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Bereits verlegte Stolpersteine



Die Ehepaare Jilovsky (Mitte) und Leopold 1941, kurz vor der Deportation
© Privatbesitz

Richard Jilovsky * 1881

Husumer Straße 7 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)

1941 Lodz
ermordet am 11.12.1943

Weitere Stolpersteine in Husumer Straße 7:
Erna Jilovsky

Erna Jilovsky, geb. 27.3.1886 in Auscha (heute Ustek, Tschechien), geb. Bergmann, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort am 27.5.1944 gestorben
Richard Jilovsky, geb. 20.2.1881 in Liboch (heute Libechow, Tschechien), am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort am 11.12.1943 gestorben

Husumer Straße 7

Als Fritz Jilovsky und seine spätere Ehefrau Erna Bergmann geboren wurden, gehörte ihrer beider Heimat, Böhmen, noch zum Kaiserreich Österreich-Ungarn. Liboch, in der Nähe von Prag an der Elbe gelegen, war ein Dorf mit knapp 1000 Einwohnern; Auscha, bei Leitmeritz in Nordböhmen gelegen, seit 1361 mit Stadtrecht ausgestattet, war ein wohlhabender und schmucker Ort mit rund 2400 Einwohnern. Er war – und ist dies teilweise bis heute – das Zentrum des böhmischen Hopfenanbaus. Von den acht jüdischen Familien, die um 1880 in einem separaten Viertel in Auscha lebten, waren vier im Hopfengeschäft, unter ihnen die Familie Josef Bergmann, und eine von Josefs Töchtern war Erna.

Richard Jilovsky war ebenfalls im Hopfenhandel tätig und lernte so die Tochter seines Geschäftspartners kennen. Sie heirateten im Jahre 1905. Er war 24 alt, sie 19. Mit einem Fuß war er bereits seit Längerem in Hamburg, damals u. a. eine nicht unbedeutende Bierbrauerstadt mit großem Bedarf an Hopfen. Dort ließ er sich mit Erna nieder. Der erste von drei Söhnen, Otto Jonath Georg, wurde 1906 bereits in Hamburg geboren. 1914 kam Felix, 1918 Fritz Josef.

Die Familie stand wirtschaftlich gut da und Richard Jilovsky reüssierte in der Firma Scheibel in der Spitaler Straße 11 (Barkhof), die auf den Handel mit Hopfen und Brauereiartikeln spezialisiert war. 1921 wurde ihm Prokura erteilt. Die Firma prosperierte nicht zuletzt dank Jilovskys Aktivitäten und eröffnete 1921 eine Zweigniederlassung in Saaz (Zatek), einem anderen Hopfenanbaugebiet in Nordböhmen, circa 80 km von Auscha entfernt. Wenige Jahre später (1924) stieg Jilovsky dann selbst mit einem Anteil von 30 Prozent als Mitinhaber in die Firma ein. Das Unternehmen expandierte weiter; 1925 wurde eine Filiale in Nürnberg gegründet, einem günstig gelegenen Ort für die Hopfenversorgung der zahlreichen Brauereien in Nord­bayern und Franken.

Wie die Geschäftsbücher der Firma und auch die Kultussteuerkarten der Jüdischen Gemeinde zeigen, kam Jilovsky mehrmals auf Jahreseinkommen von über 20000 RM, für das Jahr 1938 wurden sogar 27000 RM vermerkt.

Für die drei Söhne war eine gute Ausbildung vorgesehen. Den beiden älteren war das noch möglich: Sie besuchten die höhere Schule und absolvierten die Ausbildung zum Kaufmann. Der jüngste jedoch, Fritz, musste aufgrund der NS-Gesetze 1934 mit 15 Jahren die höhere Schule verlassen, ein tiefer Einschnitt in die Entwicklung der Familie. Nacheinander flohen die Söhne aus Deutschland. Otto ging nach Kopenhagen, Felix nach Barcelona, als letzter entkam Fritz 1938 nach London.

