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Bereits verlegte Stolpersteine



Kurt Lebenthal * 1920

Bethesdastraße 16 (Hamburg-Mitte, Borgfelde)


HIER WOHNTE
KURT LEBENTHAL
JG. 1920
ABGESCHOBEN 1938
ZBASZYN / POLEN
???

Weitere Stolpersteine in Bethesdastraße 16:
Julius Lebenthal

Julius Lebenthal, geb. 28.10.1881 in Warschau, deportiert am 23.6.1943 nach Theresienstadt, am 12.10.1944 weiter deportiert nach Auschwitz
Kurt Lebenthal, geb. 15.2.1920 in Hamburg, deportiert am 28.10.1938 nach Zbaszyn, verschollen

Bethesdastraße 16

"Sie hoffte, dass ihr Mann bald soweit hergestellt ist, dass er wieder seiner Arbeit nachgehen und dann die Krankenhauskosten abzahlen kann. Es handelt sich anscheinend um sehr ordentliche Leute." Mit diesen Beobachtungen umriss im September 1929 die Fürsorge­schwester die Situation der Familie Lebenthal, die damals noch Hinter der Markthalle 1 in der Hamburger Altstadt wohnte. Es handelte sich um das Ehepaar Julius und Elfriede Lebenthal, geb. Klemme, und ihren neun Jahre alten Sohn Kurt. Elfriede Lebenthals Hoffnung erfüllte sich nicht, ihr Mann blieb arbeitsunfähig und die Familie auf die Unterstützung der öffentli­chen Wohlfahrtsfürsorge angewiesen, bis die Fürsorge für Juden der Jüdischen Gemeinde zur Aufgabe gemacht wurde.

Julius Lebenthal stammte aus einer kinderreichen polnisch-jüdischen Familie aus der Indus­trie­stadt Zirardow bei Warschau. Er kam 1919, im Alter von 38 Jahren, nach Hamburg, auf welchem Weg, ist unbekannt. Von seinen dreizehn Geschwistern lebten zwei ebenfalls in Deutsch­land, David Lebenthal in Münster und Sally Lebenthal als selbstständiger Kaufmann in Rheine. Julius Lebenthal fand eine Anstellung als Reisender bei der Wäscheversandfirma Dessau. 1920 heiratete er die 15 Jahre jüngere Elfriede Klemme, geboren am 27. Oktober 1896 in Schinkel bei Osnabrück. Ihre Familie war katholisch. Durch die Heirat erwarb sie die polnische Staatsangehörigkeit. Elfriede Klemme arbeitete als Verkäuferin und blieb bis zu einer Erkrankung an einer Thrombose im Jahr 1924 berufstätig. Danach konnte sie keine stehende Tätigkeit mehr ausführen, nahm auch keine andere auf und blieb später durch die Pflege ihres Mannes an das Zuhause gebunden.

Am 15. Februar 1920 wurde ihr Sohn Kurt geboren. Elfriede Lebenthal trat zum Judentum über, die Familie schloss sich der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an und trug ganz traditionell Vorsorge für ihr Begräbnis auf dem jüdischen Friedhof. Kurt besuchte die Talmud Tora Schule.

Über das materielle Ergehen der Familie in den 1920er Jahren ist nichts Näheres bekannt. Infolge von Julius Lebenthals Erkrankung und der daraus folgenden Bedürftigkeit wurde eine Wohl­fahrtsakte angelegt, die noch erhalten ist und Einblick in die dreißiger Jahre gibt. Wann Julius Le­ben­thal erstmals erkrankte, geht aus der Akte nicht hervor. Er litt an Tabes dorsalis, "Rücken­marksschwindsucht", die die Lähmung beider Beine zur Folge hatte, sodass er sich nur mit Hilfe von zwei Stöcken fortbewegen konnte. In der Annahme, dass dieser Zustand vorübergehend sei, zahlte ihm sein Arbeitgeber freiwillig wöchentlich 20 RM. Die Eheleute verkauften Wert- und Schmuckgegenstände, und die Talmud Tora Schule erließ Kurt das Schulgeld. Als das Einkommen für Miete und Lebensunterhalt nicht mehr ausreichte, wandte sich Julius Lebenthal 1929 an das Wohlfahrtsamt. Er erledigte den Schriftwechsel in seiner feinen Kauf­mannshandschrift; die Krankheit beeinträchtigte nicht seine geistigen Fähig­kei­ten. Die Für­sorge kam für den Lebensunterhalt auf, während die Jüdische Gemeinde die Mietkosten über­nahm. Durch Vermietung eines Zimmers wurden diese gesenkt.

