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Bereits verlegte Stolpersteine



Jacob Wendt in der "Heil- unf Pflegeanstalt Lüneburg"
© Niedersächsiches Landesarchiv Hannover

Jacob Wendt * 1903

Rosengarten Bushaltestelle Neuenfelder Kirche (Harburg, Neuenfelde)


HIER WOHNTE
JACOB WENDT
JG. 1903
VERLEGT 1941 AUS
’HEILANSTALT’ LÜNEBURG
ERMORDET 7.3.1941
PIRNA-SONNENSTEIN

Jakob Wendt, geb. am 28.9.1903 in Nincop, eingewiesen in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn", verlegt und ermordet am 7.3.1941 in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein

Stadtteil Neuenfelde, Am Rosengarten, HVV-Bushaltestelle Neuenfelder Kirche

Jakob Wendt wurde als ältester Sohn des Obstbauern Johannes Wendt (19.2.1882–4.11. 1957) und seiner Frau Emma Wendt, geb. Diercks, (21.9.1884–27.11.1955) im Elternhaus seiner Mutter in Nincop geboren. Sein Bruder Cordt (geb. 19.9.1907–13.9.1976) war vier Jahre jünger.

Der Vater besaß einen landwirtschaftlichen Betrieb im Alten Land, dem großen Obstanbaugebiet im Südwesten der Großstadt Hamburg. Sein Obsthof lag im Rosengarten, einem Teil des damals preußischen Dorfes Hasselwerder, das sich 1929 mit dem benachbarten Dorf Nincop zur Gemeinde Neuenfelde zusammenschloss und acht Jahre später durch das Groß-Hamburg-Gesetz dem Hamburger Staatsgebiet zugeschlagen wurde. Der Obsthof existiert heute nicht mehr. Er fiel dem jüngsten Ausbau der Start- und Landebahn des Airbus-Werkes in Hamburg-Finkenwerder zum Opfer.

Die beiden Brüder Jakob und Cordt Wendt waren sehr verschieden, und die Eltern scheinen diese Unterschiede eher noch verstärkt zu haben. Cordt Wendt, der jüngere, kränkelte als Kind und nahm seine Eltern dadurch insgesamt viel stärker in Anspruch als sein älterer Bruder Jakob. Insbesondere die Mutter schenkte ihrem jüngsten Sohn viel Zuneigung, was Verwandten und Freunden nicht verborgen blieb.

Es lässt sich nicht mehr eruieren, ob und wie sehr ihr anderer Sohn unter dieser ungleichen Wertschätzung litt. Gesichert ist aber die Tatsache, dass Jakob Wendt im Laufe der Jahre zunehmend depressiver wurde. Er besuchte seine Großeltern oft und entwickelte ein besonderes Vertrauensverhältnis zu seinem Großvater, dem er oft sein Herz ausschüttete. Nach dessen Tod wuchs seine depressive Stimmung unaufhaltsam.

Am 1. Dezember 1926 wurde Jakob Wendt Patient der "Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn" und von dort aus vier Monate später in die "Pflegeanstalt zu Lüneburg" überwiesen. Die näheren Umstände dieser beiden einschneidenden Veränderungen in seinem Leben sind nicht bekannt.

Die behandelnden Ärzte stellten bei Jakob Wendt "dementia praecox", eine frühe Form von Gedächtnis- und Orientierungsstörung, fest und empfahlen eine weitere stationäre Behandlung, die sich zu einem Dauerzustand entwickelte. In Lüneburg erlebte Jakob Wendt in den folgenden Jahren, wie sehr alle Anstrengungen der Leitung um eine verbesserte personelle Betreuung der Patienten und den weiteren Ausbau der Arbeitstherapie mit den Auflagen eines laufend verschärften Sparprogramms kollidierten.

Im Sommer 1940 trafen auch in der "Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg" die Meldebögen ein, mit denen die von Hitler befohlene die "T4-Aktion" begann. Hinter diesem Tarnnamen verbarg sich das nationalsozialistische "Euthanasie"-Programm, die massenhafte Tötung "lebensunwerten Lebens". Mit diesen Fragebögen sollten alle Patientinnen und Patienten erfasst werden, die keine oder nur mechanische Arbeiten verrichten konnten, seit mehr als fünf Jahren in Anstalten lebten, straffällig geworden waren und keiner "arischen" Familie entstammten. Sie waren die Grundlage für die Arbeit der T4-Gutachter, die in der Berliner Zentrale darüber entschieden, wer von den Anstaltsbewohnerinnen und -bewohnern getötet werden sollte und wer weiterleben durfte. Anschließend wurden die Anstalten darüber informiert, wer in eine Tötungsanstalt abtransportiert werden sollte.

Am 7. März 1941 befand sich Jakob Wendt unter den 120 Männern der "Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg", die in die Vergasungsanstalt Pirna-Sonnenstein in Sachsen gebracht wurden. Paul Nitsche, einer der ehemaligen Leiter der Anstalt, gab später zu Protokoll, dass die Männer nach ihrer Ankunft in der Regel noch einmal zwei anwesenden Ärzten vorgeführt wurden, die dabei eine fingierte, möglichst un­verfängliche natürliche Todesursache festlegten und in die Krankenpapiere eintrugen, bevor sie in die als Duschräume getarnten Gaskammern geführt und ermordet wurden.

Die Sterbeurkunden und Trostbriefe, die auch die Angehörigen Jakob Wendts anschließend erhielten, dienten vor allem dem Zweck, dieses Verbrechen zu verschleiern.

© Klaus Möller

Quellen: Hauptstaatsarchiv Hannover, Patientenakte, Niedersächsisches Landesarchiv, Hann. 155, Lüneburg Acc. 2004/066/, Nr. 8625; Gespräch mit Hans-Günther und Margrit Wendt vom 19.7.2010; Reiter, Psychiatrie Niedersachsen, S. 193ff.; Raimond Reiter, Zwangssterilisation und NS-Verbrechen: Die Katastrophe von 1933–1945, in: Niedersächsisches Landeskrankenhaus Lüneburg (Hrsg.): 100 Jahre, S. 103ff.; Klee, "Euthanasie". 11. Auflage, S. 89ff.; Böhm/Schilter: Pirna-Sonnenstein, in: Sonnenstein, S. 26ff.

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