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Bereits verlegte Stolpersteine



Jacob Neugarten * 1882

Fabriciusstraße 22 (Wandsbek, Bramfeld)


HIER WOHNTE
JACOB NEUGARTEN
JG. 1882
VERHAFTET 1942
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1942
KZ NATZWEILER
MAUTHAUSEN
AUSCHWITZ
ERMORDET NOV. 1942

Weitere Stolpersteine in Fabriciusstraße 22:
Käthe Neugarten, Alfred Neugarten

Jacob Neugarten, geb. 8.1.1882, verhaftet im Juli 1942 in Hamburg, im Oktober 1942 über die KZs Natzweiler, Mauthausen nach Auschwitz deportiert, dort im November 1942 ermordet
Käthe Marie Sophie Neugarten, geb. Pünjer, geb. 27.10.1893, Flucht in den Selbstmord am 30./31.7.1942
Alfred Neugarten, geb. 22.4.1925, verhaftet in Hamburg am 3.9.1942, 1944 deportiert nach Auschwitz, überstellt nach Buchenwald 22.1.1945, zu Tode gekommen im Außenlager Ohrdruf am 18.3.1945

Fabriciusstraße 22 (Cornehlstraße 22, ab 1933 Adolf Hitler-Straße 22)

Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, hatte Jacob Neugarten gerade seinen 51. Geburtstag gefeiert, lebte in zweiter Ehe mit seiner Frau Käthe zusammen und hatte drei Kinder im Alter von 23, 11 und 9 Jahren. Alle Informationen über seine Biographie sprechen dafür, dass er zu dieser Zeit ein geregeltes und materiell gesichertes Leben führte.

Geboren worden war Jacob Neugarten als Sohn jüdischer Eltern im hessischen Raboldshausen. Wann und unter welchen Umständen er nach Hamburg kam, ist nicht bekannt. Am 14. März 1910 wurde er in erster Ehe Vater einer Tochter namens Gertrud Henriette, die in Hamburg zur Welt kam. Den Namen der Mutter kennen wir nicht.

Am 21. Mai 1921 heiratete Jacob Neugarten die nichtjüdische Hamburgerin Käthe Marie Sophie Pünjer (geb. 27. Oktober 1893). Mit ihr hatte er zwei weitere Kinder. Tochter Ruth Wilhelmine wurde am 20. November 1922 geboren, Sohn Alfred kam am 22. April 1925 zur Welt. Die Familie bewohnte eine Vier-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses in der Cornehlstraße 22 (ab 1933 Adolf-Hitler-Straße, heute: Fabriciusstraße) in Bramfeld-Hellbrook. Haus und Grundstück gehörten zum Familienbesitz.
Jacob Neugarten war Kaufmann. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte er in der Hamburger Neustadt (Herrengraben 72) einen Handel für Landmaschinen eröffnet, der bis zur Machtübernahme Hitlers sehr erfolgreich gewesen sein soll. Noch 1934 findet sich auf Seite 78 des Amt­lichen Fernsprechbuchs für den Reichspostdirektionsbezirk Hamburg der Eintrag:

Neugarten, Jacob
An- und Verk. v. Maschinen, Metallen
Herrengraben 72. P. 11
Fernsprecher: 366028

Zwei eidesstattliche Erklärungen aus den Wiedergutmachungsakten aus dem Jahre 1958 geben Auskunft über den Lebensstandard der Familie Neugarten.

Am 4. November 1958 ließ der Hamburger Versteigerer Leopold Nattenheimer folgende Aussage notariell beglaubigen:
"Herr Jacob Neugarten, mit dem ich geschäftlich sowie freundschaftlich eng verbunden war, hatte in Hamburg, Herrengraben 72, sein Kontor sowie die Lagerräume. Herr Neugarten hatte einen Maschinenhandel. Er hatte einen Bestand an Maschinen von ca. 15.000 Mark, der voll bezahlt war. Sein bares Betriebsgeld war mir nicht bekannt. Nach meiner Auffassung muß es gut gewesen sein, denn bei Einkäufen waren die Mittel immer zur Verfügung.

Im Betrieb war Herr Hugo Gerechter beschäftigt, der, wie mir s. Zt. bekannt wurde, nach Minsk abgeschoben wurde und nicht zurückkehrte.

