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Bereits verlegte Stolpersteine



Louisenweg 27 um 1920
© Stadtteilarchiv Hamm

Siegmund Steindler * 1889

Luisenweg 27 (Hamburg-Mitte, Hamm)

1943 Majdanek
ermordet
zuvor:
Flucht Frankreich
deportiert aus Drancy

Siegmund Steindler, geb. 3.8.1889, 1934 Flucht nach Böhmen, 1938 Flucht nach Frankreich, 1939 interniert Gurs, 1941 Zwangsarbeitslager Casseneuil/Garonne, Februar 1943 Sammellager Drancy, deportiert am 4.3.1943 nach Majdanek

Schule Pröbenweg/Parkplatzeinfahrt Luisenweg (ehedem Luisenweg 27)

Siegmund Steindlers Wurzeln lagen väterlicherseits in Böhmen, mütterlicherseits in Hamburg. Er war das zweitälteste von fünf Kindern, die zwischen 1888 und 1893 in Hamburg geboren wurden.

Sein Vater, Julius Steindler, war am 6.1.1862 in der Kleinstadt Münchengrätz, dem heutigen Mnichovo Hradiště, in Tschechien, geboren worden. Seinerzeit war der Ort österreichisch, 1866 wurde er preußisch. Julius’ zwölf Jahre jüngerer Bruder Jakob Steindler kam am 11.9.1874 in Komotau, einer aufstrebenden Stadt weiter westlich, zur Welt, wo der Vater Maximilian Steindler als Handelsmann tätig war. Über die Schwestern Auguste und Jenny ist wenig bekannt.

Julius Steindler zog Mitte der 1880er Jahre nach Hamburg, während seine Eltern, Maximilian Steindler und Henriette, geb. Fischl, bis zu ihrem Tod in Böhmen blieben. Der Vater starb 1902 in Karlsbad, während die Mutter weiter in Leitmeritz wohnte. Jacob Steindler folgte Julius nach Hamburg, wo er von 1895 an seinen ständigen Wohnsitz nahm.

Bevor sich Julius Steindler ständig in Altona/Ottensen niederließ, übte er als Kaufmann verschiedene Tätigkeiten aus. 1888 gründete er in der Holstentwiete 90/92 eine Fabrik für Dachpappen und chemisch-technische Produkte, die ein Familienunternehmen begründete. Sein Bruder Jacob absolvierte bei ihm seine kaufmännische Lehre.

1887 heiratete Julius Steindler Rosa Horwitz, geb. 21.6.1865 in Hamburg, Tochter des Lotteriecollektors (Leiter einer Lotterieannahmestelle) Wulff Horwitz und seiner Ehefrau Bertha, geb. Bieber, aus Lübeck. Am 8.8.1888 wurde der erste Sohn, Maximilian, geboren. Ein Jahr später, am 3.8.1889, kam Siegmund zur Welt, dem am 21.11.1890 Hermann folgte. Die einzige Tochter, Susanna, wurde am 31.12.1891 geboren, nach ihr kam der Sohn Adolf Eduard, geb. 1.6.1893, zur Welt.

Am 1. Mai 1891 wurde Julius Steindler mit seiner Ehefrau Rosa und den Söhnen Maximilian, Siegmund und Hermann in Hamburg eingebürgert. Außer seinem Betriebgrundstück besaß er ein angrenzendes kleines Grundstück in Altona, wohnte selbst aber in Hamburg und gehörte der dortigen Deutsch-Israelitischen Gemeinde an.

Jacob Steindler stieg nicht in die Firma des Bruders Siegmund ein, sondern gründete zusammen mit seiner Schwester Auguste, die in Straßburg im Elsass lebte, eine eigene Firma, A. Jontorf-Hutter & Co.. Es handelte sich um einen Vertrieb von Dachpappen und Teerprodukten, die hauptsächlich aus der Firma des Bruders stammten. Auguste schied bereits nach acht Monaten wieder aus, Jacob blieb Alleininhaber und führte seine Geschäfte von seiner Wohnung Grindelberg 78 aus.

