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Bereits verlegte Stolpersteine



Elsi Marcus (geborene Singer) * 1915

Schadesweg 24 (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
ELSI MARCUS
GEB. SINGER
JG. 1915
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Schadesweg 24:
Erich Marcus, Silvia Marcus

Elsi Marcus, geb. Singer, geb. 25.7.1916 Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Erich Marcus, geb. 25.7.1911 in Harburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Silvia Marcus, geb. 24.3.1936 Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Schadesweg 24

Am 8. November 1941 wurden Elsi und Erich Marcus zusammen mit ihrer fünfjährigen Tochter Silvia und Erichs Eltern Julius und Grethe Marcus von Hamburg in das Getto von Minsk deportiert, am 18. November folgten ihnen Elsi Marcus’ Mutter Adelheide Singer, geb. Gradenwitz, und Erich Marcus’ Tante Anna Mayer.

Elsi Marcus’ Familie stammte väterlicherseits aus der Bukowina, mütterlicherseits aus Hamburg, Erichs Familie kam aus Mecklenburg. Er war das ältere der beiden Kinder von Julius Marcus und seiner Ehefrau Grethe, geb. Mayer, die sich nach ihrer Heirat 1910 in Rostock in Harburg als Manufakturwarenhändler (siehe: Stolpersteine in Hamburg-Harburg, S. 165-167) niedergelassen hatten. Erich wurde 1911 in Harburg geboren, seine Schwester Gerda 1914. Zur engeren Familie gehörten noch die aus Güstrow gebürtigen Tanten Ella und Rosalie Marcus, die in Hamburg wohnten, und Anna Mayer, eine Schwester der Mutter.

Die Geschwister Erich und Gerda Marcus wuchsen in gutbürgerlichen Verhältnissen in der damaligen Mühlenstraße 9, heute Schlossmühlendamm 32, auf. Sie lebten in einer Viereinhalb-Zimmer-Wohnung, zu deren Ausstattung auch ein Klavier gehörte. Gerda besuchte die höhere private jüdische Mädchenschule von Dr. Löwenberg in Hamburg. Auf welche Schule Erich ging, ist uns nicht bekannt. Er erhielt eine Ausbildung als Handlungsgehilfe. Vermutlich arbeitete er im elterlichen Betrieb, bis die antijüdischen Maßnahmen nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten das Geschäft ruinierten.

Erich Marcus zog 1934 nach Hamburg, zunächst in die Bornstraße 2 im Grindelviertel, von dort nach Hamburg-Hamm in die Nähe seines Arbeitsplatzes, die Chemische Fabrik Dr. Weigert GmbH in der Süderstraße 294, die ihm ein zwar geringes, aber geregeltes Einkommen sicherte. Zunächst kam er als Untermieter bei dem kaufmännischen Angestellten Willi Saal, Schadesweg 16, unter. Der Wohnblock gehörte zu dem Ensemble Schadesweg 4 – 38 der Baugenossenschaft Hammerbrook.

Am 29. Oktober 1935 heirateten Erich Marcus und Elsi Menie Singer. Beider Eltern waren jüdisch. Elsi war die einzige Tochter des Schuhmachers Mendel Singer, geb. 1888 in Zadowa in der Bukowina, und Adelheide, geb. Gradenwitz, geb. 1886 in Hamburg. Mit ihrer Heirat am 23. Dezember 1914 erhielt Adelheide die österreichische Staatsangehörigkeit. Als Elsi Menie am 25. Juli 1916 geboren wurde, war auch sie Deutsch-Österreicherin. So wie Adelheide ihren unüblichen Vornamen nach ihrer Großmutter Adelheide Gradenwitz, geb. Guttenberg, erhalten hatte, gab sie ihrer Tochter Elsi nach deren Großmutter Mariem Menie den zweiten Vornamen. Ihre Großmutter lernte Elsi nie kennen.

