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Bereits verlegte Stolpersteine



Amanda Tietz, geb. Cornils
© Horst Tietz

Amanda Tietz (geborene Cornils) * 1889

Ritterstraße Ecke Riesserstraße (vormals Sievekingsallee 2) (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
AMANDA TIETZ
GEB. CORNILS
JG. 1889
DEPORTIERT 1943
RAVENSBRÜCK
ERMORDET 5.6.1944

Weitere Stolpersteine in Ritterstraße Ecke Riesserstraße (vormals Sievekingsallee 2):
Willi Hermann Tietz

Amanda Tietz, geb. Cornils, geb. 23.8.1889 in Garding/Eiderstedt
Haft 24.12.1943 Marburg, deportiert 6.3.1944 Guxhagen-Breitenau, weiter deportiert KZ Ravensbrück, Tod am 5.6.1944
Willi Hermann Tietz, geb. 30.7.1885 in Driesen/Neumark
Haft 24.12.1943 Marburg, deportiert 6.3.1944 Guxhagen-Breitenau, Tod am 23.4.1944

Ritterstraße 66 (früher: Sievekingsallee 2)

Amanda Cornils stammte aus einer alt eingesessenen Familie von der Westküste Schleswig-Holsteins aus Garding in Eiderstedt. Ihr Vater, Arrien Peter Amandus Cornils, betrieb dort ein Sägewerk, das die ganze Halbinsel Eiderstedt mit Holz versorgte. Er war verheiratet mit der vom sog. Blumenhof in Tating stammenden Ingeborg Catharina, geb. Hostrup. Bei dem Blumenhof handelt es sich um einen der für Eiderstedt typischen Haubarge, der noch heute im Besitz der Familie Hostrup ist. Am 12. August 1886 wurde die Tochter Anna geboren, am 30. April 1888 der Sohn Walter, am 23. August 1889 die Tochter Amanda.

Willis Tietz` Vater, Julius Tietz, betrieb in Driesen, Kreis Friedeberg in Pommern (Neumark), einen im Jahre 1826 durch dessen Vater David Tietz gegründeten Holzgroßhandel. Driesen liegt im Netzebruch, ca. 55 km östlich von Landsberg an der Warthe. Seine Ehefrau Hedwig, eine geborene Koeben aus Forst (Lausitz), gehörte wie Julius Tietz einer jüdischen Familie an, doch traten beide nach der Geburt ihrer drei ersten Kinder Elsbeth, geb. 20. Dezember 1882, Dora, geb. 13. Februar 1884, und Willi, geb. 30. Juli 1885, der evangelischen Kirche bei. Es folgten drei weitere Kinder, Erich, geb. 30. April 1887, Hermann, geb. 8. Juli 1888, und Hedwig, genannt Heta, geb. 4. Juni 1895.

Julius Tietz wurde in den 1880er Jahren wie schon zuvor sein Vater David Tietz in die Stadtverordnetenversammlung berufen, der er seit 1890 als Schriftführer und seit 1901 als stellvertretender Vorsteher angehörte. Darüber hinaus gehörte er dem Sparkassenvorstand und 15 städtischen Deputationen und Kommissionen an. Julius Tietz galt als reger Freund und Förderer des musikalischen Lebens in Driesen - sein älterer Bruder Prof. Hermann Tietz war Herzoglich Sächsischer Hofpianist sowie Begründer und Direktor des Musikvereins und des Konservatoriums zu Gotha. Nach dem Tod von Julius Tietz im Jahre 1906 übernahm zu-nächst seine Witwe Hedwig Tietz und - nach Beendigung seines Jura-Studiums - Willi Tietz als der älteste Sohn die Firma.

Amanda Cornils und Willi Tietz lernten sich auf einer Hochzeitsfeier in Marburg kennen und verlobten sich. Amanda lebte zu dieser Zeit bei ihrer Schwester Anna in Hamburg, die nach ihrer frühen Scheidung von dem promovierten Juristen Thomas Christiansen aus Flensburg zusammen mit ihrem Sohn Rolf, geboren 1915, und ihrer bereits verwitweten Mutter Ingeborg Cornils eine großzügige Wohnung in Hamburg-Hamm, Saling 23, einem Haus aus der Gründerzeit, bewohnte.