1902 heiratete Jacob Steindler die Stenotypistin Bettina Westheimer, geb. 5.7.1876 in Hamburg. Am 2.10.1903 wurde die Tochter Anni geboren, am 5.2.1906 der Sohn Ferdinand. Der jüngste Sohn Eduard wurde nur 19 Monate alt.

Am 31.5.1907 erhielt auch Jacob Steindler mit seiner Familie das Bürgerrecht. Seine "Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband" hatte sich wegen der preußischen Bestimmung verzögert, dass "Juden nur dann naturalisiert werden, wenn ganz besondere Umstände für die Bewilligung des Naturalisierungsantrags sprechen", was hier nicht zuträfe. Der Bruder seiner Mutter, Martin Horwitz, und sein Bruder Julius bürgten für ihn. Dass dessen Antrag auf Einbürgerung schon 1891 Erfolg hatte, entschied nun zu seinen Gunsten. Der österreichische Pass wurde eingezogen.

Maximilian, Siegmund, Hermann und Adolf Eduard Steindler wurden Kaufleute wie ihr Vater, die beiden älteren Söhne arbeiteten in seinem Betrieb. Hermann gründete eine eigene Im- und Exportfirma, blieb der Firma seines Vaters jedoch durch seine Bankgeschäfte verbunden. Er zog 1911 nach Barcelona und kehrte zehn Jahre später nach Hamburg zurück.

Maximilian, Siegmund und Adolf Eduard überlebten als Frontkämpfer den Ersten Weltkrieg, jedoch starb Adolf Eduard am 27. Oktober 1918 an der Spanischen Grippe. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beerdigt, wie schon zuvor die Großeltern Wulff und Bertha Horwitz. Sie waren innerhalb eines Jahres gestorben (14.3.1912 und 17.2.1913) und beieinander auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt.

Es gelang Julius und Jacob Steindler, ihre Firmen erfolgreich durch den Ersten Weltkrieg zu führen und danach auch durch die Inflationszeit.

Hermann Steindler trat in die Deutsch-Israelitische Gemeinde ein und wurde zur Zahlung der Gemeindesteuer veranlagt. Er entrichtete nur einmal einen Beitrag, bevor er erneut wegzog. Auf seiner Steuerkarte ist als Zielort Marokko vermerkt. Wann und wo er heiratete, ist nicht bekannt. Seine Ehefrau Agnes, geb. Broll, war katholisch und stammte aus Kattowitz in Oberschlesien. Ihr Sohn Hans Adolf wurde am 29.10.1927 in Ceuta in Marokko geboren.
Nach seiner Rückkehr nach Hamburg arbeitete er als Angestellter im Familienbetrieb in der Holstentwiete in Altona.

Die in Hamburg verbliebenen Geschwister Steindler zogen nach und nach aus ihrem Elternhaus in der Barcastraße 8 in Hohenfelde aus: Susanna heiratete den promovierten Zahnarzt Erich Keibel (geb. 3.8.1880) und hatte schon zwei Kinder (Gertrud, geb. 4.4.1914 und Max, geb. 9.11.1915), als ihr ältester Bruder, Maximilian, am 21. September 1919 Käthe Laski, geb. 20.6.1893 in Hamburg, heiratete. Sie blieben kinderlos, ebenso wie Siegmund. Er heiratete am 10. Oktober 1926 Maria Komorowski, geb. am 20.4.1896 in Bogatzkowolla bei Lötzen/OPr. (heute Bogacko bei Giżycko, Woiwodschaft Ermland-Masuren). Sie trat bei ihrer Heirat zum Judentum über und gab es nie auf.

