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Wilhelm Nebelung * 1893

Hansaplatz 8 (Hamburg-Mitte, St. Georg)


HIER WOHNTE
WILHELM NEBELUNG
JG. 1893
VERHAFTET 1936
MAUTHAUSEN
ERMORDET

Wilhelm Carl August Benedict Rupert Nebelung, geb. 2.9.1893, inhaftiert 1936, 1941, gestorben nach dem 16.7.1942 wahrscheinlich im KZ Mauthausen

Hansaplatz 8

Wilhelm Nebelung wurde in Oldesloe (ab 1910 Bad Oldesloe) als Sohn des Eisenbahnobersekretärs Carl Nebelung und dessen Frau Helene, geb. Mausharke, geboren. Er hatte zwei Brüder. In Lübeck besuchte er die Realschule, dann in Wandsbek die Mittelschule. Nach dem Schulabschluss im Jahr 1909 arbeitete er bis zum Ersten Weltkrieg im Büro der Lübeck-Büchener-Eisenbahngesellschaft. Im Krieg diente er von 1915 bis zu seiner Verwundung im Jahr 1918 als Infanterist bei der 162. Infanterie-Division. Für seine Verdienste wurde er mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Frontkämpferabzeichen ausgezeichnet.

Nach seiner Genesung kehrte er für kurze Zeit an seinen alten Arbeitsplatz zurück, bis er als Bürogehilfe in einer Bauabteilung bei einer Hamburger Senatskommission (vermutlich für Eisenbahnangelegenheiten) arbeitete. Sein Vater setzte sich für die Beamtenlaufbahn des Sohnes ein und bezahlte den Besuch der Fachschule des Vereins Hamburgischer Verwaltungsbeamten. Jedoch schied Wilhelm Nebelung 1920 freiwillig aus dem Staatsdienst aus. Er fand eine Anstellung bei einer Versicherung. 1921 wurde er vom Amtsgericht München wegen Betrugs und unbefugten Führens des Leutnantstitels mit Gefängnis bestraft. 1923 und 1924 stand er erneut vor Gericht, wegen "Erwerbs ausländischen Geldes gegen Reichsmark" und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.

1926 heiratete Wilhelm Nebelung die Kriegerwitwe Dorothea Behr, geb. Stolle, die seit 1918 im vierten Obergeschoss des Wohnhauses Hansaplatz 8 eine Pension betrieb. Angeblich aus Mangel an Dauergästen boten die beiden ihre Pension Prostituierten, Homosexuellen und Transvestiten als Absteige an. 1928, 1930 und 1931 wurde Nebelung wegen Betreibens einer unerlaubten Schankwirtschaft bzw. wegen "Kuppelei" zu Geldstrafen verurteilt.

Am 24. Juni 1933 meldete er ein Gewerbe als "Kaufmann, Inhaber eines Kraftwagenfuhrwesens und Vermietung" an. Auf dem Pferdemarkt (heute Gerhart-Hauptmann-Platz) betrieb er eine Autovermietung mit Wagen, die wahrscheinlich im Besitz seiner Frau waren. Im selben Jahr gab das Ehepaar die Pension am Hansaplatz auf und eröffnete eine Absteige in einer 6-Zimmer-Wohnung in der Brandstwiete 6, I Stock. Am 24. November 1933 stand Wilhelm Nebelung wieder als Angeklagter wegen "Kuppelei" vor dem Amtsgericht und wurde dafür mit neun Monaten Gefängnis bestraft. Während seiner Haft führte die Ehefrau den Pensionsbetrieb weiter. Um die Monatsmiete von 110 RM bezahlen zu können, vermietete sie die Zimmer an Prostituierte für 2 RM die Stunde. Trotzdem häuften sich Mietschulden an.

Nach seiner Freilassung kehrte Wilhelm Nebelung zu seiner Frau zurück. Die beiden zogen im Mai 1935 von der Brandstwiete in die Hermannstraße 5, I. Stock, wo sie ebenfalls eine Absteige eröffneten. Wilhelm Nebelung arbeitete nebenbei als Aushilfskraftfahrer für 50 bis 60 RM im Monat bei der Firma Beverin, Gurlittstraße 42.

