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Bereits verlegte Stolpersteine



Marie Marcus (geborene Gross) * 1885

Rieckhoffstraße 1 (Harburg, Harburg)

1941 Lodz
ermordet

Weitere Stolpersteine in Rieckhoffstraße 1:
Aron Marcus, Salomon Marcus

Aron Marcus, geb. am 16.12.1922 in Harburg, deportiert nach Łód´z am 25.10.1941, Todesdatum unbekannt
Marie Marcus, geb. Gross, geb. am 28.1.1885 in O´swie˛cim, deportiert nach Łód´z am 25.10.1941, Todesdatum unbekannt
Salomon Marcus, geb. am 27.6.1874 in Krakau, deportiert am 25.10.1941 nach Łód´z, Todesdatum unbekannt

Stadtteil Harburg-Altstadt, Rieckhoffstraße 1

Als Pesel Gross in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der damals österreich-ungarischen Kleinstadt O´swie˛cim bei Krakau ihrer Tochter Marie (Miriam) das Leben schenkte, konnte sie nicht ahnen, dass dieser Ort einmal unter dem Namen Auschwitz zum traurigen Symbol für den Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden werden sollte, dem auch ihre Tochter zum Opfer fallen würde.

Es ist nicht bekannt, wie Marie aus ihrer Heimat nach Harburg gelangte und wann sie ihren Mann Salomon Marcus heiratete, der in der Hauptstadt des einstigen polnischen Königreiches aufgewachsen war. Sein Vater war der bekannte Rabbiner Reb Aron Marcus.

In Harburg konnte Salomon Marcus ein Mietshaus in der Konradstraße 1a (heute: Rieckhoffstraße) erwerben, in dem er mit seiner Frau und den drei Kindern Necha (geb. 15.5.1912), Ester (geb. 28.8.1915) und Aron wohnte. Die Harburger Synagogengemeinde schätzte seine Dienste als ritueller Schlachter. Bei ihm konnten alle strenggläubigen Jüdinnen und Juden der Stadt, die nicht ohne koschere Küche leben wollten, ihre Hühner schächten lassen. Zum Schäch­ten benutzte er die Schlachträume eines nichtjüdischen Kollegen. Mit dieser Art des Schlachtens dürfte er schon vor 1933 auch in Harburg nicht überall auf Zustimmung ge­stoßen sein. Antisemiten und Tierschützer hatten sich bereits seit Jahren für ein Verbot des Schächtens eingesetzt, was die Nationalsozialisten nach 1933 geschickt für ihre Interessen zu nutzen wussten. Ab 1. Mai 1933 galt das verschärfte "Gesetz über das Schlachten von Tieren", nach dem warmblütige Tiere beim Schlachten vor Beginn der Blutentziehung betäubt werden mussten. Vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten Haftdauer geahndet. Dieses Verbot war für Salomon Marcus mit spürbaren beruflichen Nachteilen verbunden.

Auch sein Familienleben änderte sich, als die beiden Schwestern Necha und Ester Marcus 1933 ins Ausland gingen, um dort in Freiheit in neues Leben zu beginnen.

Die Eltern und Aron Marcus gehörten zu den wenigen Harburger Jüdinnen und Juden, die noch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in diesem Stadtteil wohnten und nicht emigriert oder nach Hamburg – oder in andere deutsche Städte – abgewandert waren. Es ist nicht bekannt, ob sie Pläne hatten, dem Beispiel der Töchter bzw. der Schwestern zu folgen.

Ein Wohnungswechsel nach Hamburg kam sicherlich für sie so lange nicht in Frage, wie sie noch in den eigenen vier Wänden in der Konradstraße ohne allzu starke Einschränkungen wohnen konnten. Die Mieteinnahmen von 130 RM, eine Zuwendung des Jüdischen Religionsverbandes von 71,10 RM und eine Rente von 79,90 RM, die Salomon Marcus von der Reichsversicherungsanstalt erhielt, ermöglichten der kleinen Familie anfangs noch ein halbwegs erträgliches Auskommen.

Im April 1941 übernahm ein zugelassener Harburger Haus- und Hypothekenmakler auf Anordnung der NS-Behörden die Verwaltung des Grundstücks in der Konradstraße 1a. Einige Monate später wurde das Haus, dessen Besitzer inzwischen verschleppt worden war, zugunsten des Reiches beschlagnahmt und das verbliebene Vermögen der Familie Marcus auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 der Reichskasse zugeführt.

Salomon Marcus hatte den Haus- und Wohnungsschlüssel, wie vorgeschrieben, bei der nächsten Polizeidienststelle abgeben müssen, als er mit seiner Frau den Weg zur Sammelstelle für den ersten Transport Hamburger Jüdinnen und Juden am 25. Oktober 1941 in den Osten antrat. Einen Tag später erreichte der Zug mit den beiden Eheleuten und über 1000 weiteren Personen die Stadt Łód´z im "Warthegau". Im Getto der Stadt verbrachten die Neuankömmlinge die ersten Tage – manche auch Wochen – in Massenunterkünften.

Sechs Tage später traf Aron Marcus mit einem Berliner Deportationstransport am gleichen Ort ein, er hatte (unklar, wann und warum) seinen Wohnsitz von Harburg in die Reichshauptstadt verlegt. Nicht mehr zu klären ist auch die Frage, ob er seine Eltern im Getto traf, was sehr unwahrscheinlich ist, da er bereits am 5. November einem Arbeitskommando außerhalb des abgesperrten Wohnbezirks zugewiesen wurde.

Am 10. Januar 1942 fand sich für Salomon und Marie Marcus ein Zimmer in einer Wohnung in der Rauchgasse 32, das sie allerdings am 12. März 1942 wieder verlassen mussten, um in ein anderes – ohne Küchenbenutzung – in unmittelbarer Nachbarschaft zu wechseln. Danach verliert sich ihre Spur.

Über ihr weiteres Schicksal lässt sich ebenso wenig sagen wie über das ihres Sohnes. Drei Gedenkblätter, die Ester Yatuv, geb. Marcus, 1956 für ihre Eltern und für ihren Bruder in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem hinterlegte, halten die Erinnerung an diese drei Menschen aus Harburg wach.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 2 (R 1940/851); 4; 5; 8; Heyl (Hrsg.) Harburger Opfer; Heyl, Synagoge, S. 62f.; http://www1. uni-hamburg.de/rz3a035/Litzmannstadt.html (eingesehen am 1.11.2009); Aron, Jews.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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