Aus den Unterlagen über ausgestellte Reisepässe ergibt sich eine umfangreiche Reisetätigkeit der Brüder Julius und Jacob, ab 1910 auch Maximilians, manche in Begleitung ihrer Ehefrauen. Die Reisen reichen nach Russland, Dänemark, der Tschechoslowakei, Österreich und Spanien. Siegmund Steindler erhielt erstmals 1921 einen Reisepass ohne Beschränkung des Gültigkeitsbereichs, 1927 auch seine Ehefrau Maria. Die Personenbeschreibungen in den Pässen kennzeichnen die Inhaber als mittelgroß mit ovalen Gesichtern, grauen Augen, dunkelbraunem, später grau meliertem Haar, von untersetzter Statur, ohne besondere Kennzeichen. Nur Maria Steindlers Haar wird als dunkelblond beschrieben.

Wie aus den Steuerunterlagen der Jüdischen Gemeinde hervorgeht, verfügten alle Firmenangehörigen über ein gutes, zeitweilig alle das gleiche Einkommen.

Trotz der Weltwirtschaftskrise hatten die Firmeninhaber Julius, Maximilian und Siegmund Steindler Gewinne erzielt, gerieten aber um 1932 in Konkurs. Ein Kredit der Commerz- und Privatbank in Höhe von 30 000 RM sollte ihn abwenden, wurde ihnen jedoch als Juden nach der Machtübergabe an Hitler 1933 gekündigt.

Angesichts des Verlustes ihrer Existenzgrundlage löste sich der Familienverband auf. Am unmittelbarsten traf es Julius Steindler. Er erlitt am Vortag des Boykotts jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 einen tödlichen Herzschlag und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf in einem Doppelgrab beerdigt, wo vier Jahre später auch seine Ehefrau Rosa ihre letzte Ruhe fand.

Maximilian emigrierte mit seiner Ehefrau Käthe nach Schweden. Dort starb er am 18. Oktober 1937. Über das Ergehen seiner Witwe ist uns nichts bekannt.

Am 5. August 1933 wanderte Jakob Steindlers Sohn Ferdinand, der promovierte Gerichtsassessor Ferdinand Steindler, nach London aus, wo er als Dolmetscher, Lehrer und Kaufmann sein Auskommen fand. Seine Mutter Bettina Steindler und die Schwester Anni folgten ihm 1937, im Mai 1938 auch der Vater Jacob. Er betätigte sich im Refugees’ Committee für Wohlfahrtsfragen der jüdischen Flüchtlinge.

Während sich ein Teil der Familie nach Westeuropa wandte, kehrte der andere nach Böhmen zurück. Im November 1933 siedelte Hermann mit seiner Ehefrau Agnes Steindler mit ihrem noch nicht schulpflichtigen Sohn Hans Adolf nach Aussig in der damaligen Tschechoslowakei über, um sich dort eine neue Existenz mit der Produktion von Isoliermaterial aufzubauen.

Nach der Zwangsversteigerung des Betriebs und der Grundstücke (bis auf einen Restteil) im Jahr 1934 flohen auch Siegmund und Maria Steindler in Richtung Böhmen. Sie fanden 1935 Aufnahme bei Siegmunds Bruder Hermann und seiner Familie. Da Siegmund keine Arbeitserlaubnis besaß, wurden er und seine Frau 1936 ausgewiesen. Als nächstes versuchten sie, sich in Maribor in Jugoslawien eine neue Existenzgrundlage zu schaffen, erhielten aber auch dort keine Arbeitserlaubnis und lebten vom Verkauf von Maria Steindlers Schmuck.

Nach einem Jahr wurden sie auch dort ausgewiesen und zogen nach Triest, wo sie acht Monate lang ohne Aufenthaltserlaubnis lebten. Dort gelang es ihnen, ein Visum für Bolivien zu bekommen. Als sie über Frankreich dorthin auswandern wollten, stellte sich jedoch im November 1938 heraus, dass das Visum ungültig war.

