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Porträt von Karl Levi
Karl Levi
© Staatsarchiv Hamburg

Karl Levi * 1909

Güntherstraße 45 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
KARL LEVI
JG. 1909
EINGEWIESEN 16.4.1943
’HEILANSTALT’
MESERITZ-OBRAWALDE
ERMORDET 5.5.1943

Karl Levi, geb. am 14.12.1909 Hamburg, verlegt am 16.4.1943 aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Meseritz-Obrawalde, Tod dort am 5.5.1943

Güntherstraße 45

Karl Levis Eltern heirateten im Sommer des Jahres 1909 in Hamburg, sie waren beide zuge-zogen. Seine Mutter, Wilhelmine Meta Gesine, war eine geborene Wennholz und am 29. Dezember 1885 in Bremen zur Welt gekommen. Sein Vater, Emanuel Levi, stammte aus Thiengen in Baden, wo er am 30. Oktober 1877 geboren worden war. Er stammte aus einer jüdischen Familie, sein Vater war Viehhändler und auch er war ins Kaufmännische gegangen. Gesine Levi brachte einen Sohn mit in die Ehe, Karls Halbbruder. Zunächst wohnte die Familie im damaligen Hammerbrook. Gesine Levi umsorgte und behütete ihre Söhne nach Kräften.

Dass Karl erst mit drei Jahren zu sprechen anfing, beunruhigte sie nicht. Als er mit vier Jahren wegen Gelenkrheumatismus im Krankenhaus St. Georg behandelt wurde, fiel er dort als "außerordentlich quäsig" auf. Er überstand die Erkrankung ohne offenkundige weitere Folgen. 1916 wurde er in die Reformschule am Lübecker Tor eingeschult, die er nach der Wiederholung eines Schuljahres mit der zweiten Klasse verließ. Dazu hatte nach seinen Worten beigetragen, dass er lieber Fußball spielte als zu lernen.

Doch in der Arbeitswelt fasste Karl Levi letztlich keinen Fuß. Am Ende der Inflationszeit war es seinem Vater gelungen, ihm eine Lehrstelle bei einem Goldschmied zu verschaffen. Da sein Lehrherr ihn mehrfach schon am Morgen "Köm holen" schickte (also Schnaps), brach er die Lehre ab. Auch drei weitere Lehrstellen gab er aus unterschiedlichen Gründen bald wieder auf. Die Lehrzeiten wechselten mit kurzzeitigen Anstellungen als Laufbursche.

Karl Levi begann sich seinen Vorgesetzten und seinen Eltern gegenüber respektlos zu verhalten, was in Anbetracht seines Alters von vierzehn Jahren aus heutiger Sicht nicht ungewöhnlich ist. Doch als er sich im Sommer 1925 einem sechsjährigen Mädchen unsittlich näherte, wurde aus dem Problem eines pubertierenden Jungen ein psychiatrisches und seine Schuldfähigkeit stand in Frage. Um sie zu klären, wurde er zur Untersuchung in das Allgemeine Krankenhaus Eppendorf eingewiesen. Von Scham überwältigt, unternahm er einen Selbsttötungsversuch. Um ihn vor sich selbst zu schützen, wurde er in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg verlegt. Dort attestierte man ihm mangelnde Schuldeinsicht und Willensschwäche, weshalb er nicht mit Gefängnis bestraft, sondern dem Jugendamt übergeben wurde. Dieses brachte ihn zur Beobachtung für drei Monate in sein Heim in der Averhoffstraße auf der Uhlenhorst. Schon im Januar 1926 wurde Karl Levi zu seinen Eltern beurlaubt, stand aber weiterhin unter der Schutzaufsicht des Jugendamts. Er suchte sich eine Anstellung als Bote. Als die Schutzaufsicht am 22. Juni 1927 aufgehoben wurde, war Karl Levi 17 Jahre alt. Die Freiheit dauerte nur kurze Zeit, denn schon in der ersten Nacht erregte er ruhestörenden Lärm. Er wollte Prostituierten beweisen, dass er die Polizei ganz schnell herbeirufen könne, und hatte damit Erfolg: Polizisten kamen und brachten ihn zu seinen Eltern zurück. Da seine Eltern ihn nicht an weiteren nächtlichen Ausgängen hindern konnten und sie ihn unverschämt fanden, stellten sie einen Antrag auf Fürsorgeerziehung. Am 18. Juli 1927 begann Karl Levis zweiter Aufenthalt in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg.

