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Erna Martinelly (geborene Gottschalk) * 1902

Bürgerweide 51 (Hamburg-Mitte, Borgfelde)


HIER WOHNTE
ERNA MARTINELLY
GEB. GOTTSCHALK
JG. 1902
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
17.2.1945

Erna Martinelly, geb. Gottschalk, geb. 28.8.1902 in Hamburg, am 17.2.1945 Suizid

Bürgerweide 51

"Am 14.2. [1945] zwischen 9,00 und 10,00 Uhr verließ ich die Wohnung, um beim Wehrmeldeamt 5 wegen meiner Einberufung Rücksprache zu halten. Meine Frau blieb in der Wohnung zurück. Sie äußerte nur, sich kurze Zeit schlafen zu legen, da sie von dem vielen Packen, welches für ihren vorstehenden Arbeitseinsatz für den 14.2. 14,00 Uhr erforderlich gewesen war, müde sei. Zwischen 12,00 und 13,00 Uhr kehrte ich in die Wohnung zurück. Ich fand meine Frau auf dem Bett liegend, vollständig angezogen, im Ohnmachtszustand, vor. Ich verständigte sofort das zuständige Polizei-Revier und bat um Überführung ins Krankenhaus. Der Transport wurde am 14.2. gegen 14,00 Uhr durchgeführt." So schilderte Hans Martinelly auf dem Polizeirevier den Selbstmordversuch seiner Ehefrau Erna. Sie wurde in das damals in der Schäferkampsallee 29 befindliche Israelitische Krankenhaus eingeliefert und starb dort am 17. Februar 1945. Ihre Leiche wurde im Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Hamburg in der Neuen Rabenstraße untersucht, wo als Todesursache eine Lungenentzündung infolge einer Schlafmittelvergiftung festgestellt wurde.

Erna Gottschalks Eltern, der Klempner Paul Gottschalk, geb. 26.6.1871 in Aken a.d.Elbe, und seine Ehefrau Ida, geb. Holland, geb. 1.10.1878 zu Rappenau, zogen um 1900 von Basel nach Hamburg. Noch in Basel kam am 3.11.1899 ihr Sohn Julius zur Welt, bereits in Hamburg am 28.8.1902 ihre Tochter Erna. Paul Gottschalk stammte aus einer großen Familie. Sein Vater, der Fotograf und Kaufmann Levy Gottschalk, hatte aus erster Ehe mit der Jüdin Pauline Gottschalk acht und aus einer zweiten Ehe mit einer Protestantin sieben Kinder, von denen mehrere nach Hamburg zogen.

Über die Kindheit und Jugend von Julius und Erna Gottschalk ist nichts bekannt, außer dass sie am Stuvkamp 9 in Barmbek wohnten. Erna wurde Kindergärtnerin. Sie ging wie ihr Bruder eine sog. Mischehe ein. Julius heiratete Martha Jacobi und ließ sich am 25. Oktober 1931 taufen, Erna heiratete am 5. September 1931 den am 12. Juli 1895 in Rendsburg geborenen Elektromeister Hans Martinelly. Er wohnte bei seinem Vater, dem Konditor Wilhelm Martinelly, in der Bürgerweide 71. Beider Ehen blieben kinderlos. Hans Martinelly hatte sich 1926 als Klempner und Installateur selbstständig gemacht. Nach seiner Heirat übernahm seine Frau als Kontoristin alle vorkommenden kaufmännischen Arbeiten, einschließlich der Buchführung. Sie zogen in die Bürgerweide, zunächst in die Nr. 64, 1933 in die Nr. 51, während Wilhelm Martinelly Nr. 71 wohnen blieb.

1935 starb die Mutter Ida Gottschalk. Als Witwer zog Paul Gottschalk zog zu seiner Tochter in die Bürgerweide 51. Am 30. April 1938 trat er aus der DIGH aus. Wenige Monate später verstarb er (am 13. August 1938) in der "Psychiatrischen und Nervenklinik der Hansischen Universität" in der Friedrichsberger Straße 60 an einem Schlaganfall. Erna Martinelly trat auch 1939, als sie dazu verpflichtet war, nicht in die jüdische Gemeinde ein, und vermied bis zum 11. September 1941 den Eintrag des Zwangsnamens "Sara" im Heiratsregister. Die Deutsche Arbeitsfront und die Gestapo behandelten sie jedoch als Jüdin. Ihr wurde jeder direkte Kundenkontakt untersagt und ihrem Mann die weitere Ausbildung von Lehrlingen. Hans Martinelly widerstand dem Druck der Gestapo, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, und nahm alle Nachteile, die ihm daraus erwuchsen, in Kauf.

