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Bereits verlegte Stolpersteine



Familie Maidanek (v.l.) Herbert, Helene und Karl
© Sammlung Matthias Heyl
Fotograf/in: Collage von John Maidanek

Karl Maidanek * 1889

Wilstorfer Straße 70 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
KARL MAIDANEK
JG. 1889
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET 16.3.1942

Weitere Stolpersteine in Wilstorfer Straße 70:
Herbert Maidanek, Helene Maidanek

Helene Maidanek, geb. Rosenbaum, geb. 3.1.1891 in Zierenberg, deportiert am 25.10.1941 nach Łód´z, gestorben am 25.8.1942
Herbert Maidanek, geb. am 5.4.1920 in Harburg, deportiert am 25.10.1941 nach Łód´z, gestorben am 23.8.1942
Karl Chaim Maidanek, geb. 7.12.1889 in Unter-Wikow (Vicovu de Jos), deportiert am 25.10.1941 nach Łód´z, gestorben am 16.3.1942

Stadtteil Harburg-Altstadt, Wilstorfer Straße 70

"Ich beantrage mit Rücksicht darauf, dass ich auch für Deutschlands Ehre im Kriege geblutet habe, mir die Ausbesserung der Schuhreparationen für Wohlfahrtsempfänger zubilligen zu wollen", schrieb der Leder-Kleinhändler und Schumacher Karl Maidanek dem Magistrat der Stadt Harburg-Wilhelmsburg am 17. Mai 1933. Doch Hinweise auf seinen Militärdienst im Ersten Weltkrieg, seine bewährte Zusammenarbeit mit dem städtischen Wohlfahrtsamt und seine lange Berufserfahrung stimmten die neuen Herren im Magistrat der Doppelstadt nicht um. Ausschlaggebend für ihre Ablehnung dieses Antrags auf Fortsetzung der bisherigen Zusammenarbeit war allein die Tatsache, dass Karl Maidanek Jude war. Sie duldeten keine Ausnahme von ihrem Beschluss vom 30. März 1933, die Zusammenarbeit mit jüdischen Kaufleuten, Rechtsanwälten und Ärzten umgehend aufzukündigen.

Karl Maidanek bekannte in dem Schreiben offen, dass er bereits unter den Folgen des Wirtschaftsboykotts litt und nicht wusste, ob er demnächst noch genügend verdienen würde, um seine Familie ernähren zu können. Seine Sorgen galten seiner Frau Helene, die aus einem jüdischen Elternhaus in Hessen stammte, sowie seinen beiden Söhnen Herbert und John (geb. 24.4.1924), die in Harburg zur Welt gekommen waren. Er selbst hatte 1909 seinen Geburtsort in der damals österreich-ungarischen und heute rumänischen Bukowina verlassen und war bei der Suche nach einer neuen Heimat auf die Industriestadt Harburg gestoßen, der er offenbar einiges abgewinnen konnte. 1920 erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft. Anfangs betrieb er gemeinsam mit Robert David Mandel ein Schuh- und Lederwarengeschäft in der Wilstorfer Staße 70, und später eröffnete er eine eigene Schuhmacherwerkstatt in der Lassallestraße und danach in der Bergstraße 73 (heute: Schwarzenbergstraße).

Die Maidaneks gehörten zu den stärker traditionell-religiös orientierten Familien der Harburger Synagogengemeinde. Sie hielten an der koscheren Küche fest, gingen sonnabends in die Synagoge und feierten die jüdischen Festtage, an denen Karl Maidanek oft seine Werkstatt geschlossen ließ, um sich ganz auf seine religiösen Pflichten zu konzentrieren.

Herbert und John Maidanek besuchten zunächst eine nahe gelegene Grundschule in Harburg, um später auf die Talmud Tora Schule im Hamburger Grindelviertel zu wechseln. Sie glaubten, so den zunehmenden antisemitischen Anfeindungen besser aus dem Weg gehen zu können.