Im Zuge der Neuordnung der ehemals deutschen Gebiete nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag wurde Driesen polnisch (heute Drezdenko), weshalb Willi Tietz seiner Verlobten nach Hamburg folgte und hier aufgrund bestehender Geschäftsverbindungen ein Holzkommissionsgeschäft im Raboisen aufbaute. Es wurde am 13. September 1919 unter dem Namen "Willy Tietz, Holz-Commission" mit Willi Tietz als Inhaber im Handelsregister eingetragen.

Willi Tietz und Amanda Cornils heirateten am 3. April 1920 in Hamburg. Zu dieser Zeit war auch Julius Tietz schon verstorben. Willis Mutter Hedwig Tietz lebte inzwischen bei ihrer jüngsten Tochter Heta in Aschara bei Gotha in Thüringen. Ingeborg Cornils blieb nach dem Tod ihres Mannes Teilhaberin seines Holzgeschäftes, wie sie als Trauzeugin ihrer Tochter Amanda angab. Das Leben drehte sich um Holz; auch der zweite Trauzeuge war ein Holzhändler, Ferdinand Rathjens aus Altona, mit 37 Jahren etwa gleichaltrig mit Willi Tietz.

Am 11. März 1921 wurde Horst Willy Julius Amandus Tietz geboren. Im Jahre seiner Einschulung 1927 bezogen Willi, Amanda und Horst Tietz eine Neubauwohnung in der Sievekingsallee 2. Der Kontakt zu den übrigen Familienmitgliedern blieb sehr eng und herzlich, Rolf und Horst wuchsen trotz ihres Altersunterschieds wie Brüder auf.

Horst wurde wie vor ihm sein Vetter Rolf in die private Grundschule des jüdischen Ehepaars Moosengel in der Papenstraße in Eilbek eingeschult. Nach der Aufnahmeprüfung für die weiterführende Schule in der Volksschule Ritterstraße besuchte er das Kirchenpauer-Realgymnasium am Hammer Steindamm gegenüber vom Eingang zum Hammer Park – die Sievekingsallee verlief noch nicht zwischen Schule und Park - ein erst 1930 eingeweihter Klinkerbau im Stil des Baudirektors Fritz Schumacher.

Obwohl Willi und Amanda Tietz evangelisch waren, traf sie schon in den 1920er Jahren anti-jüdisches Ressentiment, nicht zuletzt aus ihrer eigenen Familie. Das Ende der Weimarer Republik und die Machtübergabe an Hitler versetzten sie in große Anspannung. Am 1. Janu-ar 1930 war Amandas Bruder Walter Cornils der NSDAP beigetreten. Familie Tietz rückte noch enger zusammen, als auch Rolf Christiansen sich der nationalsozialistischen Ideologie öffnete. Auch das Verhältnis zu Willis Angehörigen wurde zunehmend distanziert. Als jüdi-sche Verwandte hatten sie Amanda gegenüber Hemmungen, die, wie ihr Sohn später analysierte, ihren "glühenden Selbsthass schürten, der ihrem Schuldgefühl als ‚Arierin’ entsprang und unter dem sie maßlos litt" - und der sie mit aller Liebe die noch vorhandenen schwachen Kontakte pflegen ließ. So erreichte sie es, dass nach dem Tod ihrer Mutter, die eine zentrale Rolle in der Familie gespielt hatte, sich die Familie Tietz und Rolf Christiansen wieder annäherten.

Zugleich gingen die geschäftlichen Kontakte von Willi Tietz zurück. Seine Firma, die er bereits im Zuge der Weltwirtschaftskrise aus dem Raboisen in die Sievekingsallee verlegt hatte, warf keine nennenswerten Gewinne mehr ab. Durch die zunehmende Isolierung fühlte er sich oft in einer ähnlich ausweglosen Situation wie sein Bruder Hermann, der, als er 1935 in Berlin seine Apotheke aufgeben musste, sich das Leben nahm. Amanda Tietz gelang es immer wieder, ihren Mann von demselben Schritt abzuhalten. Um seinem Vater weitere Demütigungen zu ersparen, übernahm sein Sohn Horst Behördengänge für ihn und ließ sich mit Erreichen der Volljährigkeit am 13. März 1942 als neuer Inhaber der Firma seines Vaters eintragen. An den tatsächlichen Verhältnissen änderte dies aber nichts, da Horst von Holz nichts verstand und nach Meinung seines Vaters "eine Birke nicht von einer Primel unterscheiden konnte". Dafür widmete er sich intensiv der Mathematik und erhielt, nachdem er seinem Vater mit Hilfe einer mathematischen Formel bei der Aufklärung eines Buchungsfehlers geholfen hatte, von ihm die Erlaubnis, Mathematik zu studieren.