Acht Monate später wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn verlegt. Damit fing eine wechselvolle Zeit von Beurlaubungen, Wiedereinlieferungen und Wiederaufnahmen an. Die Eltern erwirkten mehrfach unbefristete Beurlaubungen, die jeweils damit endeten, dass Karl auffällig oder gar gewalttätig wurde und die "Sanitätskolonne" ihn zurück nach Langenhorn brachte.

Karl Levi näherte sich der KPD an und ließ sich in das Antikriegskomitee wählen, wurde aber von seinen Eltern wieder abgemeldet. Sie führten sein "unerträgliches Verhalten" auf seine politische Einstellung zurück. Einem begutachtenden Arzt sagte er, er wolle "lieber Haft absitzen, um dann frei zu sein, als in der Psychiatrie zu sitzen". Dieser Wunsch erfüllte sich nicht: In einem Verfahren wegen Körperverletzung wurde er wegen erwiesener Unschuld freigesprochen, aber nicht in die Freiheit entlassen, sondern wieder in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn gebracht. Dort verhielt er sich immer wieder aufsässig. Beispielsweise provozierte er eine Prügelei, die ihm einen Aufenthalt im Wachsaal eintrug. Oder er schikanierte beim Arbeiten in der dortigen Filzschuhmacherei Mitpatienten und verweigerte die Arbeit, woraufhin er sie verlassen musste und wieder auf seine Abteilung kam. Fünf Monate später kehrte er, inzwischen umgänglicher geworden, auf eigenen Wunsch in die Filzschuhmacherei zurück.

Im November 1930 wurde er "bis auf Weiteres" beurlaubt. Am 14. Dezember 1930 wurde er entmündigt und ein Verwaltungsinspektor von der Wohlfahrtspolizei als sein Vormund eingesetzt.

Anfang 1931 entließ die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn Karl Levi mit einer günstigen Prognose. Laut ärztlichem Gutachten mangele es ihm an der Fähigkeit zur sozialen Anpassung, aber er sei durch zunehmende Reife, Erziehung und Therapie ausgeglichener und umgänglicher geworden und werde künftig den beruflichen, sozialen und menschlichen Anforderungen genügen.

Sein Vater Emanuel Levi arbeitete als Angestellter bei der Finanzverwaltung Hamburg. Dort wurde er fast umgehend nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 aufgrund des Gesetzes "zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" entlassen. Für zwei Jahre fand er noch eine andere Anstellung. Familie Levi zog von der Kolbergstraße 36 in St. Georg in die Güntherstraße 75 in Hohenfelde. 1931 war Emanuel Levi aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg ausgetreten, kehrte aber am 1. Oktober 1934 zurück. 1936 stellte ihn die Gemeinde steuerfrei, da sein Einkommen lediglich aus einer monatlichen Pension von 100 Reichsmark bestand.

Im November 1933 wurde Karl Levi verdächtigt, im Zustand von Zurechnungsunfähigkeit "für ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlungen begangen zu haben". Die "Handlungen" bestanden im "Ein- und Austausch staatsfeindlicher Druckschriften". Daraufhin kam er zunächst erneut in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg und dann im Dezember 1934 laut amtsrichterlicher Anweisung wieder in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn. Vorher war er im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek zwangssterilisiert worden.