1930 zog Julius Leben­thal einige Straßen weiter in die Rosenstraße 52. Zur Fortbewegung in der Woh­nung bewilligte ihm die Fürsorge einen "Zimmerfahrstuhl". Er musste die Wohnung aber aus Kosten­gründen bald wieder aufgeben und mietete in Borgfelde in der Bethesdastraße 16 im zwei­­ten Stock eine 31/2-Zimmerwohnung. Als sich sein Zustand auch nach zweieinhalb Jah­ren nicht gebessert hatte, beantragte sein Arzt im Juni 1932 eine vierwöchige Kur in Bad Oeyn­hausen für ihn. Die Jüdische Gemeinde kam für die Kosten auf. Wegen ihres Erfolges be­antragte Elfriede Lebenthal eine Verlängerung, die jedoch abgelehnt wurde, ebenso wie eine erneute Kur im folgenden Jahr.

Als Kurt Lebenthal im April 1934 den Volksschulabschluss erhielt, griffen die antijüdischen Maßnahmen bereits, sodass er Schwierigkeiten hatte, eine Lehrstelle zu finden. Ein weiteres Hindernis war seine abgetragene Kleidung. Das Wohlfahrtsamt bewilligte ihm einen neuen Anzug und entsprechendes Schuhwerk. Schließlich fand er eine Lehrstelle für die Ausbildung als Verkäufer in Elmshorn. Um dorthin zu kommen, brauchte er die Hälfte seines Lehr­lings­gehalts für Fahrgeld.

1935 überprüfte das Wohlfahrtsamt die Unterstützungsmöglichkeiten durch Verwandte. Ju­lius Lebenthals Eltern lebten nicht mehr, die Schwiegermutter wurde von ihrem Sohn in Ber­lin unterhalten. Weitere Angehörige konnten nicht herangezogen werden.

Als Kurt Lebenthals Lehrfirma im Juni 1936 geschlossen wurde, konnte er unter Verlän­ge­rung um ein Jahr seine Lehre im Kaufmännischen bei der Automat-Papierfabrik in der Ma­rienthaler Straße in Hamm fortsetzen. Nach einem Jahr gab er sie jedoch auf und blieb als Arbeiter mit einem höheren Lohn als dem Lehrlingsgehalt dort, woraufhin der Mehrbetrag von den Wohlfahrtsleistungen für den Lebensunterhalt abgezogen wurde. Kurt Lebenthal er­hielt weiterhin einmalige Leistungen für einen Anzug und Schuhwerk. Er wurde selbst Mit­glied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg. Deren Mietzuschuss für die Familie war inzwischen erheblich gesenkt worden, ebenso wie die Zahlungen von Julius Lebenthals früherem Arbeitgeber.

Am 1. Januar 1938 brach sich Julius Lebenthal den rechten Oberschenkelhals und wurde in das Allgemeine Krankenhaus St. Georg gebracht. Aufgrund der Erfahrung, dass ein solcher Bruch bei bestehender Rückenmarksschwindsucht nur sehr langsam ausheilen würde, wurde er am 23. April 1938 in die Krankenabteilung des staatlichen Versorgungsheims verlegt. Das Wohlfahrtsamt legte Elfriede Lebenthal nahe, sich Arbeit zu suchen, da sie ihren Mann nun nicht mehr zu pflegen brauche und er voraussichtlich in Anstaltspflege verbleiben würde. Als "Geltungsjüdin" mit polnischer Staatsangehörigkeit fand sie keine Anstellung. Zum 1. Okto­ber 1938 stellte das Wohlfahrtsamt die Hilfe zu ihrem Lebensunterhalt ein.