Als sich die Lage nicht entspannte, fassten Karl und Helene Maidanek den Entschluss, ihren jüngsten Sohn John im Februar 1934 außer Landes zu bringen. Er verbrachte die nächsten Jahre bei mehreren jüdischen Pflegefamilien in den USA. Nach seinem Studium blieb er dort und wurde Lehrer.

Auch Herbert Maidanek suchte nach Möglichkeiten, Deutschland zu verlassen. In mehreren landwirtschaftlichen Lagern der Hachscharah-Bewegung (siehe Glossar) bereitete er sich auf eine Auswanderung nach Palästina vor, die er allerdings nicht realisieren konnte.

Als tiefe Erniedrigung dürfte sein Vater die Aberkennung seiner deutschen Staatsbürgerschaft empfunden haben. Die Nationalsozialisten hatten eine neue Gesetzeslage geschaffen, auf deren Grundlage Einbürgerungen rückgängig gemacht werden konnten (Gesetz zur Änderung der Reichs- und Staatsangehörigkeit vom 15. Mai 1935). "Seit dem 16. Mai 1935 sind wir alle 4 staatenlos", schrieb er seinem im Exil lebenden Sohn John. "Wir 3 haben als Staatenlose je 1 Fremdenpass bekommen, der für 1 Jahr gilt und vor Ablauf des Jahres von der Polizei auf je 1 Jahr verlängert wird."

Unbeirrt hielt Karl Maidanek in diesen schweren Zeiten am jüdischen Glauben fest, was ihm in der Not mehr denn je geboten zu sein schien, wie er seinem Sohn John wenig später schrieb: "Die jüdische Geschichte lehrt, dass es immer Zeiten gegeben hat, in denen die Juden von anderen Völkern unterdrückt und verfolgt wurden, wenn sie ihren Glauben verleugneten. Die Zerstörung der beiden Tempel in Jerusalem war auch die Folge der Entartung des Judentums. Ein gleiches Schicksal erlebt das Judentum in Deutschland seit 1933, weil es sich vom Judentum abgewandt und assimiliert hatte. Deshalb sollte jeder Jude sich seines Stammes bewusst sein und zum Judentum bekennen."

Als die städtische Wohnungsbaugesellschaft im Sommer 1938 den Mietvertrag Karl Maidaneks kündigte, bedurfte es großer Anstrengungen, um eine neue Wohnung zu finden. Christliche Vermieter wollten keinen Ärger mit der Hausgemeinschaft und ihren Nachbarn haben, und jüdische Vermieter waren immer seltener zu finden. Nach einigem Hin und Her wurde Karl Maidanek von der Hamburger Jüdischen Gemeinde schließlich die Dienstwohnung im Keller der Harburger Synagoge in der Eißendorfer Straße angeboten, die die Familie am 1. November 1938 bezog.

Zehn Tage später wurde Helene Maidanek hier in der Harburger Pogromnacht unmittelbare Zeugin der Verwüstung des Gotteshauses durch Harburger Nationalsozialisten. Als diese die Tür eingetreten hatten und sich im Inneren austobten, hörte sie, wie einige von ihnen riefen: "Jude komm heraus, gleich fliegt die Synagoge in die Luft!"

Zitternd vor Angst verließ sie daraufhin mit zwei Bekannten die Kellerwohnung. Unter den Tätern, die in das Gotteshaus eingedrungen waren und die Inneneinrichtung verwüsteten, entdeckte sie auch den Harburger NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Drescher, den sie um Schutz bat. Immerhin sorgte er dafür, dass sie zwar schweißgebadet, aber körperlich unversehrt, die Wohnung ihres Schwagers erreichte, bei dem sie zunächst Zuflucht fand.

Karl Maidanek gehörte zu den eintausend Hamburger Juden, die unmittelbar nach dem Geschehen verhaftet wurden und die nächsten Wochen im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel und z. T. auch im KZ Sachsenhausen verbrachten. In diesem Konzentrationslager wurde er als Häftling Nr. 008568 registriert und am 17. Dezember 1938 wieder entlassen. Als er nach Harburg zurückkehrte, wurde ihm der Zutritt zur Werkstatt untersagt. Auf Grund der "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" durfte sich ab 1. Januar 1939 kein Geschäft und kein Handwerksbetrieb mehr in jüdischem Besitz befinden. Karl Maidanek wurde jetzt als Wohlfahrtsempfänger geführt, der auf die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde angewiesen war.