Im Dezember 1936 musste sich Wilhelm Nebelung erstmals wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen vor dem Amtsgericht Hamburg verantworten. Sieben Monate zuvor wurden er und sein Partner Walther Nickels (geb. 15. April 1910 Itzehoe, gest. 7. März 1943 KZ Neuengamme, Stolperstein ab 2010 vor der Ganztagsschule St. Pauli in der Friedrichstraße 55) Opfer einer Denunziation aus der Nachbarschaft.

Im Aufnahmebericht der Kriminalpolizei vom 14. Mai 1936 heißt es: "Es wurde vertraulich in Erfahrung gebracht, daß bei Nebelung, Hermannstr. 5 I. Homosexuelle zum Absteigen kommen. ... Nebelung ist auch homosexuell veranlagt. Sein Verhältnis mit Vornamen Walter, soll bei ihm wohnhaft sein. Nebelung hat auswärts Verwandte und er bringt Geld nach dort, das dann später wieder an ihn per Post geschickt wird. Bei den Beamten die bei ihm überholen, täuscht er dann vor, daß er von seinen Verwandten unterstützt wird. Oder er gibt an, eine Autovermietung zu haben. In Wirklichkeit besitzt er kein Auto." Das Ehepaar Nebelung wurde wegen Verdunkelungsgefahr festgenommen.

Die Beamten bezogen in ihre Ermittlungen auch den verheirateten Transvestiten Paul Thießwald (geb. 1880 Hamburg, gest. 1951 Hamburg) mit ein, der die Absteige regelmäßig zum Umziehen und Aufbewahren seiner Frauenkleidung nutzte und dafür eine Reichsmark zahlte. Da man ihm keine homosexuellen Handlungen nachweisen konnte, wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Bei den Verhören von Dorothea Nebelung wurde deutlich, dass ihr die homosexuellen Neigungen ihres Ehemannes bekannt waren und sie diese tolerierte.

Am 2. Dezember 1936 verkündete der Richter, dass Wilhelm Nebelung wegen "widernatürlicher Unzucht und Kuppelei" nach §§ 175, 180 RStGB zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Seine Ehefrau erhielt eine Gefängnisstrafe von fünf Monaten und drei Wochen, Walther Nickels vier Monate Gefängnis. Aus der Urteilsbegründung von Amtsgerichtsdirektor Richter Dr. Fromm:

"Er [Nickels] bekam nicht etwa ein Zimmer für sich allein, sondern er lebte jetzt sozusagen wie die Frau des Angeklagten Nebelung. Sie schliefen zusammen in einem Bett und vollzogen regelmäßig den Geschlechtsakt, ähnlich dem zwischen Mann und Frau. ... Nach der Überzeugung des Gerichts hat daher der Angeklagte Nebelung von Dezember 1935 bis Februar 1936 als Mann mit einem anderen Manne Unzucht getrieben und der Angeklagte Nickels in der gleichen Zeit sich von dem Angeklagten Nebelung zur Unzucht missbrauchen lassen."

Im Januar 1937 wies das Landgericht Hamburg eine Berufungsverhandlung ab.

Nach seiner Haftentlassung geriet Wilhelm Nebelung am Abend des 20. September 1940 bei einer Polizeirazzia in der öffentlichen Bedürfnisanstalt Lange Reihe/Ecke Spadenteich erneut in die Fänge der Kriminalpolizei. Da er sich im Verhör angeblich an nichts mehr erinnern konnte, wurde er am 29. November 1940 von einem Amtsarzt untersucht. In dem Gespräch gab Nebelung an, dass er auf "die homosexuelle Tour" durch "die Erkrankung seiner Frau ge­kommen" sei. Zur Frage einer verminderten Schuldunfähigkeit, schlug der Amtsarzt eine längere Beobachtung Nebelungs vor. Daraufhin ordnete die vierte Strafkammer des Landgerichts Hamburg am 16. Dezember 1940 seine Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn an. Am 10. März 1941 wurde Nebelung von dort wieder in die Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt überführt.

