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Bereits verlegte Stolpersteine



Jonny Stüve
© Privatbesitz

Jonny Stüve * 1902

Alter Teichweg 180 (Hamburg-Nord, Dulsberg)


HIER WOHNTE
JONNY STÜVE
JG. 1902
VON GESTAPO
VERHAFTET 1944
ERMORDET 25.7.1944
POLIZEIGEFÄNGNIS
FUHLSBÜTTEL

Jonny August Wilhelm Stüve, geb. 6.2.1902 in Hamburg, Tod angeblich durch Selbstmord am 25.7.1944 im KZ Fuhlsbüttel

Alter Teichweg 180

Der Stolperstein für den Tischler Jonny Stüve liegt vor einem Mehrfamilienhaus am Alten Teichweg 180. Dort stand das Haus, in dem er mit seiner Frau Margarete und den Kindern Ursula und Peter gewohnt hat, es wurde im Sommer 1943 ausgebombt. Zu diesem Zeitpunkt war der im Widerstand aktive Kommunist bereits untergetaucht, lebte aber bei seiner Familie in der ehelichen Zwei-Zimmer-Wohnung.

Geboren wurde Jonny August Wilhelm Stüve am 6. Februar 1902 in Hamburg. Aus einer Sonderausgabe des Deutschen Kriminalpolizeiblattes vom 3. Februar 1943 wissen wir, dass er 1,77 Meter groß, blond und blauäugig war. Ein Portraitfoto zeigt einen gepflegten und korrekt gekleideten Herrn mit Hut, Krawatte, weißem Hemd und dunklem Anzug, der eine Brille mit kreisrunden Brillengläsern trägt.

Wann Jonny Stüve die Hamburgerin Margarete Dzuber (geboren am 6. Oktober 1908) heiratete, geht aus den uns vorliegenden Unterlagen nicht hervor. Am 29. Juli 1928 wurde er Vater einer Tochter, die auf den Namen Ursula getauft wurde. Am 5. Juni 1937 kam Sohn Peter zur Welt.

Jonny Stüve arbeitete als Polier bei Blohm & Voss. Er war Mitglied der KPD und schloss sich der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe an. Die Widerstandsbewegung um den ehemaligen Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten Bernhard Bästlein (1894–1944) zählte zu den größten regionalen Widerstandsgruppen in Hamburg. Sie war hauptsächlich auf Werften und in der Metallindustrie aktiv und organisierte sich in Betriebszellen. Ziel der Gruppe war es, ihre Mitglieder politisch zu schulen und Aufklärung zu betreiben. Außerdem wurde in den Betrieben Produktionssabotage organisiert. Zwangsverpflichtete Fremdarbeiter wurden humanitär unterstützt. Die Betriebszelle bei Blohm & Voss soll 60 bis 80 Mitglieder gehabt haben, wobei Jonny Stüve zur Leitung der Gruppe gehört haben soll. Im Oktober 1942 gelang es der Gestapo, die Gruppe zu sprengen. Mehr als 100 der insgesamt rund 200 Mitglieder wurden verhaftet. Jonny Stüve konnte fliehen und untertauchen.

Im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens wurden im Juli 1951 die Mitglieder des Betriebsrates von Blohm & Voss nach ihrem ehemaligen Kollegen befragt. Am 4. August 1951 ging beim Sonderhilfsausschuss des Amtes für Wiedergutmachung folgende Stellungnahme eines Carl Dittmer ein:

"Lieber Karl. Ich habe mit verschiedenen Kollegen über den Fall Jonni Stüver (sic!) gesprochen. Die Kollegen bestätigen, dass St. in der Widerstandsgruppe war. Kurz bevor die Verhaftungswelle bei Blohm & Voss einsetzte, ist Kollege St. getürmt. Bei dem Kollegen Hans Matschke (Brehmsweg) in einer Wohnkolonie hielt St. sich monatelang versteckt. Er versuchte sich später ins Ausland durchzuschlagen, wurde aber bei Bramfeld von dem Kommissar Helms verhaftet und ist später im Fuhlsbütteler K.Z. verstorben. Auch der Kollege Trollau bestätigt, dass St. in der Widerstandsbewegung war. St. war bei uns in der Tischlerei beschäftigt, leider kann man sich der Daten nicht genau erinnern. Im übrigen stand St. auf der Gedenktafel für die Opfer des Hitler-Regimes. Gruss Carl Dittmer"

Es ist anzunehmen, dass Jonny Stüve nach seinem Untertauchen bis zum Juli 1943 wenig oder keinen Kontakt zu seiner Familie hatte. Jedenfalls konnte Margarete Stüve später nichts darüber aussagen, unter welchen Umständen ihr Mann während der ersten Monate seiner Flucht gelebt hat. Am 2. August 1956 gab sie folgende Aussage zu Protokoll:

