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Bereits verlegte Stolpersteine



Familie um Weihnachtstisch versammelt. In der Mitte hinten Paul Hoh
Paul Hoh (hinten Mitte) im Kreis seiner Familie
© Privat

Paul Berthold Hoh * 1917

Quickbornstraße 21 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)

"Heil- und Pflegeanstalt" Mainkofen
ermordet 1944

Paul Berthold Hoh, geb. am 14.7.1917 in Hamburg, gestorben am 8.10.1944 in der "Heil- und Pflegeanstalt" Mainkofen/Niederbayern

Quickbornstraße 21

Er liebte es, Mundharmonika zu spielen und mit einem alten ramponierten Grammophon Musik zu machen. Seine bis heute in Hamburg lebenden Nichten, der ihn noch kennenlernte, beschreiben ihn als "immer nett und freundlich". So zeigt ihn auch ein Foto, aufgenommen in den frühen 1930er Jahren an einem der Weihnachtstage, schüchtern lächelnd inmitten seiner großen Familie.

Als Nachkömmling war Paul Hoh mit Abstand das jüngste der sechs Kinder des Ehepaars Bertha und Wilhelm Hoh. Seine einzige Schwester, Alma, war 15 Jahre älter als er, und seinen ältesten Bruder Karl lernte er nie kennen, denn dieser war bereits um 1910 nach Brasilien ausgewandert. Zwei weitere Geschwister waren im Alter von zwei bzw. einem Jahr gestorben, darüber hinaus hatte die Mutter mehrere Fehlgeburten, was erhebliche körperliche und seelische Belastungen erahnen lässt. Bei Pauls Geburt war Bertha Hoh fast 47 Jahre alt und litt zudem – so ihr Mann Wilhelm später gegenüber dem Personal der damaligen Alsterdorfer Anstalten – während der Schwangerschaft unter "Kriegsfolgen".

Wilhelm Joachim Louis Hoh (geb. 1871) stammte aus einer Mecklenburger Landarbeiterfamilie. Mit Anfang zwanzig war er nach Hamburg gezogen und fand dort eine Anstellung als Zigarrenarbeiter. 1894 heiratete er die knapp ein Jahr ältere Tischlerstochter Bertha Sophie Henriette Pfeiffer. Sie kam aus Ottensen, lebte bei ihrer Heirat aber mit ihren Eltern in Eimsbüttel. In den folgenden Jahren zog die größer werdende Familie Hoh mehrfach innerhalb Eimsbüttels um und wohnte, als Paul 1917 geboren wurde, in der Quickbornstraße 21. Dort befindet sich auch der für ihn gelegte Stolperstein. War es schon schwer genug, eine siebenköpfige Familie vom Lohn eines Arbeiters zu ernähren, so verstärkte ein weiteres Kind die soziale Not noch. Dies lässt auf die Mühsal schließen, die Bertha Hohs Alltag bestimmte – verantwortlich für Kindererziehung, Haushalt und Versorgung des Ehemanns sowie möglicherweise auch dafür, einen geringen Lohn hinzuzuverdienen, wie es damals in Arbeiterfamilien weithin nötig war.

Laut Aussage seiner beiden Nichten und seines Neffen war Paul Hoh das, was man heute als lernbehindert bezeichnen würde. Er wurde erst mit acht Jahren eingeschult und besuchte insgesamt nur etwa drei Jahre die "Hilfsschule für schwachbefähigte Kinder" in der Eimsbütteler Eichenstraße. Da die Kinder der Nachbarschaft sich über ihn lustig machten und er nicht zum Gespött der Leute werden sollte, hatte sein Vater ihn am 11. April 1930 schließlich zur zuständigen Wohlfahrtsstelle IV gebracht. Dort wurde er untersucht und anschließend wegen "beg. Schwachsinns" in eine "Hamburgische Anstalt für Geisteskranke, Idioten und Epileptiker" eingewiesen. Erst hatte die Wohlfahrtsstelle das psychiatrische Staatskrankenhaus Friedrichsberg ausgewählt, entschied sich aber für die damaligen Alsterdorfer Anstalten. Das dortige Aufnahmebuch verzeichnete Paul Hoh knapp drei Wochen später als "eingetreten".

