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Albert Herzberg * 1887

Kattunbleiche 30 (Wandsbek, Wandsbek)


HIER WOHNTE
ALBERT HERZBERG
JG. 1887
DEPORTIERT 1941
MINSK
???

Weitere Stolpersteine in Kattunbleiche 30:
Sally Herzberg

Albert Herzberg, geb. 6.6.1887, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Sally Herzberg, geb. 3.10.1889, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Kattunbleiche 30 (Bleicherstraße 6–10)

Die Brüder Albert und Sally Herzberg wurden in Wandsbek als Söhne des Semmy Herzberg (Jg. 1852) und der aus Hamburg stammenden Henriette, geb. Moses (Jg. 1852) geboren. Sie verbrachten den Großteil ihres Lebens in Wandsbek, genau genommen in der damaligen Bleicherstraße. Die Herzbergs zogen zwischen 1892 und 1928 innerhalb der Straße öfter um, was auf instabile wirtschaftliche Verhältnisse schließen lässt. So lebten sie in den Häusern Nr. 11, Nr. 6–10 und wieder Nr. 10. Die Familie des Vaters stammte aus Niedersachsen. Von Beruf Schlachter/Schächter, kam er nach Wandsbek, wo er eine (vermutlich) koschere (Geflügel-)Schlachterei einrichtete. Die Eheleute Herzberg waren seit 1884 verheiratet und hatten neben den beiden Söhnen noch die ältere Tochter Johanna (Jg. 1885).

Die Söhne besuchten die Schule der jüdischen Gemeinde Wandsbek, die israelitische Elementarschule. Nach deren Schließung – sie entsprach nicht mehr den Anforderungen zur Erfüllung der Volksschulpflicht – wechselten die Brüder im Jahre 1900 zur staatlichen Wandsbeker Mittelschule. Die finanzielle Lage der Familie wird keine günstige gewesen sein, denn 1903 erhielt Semmy Herzberg von der Homann’schen Stiftung zur Unterstützung bedürftiger Schulkinder für seinen Sohn Sally 28 Mark. Diese Zuwendung stieß nicht auf die Zustimmung der anderen Gemeindemitglieder bzw. der Familie Herzberg, und es bedurfte erst einer Zurechtweisung der Beteiligten durch den Wandsbeker Oberbürgermeister, damit sie von der Familie angenommen wurde.

Albert und Sally Herzberg nahmen ab 1915 am Ersten Weltkrieg teil. Albert Herzberg wurde wegen Taubheit aus der Armee entlassen, sein Bruder erkrankte an Typhus.

Um 1920 war der Vater Semmy Herzberg laut Adressbuch als Händler tätig. Er starb 1923. Seine Tochter Johanna wurde 1931 tot aufgefunden. Henriette Herzberg starb 1935. Alle drei wurden auf dem Friedhof Jenfelder Straße beerdigt.

Albert Herzberg blieb ledig und vermutlich auch kinderlos. Er arbeitete als Handlungsgehilfe bzw. Reisender, in der Mitgliedskartei der Jüdischen Gemeinde verweist ein Eintrag auf eine Seifenhandlung. Bis 1928 lebte er in der Bleicherstraße 10, dann zog er zu seiner Mutter in den Narzissenweg 13 und später mit ihr in die II. Schulstraße 43. Nach dem Tod der Mutter 1935 lebte er in der Hirschstraße 8, einer Seitenstraße der Bleicherstraße, und 1938 war er Langereihe 14 gemeldet, wo er in einem der einfachen Vorderhäuser nahe am Durchgang zur Synagoge wohnte, die der Jüdischen Gemeinde Wandsbek gehörten. Das war seine letzte Adresse in Wandsbek. Das Jahr 1939 verbrachte er zu einem großen Teil als Patient der Staatskrankenanstalt Langenhorn. Ob er dort psychiatrischer Behandlung bedurfte oder als wohnungslose Person ohne Angehörige aufgenommen wurde, ist nicht bekannt. Nach seiner Entlassung wurde ihm ein Vormund zur Seite gestellt. Bei diesem, Hermann Frank, handelte es sich vermutlich um ein ehemaliges Mitglied der Jüdischen Gemeinde Wandsbek, der, vermittelt von der Wohlfahrtsstelle des Jüdischen Religionsverbandes, nun Herzbergs Angelegenheiten regeln sollte. Herzberg zog in den Stadtteil Hoheluft, Abendrothsweg 19, zu Hermann Semler, einem Textilhändler, der nach Aufgabe seines Geschäfts ebenfalls aus Wandsbek dorthin gezogen war (s. Kap. Semler). Offenbar blieb Albert Herzberg erwerbsunfähig und verfügte über keinerlei Einkommen mehr. So musste er keine Kultussteuern zahlen, sondern wurde von der ehemaligen Jüdischen Gemeinde versorgt. Seine letzte Adresse vor der Deportation aus einem sogen. Judenhaus im Grindelviertel lautete Heinrich-Barth-Straße 8 bei Wolff. Von dort wurde er am 8. November 1941 nach Minsk deportiert, am selben Tag wie sein Bruder Sally. Auf der Kultussteuerkarte ist als letzter Eintrag über ihn vermerkt: "gestrichen 1941".