"Mein Ehemann hat ungefähr 13⁄4 Jahr illegal von 1942 ab gelebt. Er gehörte, soweit mir bekannt ist, der Widerstandsbewegung bei Blohm & Voss an. Im Jahre 1942 ist er, um einer Verhaftung zu entgehen, von der Arbeitsstelle weggegangen und hat sich lange Monate bei Arbeitskollegen bzw. Gesinnungsfreunden aufgehalten. Mir ist nicht bekannt, unter welchen Umständen er während dieser Zeit gelebt hat. Im Juli 1943 kam er zu mir in unsere Wohnung. Dies konnte er deswegen riskieren, weil die Gestapobeamten, die die Widerstandsgruppe bei Blohm & Voss bzw. deren Angehörige verfolgt haben, nach Dänemark abkommandiert worden waren. Die Gestapobeamten, die ihnen folgten, waren noch nicht so ein­gearbeitet und vermuteten daher auch meinen Ehemann im Jahre 1943 nicht bei mir in der ehelichen Wohnung. Unsere Wohnung bestand aus zwei Zimmern. Mein Ehemann hat sich hier nur drei Wochen aufgehalten. Dann wurde die Wohnung ausgebombt. Ich selbst und auch er fanden bei meiner Mutter, die auch eine Zwei-Zimmer-Wohnung inne hatte und nicht ausgebombt worden war, Unterkunft. In der Wohnung meiner Mutter hat sich mein Ehemann frei bewegt, jedoch hat er sich niemals während der Zeit am Tage auf die Straße begeben, sondern nur im Dunkeln bzw. nachts das Haus verlassen, um Luft zu schöpfen. Bei Fliegeralarm hat er nur nachts den Stadtpark aufgesucht. Es war ihm während solcher Alarme auch nicht möglich, den Bunker oder sonstige öffentliche Schutzräume zu betreten. Ich bin der Ansicht, dass mein Ehemann während der 10 Monate, während welcher er sich in der ehelichen Wohnung bzw. in der Wohnung meiner Mutter aufgehalten hat, wenn auch unter gewissen gemilderten Bedingungen, wie ein Häftling leben musste. Wie ich bereits ausgeführt habe, musste er absolut verborgen bleiben. Er bekam ausserdem keine Lebens­mittelkarten und ich musste ihn von den unseren mit ernähren."

Auffällig ist, dass Margarete Stüve ihre Kinder mit keinem Wort erwähnt. Vielleicht waren die beiden 1943 woanders untergebracht. Dafür spricht, dass Jonny Stüve sich in seinem letzten Brief erkundigt, ob sich sein Sohn noch an ihn erinnern könne (vgl. unten). Es ist außerdem schwer vorstellbar, dass die Eltern ihren erst sechs Jahre alten Sohn in das Geheimnis um seinen illegal lebenden Vater eingeweiht haben könnten.
Glaubt man den Zeugenaussagen ehemaliger Arbeitskollegen, hat Jonny Stüve versucht, sich ins Ausland abzusetzen. Belegen lässt sich das nicht. Fest steht aber, dass er nicht unvorbereitet ging, denn seine Frau konnte später noch sehr genau angeben, was er bei sich trug.

Ein Paar Herrenschuhe
einen Hut
1 Wintermantel
1 Lodenmantel
2 Anzüge
3 Oberhemden
2 Garnituren Unterwäsche
3 Paar Strümpfe
6 Taschentücher
1 Fahrrad
1 Armbanduhr
1 Handkoffer
Bargeld 400,– RM

In einem Schreiben an die Wiedergutmachungsstelle benannte sie außerdem noch eine Frau I. Dreher aus Hamburg-Borstel, bei der ihr Mann ebenfalls längere Zeit untergekommen sein soll. Wann genau das war, ist uns nicht bekannt.

Möglich ist aber, dass über sie der Kontakt zu Frieda Wölken in Bramfeld hergestellt wurde, in deren Haus Jonny Stüve am 18. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet wurde. Jedenfalls gab Frieda Wölken 1959 in ihrem Antragsformular an den Son­derhilfsausschuss Hamburg u. a. eine gewisse Trudl Dreher als Zeugin an. Gertrud Dreher gehörte ebenfalls zum Umfeld der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe.
Frieda Wölken, geb. Schmedemann (2.1.1895–1967), war Mitglied der KPD und soll in Bramfeld zu denjenigen gezählt haben, die sich den Mund nicht verbieten ließen. Im Sommer 1944 lebte sie allein in ihrem Haus im Friedhofsweg (heute: Im Soll) 42. Ihre Tochter war mit den Enkelkindern aufs Land evakuiert worden. Ihren Mann hatte man zum Militärdienst eingezogen.