Als im Herbst 1941 die Transporte "zum Aufbau im Osten" einsetzten, wurde ihr verwitweter Onkel Otto Gottschalk, obwohl bereits 65 Jahre alt, am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Julius Gottschalk und Erna Martinelly, obwohl jünger und in nicht-privilegierten Ehen verheiratet, wurden verschont. Ihr in Aken verbliebener Onkel Karl wurde 1942 mit seiner gehunfähigen Ehefrau Ida und einer Nichte von Magdeburg aus nach Theresienstadt deportiert, zwei weitere Cousinen Erna Gottschalks aus Berlin bzw. Hamburg ebenfalls, die alle vor Ende des Jahres 1943 verstarben.

Erna Martinelly wurde am 10. Oktober 1942 zur Zwangsarbeit bei der Pyrotechnischen Fabrik Buchholtz in Bahrenfeld verpflichtet. Es folgten Arbeitseinsätze in der Chemischen Fabrik Heldmann, als Packerin bei Karl Laufenberg am Herrengraben und als Näherin bei Otto Schulz in der Dammtorstraße. Nach dem ersten großen Luftangriff auf Hamburg am 24./25. Juli verließ sie für einige Tage die Stadt und fuhr nach Rendsburg zu dortigen Verwandten. Nach ihrer Rückkehr am 29. setzte sie ihre Arbeit fort, obwohl die Stadt weitgehend zerstört und auch ihre Wohnung betroffen war. Sie und ihr Mann fanden eine neue Unterkunft in der Marktstraße in St. Pauli. Am 27. Oktober 1944 wurde auch Hans Martinelly zur Zwangsarbeit aufgerufen und bei Enttrümmerungs- und Erdarbeiten eingesetzt.

Erna Martinellys Tätigkeit bei der Firma Otto Schulz endete am 9. Februar 1945 mit der Aufforderung der Gestapo, sich auf einen weiteren Arbeitseinsatz, und zwar in Theresienstadt, einzustellen. Im Februar 1945 berief die Gestapo über 200 jüdische Partner und Partnerinnen aus "Mischehen" zu einem solchen besonderen Einsatz ein. Die meisten von ihnen leisteten in Hamburg Pflichtarbeit, viele von ihnen wurden vor dem Einsatz amtsärztlich untersucht. Andere brachten Atteste ihrer Hausärzte bei und wurden aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt. Warum Erna Martinelly nicht auch diesen Weg wählte, ist nicht bekannt. Ihre Erfahrungen bei der Zwangsarbeit und das Schicksal ihrer in Theresienstadt umgekommenen Verwandten vor Augen, mag Erna Martinelly am 14. Februar 1945 zu den Schlaftabletten gegriffen haben. Sie war klein von Statur und mittelkräftig, herzleidend und nervös. Ihrem Mann gegenüber hatte sie wegen des Arbeitseinsatzes Bedenken geäußert, aber keine Selbstmordabsichten. Sie starb mit 42 Jahren. Von den 194 Personen, die am 14. Februar 1945 Hamburg zum Arbeitseinsatz im Getto von Theresienstadt, das sich längst in Auflösung befand, transportiert wurden, überlebten 190.


Quellen: Gedenkbuch Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus; Online-Ausgabe des Gedenkbuchs des Bundesarchivs für jüdische Opfer des Nationalsozialismus; diverse Hamburger Adressbücher; StaH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Todesfälle 1945/224; 332-5 Standesämter, 7210+692/1938, 8197+172/1945, 13513+481/1931; 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 17417, 26684; 522-1 Jüdische Gemeinden, Abl. 1993, 10 (wg. Arbeitseinsatz 1945); Brunswig, Hans, Feuersturm über Hamburg, Stuttgart, 8. Aufl. 1987.

© Hildegard Thevs

Quellen: Gedenkbuch Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus; Online-Ausgabe des Gedenkbuchs des Bundesarchivs für jüdische Opfer des Nationalsozialismus; diverse Hamburger Adressbücher; StaH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Todesfälle 1945/224; 332-5 Standesämter, 7210+692/1938, 8197+172/1945, 13513+481/1931; 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 17417, 26684; 522-1 Jüdische Gemeinden, Abl. 1993, 10 (wg. Arbeitseinsatz 1945); Brunswig, Hans, Feuersturm über Hamburg, Stuttgart, 8. Aufl. 1987.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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