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Bruno Kempe * 1873

Pappelallee 48 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
BRUNO KEMPE
JG. 1873
VERHAFTET 1942
KZ FUHLSBÜTTEL
TOT AN HAFTFOLGEN
7.10.1942

Bruno Kempe, geb. am 3.4.1873 in Frankenstein/Sachsen, gestorben am 7.10.1942 an Haftfolgen

Pappelallee 28 (Pappelallee 48)

"Es ist unverständlich, wie ein Mann, der von sich behauptet, dass er den Führer verehrt, heute noch von Juden Geld annehmen kann", hielt Kriminaloberassistent Nagel am 19. September 1942 in seinem Vernehmungsprotokoll in der Haftsache Bruno Kempe fest.

Weder in diesem Protokoll noch in einem anderen findet sich ein Hinweis auf Bruno Kempes Verehrung für Hitler, jedoch sein Geständnis, von Helene Herz, einer "Volljüdin", für eine Behandlung im Sinne der Christlichen Wissenschaft einmal 5 RM und am Tage ihrer Deportation einen Briefumschlag mit 100 RM Inhalt erhalten zu haben. Verdeckte Ermittlungen aufgrund einer Denunziation hatten zu seiner Verhaftung und Einlieferung in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel geführt. Bei einer Wohnungsdurchsuchung war eine größere Summe Bargeld gefunden worden. Das Geld sollte aus einer strafbaren Handlung stammen, nämlich der fortgesetzten Tätigkeit als Ausüber, d. h. seelsorgerlicher Praktiker des Heilens durch Gebet im Sinne der Christlichen Wissenschaft, obwohl Bruno Kempe ein Jahr zuvor erklärt hatte, er würde keine Beratungen mehr durchführen.

Seine erste Lebenshälfte verlief sehr wechselhaft, bis er seine Bestimmung als Ausüber in der Kirche der Christlichen Wissenschaft fand. Er war das zweite von fünf Kindern des Landwirts Ernst Kempe und seiner Ehefrau Auguste Wilhelmine, geborene Wolf, aus Frankenstein bei Freiberg in Sachsen. Die Familie gehörte der evangelisch-lutherischen Kirche an. Bruno Kempe besuchte die Volksschule vor Ort, ein weiteres Jahr die Bürgerschule (eine städtische Mittelschule) in Freiberg und absolvierte anschließend eine dreijährige Lehre als Vergolder in Freiberg. Nach fünfeinhalb Gesellenjahren in seiner Lehrfirma ging er zunächst nach Dresden, von dort nach Wien und schließlich nach Paris, um in seinem Beruf weitere Erfahrungen zu sammeln. Nervlich krank kehrte er auf den elterlichen Hof zurück und lebte dort, bis dieser 1903 verkauft wurde. Mit ererbtem Kapital machte er sich als Obstbauer in Eschede bei Celle selbstständig. Wegen eines Magenleidens suchte er das Sanatorium "Jungborn" im Harz auf, wo er seine erste Frau, eine Mitpatientin, kennen lernte. Ihrer beider Leiden veranlasste ihn, die Bibel zu studieren und sich mit Mary Baker Eddy’s "Christian Science" vertraut zu machen, einer Lehre von der Heilung von Menschen durch geistige Kräfte, wie sie in der Bibel überliefert ist. Er beließ es nicht beim privaten Studium, sondern durchlief die Ausbildung zum Ausüber der Christlichen Wissenschaft. Von 1913 an verdiente er damit seinen Lebensunterhalt. 1914 starb seine Frau in Braunschweig.

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs zog Bruno Kempe zu seiner mit dem Modellfabrikanten Max Walther verheirateten Schwester nach Hamburg, die in der Bartholomäusstraße 90 in Barmbek-Süd wohnte. Trotz seines Alters von fast vierzig Jahren diente er 1916/1917 als Soldat bei den Pionieren in Minden in Westfalen. Nach seiner Rückkehr nach Hamburg besuchte er die Gottesdienste der Christlichen Wissenschaft und wurde Mitglied der "Erste Kirche Christi Wissenschafter Hamburg". Dort lernte er die zwölf Jahre jüngere Elisabeth Dwenger kennen, Tochter des Polizeioberinspektors Johann Dwenger aus Borgfelde und seiner Ehefrau Anna, geborene Görtz. Elisabeth Dwenger hatte eine Ausbildung als Kindergärtnerin, übte diesen Beruf auch aus, bis sie 1906 erkrankte und erst 1914 wieder berufstätig wurde, nun als Bürogehilfin. Sie heirateten am 28. September 1920, Bruno Kempe mit der Berufsangabe "Vertreter der Christlichen Wissenschaft", die damalige Bezeichnung für einen Ausüber der Christlichen Wissenschaft. Im folgenden Jahr wurde ihr Sohn Hans geboren, am 24. Juni 1923 die Tochter Ruth. Da Bruno Kempe reiche Lebenserfahrung hatte, liebevoll mit Leidenden umging und es verstand, Menschen aufzurichten, fand er großen Zuspruch und wurde Regionalleiter der Christlichen Wissenschaft. 1930 zog er mit seiner Familie in die Pappelallee 48 in Eilbek, wo der Sohn Hans zwei Jahre später mit nur elf Jahren an einer Gehirnhautentzündung starb.

Über die Reaktionen von Elisabeth und Bruno Kempe auf die Machtübergabe an Adolf Hitler 1933 ist nichts bekannt. Bruno Kempe wurde 1934 Mitglied der NSV, der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, die Tochter Ruth trat dem BDM, dem Bund Deutscher Mädchen bei.