Herr Jacob Neugarten besaß ein Grundstück in Hamburg-Steilshoop, welches enteignet wurde. Das gesamte Mobiliar wurde durch das Hamburger Gerichtsvollzieheramt versteigert [...]"
Die zweite eidesstattliche Erklärung stammt von Ilse Krause, geb. Schweers, die am 20. September 1958 angab, mit der Familie Neugarten befreundet gewesen zu sein. Sie schrieb:
"Ich weiß, dass Herr Jacob Neugarten in Hamburg, Herrengraben 72, einen Betrieb für Verkauf und Reparatur landwirtschaftlicher Maschinen hatte. Über dieses Geschäft selber kann ich keinerlei Angaben machen, da ich es nie aufgesucht habe. Wir waren mit der Familie Neugarten befreundet, jedoch war ich immer nur im Privathaus in Hellbrook. Ich weiß daher, daß die Familie gut lebte. Frau Neugarten besass [sic!] viel Schmuck, Wäsche usw. Die Vermögensverhältnisse müssen sehr gut gewesen sein [...]."

Zeugenaussagen zufolge verfolgte Jacob Neugarten die politischen Entwicklungen aufmerksam und wusste die Zeichen der Zeit zu deuten. 1939 versuchte er offensichtlich, die Weichen für das Schicksal seiner Familie zu stellen. So gab er am 1. Februar 1939 dem behördlichen Druck nach und entschloss sich zur Aufgabe seines Geschäftes. Das Gewerbeamt vermerkte eine "freiwillige" Geschäftsaufgabe. Seinen Freund und Geschäftspartner Leopold Nattenheimer beauftragte er mit dem Verkauf der Maschinen. Im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens gab dieser an, dass noch ein großes Lager vorhanden gewesen sei und dass die Ware damals noch "gut bezahlt" wurde.

Im selben Monat, am 20. Februar 1939, stellte Jacob Neugarten den Antrag, das Grundstück in der Cornehlstraße – die seit 1933 Adolf-Hitler-Straße hieß – an seine "arische" Ehefrau verkaufen zu dürfen. Am 3. März 1939 notierte die zuständige Devisenstelle, dass der Verkauf erfolgt sei. Der Wert des Grundstücks wurde mit 14.400 RM angegeben. Eine Barauszahlung sei nicht erfolgt, da eine Hypothek der Ehefrau in Höhe von 10.000 RM gegengerechnet wurde.

Auch der Abschied von der erst 17-jährigen Tochter Ruth Wilhelmine fiel ins Jahr 1939. Am 21. August wanderte sie nach Palästina aus. Besonders Käthe Neugarten soll unter der Trennung sehr gelitten haben und darüber "schwermütig" geworden sein. Ihrer Tochter rettete die Ausreise das Leben.

Nach dem Krieg gab Ruth Pollack, geb. Neugarten, an, ihr Vater sei ab 1941 zur Zwangsarbeit verpflichtet worden. Außerdem trug sie in das Formular des Wiedergutmachungsamtes ein, er habe "Straf- und Bußgelder" in unbekannter Höhe bar bezahlt.

Am 30. Juli 1942 wurde der Privatbesitz der Familie Neugarten von der Gestapo beschlagnahmt. Was sich an diesem Tag in der Wohnung der Neugartens abspielte, hat die Gestapo am 3. August 1942 in einem Bericht festgehalten:
"Am 30.07.1942 suchten die Unterzeichneten die Wohnung der Eheleute Neugarten, Hamburg-Hellbrook, Adolf-Hitler-Straße 22 Parterre, auf Grund einer Anzeige gegen den Juden Jacob Israel Neugarten, über die besonders berichtet worden ist, auf. Bei der Durchsuchung der Wohnung wurden Hamsterwaren in größerem Umfang vorgefunden. Hierfür scheint die Frau Neugarten verantwortlich gewesen zu sein. Nach Beendigung der Durchsuchung wurden die Eheleute aufgefordert, sich anzuziehen, um an der Dienststelle zu Protokoll vernommen zu werden. Die Ehefrau Neugarten, die nur notdürftig angezogen war, suchte das Schlafzimmer auf, um sich umzuziehen. Hierbei muss sie eine größere Menge von Schlaftabletten gegessen haben, denn sie wurde bald darauf besinnungslos und musste auf eine Chaise­longue gebettet werden. Mit Hilfe einer Nachbarin (...) wurde ein in der Nähe wohnhafter Arzt (...) um Leistung der ersten Hilfe ersucht. Dieser konnte seine Sprechstunde jedoch nicht verlassen und veranlasste die Abholung der Frau Neugarten durch einen Krankenwagen des DRK und Überführung in das AK St. Georg. Wie hier inzwischen bekannt geworden ist, ist die Frau Neugarten dort am 31.07.1942 um 16.30 Uhr verstorben."

Jacob Neugarten wurde inhaftiert. Einer Zeugenaussage zufolge soll er für die Beerdigung seiner Frau Hafturlaub bekommen haben.

In die Wohnung der Familie Neugarten wurde ein Kommissar namens Gutmann eingewiesen. Im Zuge des Wiedergutmachungsverfahrens wurde er als Zeuge vernommen. Seinen Angaben zufolge war die Wohnung zum Zeitpunkt der Übergabe noch von der Gestapo versiegelt. Die Möbel – darunter ein "ganz gut erhaltenes Wohnzimmer" und eine "verhältnismäßig neuwertige Kücheneinrichtung" – wurden von einem Versteigerer namens Huck versteigert. Der Gesamtwert wurde im Nachhinein auf 3500–4000 RM geschätzt. Das Haus in der heutigen Fabriciusstraße steht nicht mehr. Der Wiedergutmachungsakte ist zu entnehmen, dass es einem Bombenangriff zum Opfer fiel.

Im Gegensatz zu seinen älteren Schwestern lebte Alfred Neugarten 1942 noch bei seinen Eltern. Der Kartei der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt ist zu entnehmen, dass der siebzehnjährige Schweißerlehrling am 3. September 1942 wegen so genannter Rassenschande verhaftet und am 16. Juni 1943 ins Gefängnis überstellt wurde. Er verbüßte eine Strafzeit vom 14. April 1943 bis zum 2. August 1944. Auf seine Gesamtstrafe von zwei Jahren Gefängnis wurden 254 Tage Untersuchungshaft angerechnet.

Dort, wo Spuren von Alfred Neugartens weiterem Weg verzeichnet sind, differieren die Daten: Die Unterlagen des Internationalen Suchdienstes besagen, dass er nach Auschwitz eingewiesen wurde, wo er die Gefangenen-Nummer 175259 erhielt. Auf der Häftlingskarte aus Auschwitz wurde sein Großvater Ernst Pünjer aus der Kanalstraße in Wilhelmsburg als nächster Angehöriger verzeichnet. Das Verhaftungsdatum wird hier mit dem 13. August 1942, Hamburg, angegeben, die Überstellung auf den 26. Januar 1945 datiert. Als "1. Mal eingewiesen" wird der 24. März 1944 angegeben (Was nicht sein kann, wenn A. N. laut Gefangenenkarte erst am 2. August 1944 in Hamburg entlassen wurde). Das Ganze ist abgestempelt mit "KL Ausch­witz 22.1.45".

Am 22. Januar 1945 wurde Alfred Neugarten nach Buchenwald überstellt und trug nun die Nummer 118459. Dort ist er im Kommando Ohrdruf/Crawinkel am 18. März 1945 gestorben. Ohrdruf war ein Männeraußenlager für das SS-Sonderbauvorhaben "S III". Die Häftlinge mussten umfangreiche unterirdische Tunnel und Bauten anlegen. Mit 12459 Häftlingen erreichte das Lager am 16. Februar 1945 seine höchste Belegung.

Auf dem Gedenkblatt, das Alfreds Schwester Ruth Pollak in Yad Vashem hinterlegte, ist als Todesort noch Auschwitz mit Fragezeichen angegeben. Sie erfuhr offensichtlich nie Genaueres über das Schicksal ihres Bruders.

Die Häftlingskarte aus Buchenwald führt Alfred Neugarten unter der Nummer 110458. Überstellungsdatum ist hier der 20. Januar 1945, Einweisungsdatum in Auschwitz wieder der 24. März 1944. Unter "Vorstrafen" ist nichts vermerkt, der Einweisungsgrund ist mit "politisch" angegeben und die Religionszugehörigkeit mit "ev.". Aus der Personenbeschreibung erfährt man, dass Alfred Neugarten ein schlanker, 1,83 m großer Mann mit dunkelbraunen Haaren und grauen Augen war.

In der Datenbank von Buchenwald im Hauptstaatsarchiv Weimar ist die Einlieferung in Buchenwald am 22. Januar 1945 festgehalten, als Beruf von Alfred Neugarten "Autogenschweißer" und als Haftkategorie "politisch". Alfred Neugarten wurde vermutlich bereits am 24. Januar 1945 nach Ohrdruf weitergeleitet. Als offizielle Todesursache wurde Herzmuskelschwäche angegeben.

