

Ihr Bruder Ludwig Susmann überlebte den Krieg.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 4; 8; StaH 424-111 Amtsgericht Altona, 6131 (Todeserklärung); Informationen von Großnichte Renate Nottrott, geborene Courmont, und Großneffe Peter Courmont; Aufzeichnungen von Gertrud Sander, geb. Susmann, Privatbesitz Peter Courmont.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang