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Bereits verlegte Stolpersteine



David Kainer * 1874

Wielandstraße 27 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
DAVID KAINER
JG. 1874
VERHAFTET 1938 UND 39
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Wielandstraße 27:
Lucie Kainer, Erwin Kainer

David/Dagobert Kainer, geb. am 22.3.1874 in Tarnow/Polen, 1938/1939 Haft im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, weiter deportiert vor dem 16.11.1942
Lucie Kainer, geb. Wagner, geb. am 16.5.1874 in Hamburg, 1938/1940 Haft im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, weiter deportiert vor dem 16.11.1942
Erwin Kainer, geb. am 10.4.1914 in Hamburg, 1938/1939 Haft im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, 1939–1943 Haft in der Strafanstalt Bremen-Oslebshausen, deportiert am 14.1.1943 nach Auschwitz

Wielandstraße 27

Am 17. März 1939 wurden David, Lucie und Erwin Kainer sowie Georg Ammann, ein Schwiegersohn von David und Lucie Kainer, wegen "Rassenschande" und Kuppelei verurteilt und außerordentlich hart bestraft. Die Strafzumessung orientierte sich nicht an ihren Vergehen, sondern resultierte aus der Empörung des Gerichts, dass es immer noch zu geschlechtlichen Beziehungen zwischen Juden und Nichtjüdinnen bzw. Nichtjuden und Jüdinnen käme. "Trotz schwerer Strafen wegen Verbrechens der Rassenschande, die in den ersten drei Jahren nach Erlass der Nürnberger Gesetze verhängt und ständig in den Zeitungen veröffentlicht wurden, ist ein Nachlassen dieses Verbrechens nicht festzustellen. Die jetzt verhängten Strafen müssen daher schon aus dem Grund der allgemeinen Abschreckung noch schärfer ausfallen." Während Erwin Kainers Haft direkt in seinen Tod führte, erlangten seine Eltern noch einmal die, jedoch sehr beschränkte, Freiheit zurück, bevor sie in das Getto von Lodz deportiert wurden. Lucie und David Kainer waren bei ihrem Tod 68 Jahre alt, Erwin vermutlich 29 Jahre.

David Kainer hatte jüdische Eltern, Adolf Kainer und Anna, geborene Hauser. Der Vater handelte mit Eiern. David, der sich später auch Dagobert nannte, wurde am 22. März 1874 im damals österreichischen, heute polnischen Tarnow geboren und nach Abschluss der Volksschule im Alter von 14 Jahren von seinem Vater nach Hamburg gebracht, um eine Lehre im Getreidegroßhandel anzutreten. Der Vater kehrte nach Tarnow zurück, David blieb in der Hansestadt.

Nach Abschluss der Lehre wurde David Kainer in der Lehrfirma weiter als Handlungsgehilfe beschäftigt. Er trat am 1. April 1895 in die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg ein und schloss sich dem Synagogenverband an. Am 2. Februar 1903 heirateten David Kainer und die gleichaltrige ebenfalls jüdische Lucie Wagner, geboren 16. Mai 1874 in Hamburg.

Lucie Wagner war die Tochter des Garderobenhändlers Ephraim Wagner, geboren 1834 in Hamburg, und seiner Ehefrau Bella, genannt Betty, geborene Heimannson, aus Rostock. Der Hamburger Großvater war von Beruf Schneider. Lucie hatte zwei jüngere Brüder, Willy (geb. 1886), der Zahntechniker wurde, und Arthur (geb. 1887), der ins Kaufmännische ging. Sie besuchte die "Israelitische Töchterschule" in der Carolinenstraße und arbeitete nach der Schulentlassung als Verkäuferin in der Putz-/Hutmacherbranche.

Familie Wagner war innerhalb St. Paulis und der Hamburger Neustadt mehrfach umgezogen, bevor sie 1903 in der Wexstraße 23 gemeldet war, wo David Kainer sechs Häuser weiter wohnte. Offenbar war Lucies Vater, Ephraim Wagner, gesundheitlich nicht mehr in der Lage, bei der Eheschließung seiner Tochter als Trauzeuge zu agieren; er starb ein halbes Jahr später im Alter von 69 Jahren. An seiner Stelle fungierte ihr Bruder Willy Wagner als solcher. David Kainers Familie wurde durch einen jungen Verwandten aus Bottrop in Westfalen, den Geschäftsführer Salomon Keiner vertreten. Bei ihrer Übersiedlung nach Deutschland benutzten die Angehörigen der Familie Kainer/Keiner unterschiedliche Schreibweisen ihres Namens.

