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Ludwig Oehrlein * 1902

Freiligrathstraße Ecke Lübecker Straße (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


Verhaftet 1939
KZ Neuengamme
ermordet 03.05.1945
MS Cap Arcona
(inzwischen überholte
Inschrift des Stolpersteins)

Ludwig Oehrlein, geb. am 3.5.1902 in Würzburg, gestorben am 27.8.1942 im KZ Dachau

Lübecker Straße/Ecke Freiligrathstraße (früher: Freiligrathstraße 5)

Ludwig Oehrlein kam als Sohn des Adam Oehrlein und dessen Ehefrau Dorothea, geborene Keller, zur Welt und wurde im katholisch getauft. Nach dem Abschluss der Volksschule absolvierte er eine dreijährige Kaufmannslehre und arbeitete anschließend als Reisender in der Zuckerwarenbranche. Von 1924 bis 1925 machte er sich in Flensburg mit einem Tabakwarengroßhandel selbstständig, wurde aber wegen Unterschlagung von Kommissionsware zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach der Strafverbüßung arbeitete er als selbstständiger Zeitschriftenwerber. Doch Ludwig Oehrlein war auch wegen anderer Delikte bei der Polizei kein unbeschriebenes Blatt: Zwischen 1921 und 1935 wurde er insgesamt achtzehn Mal wegen Betruges, Unterschlagung, Diebstahls und Pfandbruchs verurteilt.

1935 hatte er nach späteren Angaben gegenüber der Polizei zum ersten Mal Sex mit einem Mann, den er am Homosexuellentreffpunkt am Millerntor kennengelernt hatte. Diesem gab er seinerzeit zehn Reichsmark, weil er angeblich in Not war. Ohne es zu ahnen, war er an den Strichjungen und Erpresser Alfred Schwammberger (geboren 1914) geraten. Da er diesen Mann in seine damalige Wohnung an der Fruchtallee 124 in Eimsbüttel mitgenommen hatte, wurde er in der Folgezeit zunächst erfolglos um weitere Geldbeträge erpresst.

Einige Zeit später erschien jedoch der Mitbewohner Alfred Schwammbergers, der ebenfalls als Strichjunge und Erpresser seinen Lebensunterhalt bestreitende Kurt Pohlitz (geboren 1910, gestorben 29.3.1944 KZ Neuengamme) bei Ludwig Oehrlein an der Haustür. Kurt Pohlitz, der ein Jahr später wegen eines Raubüberfalls in der Neustadt zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde, trat deutlich hartnäckiger und gewalttätiger auf und erpresste mehrmals Beträge zwischen fünf und 20 Reichsmark, insgesamt ca. 100 Reichsmark. Ludwig Oehrlein erhoffte sich durch die Zahlungen, dass seine Homosexualität vor den Nachbarn und der Polizei verborgen blieb.

Im Sommer 1937 lernte Ludwig Oehrlein im Café Dreyer, ehemals Bieber-Café, am Hauptbahnhof einen Hans Witten (geboren 1912, gestorben 1942 Nervenheilanstalt Bremen) kennen. Diesem besorgte er bei der Buch- und Zeitschriftenhandlung Iwan Hellweger, Mönckebergstraße 3, Arbeit als Zeitschriftenwerber und auch eine Unterkunft. Nachdem die beiden einmal miteinander geschlafen hatten, bekam Ludwig Oehrlein mehrere Droh- und Erpresserbriefe, in denen Witten Beträge bis zu 600 Reichsmark erpressen wollte.

Die Biographie Ludwig Oehrleins ist ein trauriges Beispiel für männliche Homosexuelle, die im Nationalsozialismus verstärkt Erpressungen und Denunziationen ausgesetzt waren und dadurch in eine gesellschaftliche Abwärtsspirale gerieten.