Nach seinem Abitur 1939 meldete sich Horst Tietz nach reiflicher Überlegung zum Wehrdienst. Als "Mischling ersten Grades" stand ihm diese Möglichkeit noch offen, und er hoffte, dadurch seine "Stellung zu stabilisieren". Er wurde in den dem Wehrdienst vorgeschalteten Reichsarbeitsdienst einberufen, kehrte aber wenige Monate später wieder zurück. Aufgrund eines Erlasses wurden Soldaten, die Medizin oder Chemie, sog. kriegswichtige Studiengänge, studieren wollten, zum Studium beurlaubt. Chemie lag der Mathematik begrifflich so nahe, dass Horst Tietz sich für dieses Studium entschied. Da die Hamburger Universität geschlossen war, absolvierte er das erste Trimester in Berlin, wo er bei Meta Tietz, der Witwe seines Onkels Hermann, unterkommen konnte. Das Fehlen seines Ahnenpasses bei der Immatrikulation konnte noch durch die Frontkämpferbescheinigung seines Vaters aus dem ersten Weltkrieg kompensiert werden.

Im Januar 1940 begann er endlich mit dem Mathematikstudium in Hamburg bei Erich Hecke, wurde jedoch im Dezember 1940 vom Studium ausgeschlossen, das er sodann auf Anraten von Erich Hecke als Schwarzhörer fortsetzte. Ein Gnadengesuch an den Reichskanzler und eine Eingabe seines Vetters Rolf Christiansen vermochten an der Exmatrikulation nichts zu ändern. Rolfs Eintreten für seinen Cousin hatte allerdings seine Degradierung zum Leutnant und eine Versetzung zur Partisanenbekämpfung in Russland zur Folge, wo er im Februar 1942 fiel. Seine Mutter Anna, inzwischen in die Mittelstraße (heute: Carl-Petersen-Straße) umgezogen, erhielt die Nachricht von seinem Tod am 9. März 1942. Sie nahm sich in derselben Nacht das Leben.

Inzwischen hatte die Deportation Hamburger Juden nach Osten begonnen. Willi Tietz’ Schwester Dora Deutschländer wurde am 8. November 1941 mit ihrem Mann Arnold und der Tochter Annemarie in das Getto von Minsk deportiert, wonach der Kontakt abbrach. Aus ihrer Familie überlebte nur ihr Sohn Helmut, der zuvor nach Israel emigriert war.

Im Feuersturm der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 verlor Familie Tietz ihre Wohnung und ihre Habe, gewann aber kurzfristig die Freiheit vom Zugriff durch die Staatsmacht. Als in einer "privilegierten Mischehe" lebend, trug keiner den "Judenstern", so dass sie unbehelligt evakuiert wurden. Sie gelangten nach Crivitz und trafen dann die schicksalhafte Entscheidung, nach Marburg zu gehen, wo sie sich kennen gelernt hatten, um einer Evakuierung weiter nach Osten zu entgehen. Dort erhielten sie nach wiederholtem Wechsel der Unterkunft aufgrund einer Denunziation ihrer Vermieterin für sich und ihren Sohn eine Vorladung zur Gestapo für den Morgen des 24. Dezember 1943.

Während des stundenlangen Verhörs wurde auf Amanda Tietz Druck ausgeübt, sich von ihrem Mann zu trennen, indem man ihr für diesen Fall die Freiheit versprach. Sie quittierte das Ansinnen damit, dass sie vor dem Beamten ausspie. Willi Tietz versuchte seinerseits vergeblich, sich während des Verhörs das Leben zu nehmen, um auf diese Weise die Trennung herbeizuführen. Heiligabend 1943 wurden sie in das Landgerichtsgefängnis in der Wilhelmstraße geführt und dort in Einzelzellen untergebracht.

