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Bereits verlegte Stolpersteine



Familie Marcus: Erwachsene v.l.n.r: Martha, Gustav, Hella, Fritz, Siegmund; Kinder: Felix (Yizhak) und Therese (Rachel). Aufgenommen von Rosa Marcus, Fritz‘ Marcus Ehefrau, in Berlin bei der Auswanderung der Familie Fritz und Rosa Marcus nach Palästina, A
Familie Marcus: Erwachsene v.l.n.r: Martha, Gustav, Hella, Fritz, Siegmund; Kinder: Felix (Yizhak) und Therese (Rachel). Aufgenommen von Rosa Marcus, Fritz‘ Marcus Ehefrau, in Berlin bei der Auswanderung der Familie Fritz und Rosa Marcus nach Palästina, A
© Privatbesitz

Henriette Hella (irrt. Ella) Marcus (geborene Ascher) * 1887

Ritterstraße 63 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
ELLA MARCUS
GEB. ASCHER
JG. 1887
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Ritterstraße 63:
Siegmund Marcus

Henriette Hella Marcus, geb. Ascher, geb. 2.2.1887 in Doberan/Mecklenburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Siegmund Marcus, geb. 12.3.1876 in Schwerin/Mecklenburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Ritterstraße 63

Siegmund Marcus kam am 12. März 1876 in Schwerin/Mecklenburg zur Welt. Er war das älteste Kind des Kaufmanns Eduard Marcus, geboren in Schwerin am 4. Dezember 1835, und seiner Ehefrau Helene, geborene Burchard, geboren am 21. Mai 1850 in Neubukow. Siegmund hatte fünf jüngere Geschwister: Antonia (genannt Toni), geboren am 17. Januar 1878, Gustav, geboren am 19. Juni 1879, Otto, geboren 11. Dezember 1880, Maria (genannt Riekchen), geboren 7. Februar 1882 und Fritz, geboren am 16. Juni 1894. Die Geschwister kamen ebenfalls in Schwerin zur Welt.

Bei Siegmund Marcus’ Geburt wohnten die Eltern in ihrem Haus in der Schmiedestraße 17b, einer noch heute belebten Geschäftsstraße in Schwerin. Sein Vater betrieb dort ein Geschäft für Herrengarderobe, später kam die "Vertretung einer Lotterie-Collecte" hinzu.

Siegmund Marcus’ spätere Ehefrau Hella Ascher wurde am 2. Februar 1887 im Hause ihrer Eltern, des Kaufmanns Theodor Ascher und der Hausfrau Dora, geborene Jacobson, in der damaligen Poststraße 16 (heute: Severinstraße 13) in Doberan/Mecklenburg geboren. Hellas Familie war ebenso wie die von Siegmund Marcus jüdischen Glaubens. Theodor Ascher betrieb in Doberan eine Agentur der Mecklenburgischen Hypotheken- und Wechselbank Schwerin. Das damalige Wohn- und Geschäftshaus der Familie Ascher lässt noch heute erkennen, dass sie gut situiert war.

Der wirtschaftlichen Lage ihrer Eltern entsprechend besuchte Hella Ascher die höhere Töchterschule in der Doberaner Marienstraße zusammen mit Mädchen aus den umliegenden Dörfern und Gütern bis zu ihrem siebzehnten Lebensjahr.

Hella hatte eine Schwester, Martha, geboren am 26. März 1881, und die Halbschwester Ina, geboren 8. Juli 1873. Auch ihrem späteren Wohnsitz in der Poststraße 17 (heute: Severinstraße 13) gegenüber dem Elternhaus kann man noch heute ansehen, dass sie in wohlhabenden Verhältnissen lebte. Martha Ascher starb am 1. Dezember 1912 im Alter von nur 31 Jahren.

Siegmund Marcus war vor 1900 anscheinend als Handlungsgehilfe bei seinem Vater in Schwerin tätig. Die Volkszählung des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin von 1900 weist Siegmund Marcus als Einjährig-Freiwilligen im Grenadier-Regiment 89 in Schwerin aus. Zu dieser Zeit wohnte er nicht mehr bei seinen Eltern, sondern als Mieter bei der Familie Röper in der Werderstraße 9.

Hella Ascher und Siegmund Marcus heirateten am 26. April 1908 in Doberan. Das junge Ehepaar Marcus ließ sich in Parchim, dem Wohnort Siegmunds, nieder. Parchim liegt rund 40 km süd­östlich von Schwerin. Die Stadt hatte 1910 nahezu 10.000 Einwohner. Dort wurde am 23. Januar 1909 die Tochter Käthe geboren.

