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Martha Mende * 1914

Billstedter Mühlenweg 16 (Hamburg-Mitte, Billstedt)


HIER WOHNTE
MARTHA MENDE
JG. 1914
EINGEWIESEN 14.8.1943
’HEILANSTALT’
AM STEINHOF / WIEN
TOT 29.10.1945

Martha Mende, geb. 19.6.1914 in Schiffbek, gestorben am 29.10.1945 in der "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien"

Billstedter Mühlenweg 16 (Mühlenweg 16)

"Die Zeit der Konfirmation ist nun für Martha Mende gekommen. Ich glaube, dass sie in geordneten Familienverhältnissen, aus der Anstalt entlassen, ein recht angenehmes und brauchbares Familienmitglied sein könnte. Die Verhältnisse sind aber bei ihren Eltern recht hässlich, Vater geschieden, wieder verheiratet. Unter diesen Umständen wird Martha wohl in der Anstalt bleiben und ein stets hilfsbereites, angenehmes Mitglied der Pflegebefohlenen sein.
Ostern 1932 gez. A. Röhrig"

Dieser Abgangsbericht von Martha Mendes langjähriger Klassenlehrerin kennzeichnet die Tragik im Leben der jungen Frau. Martha Mende wurde am 19. Juni 1914 in Schiffbek geboren und in der dortigen ev.-luth. Kirche getauft. Von ihrer alkoholkranken Mutter vernachlässigt, blieb sie in ihrer Entwicklung zurück. Ein Bruder starb vier Wochen nach seiner Geburt. Martha Mende lernte im zweiten Lebensjahr gehen und im vierten sprechen. Dass sie fast taub war, blieb lange Zeit unbemerkt. Als der Vater, der Polizeisergeant Karl Mende, zum Wehrdienst im Ersten Weltkrieg einberufen wurde, kam Martha ins Hamburger Waisenhaus. Später trennte sich Karl Mende von seiner Frau, ließ sich scheiden und heiratete in zweiter Ehe Clara Strobel. Die Stiefmutter konnte Martha keine Mutterliebe entgegenbringen, geschweige denn die versäumte ersetzen. Aus dieser Ehe ging ein Sohn hervor.

Mit der Begründung, dass für die Zehnjährige zuhause keine weitere Erziehung möglich und deshalb eine Anstaltsaufnahme nötig sei, wurde Martha Mende am 15. Mai 1924 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Als "Verpfleger" kam der "Landarmenverband der Provinz Schleswig-Holstein" mit Sitz in Kiel für die Kosten auf. Der Anstaltsaufnahme voraus ging am 17. November 1923 eine Untersuchung, bei der der aufnehmende Arzt Clemenz festhielt, dass Martha kaum sprach, alle Fragen mit "Martha Mende" beantwortete, schwächlich wirkte, schielte, nachts einnässte, sich nicht selbst an- und auszog, schwer verträglich und unfähig zu Handreichungen sei und keine Schule besucht habe. Bei der Aufnahme wurde sie für schulfähig befunden. Sie verhielt sich zwar ängstlich und war bei der Untersuchung schüchtern, beobachtete aber alles und nahm an allem Anteil. Im Juni hieß es, sie sei ziemlich selbstständig für ihr Alter, am 5. August 1924 wurde sie in die Vorschulklasse aufgenommen.

Martha Mende musste die Eingangsklasse wiederholen. Sie verlor 73 Schultage durch Krankheit. Den in dieser Zeit vermittelten Lernstoff konnte sie, entgegen der Hoffnung ihrer Lehrerin, nicht aufholen, zumal sie erneut erkrankte. Dennoch absolvierte sie die Schule trotz ihrer Schwerhörigkeit mit gutem Erfolg und wurde am 19. März 1932 aus ihr entlassen. Während all der Jahre erhielt sie selten Besuch von ihrer (Stief-)Mutter und ging nur einmal, Ostern 1930, auf Urlaub zu ihren Eltern. Zu ihrer Konfirmation am Tag nach der Schulentlassung sagte ihr Vater seine Teilnahme wegen einer schweren Erkrankung seiner Frau ab.

Mit dem Schulabschluss erlosch aus Sicht des Landeshauptmanns in Kiel die Notwendigkeit von Marthas weiterer Unterbringung in Alsterdorf. Auf seine Anordnung hin sprach die Gesundheitsfürsorgestelle des Wohlfahrts- und Jugendamts des Kreisausschusses des Kreises Stormarn zum 8. Juni 1932 Martha Mendes Entlassung und ihre Unterbringung im Kreiskinderheim in Lohbrügge aus. Eine Angestellte holte sie dorthin ab. In der Annahme, dass Martha dank ihrer guten Entwicklung ihrer Mutter zur Hand gehen und dadurch die mtl. Zahlung von 25 RM eingespart werden könne, holte Clara Mende ihre (Stief-) Tochter nach Hause.