Bereits einen Monat vor dem Verbot der Christlichen Wissenschaft, das am 14. Juli 1941 erfolgte, ermittelte die Staatspolizei gegen Bruno Kempe und beschlagnahmte Lehrbücher und anderes Material. Ihm wurde "jede weitere Betätigung als Ausüber in der Ersten Kirche Christi Wissenschaft" untersagt und eine Erklärung abverlangt, dass er das Verbot befolgen werde. Wegen seines Alters von 68 Jah­ren wurde er nach einigen Stunden aus der Haft entlassen. Er reagierte auf die Vernehmung mit heftigen Leibschmerzen, von denen er sich durch eine befreundete Ausüberin in einer Fernbehandlung befreien ließ. Auch diese Frau stand unter Berufsverbot, weshalb sie die Behandlung unentgeltlich leistete, doch brachte ihr Elisabeth Kempe Naturalien.

Freunde verschafften Bruno Kempe nun eine Bürotätigkeit in der Kartoffelgroßhandlung Heinrich Schröder in der Sternstraße in St. Pauli. Sein Gehalt zusammen mit Einkünften aus der Untervermietung von Zimmern und dem Einkommen der Tochter aus ihrer Tätigkeit als Stenotypistin bei Brown, Boveri & Cie. sicherte das Auskommen der Familie.

Dennoch wandten sich frühere Patientinnen und Patienten hilfesuchend an Bruno Kempe, ihnen bei Krankheit und Schmerzen wie zuvor zu helfen. Einige kamen zur Beratung in seine Wohnung, andere suchte er in ihrer Wohnung auf, einige behandelte er brieflich oder rein gedanklich ohne Bezahlung zu verlangen. Freiwillige Spenden zahlte er zur Alterssicherung auf verschiedene Sparkonten ein. Manche Patientinnen und Patienten brachten auch Sachspenden in Form von Gartenprodukten. Wie zuvor tauschte er sich brieflich und im persönlichen Gespräch über Fragen der Christlichen Wissenschaft mit anderen aus.

Aufgrund einer Denunziation durchsuchte die Gewerbeaufsicht am 2. Mai 1942 die Wohnung und stellte fest, dass die zuvor beschlagnahmten Bücher neu beschafft worden waren, was auf die Fortsetzung der früheren Tätigkeit hinweise. Um weitere Ermittlungen, auch gegen andere Ausüber und Heilbehandler nicht zu gefährden, wartete die Gestapo mit einer weiteren Durchsuchung der Wohnung bis zum 10. September 1942. Erneut wurden Lehrbücher, Bargeld und Sparkassenbücher, diverse Briefe und Schriften beschlagnahmt, alles Beweisstücke für den Verstoß gegen das Berufsverbot und für die Aufrechterhaltung des Zusammenhalts der Kirche Christi Wissenschafter. Bruno Kempe wurde vom Arbeitsplatz nach Hause gerufen, verhaftet, in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel verbracht und von dort täglich zum Verhör in die Rothenbaumchaussee 38, dem ehemaligen jüdischen Gemeindehaus, gefahren. Dort befand sich ab 1941 das Referat II B der Gestapo, das für die Überwachung der Kirchen, die Durchsetzung des Verbots der Zeugen Jehovas, die Verfolgung pazifistischer Strömungen, für Passangelegenheiten und auch für die Überwachung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zuständig war. Die Verhöre seiner Frau und seiner Tochter sowie einiger Patienten und Patientinnen ergaben, dass ein Teil des beschlagnahmten Geldes ihnen gehörte, für Dritte verwahrt wurde oder nicht aus der strafbaren Tätigkeit stammte, woraufhin es zurück gezahlt wurde. In den mehrtägigen Verhören Bruno Kempes ging es hauptsächlich um die Unterstellung, dass er sich durch die Beratungen bereichern wolle, und die Gestapo stellte die Wirksamkeit seiner Behandlungen in Frage. Doch widerlegten die einvernommenen Patientinnen und Patienten diese Behauptung. Zu ihnen gehörten auch diejenigen, die Bruno Kempe die von der Gestapo beschlagnahmten Bücher und Schriften ersetzt hatten.

Die Ermittler sahen in Bruno Kempe trotz seiner als staatsfeindlich bezeichneten Handlungen keinen Staatsfeind. Auf diesen Sachverhalt gestützt, beantragte der herbeigezogene Rechtsanwalt Hans Gabain die Abgabe des Verfahrens an ein ordentliches Gericht. Dem Antrag wurde stattgegeben und Bruno Kempe vom Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in das Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis verlegt. Er befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Bei seiner Verhaftung hatte er 55 kg gewogen, nun waren es noch 40,5 kg. Der Rechtsanwalt beantragte die Entlassung. Am 30. September 1942 wurde der stark geschwächte Bruno Kempe für haftunfähig erklärt und in das Hilfskrankenhaus am Kaiser-Friedrich-Ufer verlegt. Als am 5. Oktober 1942 der Haftbefehl aufgehoben wurde, kehrte er nach Hause zurück, wo er zwei Tage später im Alter von 69 Jahren starb.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: AB; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht Strafsachen 1080/44; 332-5 Standesämter 3382-1026/1920, 4975-129/1966, 7141-304/1932, 7255-698/1942; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 8202; KZ Gedenkstätte Neuengamme, Archiv; VVN, Akte Kempe; Kempe, Elisabeth, Lebenslauf Bruno Kempe; Christian Science Boston/Mass., Archive, The Story of Christian Science Wartime Activities 1939–1946, Boston/Mass.1947; Diercks, Dokumentation Stadthaus, S. 38; VAN-Totenliste, S. 46; persönliche Mitteilungen von Carla von Malapert, Wolfgang Kreul, Christof Krüger.

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