Im Jahr 1935 wurden in Karl Levis Patientenakte nur wenige Ereignisse festgehalten. Am Ende des ersten Quartals hieß es, er sei "einsichtslos" und habe das von seiner Mutter mitgebrachte Lebensmittelpaket zertrampelt. Im April wurde die Revision des Befehls zu seiner Unterbringung verhandelt und verworfen. Daraufhin kehrte er in die Filzschuhmacherei zurück. 1936 hieß es wie schon früher, er sei bescheidener und zurückhaltender geworden, sodass sein Vater meinte, er könne entlassen werden. Dieser Auffassung schloss sich der behandelnde Arzt, Wigand Quickert, an und empfahl dem Oberlandesgericht eine versuchsweise Entlassung. Dem widersetzten sich der Vormund und die Gestapo einvernehmlich, woraufhin Karl Levi gegenüber den Ärzten und dem Pflegepersonal renitent wurde. Diese verhängten ein Lese- und Rauchverbot und verlegten ihn in ein Einzelzimmer, bis er sich reumütig wieder einfügte. Nach einer Zahnextraktion wiederholten sich Unruhe und Unzugänglichkeit und als Reaktion darauf erfolgte die Verlegung in ein Einzelzimmer. Ein ärztliches Gutachten aus dem Jahr 1937 beurteilte ihn als "Versager im Leben" und als "gemeingefährlich". Im folgenden Jahr war davon nicht mehr die Rede und Karl Levis tadellose Haltung sowie seine fleißige Arbeit wurden gelobt. Dann allerdings baute sich die nächste Erregungsphase auf. Im Juli 1939 gab das Gericht seine Zustimmung zu einem achttägigen Urlaub. In den folgenden Jahren wiederholte sich das wechselhafte Geschehen.

Nach dem Ende des Polenfeldzugs der deutschen Wehrmacht im Oktober 1939 lief "T4" an, die "Euthanasie"-Aktion der Nationalsozialisten für Erwachsene. Als erste Hamburger Patientengruppe wurden am 23. September 1940 "volljüdische" Patienten in die Tötungsanstalt Brandenburg transportiert und dort mit Kohlenstoffmonoxid getötet. Als "Mischling 1. Grades" im Sinne der Nürnberger Rassegesetze war Karl Levi davon nicht betroffen. Seine Eltern kämpften erfolgreich um seine Anerkennung als "nichtjüdischer Mischling", sie wurde ihm am 18. Mai 1941 zuteil. Mit dieser Anerkennung schützten sie zunächst ihren Sohn, aber auch sich selbst, indem ihr Status einer "privilegierten Mischehe" erhalten blieb. Die Anerkennung bewahrte Karl Levi jedoch nicht vor der Meldung an die "T4"-Zentrale in Berlin. Dort wurde entschieden, wer wann wohin zur Tötung transportiert werden sollte. Gründe dafür, dass er bei Ende der "Euthanasie"-Massentötungen im August 1941 noch am Leben war, dürfte in seinem guten Gesundheitszustand wie in der Tatsache zu finden sein, dass seine Eltern in der Nähe lebten und sich um ihn kümmerten. Eine Rolle spielte vermutlich auch seine produktive Arbeit in der Gartenkolonne und im Winter in der Schneiderei. Allerdings schränkten asthmatische Beschwerden seine Arbeitsfähigkeit ein. Anfang 1943 musste er wochenlang Bettruhe einhalten.