Wie viele Mecklenburger in dieser Zeit zog es auch Siegmund Marcus und seine Familie nach Hamburg. In der Großstadt lockten viel versprechende Berufsaussichten. Familie Marcus kam wahrscheinlich 1912 in Hamburg an. Das Hamburger Adressbuch enthält den Namen "S. Marcus" erstmals im Jahre 1913, verbunden mit der Berufsbezeichnung Agent und der in Hamburg-Altstadt gelegenen Adresse Graskeller 21. Schon ein Jahr später wechselte die Familie in die Mattentwiete 2, wenig später in die Mattentwiete 3 (Hinterhaus), ebenfalls in Hamburg-Altstadt. Die Berufsbezeichnung im Hamburger Adressbuch wechselte von "Agent" über "Agenturen" bis "Seidenband-Vertretung". 1919 zog die Familie in die Ritterstraße 63 in Hamburg-Eilbek. Dort blieb sie zwölf Jahre.

Während der Eilbeker Jahre der Familie Marcus firmierte Siegmund Marcus als "Kaufmann". Seit Anfang 1929 arbeitete er als selbstständiger Vertreter für Fotofilme in Norddeutschland und verwaltete außerdem ein großes Gebäude an der Alster. Für die Zeit vor 1933 schätzten Verwandte Siegmund Marcus’ Vermögen auf 20.000 RM bis 30.000 RM.

1931/1932 stand ein Umzug in die Kippingstraße 6 in Hamburg-Eimsbüttel an. Siegmund Marcus bezeichnete sich nun als "Handelsvertreter". Siegmunds Bruder Otto Marcus erinnerte sich im späteren Wiedergutmachungsverfahren anders. Danach hatte die Familie Marcus schon vor 1933 eine 5½ bis 6-Zimmer-Wohnung in der Haynstraße 13 in Hamburg-Eppendorf, im Hamburger Adressbuch ab 1936 verzeichnet. Dort wohnte auch Hella Marcus’ Mutter, ihr Vater war bereits 1920 verstorben. Bis zu ihrer Heirat mit Leonhard Friedberg vermutlich im März 1937 lebte nach Otto Marcus‘ Bericht Tochter Käthe in der Haynstraße.

Die Lebensumstände der Familie Marcus in den Jahren nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten liegen im Dunkeln. Die Unterlagen über ein Wiedergutmachungsverfahren nach 1945 geben keine Auskunft über Demütigungen und die Folgen der Diskriminierungen, die zweifellos auch die Familie Marcus getroffen haben. Es ist sicher anzunehmen, dass Siegmund Marcus schrittweise die Erwerbsmöglichkeiten genommen und dadurch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie zunehmend prekärer wurden. 1939 hatte sich das Ver­mögen infolge der den Juden auferlegten wirtschaftlichen Einschränkungen nahezu halbiert. Immerhin betrug die von Siegmund Marcus 1939 verlangte "Judenvermögensabgabe" noch 4200 RM.

Ende 1940 nahm man dem Ehepaar Marcus die eigene Wohnung. Es wurde zur Untermiete bei den Verwandten Louis Loewenthal und seiner Ehefrau Ina, geborene Ascher (Hella Marcus’ Halbschwester) in der Haynstraße 10 in Eppendorf eingewiesen. Zusammen mit der bereits 70-jährigen Pauline Wolff, die Louis Loewenthal bereits vor den Verwandten Marcus hatte aufnehmen müssen, wohnten nun drei Partien mit fünf Personen in der Wohnung in der Haynstraße 10. Siegmund und Hella Marcus wareb gezwungen, große Teile ihres umfangreichen Hausrats weit unter Wert zu verkaufen. Sie konnten nur die wertvollsten Gegenstände, darunter eine umfangreiche Briefmarkensammlung, behalten.

In der Haynstraße 10 erhielt das Ehepaar Marcus den Deportationsbefehl. Siegmund und Hella Marcus wurden am 8. November 1941 nach Minsk deportiert.

Die verbliebene Habe wurde unmittelbar nach der Deportation beschlagnahmt und versteigert. Als Erlös zahlte der Auktionator Anfang Januar 1942 rd. 1500 RM bei der Oberfinanzkasse ein.

Siegmund Marcus’ Bruder Otto berichtete später von einer Nachricht aus Riga im Jahre 1942. Danach gab es nie wieder ein Lebenszeichen von Siegmund und Hella Marcus. Beide wurden im Zuge eines späteren Erbschaftverfahrens auf den 9. Mai 1945 für tot erklärt.