Nach ihrer Eheschließung zogen David und Lucie Kainer in die Bellealliancestraße 41 in Eimsbüttel. Dort wurden 1906 und 1908 die beiden Töchter Elli und Irma geboren. Ellis Ein­schulung am 10. April 1914 fiel mit der Geburt ihres Bruders Erwin, des einzigen Soh­nes von Lucie Kainer, zusammen. Der Erste Weltkrieg belastete die Familie schwer. 1915 wurden David Kainer und Lucies Bruder Willy Wagner zum Kriegsdienst eingezogen: David Kainer bei der österreichischen Armee. 41 Jahre alt und ungedient, erhielt er zunächst eine militärische Ausbildung und wurde danach in den damals russischen Sumpfgebieten Wolhyniens eingesetzt. Er erkrankte und wurde im Februar 1916 aus der Armee entlassen. Willy Wagner wurde an der Westfront eingesetzt. Ab dem 22. Mai 1916 galt er als bei Verdun vermisst, überlebte aber den Krieg und zog nach Berlin.

Vier Monate nach seiner Entlassung, am 1. Oktober 1916, trat David Kainer seinen Dienst beim Kriegsversorgungsamt Hamburg an, wo er bis zum 28. Februar 1921 blieb. Danach kehrte er in seinen Beruf als Handlungsgehilfe zurück, in dem er ohne weitere Unterbrechung bis 1933 als Angestellter tätig war. Inzwischen war die Familie nach Eimsbüttel in die Margarethenstraße 4 gezogen.

Über Ellis Schul- und Berufsbildung ist nichts bekannt. Später war sie als Kontoristin tätig. Irma besuchte die private Höhere Mädchenschule Herms im Schulweg in Eimsbüttel und danach die private Handelsschule Schür in der Weidenallee 31/33. Sie fand eine Anstellung bei Köster & Ramm, einem Spielwarengroßhandel am Steindamm in Hamburg-St. Georg.

Der Bruder Erwin besuchte zunächst die Vorschule in der Wilhelminenstraße (heute: Hein-Hoyer-Straße in St. Pauli), dann die Talmud Tora Schule im Grindel und schließlich die Talmud Tora Armenschule in der Grünestraße in Altona, aus der er 1927 im Alter von nur 13 Jahren entlassen wurde. Im selben Jahr starb, 80-jährig, seine Großmutter Bella Betty Wagner. Erwin begann eine Lehre im Kaufhaus Walter Bucky in der Hamburger Straße in Barmbek, nach deren Abschluss er als Verkäufer und Dekorateur weiter beschäftigt wurde. Als 1931 infolge der Weltwirtschaftskrise die Geschäfte zurück gingen und Personal entlassen wurde, traf es auch ihn. Bis 1936 war er bei verschiedenen jüdischen Firmen beschäftigt, u. a. in der Metall-Großhandelsfirma Hugo Lippmann am Rödingsmarkt. Zwei seiner Verwandten waren bereits emigriert, auch Erwin hoffte auf die Auswanderung, jedoch ohne sie in die Wege zu leiten.

1931 ging Elli Kainer eine "Mischehe" mit dem Kaufmann Georg Ammann, Leiter der Filiale des Bettengeschäfts Kurt C. Ehrhardt in der Wandsbeker Chaussee 126, ein. Er hatte 1929 die evangelisch-lutherische Kirche verlassen. Aus Georg und Elli Ammans Ehe gingen vier Kinder hervor. Die Eheleute lebten zunächst in Eppendorf in der Frickestraße und danach in Eimsbüttel in der Eichenstraße. 1932 traten Elli Ammann und ihre Schwester Irma Kainer in die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg ein. Ihrem geringen Einkommen entsprechend, zahlten sie niedrige Beiträge. Am Jahresende 1932 wanderte ihr Onkel Arthur Wagner, Lucie Kainers Bruder, nach Brasilien aus.

Das Jahr 1933 brachte außer den politischen Veränderungen folgenreiche persönliche Einschnitte mit sich: Ein Gehörleiden beendete David Kainers Erwerbstätigkeit. Er erhielt nun eine monatliche Rente von 50,40 RM, ergänzt durch 20 RM von der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg. Am 1. Oktober wurde sein erstes Enkelkind, Elli und Georg Ammans Tochter, geboren.

Irma Kainer verlor ihre Stellung und blieb erwerbslos. Mit Hilfe von Verwandten in den USA konnte sie im März 1935 dorthin ausreisen. Weder Erwin noch die Eltern machten damals Anstalten, ihr zu folgen. Irma Kainer unterstützte ihre Familie ab und an mit einer Geldsendung.

Georg Ammann war mit seiner Familie in das benachbarte preußische Wandsbek gezogen, wo eine zweite Tochter zur Welt kam, kehrte aber im Juli 1936 nach Hamburg zurück. Die Eltern Kainer, David und Lucie, bei denen noch ihr Sohn Erwin wohnte, nahmen die Ammans bei sich auf, bis Georg Amman im Oktober 1936 eine Wohnung in der Wielandstraße 27 in Eilbek mietete. Er besaß außerdem ein großes Grundstück mit einem Wochenendhaus in Poppenbüttel. Lucie und David Kainer zogen am 1. Januar 1937 ebenfalls in die Wielandstraße 27, und im April folgte auch Erwin. Elli Ammann brachte im November ihren ersten Sohn zur Welt.

Erwin Kainer hatte 1936 nicht nur seine Stellung verloren, sondern auch eine "arische" Freundin. Im folgenden Jahr machte er sich nach Berlin auf und verlobte sich, ungeachtet des Heiratsverbots nach den Nürnberger Gesetzen mit O., ebenfalls eine Nichtjüdin. Ohne Einkommen, lieh er sich von der früheren Freundin Geld. Um weiteres zu beschaffen, reiste er mit O. zu deren Verwandten in die damalige Tschechoslowakei und nach Wien. Dort hinterließ er eine offene Hotelrechnung.

O.s Vater holte seine Tochter nach Berlin zurück. Aufgrund einer Denunziation vernahm die Polizei O. wegen "Rassenschande". Bevor auch Erwin Kainer ins Visier der Polizei geriet, fuhr seine Mutter nach Berlin, um ihren Sohn vor den Folgen seines Verhaltens zu warnen. Als Anlaufstelle diente ihr ihr Bruder Willy. Trotz ihrer Kritik an ihrem Sohn entzog sie ihm nicht ihre Unterstützung. Sie versetzte fast ihre ganze Habe und versorgte ihn und O. mit Lebensmitteln und Geld aus Angst, ihr einziger Sohn könne auch in die USA auswandern – wie es in der Gerichtsverhandlung später hieß.

Erwin überredete O., mit ihm nach Hamburg zu kommen, um von dort aus ins Ausland zu fliehen. Sie verbrachten nur kurze Zeit in der Wielandstraße bei den Verwandten, tauchten in Georg Ammanns Laube in Poppenbüttel unter, mieteten Zimmer, die sie nicht bezahlen konnten, bis sie bei David und Lucie Kainer in der Elsastraße 8 in Barmbek-Süd in deren einem Zimmer aufgenommen wurden, das diese als Untermieter bewohnten. Hier wurden David und Lucie Kainer am 6. September 1938 in "Schutzhaft" genommen und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel verbracht. Erwin, der "schwarz" im Kontor einer Autoschlosserei arbeitete, wurde sechs Tage später zusammen mit O. festgenommen. Ihre Beziehung hatte 18 Monate gedauert. O. wurde in das Stadthaus gebracht und vierzehn Tage später nach Fuhlsbüttel überstellt, wo sich Erwin Kainer schon befand. Nach einem Freispruch wurde sie Ende 1938 aus der Haft entlassen. Am 16. September wurde auch Georg Ammann in "Schutzhaft" genommen, weil er vermeintlich das Verhältnis geduldet hatte. Seine Frau schützte, dass sie hoch schwanger war. Sie gebar am 2. November 1938 ihr viertes Kind.

Am 21. September 1938 wurden alle Vier in Untersuchungshaft genommen und im Juli 1939 vor Gericht gestellt.

Die Anklage gegen Erwin Kainer lautete auf "Rassenschande", Betrug, Untreue und Unterschlagung, denn er hatte geliehene 300 RM sowie Hotel- und Mietschulden nicht erstattet. David und Lucie Kainer waren wegen schwerer Kuppelei in Tateinheit mit Beihilfe zur "Rassenschande" angeklagt, Georg Ammann wegen Beihilfe zur "Rassenschande". Alle waren geständig, weshalb ihnen die Untersuchungshaft angerechnet wurde. Georg Ammann erhielt wegen "Duldung der Bewohnung seiner Laube" eine Strafe von sechs Monaten. Er wurde vorzeitig entlassen, verlor jedoch seine Stellung. Dasselbe Strafmaß wurde David Kainer zugemessen, da das Gericht den Eindruck gewonnen hatte, dass er "ein energieloser alter Mann [ist], der völlig unter dem Einfluss seiner Frau steht und sich ihr gegenüber nicht durchsetzen kann". Lucie Kainer er­hielt eine eineinhalbjährige Gefängnisstrafe, "denn es kam ihr in erster Linie darauf an, ihrem Sohn jeden Wunsch zu erfüllen", und dafür habe sie den schweren Verstoß "gegen ein Schutzgesetz des deutschen Volkes" in Kauf genommen.

