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Bereits verlegte Stolpersteine



Renate Pöhls * 1944

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


RENATE PÖHLS
GEB. 27.3.1944
ERMORDET 31.10.1944

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Rita Ahrens, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
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Renate Pöhls, geb. 27.3.1944 in Hamburg, ermordet am 31.10.1944

Renate Pöhls verbrachte die ersten fünf Monate ihres Lebens als zu früh geborenes Zwillingskind im Krankenhaus. Sie und ihr Bruder wurden im Olga-Heim in Wohldorf geboren, wo das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort in unmittelbarer Nähe zum Pestalozzi-Heim zwei Monate nach den schweren Zerstörungen durch den "Feuersturm" im Juli 1943 in einer ehemaligen Kaufmannsvilla eine Entbindungs- und Säuglingsstation eingerichtet hatte. Renates Mutter, Ida Lena Magda Pöhls, geb. Lindemann, starb bei der Geburt. Der Vater, von Beruf Maler und Steindrucker, war seit Beginn des Zweiten Weltkriegs Soldat bei der Wehrmacht. Ihr Wohnsitz war Lena Pöhls’ Elternhaus in der Alten Dorfstraße 2 in Ohlstedt.

Renate kam als Zangengeburt mit einem Gewicht von 2300 g zur Welt und tat ihren ersten Schrei erst nach länger dauernden Wiederbelebungs­maßnahmen. Ihr zuerst geborener Bruder hatte offenbar keine Probleme. Sie erholte sich langsam unter der ärztlichen Fürsorge von Ingeborg Wetzel und Ursula Petersen und der Pflege erfahrener Säuglingsschwestern wie Hanna Westermann. Da sie während der ersten Lebenswoche noch nicht selbstständig trinken konnte, erhielt sie Muttermilch durch eine Sonde und zusätzlich Traubenzucker-Spritzen.

Sie überstand eine Neugeborenengelbsucht und nahm gut zu, nachdem sie begonnen hatte, selbstständig zu trinken. Allerdings stellte sich eine Blutarmut ein, die sich verschlimmerte. An drei aufeinanderfolgenden Tagen bekam Renate Blut ihres Vaters übertragen. Sie vertrug die Transfusionen gut, erkrankte aber bald darauf an einer Lungenentzündung. Eine sorgfältige Behandlung mit Brustwickeln und Ernährung, wieder über eine Sonde und mit Traubenzucker-Spritzen, sorgten mit dafür, dass sie die Krankheit rasch überwand. Wann immer möglich, wurde Renate täglich für mehrere Stunden auf die Veranda des Olga-Heims gebracht. Dann machte sich ein Leistenbruch bemerkbar, den die Ärztinnen mit verschiedenen Mitteln zu beheben versuchten, um eine Operation zu umgehen. Als das nicht länger möglich war, wurde Renate am 20. Juni 1944 in das Stammhaus des Kinderkrankenhauses nach Rothenburgsort verlegt, das seinen Betrieb in beschränktem Umfang wieder aufgenommen hatte.

Die Operation verlief ohne Komplikationen, allerdings erforderte eine erneute Blutarmut eine weitere Serie von drei Transfusionen. Dieses Mal erhielt Renate Blut ihres Großvaters.

Renate war inzwischen vier Monate alt und lag noch im Krankenhaus in Rothenburgsort, als sie zum ersten Mal auffällig unruhig wurde und mit angespannter Muskulatur und offenbar ohne eine Beziehung zu ihrer Umwelt da lag. Eine Untersuchung der Hirninnenräume, eine Encephalographie (s. o. Erläuterung), sollte darüber Aufschluss geben, ob eine Schädigung des Gehirns vorlag. Die Röntgenbilder zeigten krankhafte Veränderungen.

Vier Tage später wurde Renate in das Olga-Heim zurück verlegt. Sie erhielt regelmäßig zur Beruhigung Luminal in niedriger Dosierung und zur Vorbeugung gegen Rachitis Vigantol. Nach einem Monat stellte sich eine nässende Hauterkrankung ein, die sich trotz einer intensiven Behandlung mit Licht, Bädern, Puder und Salbe zu einem Abszess am Hinterkopf ausweitete. Mit einem Pflaster auf dem Kopf, einem Gewicht von 3280 g und dem Vermerk "Zwillings-Frühgeburt" wurde Renate am 21. August 1944 im Alter von fast fünf Monaten auf Wunsch der Familie entlassen und von ihren Großeltern väterlicherseits versorgt, die sich offenbar auch um ihren Bruder kümmerten. Sie wohnten zur Untermiete im Schleusenredder 23 in Wohldorf, wo bis 1937 der jüdische Arzt Alwin Gerson gewohnt hatte. (s. Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern, S. 53–59). Renate war noch nicht getauft und wurde es auch später nicht.

Ihre Pflege erwies sich als unerwartet schwierig, so dass sie nach drei Wo­chen, am 11. September 1944, wegen erheblichen Untergewichts – sie wog knapp 3500 g statt 6350 g, die ihrem Alter entsprochen hätten – und "Mikrocephalus", einem krankhaft kleinen Kopf, wieder ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Sie kam auf eine Kleinkinderstation im Stammhaus des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort.
Zwei Tage nach ihrer Aufnahme wurde Renate Pöhls wegen ihrer Behinderung dem "Reichsausschuss" gemeldet, offenbar ohne dass jemand mit ihrem Vater oder der Großmutter darüber gesprochen hatte. In den folgenden sieben Wochen wurden keine weiteren Untersuchungen vorgenommen. Bei Renates Ernährungsproblemen trat nach einiger Zeit eine Bes­serung ein, aber die Blutarmut dauerte an. Statt weiterer Bluttransfusionen wurde ein Bunker-Versuch (s. o. Erläuterung) durchgeführt. Während des etwa vierwöchigen Aufenthalts im Dunkeln und bei dem niedrigen Sauerstoffgehalt der Luft besserten sich die Blutwerte deutlich.

Ende Oktober 1944 gab die Stationsärztin Gisela Schwabe Renate die tödliche Luminal-Spritze, assistiert von der Stationsschwester Hanna Westermann. Renate hörte auf zu trinken und verfiel in Bewusstlosigkeit, bis sie in der Nacht des 31. Oktober starb.

Die Großmutter zeigte drei Tage später Renates Tod beim Standesamt Billbrook an, das an die Stelle des zerstörten Standesamts Rothenburgsort getreten war. Als Todesursache wurde "Mikrocephalie, Pneumonie" – Lungenentzündung bei Kleinköpfigkeit – im Sterberegister eingetragen. Renate war sieben Monate alt geworden.

Renate Pöhls’ zweiter Krankenhausaufenthalt dauerte sieben Wochen, von denen sie die längste Zeit im Bunker verbrachte. Dafür, dass es sich außer um einen therapeutischen Versuch um einen Test im wissenschaftlichen Sinne handelte, gibt es keine Anhaltspunkte, ebenso wenig für Bemühungen, die Ursachen ihrer Entwicklungsstörung zu klären. Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt sowie in der Neugeborenenperiode, einschließlich der schweren Gelbsucht, dürften ihr Gehirn geschädigt haben.

© Hildegard Thevs

Quellen: StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht – NSG, 0017/001, 002; 332-5 Standesämter 1237+403/ 1944; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 63 UA 4.

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