Auf Beschluss des Hamburger Landgerichts fertigte der Abteilungsarzt Dr. A. Georg Saupe aus Langenhorn ein ärztliches Gutachten an. Daraus geht hervor, dass Dorothea Nebelung in den Gesprächen mit dem Arzt zu ihrem Mann hielt. Über Wilhelm Nebelung heißt es:

"Körperlich biete er keine femininen Züge, wie sie zuweilen Homosexuelle zu eigen sind. ... Nach neueren Untersuchungen von Homosexuellen muss auch bei Nebelung eine auf erblicher Grundlage beruhende Auswirkung einer endokrinen Störung angenommen werden... Wie nun jeder Mensch die Pflicht hat, sich mit seinen Erbanlagen auseinanderzusetzen, so kann der Homosexuelle davon nicht ausgenommen werden. Mag auch die abnorme Triebrichtung als durch Erbanlage und Umwelt entstanden anzusehen sein und als Form einer endokrinen Störung quantitativen Schwankungen unterworfen bleiben. Ist der gesunde Mensch imstande, seinen Geschlechtstrieb zu beherrschen, so besteht kein Anlass, diese Fähigkeit dem Homosexuellen abzusprechen, nur weil sein Trieb in abwegiger Richtung eingestellt ist. Nebelung ist psychisch nicht derart verändert, dass die Kontrolle und Lenkung seines Trieblebens ernstlich gestört ist; wenn er nur will, so kann und muss er sich beherrschen. Bei seiner bisexuellen Veranlagung ist ihm in seiner Ehe genügend Gelegenheit geboten, seine sexuellen Wünsche zu befriedigen." Solche und ähnliche Stereotypen wie sie der Mediziner hier über Sexualität anführt, finden sich in zahlreichen Gutachten dieser Zeit, in denen es um verheiratete homosexuelle oder bisexuelle Männer geht.

Am 20. Mai 1941 wurde Wilhelm Nebelung vom Amtsgericht Hamburg zu 18 Monaten Gefängnis wegen Vergehens nach § 175 unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungshaft verurteilt. Am selben Tag legte Nebelung Berufung gegen das Urteil ein. Die Berufungsverhandlung fand am 16. Juli 1941 vor dem Hamburger Landgericht statt. Der Vorsitzende Richter hielt das Urteil des Amtsgerichts für angemessen, jedoch erhöhte er die anzurechnende Untersuchungshaftzeit von drei auf sechs Monate. Aus seinem Urteil: "Der Angeklagte ist in bedenklichem Maß auf dem Wege, ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher auf dem Gebiet der widernatürlichen Unzucht zu werden ..."

Ab 1. Oktober 1941 verbüßte Wilhelm Nebelung die Haft im Strafgefängnis Glasmoor. Ab 11.April 1942 befand er sich im Zentrallazarett der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt, und am 16. Juli 1942 wurde er zur Kriminalpolizei Hamburg überstellt. Vermutlich wurde er wie viele andere Homosexuelle im Polizeigefängnis Hütten inhaftiert und von dort ins KZ Mauthausen verbracht. Das Datum seines Zugangs, die Häftlingsnummer sowie das genaue Sterbe­datum sind unbekannt. Auf jeden Fall ist er nach dem 16. Juli 1942, wahrscheinlich im KZ Mauthausen, zu Tode gekommen. 1952 wurde Wilhelm Nebelung offiziell "mit Januar 1945" für tot erklärt.

Auf der Gefangenenkarteikarte der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt war Nebelungs letzte polizeiliche Meldeadresse am Steindamm 22 IV Stock. Im Hamburger Adressbuch von 1942 und 1943 ist unter dieser Anschrift auch die Autovermietung eingetragen. Da er zu dieser Zeit bereits in Haft war und die längste Zeit mit seiner Frau am Hansaplatz 8 gelebt hat, soll dort auch ein Stolperstein an sein Schicksal erinnern.



© Bernhard Rosenkranz (†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 1476/37. StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 4980/42. VAN (Hrsg.), Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter, Hamburg 1968. StaH 332-8 Meldewesen, Alphabetische Meldekartei 1945–1957, darin Hinweis auf Todeserklärung beim Amtsgericht Hamburg, Az. 58 II 705/1952; StaH, 376-2 Gewerbepolizei, Gewerbeanmeldung 1931–1945.

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