Erwin erhielt eine "abschreckend scharfe Strafe" von fünfzehn Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Am 15. Juli 1939 wurde er in das Zuchthaus Bremen-Oslebshausen überstellt.

Bei der Volkszählung im Mai 1939 waren David und Lucie Kainer, obgleich in Haft, an ihrer alten Adresse in der Wielandstraße 27 bei Ammann registriert. Elli Ammann meldete sich am 21. Juni 1939 von der Jüdischen Gemeinde ab, 1940 wurde ihr Ehemann Georg zur Wehrmacht eingezogen.

Als Lucie Kainer am 25. März 1940 aus der Haft entlassen wurde, zog sie mit ihrem Mann zu der ledigen Johanna Steiner (s. Stolpersteine in Hamburg-Borgfelde) in der Anckelmannstraße 102 in Borgfelde. Ab Januar 1941 erhielten die Eheleute Kainer Unterstützungsleistungen von der Wohlfahrt. Sie begannen im April 1941, ihre Auswanderung nach New York zu betreiben, doch es war zu spät, das Vorhaben scheiterte. Die frühere Wohnung in der Wielandstraße erlitt am 16. September 1941 einen Totalbombenschaden.
Elli Amman wich mit den Kindern nach Poppenbüttel aus.

David und Lucie Kainer waren inzwischen 67 Jahre alt und hatten damit die von der Gestapo gesetzte Altersgrenze für die Transporte von Jüdinnen und Juden zum "Aufbau im Osten" überschritten. Dennoch wurden sie zur ersten Deportation am 25. Oktober 1941 zusammen mit ihrer Vermieterin, der zehn Jahre jüngeren Johanna Steiner, aufgerufen. Sie mussten die Auflösung ihres Resthaushalts anderen überlassen. Der Transport von insgesamt 1034 Hamburgern und Hamburgerinnen führte in das Getto von Lodz, von dem sich vorher niemand eine Vorstellung hatte machen können.

Sie wurden beide am 10. November 1941 in Lodz unter der Nummer 30735 registriert, nachdem sie eine Woche zuvor ein Zimmer für sieben Personen ohne Küche an der Hanseatenstraße 7 bezogen hatten. Diese Bleibe verließen sie am 16. Januar 1942, wurden innerhalb der Hanseatenstraße "umgesiedelt" und bezogen am 4. Februar die Wohnung 17 in der Steinmetzgasse 5.

Elli Amman unterstützte ihre Eltern von Hamburg aus mit Geldsendungen, deren Emp­fang sie auf Postkarten bestätigten, von denen jedoch nur eine bei der Tochter ankam.

David und Lucie Kainer wurden aus dem Getto von Lodz "ausgesiedelt", Lucie Kainer am 2. September 1942, David Kainer am 2. November 1942, d. h. in Chelmno ermordet.

Ihr Sohn Erwin wurde am 14. Januar 1943 aus der Strafanstalt Bremen-Oslebshausen nach Auschwitz überstellt und ermordet.

Willy Wagner, Lucie Kainers Bruder, wurde am 3. Oktober 1942 zusammen mit seiner Frau Dorothea von Berlin aus nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurden sie am 16. Mai 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz abtransportiert.
Seither fehlt von den Deportierten jede Spur.

Georg Amman kam im Zweiten Weltkrieg ums Leben. Seine Witwe wanderte später in die USA aus.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 7; 9; AB; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht Strafsachen 1730/40; 242-1 II Gefängnisverwaltung Abl. 13 und 16; 314-15 OFP Oberfinanzpräsident FVg 8857; 332-5 Standesämter 523-694/1903, 1877-4940/1876, 3001-103/1903, 8091-382/1927; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 2524, 33498, 39729; 332-8 Meldewesen K 6343, K 7123; 522-1 Jüdische Gemeinde, 992 e2 Bd. 1 Deportationslisten; Archivum Panstwowe w Lodzi.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link Recherche und Quellen.

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