Wenig später starb sein Vater Wilhelm im Alter von nicht einmal 60 Jahren. Seine Schwester Alma war bereits zusammen mit ihrem zweiten Ehemann nach New York ausgewandert, ihren damals 10-jährigen Sohn Hans aus erster Ehe hatte sie bei ihrer Mutter Bertha Hoh zurückgelassen, wo er zusammen mit Paul aufwuchs. Beide Jungen hatten in etwa das gleiche Alter, ein Foto zeigt sie einträchtig nebeneinander sitzend, Bilderbücher anschauend.

Auf der Überweisung der Wohlfahrtsstelle IV wurde Paul Hoh als "gutartig" und "ruhig" charakterisiert, auf dem Abhörungsbogen, der bei seiner Aufnahme in Alsterdorf angelegt wurde, als "umgänglich", "fröhlich" und "vergnügt". Rund vier Jahre später las sich das ganz anders. In einem Bericht vom September 1934 beschrieb ihn der leitende Oberarzt Gerhard Kreyenberg gegenüber der Wohlfahrtsstelle als "sehr schmutzig" und als jemanden, der gern schwächere Mitzöglinge quäle; er diagnostizierte "Schwachsinn sehr erheblichen Grades" sowie "[g]eistig geht er in der letzten Zeit immer mehr zurück" und entschied daraufhin: "Weiterer Anstaltsaufenthalt ist erforderlich." Zwei Jahre später, Ende Juli 1936, wandte sich die Wohlfahrtsstelle III an die damaligen Alsterdorfer Anstalten. Ihr Anliegen: ein ärztliches Gutachten Paul Hohs, da dessen Geisteszustand "in Bezug auf die Erbgesundheit der kinderreichen Familie evtl. von Bedeutung" sei. Wenige Tage später kam Kreyenberg dieser Bitte nach: "Aus dem Stammbaum geht hervor, daß die Eltern – sowohl der Vater als auch die Mutter – Trinker waren, überdies der Großvater mütterlicherseits und die Urgroßmutter väterlicherseits ebenfalls Trinker waren. Der Pat. hat 5 angebl. gesunde Geschwister, darauf kamen drei Fehlgeburten, als 9tes Kind wurde der Pat. selber geboren. Es geht ohne weiteres daraus hervor, daß es sich um eine erheblich belastete Familie handelt." Darüber hinaus betonte der Oberarzt in seinem Schreiben Paul Hohs "Antriebslosigkeit", dass er "ohne strenge Aufsicht jede Arbeit liegen läßt und die unbeobachtete Zeit benutzt, um seine Zerstörungsarbeit zu beginnen".