Auch Sally Herzberg war bis 1928 in der Bleicherstraße 10 gemeldet. Er übte das Handwerk eines Schlachtergesellen aus, wohl in der Absicht, die Tradition des Vaters fortzuführen. Nach einem späteren Adressbucheintrag betrieb er jedoch keine Schlachterei, sondern eine Geflügelhandlung. In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg war er als Reisender mit einem Pferdefuhrwerk in Norddeutschland unterwegs und auch in verschiedenen Orten gemeldet, von denen er immer wieder nach Wandsbek zurückkehrte. Während des Krieges wurde er Vater eines Sohnes; zur Heirat mit der nichtjüdischen Mutter des Kindes kam es jedoch nicht (s. Kap. Freytag).

1921 heiratete er Margarethe (Mary), geb. Lury (Jg. 1893). Das Ehepaar meldete sich in der Bleicherstraße 10 bei seinen Eltern an. Im Laufe der 1920er Jahre wurden drei Kinder geboren, ein Sohn und zwei Töchter. Der Sohn Werner (Jg. 1922) erinnerte sich, dass sein Vater ein Fuhrwerk-Geschäft mit Pferden betrieb und ansonsten oft die Kneipe der familiären Enge vorzog. So lebte Werner Herzberg in der Woche bei seiner Großmutter in Eimsbüttel in gutsituierten Verhältnissen, und hielt sich nur an den Wochenenden in Wandsbek auf. Das änderte sich 1932, als er Schüler am Wandsbeker Matthias-Claudius-Gymnasium wurde.

Doch bei Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 wurden die Verhältnisse für den jüdischen Schüler dort unerträglich. Obwohl ihn einige Lehrer warnten, es könne Übergriffe gegen ihn geben und vielleicht sogar zu Blutvergießen kommen, und ihn aufforderten, dem Unterricht fernzubleiben, hielt er bis zum Ende des Schuljahres durch. Er ging Ende März trotz guter Leistungen ab und wechselte zur im Grindelviertel gelegenen Talmud Tora Realschule.

Die Lage seines Vaters blieb weiterhin prekär. Infolge der Wirtschafts- und Bankenkrise 1929– 1931 erlitt dieser einen Nervenzusammenbruch, der nach den Angaben seines Sohn darauf zurückzuführen war, dass der Hauptauftraggeber 1931 in schwere Bedrängnis geraten war. Sally Herzberg hatte für die Firma, die Metallbettgestelle für Krankenhäuser herstellte und nach Afrika und Südamerika exportierte, Transporte zum Hafen mit seinem Pferdefuhrwerk oder einem Lastwagen durchgeführt. Es handelte sich vermutlich um die Bettstellenfabrik Fischer & Eckmann mit Sitz in der Bleicherstraße 6–13. Der Mitinhaber Max Eckmann gehörte der Jüdischen Gemeinde Wandsbek an. Während Sally Herzbergs Krankheit erschien der Gerichtsvollzieher bei der Familie, da die Miete nicht gezahlt werden konnte.

Die Familie Herzberg war nicht besonders religiös, Mary Herzberg führte keinen koscheren Haushalt, jedoch nahmen die drei Kinder am Unterricht des Rabbiners Bamberger an der Religionsschule der Jüdischen Gemeinde Wandsbek teil.

1933 zog die Familie nach Hamburg in die Alsenstraße 18, später in die Grindelallee 35, und schloss sich dem gemäßigt orthodoxen Kultusverband Neue Dammtor-Synagoge an.
Sally Herzberg arbeitete als Schlachter, zeitweise im Schlachthof an der Sternschanze, und war Helfer im Israelitischen Krankenhaus. Doch sein gesundheitlicher Zustand ließ eine dauerhafte Beschäftigung wohl nicht zu. Er verbrachte eine Zeitlang in der Heil- und Pflegeanstalt Neustadt in Holstein, wo er 1935 aufgrund des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ins Visier des "Erbgesundheitsgerichtes" geriet und zur Zwangssterilisation angezeigt wurde. Die Akten geben keine Auskunft darüber, ob diese vollzogen wurde. Nach dem Tod seiner Frau – sie starb 1936 an Brustkrebs – fiel die Familie weiter auseinander, zumal es nun keinen Ernährer mehr gab, der für den Lebensunterhalt sorgen konnte. So fanden die Kinder Aufnahme in den Waisenhäusern der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburgs: Werner im Waisenhaus Papendamm, Clärchen (Jg. 1927) und Ilse (Jg. 1928) im Paulinenstift, Laufgraben. Sally Herzberg vermietete die freigewordenen Räume der Familienwohnung offensichtlich auch an nichtjüdische Mieter. Doch nun beschuldigte ihn eine Nachbarin der sexuellen Beziehung zu einer Untermieterin. Ihm als Juden hätte Gefängnis oder Zuchthaus gedroht, aber eine ärztliche Untersuchung der Frau ergab, dass sich der Vorwurf der "Rassenschande" gegen Sally Herzberg nicht erhärten ließ.