Auch eine Rückkehr in die Dienstwohnung unter der Harburger Synagoge kam nicht mehr in Frage. Sie war in der Pogromnacht so stark verwüstet worden, dass sie jetzt unbewohnbar war. Helene Maidanek hatte zunächst bei Freunden und Verwandten Unterschlupf gefunden und sich notgedrungen von einem großen Teil ihrer Wohnungseinrichtung zu ungünstigen Bedingungen getrennt. Die beiden Eheleute und ihr Sohn waren froh, als sie Mitte Januar 1939 eine Unterkunft im Grindel in der Dillstraße 15, einem späteren "Judenhaus", fanden. Dankbar nahmen sie auch jede Gelegenheit wahr, durch Aushilfsarbeiten etwas dazuverdienen zu können, da sie von der Unterstützung der Jüdischen Gemeinde kaum leben konnten. Im Juli 1939 wurden Karl und Herbert Maidanek als Wohlfahrtsempfänger wie viele andere Juden zu Arbeitseinsätzen in der Wilhelmsburger Wollkämmerei und bei der Stadtreinigung gegen geringe Bezahlung dienstverpflichtet.

Am 25. Oktober 1941 erhielten die Eheleute und ihr Sohn den Befehl zur "Umsiedlung" nach "Litzmannstadt" (Łód´z). Karl Maidanek litt am stärksten unter den katastrophalen Lebensbedingungen, die in diesem Getto herrschten. Schon nach fünf Monaten war er nicht mehr am Leben. Er starb am 16. März 1942 im Alter von 52 Jahren.

Keine sechs Wochen später erfuhren seine Frau und sein Sohn Herbert, dass sie für die erste große "Aussiedlung" deutscher, österreichischer, luxemburgischer und tschechischer Jüdinnen und Juden aus dem überfüllten Getto vorgesehen waren. Die Großaktion begann am Montag, dem 4. Mai 1942. Bisher waren fast ausschließlich polnische Bewohnerinnen und Bewohner des Gettos in die Vernichtungsstätte Chełmno abtransportiert worden. Die Einbeziehung weiterer Teile der Gettobevölkerung in die Vernichtungsaktion ging auf einen Befehl des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei Heinrich Himmler vom April 1942 zurück. Davon sollten allerdings zunächst diejenigen – und ihre direkten Verwandten – ausgenommen werden, die in einer Fabrik oder in der Verwaltung des Gettos beschäftigt waren, und auch diejenigen, die Kriegsauszeichnungen vorweisen konnten. Herbert Maidanek schrieb einen entsprechenden Antrag und verwies auf seinen Dienst bei der Gettofeuerwehr, er reklamierte Rückstellung für sich und seine Mutter und hatte damit fürs Erste Erfolg.

Letztlich bedeutete die Rücknahme des Deportationsbefehls jedoch nur eine Verlängerung der Galgenfrist für die beiden Todgeweihten. Herbert Maidanek starb am Sonntag, dem 23. August 1942, an Unterernährung in einem der Krankenhäuser des Gettos. Seine Mutter überlebte ihn um zwei Tage.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 2 (FVg 6088); 4; 5; 8; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1 240424 Maidanek, John; StaH 430-5 Magistrat Harburg-Wilhelmsburg, 181-08 Ausschaltung jüdischer Geschäfte und Konsumvereine (1933– 1938); Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; Heyl, "nicht mehr erinnerlich"; http://www. fasena.de/hamburg/maidanek.htm (eingesehen am 1.11.2009); Schriftliche Mitteilung der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen vom 3.3.2011; USHMM; RG 15.083, Nr. 2559 302/343 Herbert Maidanek.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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