Am 6. März 1944 wurden Amanda, Willi und Horst Tietz als "Schutzhäftlinge" dem Arbeitserziehungslager Breitenau überstellt, das zugleich als Sammelort für die Weiterverlegung in Konzentrationslager diente und der Kasseler Gestapo unterstand.

Der Transport begann mit einem Fußweg zum Bahnhof, ging weiter in einem Zellenwagen der Reichsbahn und endete mit einem einige Kilometer langen Fußweg von Grifte bis zur Abtei. Amanda wurde wieder von Mann und Sohn getrennt und mit der Nr. 187 im Gefangenenbuch registriert. Über ihre Tätigkeit in Breitenau ist nichts bekannt. Die beiden Männer wurden in der Landarbeit eingesetzt. Unter den KZ-ähnlichen Haftbedingungen erkrankte Willi Tietz schwer und wurde in eine "Abgangszelle" verlegt. Horsts Bemühungen um eine medizinische Versorgung seines Vaters blieben erfolglos. Am 22. April 1944 wurde er zu seinem Vater in die mit acht Personen belegte Zelle verlegt, als dieser bereits bewusstlos war. Auf seinem Weg dorthin sah er im Nebenhof einige weibliche Häftlinge zum Abtransport bereit. Er erkannte eine kahl geschorene Frau, die ihm weinend zuwinkte. Es war seine Mutter, die er nie wiedersehen sollte. Willi Tietz starb am folgenden Morgen um 9 Uhr in den Armen seines Sohnes. Nach einer kurzen Totenwache musste sich Horst Tietz dem abmarschierenden Transport in das KZ Buchenwald anschließen.

Amanda Tietz wurde, während ihr Mann im Sterben lag, abtransportiert. Ob sie je von dem Tod ihres Mannes erfuhr, ist nicht bekannt. Mit seinem Tod hätte die Maschinerie ihres Weitertransports aufgehalten werden können, was jedoch nicht geschah. Die nächste Station ihrer Inhaftierung war das Polizeigefängnis in Leipzig. Als die Haftanstalt wegen Raumschwierigkeiten geräumt werden musste, wurde sie am 2. Mai 1944 zusammen mit 54 weiblichen Schutzhaftgefangenen nach Fürstenberg in Mecklenburg überführt und in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert, unter der Häftlingsnummer 37 632 registriert und in Block 9 untergebracht.

Nach sechs Wochen Quarantäne im Kleinen Lager des KZ Buchenwald wurde Horst Tietz als "Schutzhäftling" mit der Nr. 14 768 und rotem Winkel für politische Gefangene auf der Häftlingskleidung in den Block 42 eingewiesen. Anfang Juli - er arbeitete inzwischen in den Gustloff-Werken 2 in der MG-Fabrikation - wurde ihm auf seinen Antrag durch die Leitung des KZ Buchenwald ein Sonderbrief nach Ravensbrück genehmigt. Von dort erhielt er mit Datum vom 20. Juli 1944 die Nachricht: "Ihre Mutter, Amanda T i e t z, ist am 5.6.1944 im hiesigen Lager verstorben." Die näheren Umstände ihres Todes sind nicht bekannt.

Am 11. April 1945 erlebte Horst Tietz die Befreiung des Lagers Buchenwald durch die US-Amerikaner und konnte sich schließlich seinen Traum von einem Mathematikstudium erfüllen, der zu einer Mathematikprofessur an der Universität Hannover führte. Vier Jahre nach dem Tod seiner Eltern heiratete er Lieselotte Wiese, mit der er eine eigene Familie gründete, in der die Eltern stets präsent geblieben sind.

© Hildegard Thevs

Quellen.: BA (BDC), Schreiben vom 30.8.2011; StaH, 231-7, Handelsregister, A 1 Bd. 90, Nr. 21739; 314-15 OFP, R 1939/1000; 332-5 Standesämter, 1058-705/1936; 1153-331/1942; 3379-371/1920; Gedenkstätte Ravensbrück, E-Mail; Sächsisches Staatsarchiv, Schreiben vom 17.8.2011; Julius Schuberths Musikalisches Conversations-Lexikon, hg. Prof. Emil Breslaur, 11. Aufl., Leipzig; Tietz, Horst, Aus dem Leben durch die Hölle zum Polarstern, 1921–1950, unveröffentlichtes Manuskript 2006/2007.

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