Nach diesem Vorfall kündigte er die Wohnung, verlor so jedoch auch die Möglichkeit, etwas zu verdienen. Er wurde nun selbst Untermieter, in der Rappstraße 6 bei Goldschmidt.

Ebenso wie sein Bruder Albert benötigte jetzt auch Sally Herzberg finanzielle Unterstützung von der jüdischen Gemeinschaft. 1939 ist über ihn auf der Karteikarte der Jüdischen Gemeinde zu lesen: "arbeitslos, Gelegenheitsarbeiten, Wochenlohn 13,– RM/Winterhilfe." Ein letztes Mal zog er um und lebte nun zur Untermiete in der Heinrich-Barth-Straße 17 bei Nathan.

Die Brüder Herzberg, 52 und 54 Jahre alt, wurden mit der zweiten Deportation aus Hamburg, am 8. November 1941, gemeinsam nach Minsk deportiert, wo sie am 10. November mit weiteren 966 Hamburgern ankamen. Ob sie auch gemeinsam den Tod fanden, ist nicht bekannt. Dass sie den harten Lebensbedingungen in Minsk lange widerstehen konnten, ist unwahrscheinlich. Gleichwohl verstanden sich die Hamburger Deportierten als eigenständige Gruppe, die auch denen – so gut es ging – Schutz und Versorgung boten, die ohne Anhang waren. Doch überleben konnte nur, wer arbeitsfähig blieb und das Glück hatte, den zahlreichen Erschießungs- und Gaswagenkommandos oder dem Massaker im Mai 1943 zu entgehen. Sally Herzberg wurde rückwirkend auf den 9. Mai 1945 für tot erklärt.

Seine drei Kinder konnten dagegen gerettet werden: Nach dem Novemberpogrom hatte sich ihre Tante Hedwig Lury zur Emigration entschlossen. Am 14. Dezember verließ sie mit ihrem Neffen Werner Herzberg Deutschland Richtung Niederlande. Danach schlug sich der Jugendliche weiter nach England durch. Nathan Max Nathan von der Jüdischen Gemeinde Hamburgs hatte ihm Geld und Gutscheine für die Überfahrt zukommen lassen. Auch Werner Herzbergs Schwestern gelangten Ende 1938 mit einem Kindertransport nach England.

1954 stellten die drei Geschwister, die alle nicht mehr dauerhaft nach Deutschland zurückkehrten, Wiedergutmachungsanträge. Ilse war inzwischen Lehrerin, Werner Student und Clärchen Privatsekretärin. Werner Herzberg hatte 1947 gemeinsam mit seiner Frau ein jüdisches Waisenhaus in London geleitet, studierte dann Psychologie und lehrte als Dozent an der Universität Reading. Er trug jetzt den Namen Vernon Hamilton.

1962, drei Tage nach der Hamburger Flutkatastrophe, ließ er über seine Anwälte mitteilen, dass er 10 Prozent seiner Wiedergutmachungssumme aussetzen wolle für ein Arbeiterehepaar, welches Hausrat durch die Flut verloren habe. Sie sollten folgende Kriterien erfüllen: über 60 Jahre alt sein, solide leben und an der Verfolgung der ehemaligen jüdischen Bevölkerung Hamburgs nicht teilgenommen haben. So setzte er ein Zeichen der Versöhnung und Verbundenheit mit der Heimatstadt, aus der mindestens drei Familienangehörige in den Tod geschickt wurden: neben seinem Vater und Onkel auch seine geliebte Großmutter Bernhardine Lury, geb. Lilienfeld. Sie starb am 23. August 1942, wenige Wochen, nachdem sie ins Getto Theresienstadt deportiert worden war.

© Astrid Louven

Quellen: 1; 4; StaHH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn 158; StaHH Meldekartei, Auskunft von Jürgen Sielemann 2003; StaHH Beratungsdienst, Auskunft von Barbara Koschlig vom 27.7.2007; AfW 031089; FZH/WdE 071; AB Wandsbek 1887, AB 1892 IV, AB 1897 IV, AB 1911 IV, AB 1913 IV, AB 1920 IV; Naphtali Bamberger, Memorbuch, Bd. 2, S. 96; Astrid Louven, Juden, S. 72f, 134, 201, 205, 228; Beate Meyer (Hrsg.), Verfolgung, S. 51, 174, S. 62–64, 174f.; Peter von Rönn, Entwicklung, in: ders. u.a., Wege, S. 27–61, hier: S. 35–49; Heinz Rosenberg, Jahre, S. 18–36.

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