Während ihrer ersten dreizehn Lebensjahre war Elsis Zuhause die Kellerwohnung Grindelberg 41. Ihr Vater hatte sie nebst Schuhgeschäft erworben und um eine Werkstatt erweitert. Elsi lernte ihren Vater erst kennen, als er im Oktober 1919 aus italienischer Kriegsgefangenschaft zurück kehrte. Adelheide Singer hatte mit einem Gesellen den Betrieb weiter geführt, nun warf er genug ab, dass Mendel Singer die "Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband" betreiben konnte. Am 19. Mai 1920 erhielt er die Einbürgerungsurkunde für sich, seine Frau und Elsi. Um seine Assimilation vollkommen zu machen, beantragte er eine Namensänderung beim Hamburger Senat. Aufgrund dessen Beschlusses vom 14. März 1923 nannte er sich hinfort Max Mendel Singer. Um diese Zeit begann Elsi mit dem Schulbesuch.

Die wirtschaftliche Lage Max Mendel und Adelheide Singers besserte sich merklich nach dem Ende der Inflationszeit. Dann jedoch starb Max Mendel Singer im Alter von nur 40 Jahren am 14. Januar 1928 in der Heilstätte Edmundsthal-Siemerswalde in Bergedorf offenbar an Lungentuberkulose.

Adelheide Singer blieb mit ihrer erst elfjährigen Tochter Elsi in der Wohnung und versuchte, das Geschäft weiter zu führen, doch ging es 1929 in Konkurs. Sie erhielt eine kleine Kriegerwitwenrente, die durch eine Zusatzrente und eine Invalidenentschädigung ergänzt wurde, was jedoch nicht reichte, um auf Dauer die Dreizimmerwohnung im Grindelberg 41 zu halten. Mutter und Tochter zogen in eine Zweizimmerwohnung mit Notküche in der Hansastraße 69. 1933 wurde ihre Einbürgerung überprüft. Dabei ging es zunächst um die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung von Mendel Singer als eines "Ostjuden", dann auch um ihre eigene. Da nichts Nachteiliges über sie bekannt und sie beide in Hamburg geboren waren, wurde ihre Einbürgerung als Rechtens bestätigt.

Nach dem Abschluss der Schule absolvierte Elsi Singer eine Lehre als Schuhverkäuferin und zog in die Rentzelstraße. Noch als Lehrling, 18 Jahre alt, registrierte die Jüdische Gemeinde sie als selbständiges Mitglied. Sie blieb es auch nach ihrer Heirat. Ihr Arbeitgeber war das Schuhwarengeschäft Gustav Kohn jr. in der Mönckebergstraße 17 neben dem Passage-Kino, nach der "Arisierung" Schuhgeschäft Jensen.

Einen Tag nach ihrer Eheschließung meldete sich Erich Marcus, wiederum als Untermieter, in der Süderstraße 304 bei der Witwe W. Otto an. Dort wurde am 24. März 1936 die Tochter Silvia geboren. Die erste eigene Wohnung bezog die Familie am 6. Juni 1936, eine Genossenschaftswohnung Schadesweg 24.

Nach einer Zeit von Arbeitslosigkeit oder "Babypause" ab März 1937 war Elsi Marcus in der Papierwarenhandlung Willy Rendsburg im Krayenkamp an der St. Michaeliskirche tätig. Ihr Einkommen wechselte, blieb aber durchweg höher als das ihres Ehemannes.

Was die Eheleute bewog, die Wohnung im Schadesweg zu verlassen, ergibt sich nicht aus den vorhandenen Dokumenten. Erich und Elsi Marcus zogen im Sommer 1938 mit ihrer Tochter Silvia als Untermieter zu dem Kaufmann Leo Rosenberg in die Ostmarkstraße/Hallerstraße 72. Bis zum Sommer 1939 ging es ihnen finanziell nur wenig schlechter als zuvor, doch dann schwankte ihr Einkommen erheblich.