1938, das für Jilovsky geschäftlich so erfolgreiche Jahr, war zugleich sein letztes als Unternehmer. Mit dem 3. Dezember wurde Jüdinnen und Juden jede gewerbliche Tätigkeit verboten.

Das Ehepaar musste die große und elegant eingerichtete Wohnung in der Husumer Straße aufgeben und zog zur Untermiete in die Hansastraße 65, Parterre, wo bereits das befreundete Ehepaar Lambert und Else Leopold (geb. Perutz) wohnte.

Als sie 1938 und 1939 ihren Sohn Fritz in London besuchten, der nun dort seine kaufmännische Ausbildung machte, dachten sie nicht daran, dort zu bleiben. In Böhmen waren sie in deutscher Kultur aufgewachsen und seither eng mit ihr verbunden. Deutschland war ihre Heimat. Zwar hielten sie weitere Erschwernisse unter dem NS-Regime für möglich, Deportation und systematisches Morden aber war ihnen unvorstellbar. Also kehrten sie nach Deutsch­land zurück.

Mit dem ersten Deportationszug, der Hamburg am 25. Oktober 1941 verließ, wurden Richard und Erna Jilovsky ins Getto Lodz verschleppt. Mit 1034 Menschen war es der größte Transport, der die Stadt verließ. 1016 von ihnen starben oder wurden ermordet.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass in der Nacht vor dem endgültigen Ver­lassen der Wohnung in der Hansastraße eine mutige Frau, die Hamburger Lehrerin Elisabeth Flügge, Jilovskys und Leopolds bis in den frühen Morgen zur Seite stand, beim Anfertigen der obligatorischen Listen des Haushaltsinventars, beim Packen der Koffer half und einfach da war, um den Freunden in diesen schmerzvollen Stunden beizustehen (siehe die Briefe Elisabeth Flügges im zweiten Band dieses Buches).

In Lodz wurden Jilovskys mit acht weiteren Personen in Wohnung 33 in der Hohensteinerstraße 43 untergebracht. Die "Wohnung" bestand aus einem Zimmer und hatte keine Küche. Richards Legitimationskarte, ausgestellt vom Arbeitsamt des Gettos, weist ihn als Kanzleiarbeiter in der "Trennabteilung" aus – hier wurden die spärlichen Hinterlassenschaften der Gestorbenen und Ermordeten, wie Kleider und Schuhe, sortiert. Erna war als Kauffrau registriert.

Auf dem Formular "Abmeldung" Richard Jilovskys ist als Todestag der 11. Dezember 1943 angegeben. Erna starb wenige Monate später, am 27. Mai 1944. Er war 62 Jahre alt geworden, sie 58.

In den 1950er Jahren strengte die Erbengemeinschaft der drei Brüder, die sich unterdessen in Israel niedergelassen hatten, ein "Wiedergutmachungsverfahren" an. Nach dem Urteil wurde pro vollem Monat "der Freiheitsbeschränkung bzw. der Freiheitsentziehung, die der Erblasser/die Erblasserin erlitten hat", von der Einführung des "Judensterns" am 15. September 1941 an gerechnet, eine Entschädigung von 150 DM zugesprochen. Die Gesamtsumme belief sich bei 43 Monaten pro Erblasser mit jeweils 6450 DM auf insgesamt 12900 DM, die auf die Konten der Erben zu überweisen waren.

© Johannes Grossmann

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; AfW 200281 Jilovsky, Richard; Geschichte der Juden in Auscha: www.hugogold. com/bohemia/auscha.pdf, (eingesehen am 10.2.2009); Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg, Abteilung A, 4726; AB 1927; Archiwum Panstwowe, Lodz (Getto-Archiv), Melderegister PL-39-278-1011-9495, 9496,9499, 9500, 508, 509; persönliche Auskünfte von Fritz Jilovsky, (mehrere Telefongespräche im Februar 2009); Elisabeth Flügge: Briefe an ihre Tochter Maria, Oktober 1941.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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