Unter dem Druck, Raum für Kriegsopfer verschiedener Art bereitstellen zu müssen, begann Anfang 1943 eine neue Welle von Verlegungen aus Heil- und Pflegeanstalten in "luftsichere" Gebiete. Im Hamburger Raum diente dabei die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn als Sammelstelle und Zwischenanstalt. Die Anstaltsleitung wandte sich an die Hamburger Gesundheitsverwaltung mit dem Ersuchen, die Verlegung von je 50 Männern und Frauen bei der "T4"-Zentrale in Berlin zu beantragen. Eine Woche später teilte der Leiter der Gekrat (Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft, Teilorganisation von "T4"), Gerhard Siebert, der Gesundheitsverwaltung mit, dass er für die geplanten Verlegungen die "Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde" ausersehen habe. Diese Anstalt, rund 180 km östlich von Berlin in Pommern gelegen, war ursprünglich ein Konglomerat aus verschiedenen Wohlfahrtsanstalten mit einer Abteilung für "Geisteskranke". Inzwischen diente sie nur noch der Verwahrung sogenannter Geisteskranker und, seit Walter Grabowski im November 1941 die Leitung übernommen hatte, ihrer "Ausmerzung". Zwischen der Hamburger und der pommerschen Anstalt wurde über die Modalitäten der Verlegungen direkt verhandelt. Doch führten Missverständnisse zwischen den beiden Anstalten und den beteiligten Berliner Stellen dazu, dass statt der im Februar 1943 verabredeten 100 männlichen Kranken in zwei Transporten insgesamt 50 Frauen und 150 Männer in vier Transporten nach Meseritz-Obrawalde verlegt wurden. Wäre es bei der ursprünglichen Anzahl geblieben, wäre Karl Levi noch in Langenhorn verblieben, statt mit dem letzten dieser vier Transporte am 16. April 1943 in das entfernte Pommern verbracht zu werden.

Wie in vielen Konzentrationslagern entschieden in der "Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde" Arbeitsfähigkeit und Unauffälligkeit über Leben und Tod. Karl Levi wurde wahrscheinlich am 5. Mai 1943 in Block 21 oder einem der Nachbarblocks getötet. In diesen Blocks waren kleine Sterbezimmer eingerichtet worden – Zellen, in welche die Opfer von den Stationsschwestern bzw. -pflegern geführt wurden. Die Auswahl trafen die Anstaltsärztin Hilde Wernicke oder ihr Kollege Theophil Mootz. Beide gaben auch vor, was als Todesursache auf dem Totenschein zu stehen hatte. Den Todgeweihten wurden von ihren Pflegerinnen oder Pflegern eine tödliche Dosis Morphium-Scopolamin gespritzt oder aufgelöste Luminal- oder Veronaltabletten eingeflößt. Wehrten sie sich, wurde ihnen gut zugeredet, nur selten wurde Gewalt angewendet. Der Tod trat meist nach einigen Stunden bis einem halben Tag ein.

Anschließend schafften das Pflegepersonal oder die Friedhofskolonne die Leichen in die angrenzende Leichenhalle, hinter der der anstaltseigene Friedhof lag. Nur wenige Tote bekamen ein Einzelgrab. Karl Levis Tod wurde in dem eigens für die Anstalt eingerichteten Standesamt beurkundet, die Todesursache mit "Fieberhafte Bronchitis, Herzschwäche" angegeben. Seine Eltern erhielten die Todesnachricht, als er bereits beerdigt war, wahrscheinlich wie die tausenden anderen Opfer in einem Massengrab. Karl Levi wurde 33 Jahre alt.

Emanuel Levi starb 1950 im Marienkrankenhaus in Hohenfelde mit 72 Jahren, Gesine Levi 1968 im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg mit 83 Jahren.

Stand: Mai 2016
© Hildgard Thevs

Quellen: StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht, NSG 0013/001, Bl. 158, Lensch-Verfahren 0013/010, Bl. 5382, Bild 11; StaH 332-5 Standesämter 1449- u. 2342/1968; 3127 u. 493/1909; 7309- u. 131/1950; StaH 352-8/7, Abl. 1995/1, 17281; Thomas Beddies, Die Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde im Dritten Reich, in: Kristina Hübener (Hrsg.), Brandenburgische Heil- und Pflegeanstalten in der NS-Zeit, Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte des Landes Brandenburg, 3, Berlin, 2002, S. 231–258; Peter von Rönn, Die Entwicklung der Anstalt Langenhorn in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Klaus Böhme, Uwe Lohalm (Hrsg.), Wege in den Tod. Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg, 1993, Forum Zeitgeschichte, Bd. 2, S. 91–102; Michael Wunder, Die Transporte in die Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde, in, ders., Wege in den Tod, S. 377–396.

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