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Ernst Victor
© Privatbesitz Tim A. Osswald

Ernst Victor * 1875

Rosenhagenstraße 22 (Altona, Groß Flottbek)


HIER WOHNTE
ERNST VICTOR
JG. 1875
ENTRECHTET/GEDEMÜTIGT
FLUCHT IN DEN TOD
5.12.1938

Ernst Victor, geb. 1.10.1875, Suizid am 5.12.1938 in Hamburg

Ernst Victor wurde als zweites Kind der Eheleute Julius Victor (1829–1883) und Rosa Davidsohn (1847–1915) in Saargemünd geboren. Kurze Zeit nach dem Tode ihres Mannes zog Rosa Victor mit ihren beiden Kindern nach Berlin, wo ihre Geschwister lebten. Ernst Victor besuchte später ein Internat in Davos und konvertierte zum Protestantismus, womit gleichzeitig eine jahrhundertealte jüdische Familientradition beendet wurde.

Nach seinem Abitur studierte Ernst Victor Chemotechnik in Darmstadt und wurde 1898, dem Jahr, in dem er sein Examen zum Diplom-Ingenieur ablegte, Gründungsmitglied der Burschenschaft ‚Hasso-Borussia’, deren regelmäßige Treffen er jeden Juli mit Begeisterung besuchte, bis er 1935 als "Nichtarier" ausgeschlossen wurde.

1910 begegnete Ernst Victor seiner späteren nichtjüdischen Frau Emilie Zinn (1885–1949), die er bis 1913 in unregelmäßigen Abständen traf. Die Verbindung reduzierte sich auf Briefe, als Ernst Victor, wie viele deutsche Juden, mit Stolz für den Kaiser als Soldat in den Ersten Weltkrieg zog. 1920 schließlich heiratete er Emilie Zinn in Hannover.

Noch im selben Jahr übernahm Ernst Victor die Position des Vorsitzenden des Norddeutschen VDI für Chemieingenieure und übersiedelte nach Hamburg. Daneben war er Vorstandsmitglied und Gesellschafter des Verlagshauses "Regenhardt AG" in Berlin. Aufgrund seiner vielfältigen Tätigkeiten reiste Ernst Victor in den folgenden Jahren durch ganz Deutschland, um Vorträge zu halten und Beratungsaufträge wahrzunehmen.

1921 wurde die Tochter Clara Rosemarie und 1923 der Sohn Hans Robert in der Rosenhagenstraße 22 in Groß Flottbek – damals noch eine selbstständige Landgemeinde – geboren.

Ab 1933 änderte sich das Leben der Familie, obgleich sie – wie viele andere – glaubten, dass der "nationalsozialistische Spuk" bald vorüber sein würde. Doch Anfang 1936 wurde Ernst Victor aus dem VDI-Chemieingenieure ausgeschlossen und die Anteile an der Regenhardt AG mussten zwangsweise und zu schlechten Konditionen verkauft werden. Im selben Jahr erhielt Ernst Victor das Angebot, mit Frau und Kindern zur Familie seiner verstorbenen ersten Frau nach Schweden zu emigrieren, aber Ernst Victor war weiterhin überzeugt, dass der "nationalsozialistische Wahnsinn" bald sein Ende finden würde. Das änderte sich mit der Pogromnacht vom November 1938. Ernst Victor erkannte nun, dass die Situation sehr bedrohlich wurde und etwas getan werden müsse. Er unternahm einen erneuten Versuch, in der Schweiz, dem Land, das er bereits häufiger bereist hatte, ein Einreisevisum für die Familie zu bekommen. Aber die Schweizer Regierung lehnte seinen Antrag ab. Ernst Victor kam als gebrochener Mann nach Hamburg zurück und schrieb einen letzten Brief an seine Familie, in welchem er deutlich machte, dass er ein erfülltes Leben hinter sich habe, nun aber – als jüdisch eingestuft – eine Last für seine Familie sei, und dass für Frau und Kinder nur ein Überleben ohne ihn möglich sein würde.

Von den nationalsozialistischen Machthabern erniedrigt und gedemütigt, wählte Ernst Victor als letzten Ausweg die Flucht in den Tod und erhängte sich am 5. Dezember 1938 in der Garage seines Hauses in der Rosenhagenstraße 22.

Gleichwohl war mit dem Tod von Ernst Victor die Bedrohung seiner in der Definition der Nationalsozialisten "halbjüdischen" Kinder noch nicht beendet. Hans Robert wurde in Hamburg als "Mischling ersten Grades" zur Zwangsarbeit rekrutiert und musste unter lebensbedrohenden Bedingungen Aufräumarbeiten während der Bombenangriffe auf Hamburg leisten.

Um der Tochter Clara Rosemarie ein ähnliches Schicksal zu ersparen, holte Tekla Schade, eine Freundin ihrer Mutter, sie 1941 nach St. Peter-Ording und hielt sie dort bis 1945 in einem von ihr geleiteten Lazarett für verwundete Soldaten unter falschem Namen versteckt. Dieses Gebäude war einige Jahre zuvor jenes Kinderheim, in dem Clara Rosemarie und ihr Bruder Hans Robert als Kinder häufig und glücklich ihre Sommerferien verbracht hatten.

Tekla Schade wurde nun Clara Rosemaries Freundin, Mutter und Beschützerin – Erlebnisse, welche die Familien in vierter Generation bis heute eng verbinden.

© Johann-Hinrich Möller

Quellen: Tim A.Osswald-Victor, Family Memories, in: Robert Davidsohn – Uno Spirito Libero tra Cronoca e Storia, Eds. M. Ingerdaay and Wiebke Fastenrath-Vinattieri, Olschki Editore, 2003, S. 23ff. Der Autor Prof. Tim A. Osswald (Jg. 1958) ist der Enkel von Ernst Victor und heute Director of the Polymer Engeneering Center an der University of Wisconsin in Madison. Interview Johann-Hinrich Möller mit Tim Osswald am 22.06.2006 in Hamburg.
Der vorstehende Beitrag ist mit geringen Veränderungen bereits erschienen in: Maajan – Die Quelle, Zeitschrift für jüdische Familienforschung, 21. Jg. Heft 83, Juni 2007, S. 2976f.

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