Um den neugierigen Nachbarn zu entfliehen, verzog er zunächst in die Brennerstraße 9, bezog dann im Dezember 1937 eine eigene Wohnung in der Freiligrathstraße 5. Dort hoffte er, ungestörter Männerbesuch empfangen zu können. In die Fänge des NS-Verfolgungsapparates geriet Ludwig Oehrlein erst, nachdem er im Februar 1938 von einem Bekannten und Inspektor der Baubehörde, von dem er wegen seiner Erpressungen Geld geliehen hatte und in Rückzahlungsschwierigkeiten geraten war, bei dem für die Ermittlungen "homosexueller Delikte" zuständigen 24. Kriminalkommissariat ausführlich als "schwerer Homosexueller" mit "perverser Veranlagung" denunziert wurde. Zudem fand die Kriminalpolizei im August 1938 Briefe von ihm in der Wohnung von Hans Witten, gegen den inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Erpressungen lief.

Vor 1938 war er den Behörden nicht als Homosexueller bekannt. Ludwig Oehrlein wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Erst im Frühjahr 1939 konnte die Kripo ihn ausfindig machen, nachdem er kurzzeitig nach Dänemark und ins ländliche Schleswig-Holstein geflüchtet war. Nach umfangreichen Verhören und Ermittlungen erfolgte sein Eingeständnis kurzer sexueller Erlebnisse und er wurde vom Erpressungsopfer zum Täter.

Am 25. Mai 1939 kam er ins Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis und wurde am 4. September 1939 vom Amtsgericht Hamburg, Abteilung 124 als Schöffengericht, wegen Vergehens gegen Paragraph 175 in drei Fällen zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt. Strafmildernd auf das Urteil wirkte sich aus, dass Ludwig Oehrlein sich nur mit Strichjungen eingelassen hatte und wegen "widernatürlicher Unzucht" noch nicht vorbestraft war. Zusammen mit einem Strafbeschluss des Amtsgerichts Soltau wegen einer anderen Sache wurde er zu einem Jahr Haft verurteilt. Er verbüßte die Strafe zunächst im Männergefängnis Fuhlsbüttel.

Während seiner Haft wurde er im März 1940 vom Amtsgericht Hamburg zu zwei Jahren Zuchthaus wegen Betrugs und Urkundenfälschung verurteilt. Seit 2. Mai befand er sich wieder im Untersuchungsgefängnis und wurde von dort am 8. November 1940 ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen überstellt. Die in dieser Zeit eingereichten Gnadengesuche blieben unberücksichtigt.

Nachdem er am 8. Mai 1942 seine vollständige Haftzeit abgesessen hatte, wurde er jedoch nicht in Freiheit entlassen, sondern dem innerstädtischen Polizeigefängnis in Hamburg, Hütten 40 überstellt. Höchstwahrscheinlich wurde er von dort direkt in das KZ Neuengamme verbracht. Die Kriminalpolizei hatte zuvor noch einmal seine Strafakte nach Paragraph 175 vom Gericht zur Einsicht angefordert. In den wenigen vom KZ Neuengamme erhalten gebliebenen Unterlagen erscheint sein Name jedoch erst auf einer Transportliste in das KZ Dachau, wo er am 1. August 1942 eintraf und die Häftlingsnummer 32.828 tragen musste. Als Haftgrund wurde "Berufsverbrecher" ("BV") und "polizeiliche Sicherungsverwahrung" notiert. Bereits wenige Tage nach seiner Einlieferung, am 27. August 1942, verstarb er im Alter von 40 Jahren im dortigen Lager.

Der letzte freigewählte Wohnsitz von Ludwig Oehrlein, eine Wohnung im zweiten Stock der Freiligrathstraße 5, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Ein Stolperstein an der Einmündung der Straße zur Lübecker Straße erinnert heute an sein Schicksal. Da zum Zeitpunkt der Steinsetzung noch anhand des früheren Totenbuchs des KZ Neuengamme sein Tod auf dem Schiff "Cap Arcona" am 3. Mai 1945 angenommen wurde, steht dieses inzwischen zu korrigierende Datum noch auf dem Stolperstein.

Stand: Mai 2016
© Bernhard Rosenkranz (†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 7828/36, 10157/36, 3846/39, 6866/39 u. 6229/40; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 13 u. 22869; Dank an Dr. Reimer Möller, KZ-Gedenkstätte Neuengammen, für eine Auskunft vom November 2008 mit Bezug auf den Nachlass Hans Schwarz und die Datenbank der KZ-Gedenkstätte Dachau; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969. Verlag Lambda Edition, Hamburg 2009, S. 241.

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