Zunächst am schwersten betroffen von den antijüdischen Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung waren Erich Marcus’ Eltern, Julius und Grethe Marcus, die ihr Geschäft aufgeben mussten und schließlich sogar auf Fürsorgeunterstützung angewiesen waren. Auch Erichs Schwester Gerda litt, da ihr Verlobter wegen angeblicher Rassenschande inhaftiert wurde. Mit der Auflage, umgehend auszuwandern, war er aus der Haft entlassen worden. Die beiden heirateten Anfang 1939 und emigrierten drei Monate später nach Schanghai. Dorthin wollten ihnen Julius und Grete Marcus folgen, doch scheiterten ihre Auswanderungspläne. Hinweise auf Auswanderungsabsichten von Erich und Elsi Marcus ließen sich nicht finden.

Adelheide Singer war 1937 vom Grindelberg 41 in den Grindelberg 12 gezogen, den späteren Sammelpunkt für vier Generationen der Familie. Sie nahm ihre Mutter, Zerline Gradenwitz, zu sich, 1940 zog die Tochter Elsi mit ihrer Familie zu. Am vorletzten Tag jenes Jahres begann Erich Marcus’ Zwangsarbeitseinsatz als Erdarbeiter. Offenbar leistete auch Elsi Marcus Zwangsarbeit. Silvia wurde vermutlich von ihrer Großmutter betreut.

Am 11. März 1941 starb Zerline Gradenwitz im Alter von 84 Jahren. Sie wurde neben ihrem Mann auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Als sieben Monate später die "Aussiedlung" Hamburger Juden zum vorgeblichen Aufbau im Osten im Herbst 1941 begann, wurde als erste aus der Familie Ella Marcus deportiert, mit dem Transport vom 25. Oktober 1941, der ins Getto von Lodz führte (siehe: Stolpersteine in der Hamburger Isestraße, S. 194f.). Die beiden folgenden Transporte gingen nach Minsk. Zunächst wurden vor allem kinderlose kräftige Personen abtransportiert, oft nur die Familienväter. Sie mussten das Getto von Minsk für die nachfolgenden Transporte von "Reichsjuden" herrichten, nachdem die vorherigen Bewohner in einer blutigen Aktion beseitigt worden waren. So erhielten zunächst nur Erich Marcus und seine Eltern den Befehl zur "Aussiedlung", Elsi Menie, mit der Berufsangabe "Arbeiterin", und ihre fünfjährige Tochter Silvia rückten von der Liste der Ersatzpersonen nach. Es ist anzunehmen, dass Adelheide Singer und Anna Mayer, die ihnen mit dem Transport vom 18. November 1941 folgten, im Getto mit ihren Verwandten zusammen lebten, bis sie unter uns nicht bekannten Umständen ums Leben kamen.

Erichs Tante Rosalie Marcus wurde 1943 ins "Altersgetto" von Theresienstadt deportiert, wo sie drei Monate später starb.

Für Erich Marcus liegt ein zweiter Stolperstein bei denen für seine Eltern in Hamburg-Harburg, Schlossmühlendamm 32.

© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 7; Hamburger Adressbücher; StaH 332-5 Standesämter, 748 -355/1916; 2131-4471/1886; 8015-453/1913; 8173-120/1941; 8698-408/1914; 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B VI 1753; 332-8 Melderegister, K 6146, 7107; 552-1 Jüdische Gemeinden, 391 Mitgliederlisten; 992 e 2 Deportationslisten, Bde 1, 2, 3, 5; 351-11 AfW 39704, 39705; Standesamt Hamburg-Nord, Heiratsregister StA 3, 461/1935; Stadtarchiv Bad Doberan, Melderegister; Stadtarchiv Ribnitz-Damgarten, Einwohnerverzeichnisse; Stadtarchiv Geesthacht, Sterberegister; Stadtarchiv Rostock, Heiratsregister; Fladhammer, Christa, Stolpersteine in der Hamburger Isestraße, S. 194f.; Möller, Klaus, Stolpersteine in Hamburg-Harburg, S. 165-167.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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