In der Zwischenzeit hatte Hermann Steindler vor der Besetzung des Sudetenlands durch die deutsche Wehrmacht mit seiner Familie Aussig verlassen, war nach Prag und weiter nach Beraun gezogen. Von dort betrieb er seine Auswanderung und erhielt von einer jüdischen Hilfsorganisation ein Visum für England. Bei der Besetzung Prags im März 1939 durch die Deutschen durchsuchte die Gestapo auch die Räume dieser Organisation und beschlagnahmte das Visum. Dank der Hilfe Jakob Steindlers gelang es Agnes Steindler im April 1939, ihren Sohn Adolf Eduard mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Jakob Steindlers Schwester Jenny, die in Prag lebte, nahm sich zusammen mit ihrem Ehemann das Leben.

Hermann Steindler befürchtete seine Verhaftung und flüchtete nach Polen, zunächst nach Krakau und bei Ausbruch des deutsch-polnischen Krieges im September 1939 weiter ins ebenfalls polnische Lwów/Lemberg. Im Dezember 1939 informierte er seinen Onkel Jakob in London postalisch über seinen Aufenthalt in Lemberg und sein Ergehen. Lwów wurde 1940 aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes sowjet-ukrainisch. Damit verliert sich Hermann Steindlers Spur. (siehe: www.stolpersteine-hamburg.de)

Da die früheren Inhaber der Firma Steindler & Co. nicht auffindbar waren, wurde ein Haus- und Grundstücksmakler mit der Abwicklung des Verkaufs der letzten kleinen Parzelle, die bei der Zwangsversteigerung des Firmengeländes übersehen worden war, beauftragt. Mit der Genehmigung des Verkaufs am 12. September 1939 erlosch die Firma nach 50jährigem Bestehen.

Siegmund Steindler erhielt auch in Frankreich zunächst weder eine Aufenthalts- noch eine Arbeitserlaubnis, bis ihm der Großrabbiner von Bordeaux zu einer Aufenthaltsgenehmigung in Agen verhalf. Dennoch wurde er am 15. April 1940 im Lager von Gurs/Pyrenäen interniert, während seine Frau in Agen blieb. Vom 8. bis 30. August 1941 leisteten sie zwangsweise in Beaugas schwere körperliche Arbeit ohne Entgelt in der Landwirtschaft. Siegmung Steindler wurde dann in das Arbeitslager für Ausländer in Casseneuil verlegt, wo er bis zu seiner nächsten Verlegung nach Noé am 20. Februar 1943 blieb. Am 4. März 1943 endete für ihn die Zeit der Internierung in Südfrankreich in diesen kaum bekannten Lagern des Départments Lot-et-Garonne.

Seine Witwe erinnerte sich, dass er von der Gestapo mit unbekanntem Ziel nach Deutschland in ein Konzentrationslager verschleppt worden sei. Laut dem Gedenkbuch des Bundesarchivs wurde er in das Durchgangslager Drancy und von dort nach Majdanek bei Lublin deportiert. Als sein Todestag gilt der Tag des Abtransports aus dem Arbeitslager Noé.

Maria Steindler leistete weiter schwere landwirtschaftliche Arbeit bis zum Ende der Besetzung Frankreichs in Beaugas und blieb auch danach noch in Südfrankreich in Cancon. Von dort kehrte sie im August 1945 nach Deutschland und schließlich nach Hamburg zurück.

Hermann Steindler wurde 1951 auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Stand: Februar 2022
© Hildegard Thevs

Quellen: 1, 2 R 1939/2982, 4, 5; StaHH 213-13, 5962, 5963, 23626; 314-15_FVg 4667, R 1939/2982; Bürgerregister 1876-1896, A l e 40, Band 10, 18112; 332-7, A III 21 Bd.8 Nr. 37691; B III 84857; 332-8 A 24 Band 396; 351-11, 2352, 10217, 13794, 39458; 424-111 6010, 7160; 522-1 391; JFFH; https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFARTI000037311742?init=true&page=1&query=Steindler+Siegmund&searchField=ALL&tab_selection=all; https://www.gedenkorte-europa.eu/content/list/63/; https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Mnichovo_Hradi%C5%A1t%C4%9B; Mitteilungen von Angehörigen Nov. 2021.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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