Siegmunds und Hellas Tochter Käthe heiratete, nachdem ihr Ehemann Leonhard Friedberg bereits am 30. Dezember 1937 verstorben war, am 30. Oktober 1941 ein zweites Mal. Sie hieß nun de Haas. Neun Tage später, am 8. November 1941, wurden auch sie und ihr neuer Ehemann Edgar, geboren am 26. September 1910 in Wandsbek, nach Minsk deportiert.

Siegmund Marcus’ Schwester Antonia starb 1924 im Alter von 56 Jahren in ihrer Geburtsstadt Schwerin.

Der Bruder Gustav und dessen Ehefrau Martha lebten in Berlin. Beide wurden am 19. Februar 1943 von Berlin aus nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Otto Marcus, ebenfalls ein Bruder, wohnte mit seiner Ehefrau Hannah in Breslau. Dieses Ehepaar hatte zwei Kinder, den 1920 geborenen Ernst (Schlomoh) und die 1923 geborene Lena. Beide Kinder emigrierten 1938 nach Palästina. Die Eltern wanderten 1939 nach Shanghai aus, nachdem Otto Marcus einige Zeit im KZ Buchenwald inhaftiert war.

Schwester Maria (Riekchen) Marcus heiratete den nichtjüdischen Freiherrn von Fichtl, zog nach Berlin und bekam drei Kinder. Die Familie von Fichtl überlebte die Zeit des Nationalsozialismus.

Der jüngste Bruder Fritz heiratete 1923 Rosa, geborene Nelken. Zusammen mit ihren beiden Kindern, Therese (Rachel), geboren 1923, und Felix (Yizhak), geboren 1931, verließen sie 1936 von Kolberg aus Deutschland und ließen sich in Palästina nieder. Die Informationen über die Schicksale der Geschwister von Siegmund Marcus und ihrer Familien sind Yizhak Marcus zu verdanken.

Die Ehepaare Siegmund und Hella Marcus sowie Louis und Ina Loewenthal hatten beide bereits in den Jahren 1936 bis 1939 in der Haynstraße 13 gewohnt, bevor sie 1940 wahrscheinlich kurz nacheinander in die gemeinsame Wohnung in der Haynstraße 10 wechseln mussten. Der Drogenvertreter Louis Loewenthal, geboren am 23. November 1860 in Hamburg, war mit Hella Marucs’ älterer Halbschwester Ina verheiratet. Das Ehepaar Loewenthal hatte zwei Kinder, den 1917 im Kriege zu Tode gekommenen Martin und die 1894 geborene im Jahre 1935 nach Basel emigrierte Tochter Hedwig. Louis Loewenthal starb am 16. Juni 1942, kurz bevor seine Ehefrau Ina am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Sie musste vorher für einen "Heimeinkaufsvertrag" 2529,01 RM zahlen. Bereits am 6. September 1942 wurde sie nach Treblinka weiter deportiert und dort ermordet. Für Ina Loewenthal liegt ein Stol­perstein in der Ifflandstraße 8 in Hamburg-Hohenfelde.

Die Mitbewohnerin der Familie Marcus in der Haynstraße 10, Pauline Wolff, geborene Koppel, geboren am 30. Januar 1870 in Leer/Ostfriesland, nahm sich angesichts der am 15. Juli 1942 bevorstehenden Deportation nach Theresienstadt am 14. Juli 1942 das Leben. Sie wohnte zuletzt in der Bogenstraße 27.

Stand Februar 2014
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 7; 9; AB; StaH 314-15 OFP Oberfinanzpräsident R 1938/3451; 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1942/1157; 332-5 Standesämter 1072-16/1937, 8180-345/1942; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 3128; 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e 2 Band 2, Band 5 Deportationslisten; Standesamt Parchim, Geburtsurkunde Käthe Marcus; Auskunft des Stadtarchivs Schwerin, Jörg Moll vom 29. November 2011 zu Siegmund Marcus’ Geschwistern; Heiratsurkunde Siegmund und Hella Ascher, Stadtarchiv Bad Doberan; Dank an Petra Klawitter, Gelben Sande, Yizhak Marcus, Israel, und Jürgen Seemann, Schwerin, für ergänzende Informationen, Hinweise, Recherchen und ein Foto; Dank an Frau Gläwe, Stadtarchiv Bad Doberan für intensive Recherche und einige sehr hilfreiche Hinweise, sowie an Frau Steinbruch, Landeshauptarchiv MV, Schwerin, für freundliche Unterstützung.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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