Im Herbst 2009 ist es der AG Stolpersteine für Bramfeld gelungen, eine Enkelin von Frieda Wölken ausfindig zu machen. Sie vermittelte den Kontakt zu einer Freundin der Familie, die sich noch gut daran erinnern konnte, was über die Verhaftung von Jonny Stüve erzählt worden ist. Den Erzählungen nach hatte Frie­da Wölken Jonny Stüve in der oberen Etage des Hauses untergebracht. Am 18. Juli 1944 klingelten zwei Beamte an der Tür. Stüve versteckte sich im Obergeschoss. Frieda Wölken war beim Einkaufen. Die Beamten warteten. Als die Hausherrin nach Hause kam, wurde sie gezwungen aufzuschließen und die Gestapo ins Haus zu lassen. Jonny Stüve wurde verhaftet.

Am 20. Juli schrieb er aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel an seine Frau:
"Liebe Grete!
Muss Dir leider mitteilen, dass ich am 18.7. verhaftet und nach Fuhlsbüttel eingeliefert worden bin. Pech! Ich kann mir vorstellen, dass Dich diese Nachricht stark erschüttern wird aber es lässt sich nicht ändern. Wie geht es den Kindern? Schreibe mir doch bitte ob Peter zur Schule geht oder kommt. Hast Du schon Urlaub gehabt in diesem Jahr? Benachrichtige doch bitte meine Eltern. Ich lasse sie herzlichst grüssen. Liebe Grete! Verzage nicht, sondern beisse die Zähne zusammen. Die Kinder brauchen Dich! Aber das brauche ich Dir ja nicht zu erzählen denn Du warst ihnen immer eine fabelhafte Mutter. Ich hoffe, dass wir noch viele Jahre gemeinsam verbringen werden. Wie meine Sache ausläuft, weiß ich zwar nicht, aber schliesslich geht auch einmal das ärgste Ungemach vorüber. Wo befindet sich denn unsere Tochter Ursula augenblicklich? Schreibe mir doch bitte in allen Einzelheiten wie es ihr geht und was sie treibt. Bestelle ihr bitte zu ihrem 16. Geburtstag am 29. Juli meine herzlichsten Glückwünsche und ebenfalls ,Kopf hoch.‘ und tüchtig weitergelernt. Denn nur so bekommt sie eine Grundlage für die Zukunft. Neugierig bin ich wie der Peter sich entwickeln wird. Hoffentlich haben wir ebenso viel Freude an ihm wie an Ursula. Vielleicht kannst Du es ihm irgendwie klar machen in welcher Lage ich mich befinde. Kann er sich meiner überhaupt noch erinnern? Bestelle bitte auch meiner Mutter einen herzlichen Gruss und sei selbst herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem Dir viel Kummer und Sorgen machenden Mann,
Jonny Stüve"

In den frühen Morgenstunden des 4. August 1944 – also 16 Tage nach Stüves Verhaftung – wurde auch Frieda Wölken von der Gestapo abgeholt und in Fuhlsbüttel inhaftiert. Sie soll auf der Straße laut nach den Nachbarn gerufen haben, um diese zu informieren und somit indirekt eine Nachricht für ihre Familie zu hinterlassen. Am 19. Oktober 1959 gab sie im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens folgende Begründung für ihre Verhaftung zu Protokoll: "Ich hatte seinerzeit einen Widerstandskämpfer mit Namen Stübe (sic!) bei mir versteckt. Eines Tages kam der bekannte Gestapobeamte Helms und fand den Stübe in meiner Wohnung. Dieser wurde verhaftet. Einige Tage später auch ich. Im Rahmen des Prozesses Tippmann und Genossen wurde auch gegen mich verhandelt. Der Prozess kam nicht mehr zum Abschluß durch den Zusammenbruch."

Frieda Wölken wurde am 26. Mai 1945 von der britischen Militärregierung aus der Untersuchungshaft entlassen. Das anhängige Verfahren wegen "Vorbereitung zum Hochverrat” wurde eingestellt.

Jonny Stüve soll seinem Leben am 25. Juli 1944 selbst ein Ende gesetzt haben. Nach allem, was wir heute über die Haftbedingungen in Fuhlsbüttel wissen, steht zu vermuten, dass er vor seinem Tod gefoltert wurde. Vor diesem Hintergrund muss auch der Akteneintrag "Selbstmord" gesehen werden. Es ist nicht auszuschließen, aber eben auch nicht zu beweisen, dass er an den Folgen der Folter gestorben ist.

© Ulrike Hoppe, Britta Burmeister

Quellen: StaH 351-11 (AfW), Abl. 2008/1, Jonny Stüve, 060202; StaH 351-11 (AfW), Abl. 2008/1 Gretchen Fick, 220314; StaH 351-11 (AfW), Abl. 2008/1, 190974; StaH 351-11 (AfW), Abl. 2008/1, 160906; Privatbesitz Erika Franke; Interviews (Stadtteilarchiv Bramfeld) mit Erika Franke (2009) und Irma Kruse (2009).

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