Wer acht Jahre später, am 15. Mai 1940, ihre erneute Einweisung nach Alsterdorf veranlasste, ließ sich nicht ermitteln. Bei der Aufnahme war von "gröbsten Auffassungs- und Merkfähigkeitsdefekten", von ihrer Unfähigkeit, ihren Namen zu schreiben, von Abwesenheitszuständen und Störrigkeit die Rede; nur durch gro­be Zurechtweisung sei sie zu einfacher Hausarbeit zu bringen. Die Heimeinweisung sei überdies nötig, weil ihr Vater sie misshandele. Mit der Begründung, Martha Mende sei geistesschwach und könne ihre Angelegen­heiten nicht selbst erledigen, wurde sie am 12. Juli 1940 entmündigt und erhielt die Senatsrätin Käthe Petersen von der Sozialverwaltung zum Vormund.

Martha Mende blieb erwerbsunfähig, erreichte die Selbstständigkeit und Fähigkeiten, die sie beim Verlassen der Anstalt 1932 besessen hatte, nicht wieder. Ihre körperlichen Kräfte ließen nach, im Verhalten wurde sie unauffällig. Infolge der "Operation Gomorrha", der Serie von Bombenangriffen zwischen dem 25. Juli und 3. August 1943, riss der Kontakt Karl Mendes zu seiner Tochter ab.

Als im August 1943 Bewohnerinnen aus Alsterdorf verlegt wurden, gelangte Martha Men­de mit dem Transport am 14. des Monats in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalten der Stadt Wien". Der aufnehmende Arzt hielt fest, dass sie etwas lächelte, als sie angesprochen wurde, jedoch keine Fragen beantwortete oder Aufträge ausführte und nur lautlos leicht die Lippen bewegte. Sie verbrachte einige Wochen, bis sie sich eingewöhnt hatte, pflegebedürftig im Bett, beschäftigte sich dann für sich allein, aß und schlief gut. Ihr Zustand veränderte sich nur wenig. In einem Gutachten vom 11. Juli 1944 an Käthe Petersen schrieb der zuständige Arzt: "Im Zustand der Patientin hat sich nichts geändert. Sie ist ruhig, gleichgültig, bei ihrer Körperpflege muss nachgeholfen werden, hat keinen Kontakt mit der Umgebung. Weitere Anstaltspflege ist notwendig."

Am 29. September 1944 wurde sie in die Pflegeanstalt übernommen und am 3. November desorientiert in den Wachsaal (s. Anm. S. 25) gebracht. Von 48 kg Körpergewicht bei ihrer Aufnahme verlor sie bis zum Januar 1945 fünf Kilogramm, in den beiden folgenden Monaten weitere vier. Ihr Gang wurde unsicher, sie blieb fügsam und zufrieden und verbrachte wie nach ihrer Ankunft viel Zeit pflegebedürftig im Bett. Am 7. Mai 1945 wurde ein Abszess operiert. Das Ende des Zweiten Weltkrieges hatte keine positiven Folgen für ihr Ergehen und ihren Verbleib. Sie wurde hinfälliger, verwirrter, schließlich ab September nicht mehr transportfähig. Vielleicht deutet dieser Eintrag darauf hin, dass jemand versuchte, sie nach Hamburg zurückzuholen. Ihr Vater wusste zu dem Zeitpunkt weder, wo sie sich befand, noch dass sie nicht mehr lebte, wie aus einem Schreiben vom 6. Oktober 1946 an die Anstalt hervorgeht, in dem er sich nach ihrem Ergehen erkundigte. Martha Mende war am 29. Oktober 1945 im Alter von 31 Jahren gestorben. Bei ihrem Tod wog sie nur noch 29,5 kg. Sie wurde am 3. November 1945 in einem Gemeinschaftsgrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

© Initiative Stolpersteine in Hamburg-Billstedt

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 153; Jenner, Meldebögen, in: Genkel/Wunder/Jenner (Hrsg.), Ebene, S. 169–178; Wunder, Abtransporte, in: Ebene, S. 181–188; ders., Exodus, ebd. S. 189–236; Ziegenbalg, Schiffbek

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