Auch der Leidensweg von Alfreds Vater Jakob Neugarten nach seiner Verhaftung am 31. Juli 1942 ist widersprüchlich dokumentiert. In Yad Vashem hinterlegte seine Tochter Ruth Pollak ein Gedenkblatt, in dem sie als Todesort das KZ Maut­hausen angab. Das Hamburger Gedenkbuch gibt als Einlieferungsdatum ins KZ Fuhlsbüttel das Jahr 1942 an, eine Weiterverlegung am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt (was mit Sicherheit falsch ist), für den 1. Oktober 1942 den Transport nach Mauthausen und als Sterbedatum den 25. November 1942 in Auschwitz.

Laut Auskunft des Roten Kreuzes (in der Wiedergutmachungsakte) von 1956 wurde Jakob Neugarten am 17. Oktober 1942 von der Stapo Ham­burg ins KZ Natzweiler eingeliefert. Die dortigen Häftlinge leisteten in den umliegenden Steinbrüchen für Speers geplante Monumentalbauten körperliche Schwerstarbeit, sodass die Todesrate fast 40 Prozent betrug. Wann er von dort nach Mauthausen überstellt wurde, bleibt unklar. Von Mauthausen soll er am 22./23. Oktober 1942 nach Auschwitz abtransportiert worden sein. Verstorben sei er jedoch im November 1942 in Mauthausen. Auf dem Schriftwechsel mit dem Amtsgericht Hamburg wegen des Erbscheines von 1964 wird das Todesdatum von Jakob Neugarten mit dem 7. November 1942 angegeben.

Laut Unterlagen des Internationalen Suchdienstes wurde Jakob Neugarten am 31. Juli 1942 verhaftet und am selben Tag wieder entlassen. Nach Mauthausen wurde er im Oktober 1942 eingewiesen und erhielt die Nummer 13509. Am 22. Oktober 1942 sei er nach Auschwitz überstellt worden und dort gestorben. Auch in diesen Unterlagen ist als nächster Verwandter der Schwager Ernst Pünjer aus dem Steintorweg 15 in Hamburg verzeichnet.

Aus derselben Quelle stammt die Auskunftskarte vom 25. August 1948 aus Mauthausen, auf der als "letzte bekannte Orte" das Gefängnis "Natzweiler, Arr. 17.10.42 Stapo Hamburg", "überstellt am 22.10.42 nach Auschwitz" verzeichnet und durchgestrichen sind. Unter Todes­ursache steht handschriftlich "Stapo Hamburg 17.10.42 Na" und "22.10.42 Au".

Das Archiv Mauthausen schätzt aufgrund der Häftlingsnummer, dass Jakob Neugarten zwischen dem 9. und 17. Oktober 1942 in Mauthausen eingeliefert wurde. Am 23. Oktober sei er nach Auschwitz überstellt worden und dort im November 1942 zu Tode gekommen.

Seine Töchter Ruth und Gertrud überlebten den Holocaust.

© Britta Burmeister, Ulrike Hoppe

Quellen: StaH 314-15 (OFP), R 1939/0727; StaH 331-1 II (Polizeibehörde II), Abl. 15, Bd.II (Gefangenenkartei); StaH 242-1 II, Abl. 1998/1 Untersuchungshaftkartei Männer (jüngere Kartei); StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung, Abl. 13 Gefangenenkartei Männer (jüngere Kartei); StaH 331-5 (Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle); 3. Akte 1942 1161, Käthe Neugarten. StaH 351-11 (AfW), Signatur 0301; StaH 351-11 Abl. 2008/1 Ruth Melamerson 28.6.1922; 351-11 Abl. 2008/1 Ingeborg Marx 21.3.1924; StaH 351-11 Abl. 2008/1 Irene Abrahams 25.6.1915; StaH 423-3/3 III 113-3 Bramfeld Volkszählung 1933; Amtliches Fernsprechbuch für den Reichspostdirektionsbezirk Hamburg 1938; USHMM/ITS Auskunft Peter Lande vom 8.9.2011; Yad Vashem, Central Data Base of the Shoa, Gedenkblätter Alfred und Jakob Neugarten; GDW Auskunft Dr. Diana Schulle vom 7.9.2011; Gedenkstätte Buchenwald, Auskunft Torsten Jugl vom 23.9.2011, Häftlingsnummernkartei, Transportliste, Eintrag Totenbuch; Mauthausen Memorial Archives, Auskunft Dr. Christoph Vallant vom 30.9.2011, Häftlingszugangsbücher.

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