Bald nach seiner Ernennung zum Direktor der damaligen Alsterdorfer Anstalten 1930 hatte Pastor Friedrich Carl Lensch formuliert: "[…] Demgegenüber möchten wir betonen, daß die Gefahr einer zunehmenden Durchseuchung unseres Volkes mit krankem Erbgut gerade besonders von dem, der zum erstenmal den Schwachsinn umfassend wissenschaftlich bearbeitete, dem Gründer unserer Anstalt, Pastor D. Dr. Sengelmann; 2. daß die Anstalten durch die jetzt schon durch 80 Jahre hindurch angestrebte Isolierung möglichst aller Schwachsinnigen ganz wesentlich dazu beigetragen haben, aus dem Volk herauszuziehen, von der Fortpflanzung auszuschalten und damit in sich selbst auflösen zu lassen." Kurz nach ihrer Machtübernahme erließen die Nationalsozialisten dann 1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Es bildete die Grundlage für die Zwangssterilisation von rund 400.000 Menschen zwischen 1934 und 1945. 1936 wurde auch Paul Hoh sterilisiert, im Jahr darauf erklärte ihn Kreyenberg als für den "Dienst in der Wehrmacht" ungeeignet. Schon ab 1931, so der Diplom-Psychologe Michael Wunder 1988, waren die damaligen Alsterdorfer Anstalten durch die "Verbindung von Ökonomie und Rassismus" gekennzeichnet. Man betrachtete "arbeitsfähige Insassen als heilbare Behandlungsfälle (…), arbeitsunfähige als ,unheilbare Pflegefälle‘, als ,ausdiagnostizierte Verwahrfälle‘, für die die ,Verwahrabteilungen‘ mit niedrigeren Pflege­sätzen errichtet wurden." So beschrieb Ende Oktober 1942 Kreyenberg Paul Hoh gegenüber dem Landesfürsorgeamt erneut als träge und auch tagsüber oft schlafend, "auf einen Besen gestützt". Immer wieder hatte Bertha Hoh Urlaubsanträge für ihren Sohn gestellt, die jedoch meist abgelehnt wurden, da er nicht zu oft hintereinander die Anstalt verlassen durfte. Paul Hohs Nichten erinnerten sich, dass sie ihn noch Ende 1942 zusammen mit ihrer Tante oder ihren Eltern in den damaligen Alsterdorfer Anstalten besuchen konnten. Sie erinnerten sich an "riesige Baracken" mit "großen Tischen und Bänken" sowie an "Blechnäpfe", aus denen die Menschen essen mussten. Es war "wie im Gefängnis".

Nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg vom 27. Juli bis 3. August 1943 nahmen die damaligen Alsterdorfer Anstalten zahlreiche Obdachlose und Verletzte auf, auch waren die eigenen Gebäude durch Bomben beschädigt. Daraufhin ließ Pastor Lensch im Einvernehmen mit der Hamburger Gesundheitsverwaltung rund 500 Anstaltsinsassen abtransportieren. Unter den 112 Pfleglingen, die am 7. August 1943 frühmorgens mit grauen Gekrat-Bussen in die "Heil- und Pflegeanstalt" Mainkofen bei Passau transportiert wurden, befand sich auch Paul Hoh. Das dortige "Abgangsbuch" verzeichnete sein Todesdatum: 8. Oktober 1944. Angeblich starb er an Lungentuberkulose. Die hohe Sterblichkeitsrate in Mainkofen und die Angabe stereotyper Todesursachen – darunter Lungen-Tbc –, wie sie in den letzten Kriegsjahren in psychiatrischen Anstalten üblich war, weisen aber eher auf Tod durch Verhungern, Entkräftung und nicht behandelte Krankheiten hin. So nennt der Publizist Ernst Klee Mainkofen auch die "Hungeranstalt". Nach Intervention einer Hamburger Initiative aus Angehörigen von Personen, die in Mainkofen starben, wird auf dem Gelände des jetzigen Bezirksklinikums Mainkofen, dem Nachfolger der damaligen "Heil- und Pflegeanstalt", eine Gedenkstätte eingerichtet, die an jedes Mainkofener Opfer des Nationalsozialismus namentlich erinnert.

© Frauke Steinhäuser

Quellen: StaH, 147 Js 58/67, Sonderband 5, E 7 (52), Betr. Verlegung von Pfleglingen 1938–545; Gespräch mit dem Angehörigen Hans Hoh und seinen beiden Schwestern im Juni 2009; Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 402; Projektgruppe, Verachtet – verfolgt – vernichtet; Friedrich Carl Lensch, Dennoch, in: Briefe und Bilder aus Alsterdorf. Hamburg 1931/32; Wunder u. a. (Hrsg.), Schiefe Ebene; Cranach/Siemen (Hrsg.), Psychiatrie im Nationalsozialismus; "Mainkofen plant Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus", Website des Bezirksklinikums Mainkofen, http://kurzurl.net/QO2kj, Zugriff 4.1.2012.

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