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Stolpertonstein

Erzähler: Thomas Karallus
Porträt Erna Kisch mit Stempeleindruck
Erna Kisch
© StaHH

Erna Kisch (geborene Spiro) * 1891

Wolfshagen 7 (Hamburg-Mitte, Hamm)

1941 Lodz
1942 ermordet in Chelmo

Erna Kisch, geb. 10.5.1891, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, deportiert am 10.5.1942 nach Chelmno

"Weißt Du denn nicht, was hier vor sich geht mit den Juden, oder willst Du es nicht wissen?" appellierte Erna Kischs Mutter verzweifelt aus Berlin. Erna lebte schon seit gut zehn Jahren in Hamburg, hatte sich der Jüdischen Gemeinde angeschlossen, führte aber im Übrigen ein "leichtsinniges" Leben. Ihre besorgte Mutter versuchte vergeblich, ihre Tochter zur Räson zu bringen. Erna verstand die Bedrohung nicht, vertraute ganz ihrer evangelischen "arischen" Freundin Martha Zacher und wähnte sich durch sie geschützt.

Erna Kisch wurde am 10.5.1891 als Erna Spiro in Freiberg/Sa. geboren. Ihre Eltern waren Hermann Spiro und Flora, geb. Steinberg; der Vater war ein wohlhabender Berliner Wäschefabrikant.

Am 2. Mai 1912 heiratete Erna Spiro in Prag den tschechischen Kaufmann Alfons Kisch, jüdisch wie sie, und erwarb damit die tschechische Staatsangehörigkeit. Diese gab sie nie auf. Wie es damals üblich war, brachte sie eine Mitgift mit in die Ehe; sie betrug 70000 Mark.

Das Ehepaar wohnte in Berlin. Am 5. Mai 1913 wurde ein Sohn geboren. Alfons Kisch war 1914 auf Geschäftsreise in Spanien und wurde dort durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges festgehalten. Er kehrte nie zu seiner Familie nach Berlin zurück. Als sein Sohn 12 Jahre alt war, holte er ihn zu sich. (Der Sohn überlebte im Exil in London.)

Der Scheidungsprozess zog sich über fast 7 Jahre hin. Am Ende erhielt Erna Kisch 18000 RM aus der Mitgift. Weil sie nicht mit Geld umgehen konnte, verwaltete es erst ihre Mutter, dann ihr Bruder und schließlich ihre Freundin Martha Zacher. Diese lebte mit ihrer verwitweten Mutter zusammen. Nachdem sie ihr ererbtes Vermögen verbraucht hatten, lebten sie von Wohlfahrtsunterstützung und vermieteten Zimmer. 1935 zog Erna Kisch bei ihnen ein. Dank Erna Kischs Vermögens konnten die Drei reisen, fuhren zur Kur und erneuerten den Haushalt. Dem setzte der NS-Staat mit der Sicherungsanordnung für Erna Kischs Vermögen im Sommer 1939 ein Ende.

Im Juni 1939 focht Martha Zacher als Bevollmächtigte Erna Kischs in einem Schreiben an den Reichswirtschaftsminister die Sicherungsanordnung an: "Seit über 25 Jahren verkehrt Frau Kisch ausschließlich in evangelischen Kreisen und erfreut sich heute noch darin großer Beliebtheit, eben wegen ihres durchaus evangelischen Wesens. Leider habe sie sich ihre Eltern nicht aussuchen können." Tatsächlich ließ sich Erna Kisch im Dezember 1939 von Pastor Julius Heldmann in der Dreifaltigkeitskirche Hamm taufen und trat aus dem Jüdischen Religionsverband aus. Die Intervention beim Reichswirtschaftsminister blieb erfolglos.

Martha Zacher bemühte sich gleichzeitig, die Enterbung Erna Kischs anzufechten, denn deren Eltern hatten sie auf Pflichtteil gesetzt. Dabei überzog sie und wurde selbst wegen "wissentlich falscher Aussage" angeklagt, wodurch sie und Frau Kisch ins Visier von Gestapokommissar Hermann Kühn gerieten. Der verlangte eine schriftliche Erklärung von Martha Zacher, dass sie sich von ihrer Freundin trenne. Sie unterschrieb, ohne sich an ihre Verpflichtung zu halten. Beide Freundinnen verkannten die bedrohliche Situation.

Als es mit dem 19. September 1941 Pflicht wurde, den "Judenstern" zu tragen, meinte Erna Kisch, als Ausländerin – sie trug auch deswegen den Zwangsnamen "Sara" nicht – davon ausgenommen zu sein. Das sah Kommissar Kühn anders. Er wollte sie am 26. September 1941 in Schutzhaft nehmen. Mutter und Tochter Zacher stellten sich schützend vor Erna Kisch, die krank im Bett lag. Kommissar Kühn schleuderte Martha Zacher in die Glastür des Bücherschranks, so dass sie eine tiefe Schnittwunde am linken Oberarm davon trug. Sie wurde im Lazarett des Untersuchungsgefängnisses fast sechs Wochen lang behandelt. Erna Kisch verbrachte drei Wochen in "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbüttel.

Als Martha Zacher nach Hause zurückkehrte, fand sie ihre Freundin nicht mehr vor. Erna Kisch war zwar aus der "Schutzhaft" an ihre alte Adresse entlassen, aber schon zehn Tage später deportiert worden. Sie gehörte zum ersten Transport in den Osten, am 25. Oktober 1941 ins Getto in Lodz; dort wurde sie in der Rauchgasse 42/6 einquartiert. Da sie nicht arbeitsfähig war, lebte sie noch erbärmlicher als die arbeitsfähigen Gettobewohner. Bis Jahresende 1941 gab es noch postalischen Kontakt zwischen den Freundinnen.

Als Martha Zacher Anfang 1942 versuchte, ihrer Freundin Geld und Päckchen zu schicken, wurde sie denunziert. Gestapokommissar Kühn nahm sie wegen ihrer Unbotmäßigkeit in Schutzhaft und schickte sie anschließend in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück,
das sie im September 1944 krank, aber immerhin am Leben, verließ. Erna Kisch wurde am 10. Mai 1942 in das Vernichtungslager Chelmno deportiert und wahrscheinlich gleich ermordet.

Den beiden Freundinnen ist ein eigener Aufsatz in der Broschüre 'Stolpersteine in Hamburg-Hamm' gewidmet, S. 164. siehe Literatur.

© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 2 R 1939/2738; 4; 5; StaH, 522-1, Jüdische Gemeinden, 390 Wählerverzeichnis 1930; 391 Mitgliederliste 1935; 992 e 2 Deportationslisten Bd. 1; BA Bln., Volkszählung 1939; AfW 100591; Archivum Panstwowe, Lodz; Stiftung Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück: Schreiben vom 17.1.2006; Landeskirchliches Archiv der NEK, Kiel: 32.01 Landeskirche Hamburg – Landeskirchenamt, Nr. 2664, Bl. 289; Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Landesentschädigungsamt EG 7993.

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