Ende Oktober 1938 wurde die Familie auseinander gerissen. Während Julius Lebenthal im Ver­­sorgungsheim lag, brachten am frühen Morgen des 28. Oktober Polizisten Elfriede und Kurt Lebenthal auf die Polizeiwache in der Burgstraße. Ihnen war die Mitnahme der notwendigsten Kleidungsstücke gestattet worden. Am Abend ging es von dort zu einer Sammelstelle für die abzuschiebenden polnischen Juden. Sie wurden vom Bahnhof Altona mit der Bahn an die polnische Grenze bei Zbaszyn transportiert und von der SS vorangetrieben, aber von polnischen Bewaffneten am Überschreiten der Grenze gehindert. Die Zustände in dem sich bildenden Lager für Tausende von Deportierten waren furchtbar. (Erst Mitte der 1950er Jahre wurden sie als denen in den Konzentrationslagern herrschenden entsprechend anerkannt.)

Elfriede Lebenthal gelang es, einen "Ariernachweis" beizubringen, so dass sie im Juli 1939 nach Hamburg zurückkehren konnte. Sogleich erklärte sie gegenüber Max Nathan ihren "Aus­tritt aus dem jüdischen Bekenntnis" und kehrte zu ihrer deutschen Staatsangehörigkeit zu­rück. Kurt Lebenthal, obwohl "Mischling 1. Grades" und in Hamburg geboren, wurde die Rück­kehr verwehrt. Vermutlich schloss er sich einer Gruppe Jugendlicher an, die sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. Seine Mutter erhielt als letzte Briefe je einen aus Lodz und Wilna. Während ihrer Abwesenheit strengte der Vermieter eine Räu­mungs­klage der Wohnung in der Bethesdastraße zum März 1939 an. Bekannte räumten das Mobi­liar und den Hausrat in einem Zimmer zusammen, sodass Elfriede Lebenthal bei ihrer Rück­kehr zwar nicht mehr ihre Wohnung, aber ihre Habe vorfand. Sie wohnte danach in der Marienthaler Straße.

Am 22. Mai 1939 wurde Julius Lebenthal vom staatlichen Versorgungs- in das Alters- und Pfle­ge­heim der Jüdischen Gemeinde in Altona, Grünestraße 5, entlassen. Als die Jüdische Ge­meinde dieses Heim im März 1942 aufgeben musste, wurde er in das Alten- und Pflege­heim am Laufgraben 37 verlegt. Kurz zuvor hatte sich Elfriede Lebenthal nach zweiundzwanzigjähriger Ehe von ihrem Mann scheiden lassen. Julius Lebenthal wurde noch einmal um­quartiert, in die Beneckestraße 6, ehemalige Wohn- und Büroräume der jüdischen Ge­mein­de, die als Altenheim dienten. Von dort wurde er am 23. Juni 1943 in das Getto von There­sien­­stadt deportiert, 62 Jahre alt und schwerstbehindert. Am 12. Oktober 1944 wurde er einem Transport nach Ausch­witz zugeteilt und vermutlich gleich ermordet.

Elfriede Lebenthal erlitt bei dem Großangriff der britischen Luftwaffe am 27./28. Juli 1943 einen Totalschaden ihrer Wohnung. Kurt Lebenthal wurde am 19. Juni 1950 auf den 31. De­zember 1944 für tot erklärt. Das Amtsgericht ging davon aus, dass er spätestens beim Vor­rücken der Roten Armee zwischen die Fronten geraten war und sein Leben verloren hatte.

© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 7; StaH, 351-11 AfW, 19502; 552-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2, Bd. 5.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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