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Wilhelm Tiedemann * 1910

Normannenweg 23 (Hamburg-Mitte, Borgfelde)


HIER WOHNTE
WILHELM TIEDEMANN
JG. 1910
VERHAFTET
’FAHNENFLUCHT’
ERSCHOSSEN 22.9.1944
KASERNE
RAHLSTEDT-HÖLTIGBAUM

Wilhelm Tiedemann, geb. 8.3.1910 Geesthacht, erschossen am 22.9.1944 in Hamburg-Höltigbaum

Normannenweg/Ecke Wikingerweg (Normannenweg 23)

"Plötzlicher Herztod" lautet die Todesursache Wilhelm Tiedemanns im Sterberegister. Was zunächst unverfänglich klingt, wird beklemmend, wenn man im Kontext liest "durch Er­schie­ßen". Er starb als Vierunddreißigjähriger am 22. September 1944 auf dem Schießplatz "Am Höltigbaum" in Hamburg-Rahlstedt. Wilhelm Tiedemann diente als Obergefreiter beim Gre­na­dier-Ersatz- und Ausbildungsbataillon 76. Im September 1944 gehörte er der 1. Gene­sungs­kompanie an und wurde Opfer der Militärjustiz.

Wilhelm Tiedemann kam am 8. März 1910 in Geest­hacht als Sohn des Kapi­täns Friedrich Tie­­demann und seiner Ehefrau Au­guste, geb. Franck, als viertes von sechs Kindern zur Welt. Die Mutter stammte aus Vel­lahn in Meck­len­burg, der Vater aus Lauen­burg, wo die Familie zu­nächst lebte und die drei älteren Kinder geboren wur­den. 1908 zog Friedrich Tiede­mann mit seiner Fa­milie aus dem preußischen Lauenburg in das zu Ham­burg gehörende Geest­hacht, wo er in der Ha­fen­straße 14 wohnte. Dort ka­men 1914 Wilhelms Bru­der H. und 1917 seine Schwester E. zur Welt.

Die drei Kinder wurden in Geest­hacht in der ev.-luth. Kirche St. Salvatoris ge­tauft. Wilhelm Tiedemanns Tauf­pate stammte aus dem dä­nischen Sonderburg. 1919 siedelte Friedrich Tiedemann, im­mer noch als Kapitän tätig, mit seiner Familie nach Hamburg über und zog in die Daniel­straße 56 in St. Georg/Klostertor, wo er bis zur Ausbombung im Juli 1943 zunächst als Schiffs­führer, dann als Rentner wohnte.

Familie Tiedemann war eine Schifferfamilie. Bereits Groß- und Urgroßvater, beide gebürtige Lauenburger, waren Schiffer. Friedrich Tiedemann war Mitbegründer und Schriftführer der 1910 in Geesthacht gegründeten "Schiffergesellschaft für Geesthacht und Umgebung e.V.". Der ältere Sohn fuhr als Maat zur See, Wilhelm und sein jüngerer Bruder wurden Ewerführer. 1934 unterzogen sie sich gemeinsam mit fünf weiteren jungen Männern bei der Seefahrts­schule Hamburg der Prüfung zum "Führen eines auf der Elbe verkehrenden Passagier­dampf­schiffes", allerdings wie auch drei Andere ohne Erfolg.

Im selben Jahr heiratete Wilhelm Tiedemann. Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor. Wo­durch die Ehe endete und was mit der Tochter geschah, war nicht zu erfahren. 1938 ging Wil­helm Tiedemann eine zweite Ehe ein und heiratete Erika Kommnick, geboren am 7. De­zem­ber 1916 in Hamburg, deren Eltern aus Ostpreußen stammten. Ihr Vater diente im Ersten Weltkrieg als Obermatrose bei der kaiserlichen Marine auf der SMS Deutschland in Kiel und war 1938 als Wächter in Pillau tätig.

Die Eheleute bekamen einen Sohn und wohnten im Normannenweg 23 in Borgfelde. Das Haus wurde wie die Wohnung Friedrich Tiedemanns während der "Operation Gomorrha" im Juli/August 1943 zerstört. Frau und Sohn überlebten und fanden zusammen mit den Schwie­gereltern bei den Eltern in Pillau Zuflucht.

Bei Kriegsbeginn war Wilhelm Tiedemann 29 Jahre alt. Wann er eingezogen wurde, ist nicht bekannt. Der Grund für seine Anklage vor dem Gericht der Wehrmachtskommandantur Hamburg ließ sich nicht ermitteln. Er wurde am 29. Juni 1944 zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 4. September 1944 bestätigt und am 22. September 1944 vollstreckt. Für die im Vergleich mit anderen Verfahren langen Zeiten zwischen Urteil, Bestätigung und Hinrichtung ließen sich keine Gründe finden.

Wilhelm Tiedemanns Leichnam wurde, wie die sterblichen Überreste der anderen auf dem Schießplatz Am Höltigbaum in Rahlstedt erschossenen Soldaten, am Rande des Ohlsdorfer Friedhofs begraben. Sein Tod wurde dem Standesamt Rahlstedt drei Monate nach Kriegs­ende vom Wehrkreiskommando X, Wehrkreisauskunftsstelle in Hamburg, mitgeteilt. Seine Witwe erhielt am 6. August 1945 in Gettorf/Kreis Eckernförde eine Beurkundung der Hin­rich­tung ihres Mannes.

Sie starb am 4. Dezember 1974 in Kiel. Über das Schicksal des Sohnes ist nichts bekannt. Die Eltern Tiedemann überlebten ihren Sohn: Friedrich Tiedemann starb am 24. Dezember 1946 in Boizenburg, Auguste Tiedemann am 16. November 1953 in Hamburg.
Am 21. Juli 1960 wurde Wilhelm Tiedemann auf das Gräberfeld von Militärangehörigen Z41, R9, Nr.31 auf dem Ohlsdorfer Friedhof umgebettet.

© Signe Schuster

Quellen: Archiv der ev.-luth. Kirchengemeinde Geesthacht, Kirchenarchiv St. Salvatoris in Geesthacht, Geburts- und Taufregister A 3, Best.-Nr. 382; BA Militärarchiv, PERS. 15/7363; Stadtarchiv Lauenburg, Personenstandsakten, Heiraten 6/1896; StaH, 332-5 Standesämter, 7846+283/1890; 3276+75/1915; 4414+217/1945; 1327+1491/1953; 332-8 Meldewesen, 334, K 4937; 362-5/1 Seefahrtsschule Hamburg, 53 m; Deutsche Dienststelle, Schreiben vom 21.1. und 5.3.2010; Einwohnermeldeamt Geesthacht; AB 1919–1944; Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, div. mündliche und elektronische Auskünfte; Standesamt Boizenburg, Sterbefälle 320/1946; Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Schreiben vom 25.5.2010; Garbe, Höltigbaum, in: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialisten Zeit in Schleswig-Holstein, Bd. 12, S. 3–31.

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